V-05 Zukunft aus Tradition! Das Genossenschaftsmodell als modernes Mittel sozialdemokratischer Gestaltungspolitik und Chance für das Ruhrgebiet

Der Landesparteitag beauftragt den Landesvorstand,

 

1. die Themen der Infrastrukturpolitik und des Investitionsstaus als Top-Priorität der kommenden zwei Jahre zu behandeln,

 

2. bis zu einem Landesparteirat in der ersten Jahreshälfte 2024 ein Konzept zur Bewältigung der anstehenden Infrastrukturaufgaben zu erarbeiten, dazu begleitend auch Diskussions- und Beteiligungsformate zu organisieren,

 

3. dabei den Fokus auf die Möglichkeit der Bildung von Infrastrukturgenossenschaften zu legen,

 

4. und das Ruhrgebiet dabei als Modellregion genossenschaftlicher Aufgabenbewältigung für ganz NRW heranzuziehen.

Begründung:

 

Nordrhein-Westfalen, und speziell das Ruhrgebiet, befinden sich in einer enorm schwierigen Ausgangslage: Der stetige Investitionsstau der vergangenen Jahrzehnte führt zeitgleich zum Zerfall durch Verschleiß, zu Flickenteppichen in der Sanierung und zu Stückwerk; gleichzeitig kommt der Ausbau der für die klimaneutrale Transformation notwendige Infrastruktur nicht voran.

 

Eingekeilt zwischen Zerfall und Zukunft, so lautet der traurige Befund.

 

Die Entwicklung von Smart Cities und Smart Regions, der Herstellung einer echten ÖPNV-Mobilitätsgarantie, der Bau von Radschnellwegen, eine ganzheitlich gedachte Wasserstoffstrategie, die Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene und aufs Wasser, der kraftvolle Ausbau der Erneuerbaren Energien…diese Liste ließe sich noch fortführen, dabei ist die Umsetzung jedes einzelnen Punktes ein großer Kraftakt. Und das, während parallel der Bestand irgendwie erhalten muss, die Fachkräftelücke in der Planung, beim Bau und im Handwerk aber immens ist und wohl weiter wachsen wird. Groß angekündigte Investitionspakete und Fördertöpfe des Bundes können nicht abgerufen werden, weil im Öffentlichen Dienst das Personal für Planung, Fördermanagement und Umsetzung fehlt.

 

Land und Kommunen stehen daher vor einer Mammutaufgabe, vergleichbar mit einer Chirurgin, die einem Patienten unter hohem Zeitdruck zugleich eine neue Hüfte einsetzen und das Kreuzband flicken soll, wobei ihr aber das Werkzeug und unterstützendes Personal fehlen.

 

Viele dieser Probleme sind hausgemacht und lassen sich zurückführen auf den ideologischen Drift der vergangenen fünf Jahrzehnte. „Schwarze Null“, „Privat vor Staat“, „schlanker Staat“ und „der Markt regelt“ – hinter all diesen Begriffen stecken wirkmächtige Erzählungen, mit denen das Kaputtsparen der öffentlichen Infrastruktur und des öffentlichen Personals erklärt und begründet wurde. Dass wir in Nordrhein-Westfalen von der Substanz der Planungseuphorie der 1960er und 1970er Jahre leben, hängt eng mit diesen Dogmen zusammen. Sie haben in das Bewusstsein in den Hintergrund gedrängt, dass auch die Aussicht auf den Wohlstand von morgen zur Verteilungs- und Generationengerechtigkeit gehört – und dass dazu immerzu staatlich investiert werden muss. Besonders bitter: Auch die deutsche Sozialdemokratie ließ sich zeitweise von dem Versprechen verführen, dass Daseinsfürsorge auch an privatwirtschaftliche und gewinnorientierte Akteure delegiert werden könne, sie sogar als „Partner“ diejenigen Aufgaben erfüllen könnten, die ansonsten aus den Haushalten der öffentlichen Institutionen bezahlt werden müssten.

 

Kein Wunder also, dass die deutschen Investitionen in die eigene Infrastruktur über Jahrzehnte so stark sanken, dass deren Verfall für alle Bürgerinnen und Bürger im Alltag spürbar ist. Für sie ist auch völlig unverständlich, warum ausgerechnet in einer selbstbezeichneten Metropolregion Ruhr kaum Gemeinsames umgesetzt wird, geschweige denn in einer annehmbaren Zeitspanne.

 

Die CDU-geführten Landesregierungen der vergangenen Jahre sehen der Infrastrukturkrise tatenlos zu

 

Der Ausbau der Breitbandverbindungen in NRW stockt. Noch immer klagen in Studien gut ein Fünftel der befragten Unternehmen über eine nur unzureichende Versorgung mit schnellem Internet. Landesstraßen und Brücken sind teilweise so baufällig, dass ganze Regionen über Jahre vom Fernstraßennetz abgetrennt werden. Mogelpackungen bei der Altschuldenlösung schwächen die Investitionsfähigkeit in den Kommunen so sehr, dass auch hier ein Freischwimmen nur sehr schwer gelingen kann. Der Städtetag NRW schätzt den Sanierungsstau bei allein kommunalen Straßen auf rund 10 Mrd. Euro, Tendenz steigend. Defizite in der Ausstattung von Schulen wurde nicht zuletzt in der Corona-Krise sichtbar. Investitionsdefizite, ständige Betreiberwechsel unter dem Mantra vermeintlicher Kosteneffizienz und prekäre Beschäftigung haben das S-Bahn und RE-Netz im Land und insbesondere im Ruhrgebiet zu einer Dauerbaustelle verkommen lassen.

 

Diese Defizite machen die Infrastrukturpolitik zu einem zentralen Thema im Land. Für die nordrhein-westfälische SPD ist klar: Wir brauchen leistungsstarke öffentliche Infrastrukturen, die die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger verbessern und die ökonomische Basis unseres Bundeslandes sichert und ausbaut. Für uns ist dabei klar, wir müssen die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand – auf Landesebene und bei den Kommunen stärken. Die privatwirtschaftliche Logik muss ebenso sehr durchbrochen werden, wie die Planungs- Kleinstaaterei – denn diese Konkurrenz führt schleichend zum Konkurs.

 

Es ist Zeit für den großen sozialdemokratischen Gegenentwurf. Für staatliches Handeln, das Kräfte und Kompetenzen bündelt. Das in gemeinschaftlicher Anstrengung Ziele definiert und erreicht, die nicht am Ortsausgangsschild enden. Für Gemeinwohl und ohne Gewinndruck. Und für eine neue Planungseuphorie.

 

Das passende Instrument für viele der geschilderten Probleme existiert bereits und wartet nur darauf, in der Wahrnehmung „entstaubt“ und für die Umsetzung aktiviert und zu werden: Das Genossenschaftsmodell. Nicht nur im Wohnungsbau, bei BürgerInnen-Energieparks und auch beim Jahrhundertprojekt der Emscher-Renaturierung beweisen Genossenschaften kontinuierlich, welche Zuverlässigkeit, Power und Innovationskraft in ihnen steckt. Sie arbeiten dabei wirtschaftlich, aber nicht gewinnorientiert. Ihre Ausrichtung ist nicht kurzfristig, sondern zukunftsgewandt; Ihr Auftrag die Sicherung wichtiger gesellschaftlicher Güter. Kurzum: Genossenschaften vereinen viele Ziele und Eigenschaften in sich, die der Sozialdemokratie am Herzen liegen.

 

Das Modell der Genossenschaften könnte in vielen Bereichen zum Einsatz kommen – in Form von Energiegenossenschaften, bei der Planung und Umsetzung von „Smart City“- und „Smart Region“-Strategien, für ein Gelingen der dringend nötigen Verkehrswende. Der genossenschaftliche Gedanke der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Zielerfüllung würde dabei insbesondere dem Ruhrgebiet überaus gut tun – einer Metropolregion, die manchmal gar keine sein will. Das Ruhrgebiet ist schwierig zusammenzuführen, genau deshalb aber ein idealer Ort für große Veränderungen: „If you can make it there, you’ll make it anywhere“.

 

Der neue Landesvorstand der nordrhein-westfälischen SPD wird sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, welche alternative Politik die Sozialdemokratie im Vergleich zur Koalition der Besserverdienenden benennen will. Die Idee der Genossenschaften könnte zentral in der Formulierung einer neuen Vision für NRW sein.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme
Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

Der Landesparteitag beauftragt den Landesvorstand,

1. die Themen der Infrastrukturpolitik und des Investitionsstaus als Top-Priorität der kommenden zwei Jahre zu behandeln,

2. bis zu einem Landesparteirat in der ersten Jahreshälfte 2024 ein Konzept zur Bewältigung der anstehenden Infrastrukturaufgaben zu erarbeiten, dazu begleitend auch Diskussions- und Beteiligungsformate zu organisieren,

3. dabei den Fokus auf die Möglichkeit der Bildung von Infrastrukturgenossenschaften zu legen,

4. und das Ruhrgebiet dabei als Modellregion genossenschaftlicher Aufgabenbewältigung für ganz NRW heranzuziehen.

Beschluss-PDF: