Ä-104 ff. zum L-03

1. Ergänzung ab Zeile 104:

 

Die Ausgestaltung des Steuersystems hat eine hohe Bedeutung für eine gerechte und eine zukunftsfähige Gesellschaft. Die reale Ausgestaltung dieses Systems in Deutschland und in Europa ist weit von diesen Anforderungen entfernt.

 

Eine sozialdemokratische Ausgestaltung von Steuerpolitik richtet sich an den Kriterien Gerechtigkeit, Fairness und Nachhaltigkeit aus. Die in diesem Zusammenhang zentralen Steuern sind – in absteigender Rangfolge – Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Erbschaftsteuer, Vermögensteuer und Unternehmensteuer. Eine starke Veränderung der Einkommensteuern macht viele andere Änderungen zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten überflüssig. Die Steuern sollten in folgender Weise verändert werden:

 

 

2. Ergänzung ab Zeile 234:

 

Einkommensteuer

  • Entlastung von Einkommen bis 55.000 Euro pro Jahr, stärkere Belastung von Einkommen oberhalb dieser Grenze
  • Besonders starke Entlastung von Einkommen zwischen 16.000 und 36.000 Euro pro Jahr (Beseitigung des „Mittelstandsbauchs“)
  • Spitzensteuersatz von 57 %, wobei die Gesamt-Einkommensteuerbelastung für obere Einkommen auf 42 % begrenzt ist
  • Neben einer Pauschale für soziale Absicherung entfallen alle bisherigen abzugsfähigen Sachverhalte
  • Beseitigung des Solidaritätszuschlags
  • Beseitigung der Reichensteuer

 

3. Ergänzung ab 349:

 

Umsatzsteuer

  • Absenkung der Mehrwertsteuer in Stufen auf 16 %
  • Umstrukturierung verschiedener Mehrwertsteuersätze mit den Kriterien: stärkere Entlastung unterer Einkommenschichten; Berücksichtigung von ökonomischer, ökologischer und gesundheitlicher Nachhaltigkeit; stärkere Belastung von Luxusgütern

 

Erbschaftsteuer

  • Höhere Besteuerungssätze auf ererbtes Vermögen
  • Hohe Freibeträge
  • Schutz ererbten Betriebsvermögens und betroffener Arbeitsplätze gegen Verfall oder Ausbluten durch entsprechende Ausgestaltung der Steuerzahlungen und unter harten Auflagen zur Vermeidung von Missbrauch

 

Vermögensteuer

  • Wiedererhebung der Steuer unter Lösung des bisherigen Problems nicht-verfassungsmäßiger Bewertung von Immobilien
  • Höhe 2 % pro Jahr

 

Unternehmensteuer

  • Milde Absenkung der Unternehmenssteuern (Körperschaft- und Gewerbesteuern zusammen) von ca. 29,5 % auf 27 %, um internationale Wettbewerbsnachteile teilweise auszugleichen, aber nur im Gesamtpaket der hier vorgeschlagenen Steueränderungen.
  • Begrenzung des Abzugs von Managergehältern von der Steuerbemessungsgrundlage auf das 15-fache des Durchschnittsgehalts im Unternehmen

 

Begleitend ist eine möglichst weitgehende Abschaffung und Bekämpfung von Steuerumgehungsstrategien durchzusetzen. All diese Änderungen erfordern durchsetzungswillige und durchsetzungsstarke Politiker, die in der Lage sind, sich von Lobby-Einflüssen möglichst weitgehend freizumachen.

Begründung:

Grundsätze

 

Aus sozialdemokratischer Sicht sollte sich ein faires und gerechtes Steuersystem an folgenden Grundsätzen orientieren:

 

  • Progressives Einkommensteuersystem mit recht geringen Gesamtsteuer-Belastungen bei unteren Einkommen und deutlich progressiv ansteigenden Einkommensteuern bei hohen Einkommen
  • Sehr hohe Besteuerung leistungsloser Einkommen (z.B. Wertsteigerungen von Immobilien, Schenkungen, Aktiengewinne)
  • Sehr hohe Besteuerung vererbten Vermögens mit einem recht hohen Freibetrag (um beispielsweise vererbtes Wohneigentum bis zu einer bestimmten Grenze nicht anzutasten). Vererbtes Firmenvermögen sollte unbeschränkt der Erbschaftsteuer unterliegen. Allerdings sollten hier die Zahlungsmodalitäten so gestaltet werden, dass wirtschaftliche Wertschöpfung und Arbeitsplätze erhalten werden
  • Persönlich zufließende Kapitalerträge wie anderes persönliches Einkommen behandeln
  • Deutschen bzw. europäischen Unternehmen gemessen an Unternehmen anderer Länder keine übermäßigen Belastungen auferlegen, um ausreichendes Wachstum und Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen zu abzusichern. Umgekehrt heißt das auch, dass Deutschland niemals Vorreiter sein darf im Wettbewerb um möglichst niedrige Steuern und dass auf eine Angleichung der Unternehmenssteuersätze in der EU hingearbeitet werden muss
  • Faire Besteuerung aller unternehmerischen Tätigkeiten
  • Sozial gerechte Ausgestaltung der Umsatzsteuer

 

Das schwedische Steuer- und Sozialabgabenmodell bietet interessante Anregungen

Merkmale des schwedischen Steuermodells (in Klammern, was dies für eine Übertragung auf deutsche Verhältnisse bedeuten könnte):

 

  • Es gibt eine zentralstaatliche und eine kommunale Einkommensteuer (die kommunale Gestaltung des Einkommensteueranteil müsste begrenzt bleiben, da bei zu hoher Einkommenbesteuerung Einwohner wegzögen)
  • Keine unterschiedlichen Einkommen-Steuerklassen (kann unmittelbar übertragen werden)
  • Nur sehr wenige Sachverhalte sind steuerlich absetzbar (kann unmittelbar übertragen werden)
  • Kein Ehegatten-Splitting (kann unmittelbar übertragen werden)
  • Es gibt eine staatliche Vermögensteuer und eine Schenkungsteuer (kann auch bei uns eingeführt werden)
  • Der allgemeine Mehrwertsteuersatz beträgt 25 %; Lebensmittel, Hotels und Personenverkehr haben einen verminderten Satz von 12 %, Medien und Kultur von 6 % (der MwSt-Satz ist für unsere Maßstäbe zu hoch; die Abstufungen sind für uns eine gute Orientierung)
  • Es gibt spezifische Steuern, z.B. für Kraftstoff, Alkohol, Spiele, Kraftfahrzeuge und Straßennutzung (Steuer auf Straßennutzung wäre für uns interessant)
  • Die Unternehmenssteuern bewegen sich im internationalen Vergleich in einem recht niedrigen Bereich von ca. 22 % (das wäre für unsere Verhältnisse zu niedrig; aber die Kombination recht hoher Einkommensteuern Verbindung mit recht niedrigen Unternehmensteuern ist eine interessante Anregung für uns)
  • Die Finanzämter haben Zugang zu allen wichtigen (auch Einkommens-)Daten der Bürger*innen (dies ermöglicht zum einen eine bessere Kontrolle der Steuerehrlichkeit und zweitens eine extrem einfache Steuererklärung; die in der deutschen Geheimhaltungskultur dadurch mögliche leichtere staatliche Kontrolle würde zu einem Aufschrei führen; das System wäre für uns zu begrüßen, müsste aber sehr hohe Umsetzungsbarrieren überwinden)

 

Das schwedische Sozialsystem hat folgende Merkmale

 

  • Abgaben für Kranken- und Rentenversicherung sind Teil der Steuer (ist von der Systematik her überlegenswert)
  • Das Gesundheitssystem ist grundsätzlich steuerfinanziert; Patienten zahlen für einzelne Arztbesuche und Medikamente kleine Zusatzgebühren, gedeckelt bei maximal 90 Euro pro Jahr (umgerechnet); die Wartezeiten medizinischer Behandlungen sind allerdings länger als in Deutschland (die Steuerfinanzierung erscheint logisch)
  • Die Sozialabgaben auf persönliches Einkommen betragen ca. 30 %, davon 20 % für kommunale Aufgaben wie Schulen, Sozialdienste oder Kultur und 10 % für groß-regionale Aufgaben wie Krankenhäuser oder ÖPNV (diese Strukturierung bietet für Klarheit und Angemessenheit von Besteuerung gute Hinweise).

 

Unternehmenssteuern im internationalen Vergleich

Die Unternehmenssteuern (auf Gewinne) sind international nicht ganz einfach zu vergleichen. Aber in grobem Überblick sind sie seit den 1990er Jahren in vielen Ländern erheblich gesenkt worden, so in Dänemark von 50 % auf 30 %, in Schweden von 51 % auf 22 %, in Deutschland von 52,3 % in 1999 auf 29,83 % in 2017 (Körperschafts- und Gewerbeertragssteuern), in Irland auf 12,5 % (!), weltweit von durchschnittlich 32,7 % in 1999 auf 23,6 % in 2016.[1]

 

Das sollte in Deutschland getan werden

Die Grundsätze aus Abschnitt 1. angewandt sollte folgende Umstrukturierung im deutschen Steuersystem erfolgen:

  • Einkommensteuer: (siehe hierzu die Grafik auf der übernächsten Seite[2]) Im unteren Einkommensbereich nehmen die Grenzsteuersätze (sehr ungerecht) zu schnell/viel zu stark zu. Es wird dort der „Mittelstandsbauch“ der Durchschnittssteuerkurve produziert, der zu einer hohen Belastung der großen Gruppe der „Normalverdiener“ führt. Dort müsste die Kurve zur Entlastung dieser Einkommenschichten deutlich flacher und geradlinig (linear) verlaufen. Für Einkommensschichten oberhalb von etwa 55.000 Euro Jahreseinkommen würde die zukünftige Durchschnittssteuersatzkurve deutlich oberhalb der bisherigen verlaufen. Für sehr hohe Einkommen würde sich die Kurve 42 % annähern und dort verbleiben; d.h.: kein Einkommensbezieher ist mit mehr als 42 % Einkommensteuer belastet. Der Spitzensteuersatz läge mit etwa 57 % deutlich höher als die bisherigen 42 % (Normalsteuer) und 45 % (Reichensteuersatz). Der Reichensteuersatz kann bei dem vorgeschlagenen neuen Steuerverlauf entfallen (was auch die Probleme beseitigen würde, die mit seinem plötzlichen Einsetzen auftreten und bisher an diesem Punkt besondere Anreize zur Steuervermeidung setzen). Ebenso kann der Solidaritätszuschlag für alle Einkommensbezieher entfallen. Die Diskussion um gerechte Einkommensteuern sollte nicht anhand der Grenz- und Spitzensteuersätze geführt werden, sondern anhand der jeweils viel niedrigeren Prozentsätze der tatsächlich vom zu versteuernden Einkommen zu entrichtenden Steuer.[3] Die wichtigsten bisher absetzbaren Sachverhalte (beispielsweise Sozialversicherungsbeiträge, Aufwendungen für die Aufnahme oder Aufrechterhaltung einer Arbeitsstelle) können in eine Pauschale für alle (ohne Nachweispflicht) umgewandelt, und die anderen Absetzungsmöglichkeiten radikal gestrichen werden; das Ehegatten-Splitting wäre zu beseitigen. Das Gesamtpaket der vorgeschlagenen Steuerreform könnte auch die Ungerechtigkeit bei den Bemessungsgrenzen für Renten- und Krankenversicherungsbeiträge dämpfen, die hohen Einkommensschichten relativ niedrige Beiträge ermöglichen. Bei den im folgenden Schaubild dargestellten Steuersatzkurven ist zu beachten, dass große Teile der Einkommensteuereinnahmen in den unteren Bereichen entstehen, die durch die zusätzlichen Einnahmen bei Anwendung des vorgeschlagenen geänderten Verlaufs in den oberen Bereichen nicht vollständig ausgeglichen werden.

 

  • Umsatzsteuer: Sowohl ihre Höhe als auch ihre Ausgestaltung führt zu großer Ungerechtigkeit und Unfairness gegenüber unteren Einkommenschichten. Die Steuer belastet untere Einkommen stärker als hohe Einkommen, da von niedrigen Einkünften ein höherer Teil für lebenswichtige Güter aufgewandt werden muss. Gerade für untere Schichten ist die Umsatzsteuer in Deutschland insgesamt zu hoch. CDU und SPD erhöhten sie in 2007 von 16 % auf 19 % (Ex-SPD-Bundes-Finanzminister Steinbrücks Begründung war, dass sie aufgrund der Sanierung des Staatshaushaltes erforderlich sei); dieser Schritt sollte – in mehreren Stufen – wieder rückgängig gemacht werden. Außerdem muss die teilweise ungerechte und willkürlich geordnete Unterschiedlichkeit der MWSt-Sätze neu ausgestaltet werden. Diese Willkürlichkeit zeigt sich beispielsweise an folgenden Sätzen: 19 % werden erhoben auf Babynahrung, Medikamente, Mieten, ärztliche Dienstleistungen, Versicherungsleistungen, Fruchtsaft, Mineralwasser; 7 % werden verlangt auf Grundnahrungsmittel, Katzenfutter, frische Trüffel, Garnelen, Gänseleber, Froschschenkel, Wachteleier, Krebsfleisch, Riesengarnelen, Schildkrötenfleisch, frische Trauben, exotische Früchte aus Überseeländern, Hotelübernachtungen („Mövenpick-Steuer“ genannt, weil dieser Konzern über die FDP diesen Satz durchsetzen ließ), Brennholz, Eis, Gummibärchen, Kartoffelchips, Blumen, Bücher, Zeitschriften und ÖPNV. Eine neue Ordnung unterschiedlicher MWSt-Sätze sollte sich an folgenden Kriterien ausrichten: Entlastung unterer Einkommenschichten bei Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs; Verringerung schädlichen Ressourcenverbrauchs; höhere Besteuerung von Luxusgütern. Mit diesen Kriterien wäre zugleich verdeutlicht, dass drei verschiedene Sätze sinnvoll wären, z.B. 7 %, 12 % und 16 %. Kurzfristig würden sich Senkungen der Umsatzsteuer nicht in niedrigeren Preisen niederschlagen, langfristig schon.

 

  • Erbschaftsteuer: Hierzu gibt es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) aus 2014, in der es die bisherige Ausgestaltung als verfassungswidrig erklärte, da es eine übermäßige Bevorteilung vererbten Firmenvermögens gegenüber anderen Vermögensarten sah. Aus Sicht der Volkswirtschaft und der Beschäftigten ist außerdem das Problem zu lösen, dass keine Produktion und keine Arbeitsplätze durch Vererbungsbesteuerung vernichtet werden sollten. Die Vorschriften könnten daher eine lange zeitliche Streckung der Zahlung der Erbschaftsteuer bei Firmenvererbung vorsehen, aber gekoppelt an Bedingungen der Nicht-Entnahme von Vermögen, Erhalt der Lohnsumme bzw. von Arbeitsplätzen sowie allmähliche Zahlung der Steuer aus Gewinnen. Die beliebig oft wiederholbare begrenzt nicht-besteuerte Schenkung zu Lebenszeiten sollte abgeschafft werden. Die Erbschaftsteuersätze sollten deutlich erhöht werden: von faktisch 2,3 % auf etwa 5 % (bei einem Freibetrag von bisherigen 500.000 Euro für Ehegatten und 400.000 Euro für Kinder).

 

  • Vermögensteuer: Sie sollte wieder erhoben werden. Nach einem Urteil des BVG aus 1997 ist sie ausgesetzt worden; das Vermögensteuergesetz gilt jedoch weiterhin. Das höchste Gericht hat die Steuer nicht generell als verfassungswidrig erklärt, sondern nur ihre Ausgestaltung, nämlich, dass der Wert von Immobilien viel zu niedrig angesetzt werde. Bei einer Lösung des Bewertungsproblems von Immobilien ließe sich die Vermögensteuer verfassungskonform wieder einführen. Ein möglicher Steuersatz könnte 2 % pro Jahr betragen. Dabei ist damit zu rechnen, dass etwa ein Drittel dieser zusätzlichen Einnahmen durch einen hohen erforderlichen Verwaltungsaufwand bei der Erhebung dieser Steuer verbraucht werden.

 

  • Unternehmensteuer: Sie sollte nicht unbedingt auf das schwedische Niveau von 22 %, aber eventuell auf ca. 27 % gesenkt werden (Körperschaft- und Gewerbeertragsteuer zusammen), um die internationalen Wettbewerbsnachteile ein Stück weit abzumildern. Eine derartige Senkung dürfte aber niemals isoliert durchgeführt werden, sondern nur in Verbindung mit Gegenleistungen durch die höhere Besteuerung höherer Einkommen, Eintreiben entzogener Steuern, begrenzter Abzugsfähigkeit von Managergehältern und einer Besteuerung von Dividenden. Im Einzelnen sollten Managergehälter oberhalb einer bestimmten Grenze (z.B. das 15-fache des Durchschnittsgehalts im Unternehmen) nicht von der Steuerbemessungsgrundlage abzugsfähig sein, und Zinsen für die Aufnahme von Fremdkapital nur stark degressiv (auf längere Sicht also weniger), mit einer Deckelung bei einem recht hohen Betrag. Bei Energiesteuern wäre energieintensiven Unternehmen entgegenzukommen, wenn sie das Wesentliche zur Steigerung ihrer Energie-Effizienz getan haben.
  • Kapitalertragsteuer: Sie sollte auf alle Kapitalerträge und in gleicher Höhe wie Einkommensteuern erhoben werden. (Siehe hierzu den folgenden Punkt)

 

  • Steuerumgehung und -vermeidung: Durch Steuertricks, -umgehung,
    -vermeidung und -betrug wird dem deutschen Staat schätzungsweise knapp 200 Mrd. Euro pro Jahr an Steuer vorenthalten, weit überwiegend durch Unternehmen und vermögende Personen. Es sind daher rigorose Maßnahmen durchzuführen, um diese Missstände zu beseitigen, inklusive Nutzung von Steuer-CDs und Insider-/Whistleblower-Wissen. Dies führt nicht nur zu mehr Gerechtigkeit, sondern auch zu hohen zusätzlichen, dem Staat voll zustehenden, Steuereinnahmen. Ohne Zweifel wären hierzu gewaltige Anstrengungen und konsequent operierende, unbestechliche Politiker erforderlich.

 

  • Datenverbrauchsteuer: Die weitgehend unentgeltliche Nutzung von Daten deutscher/europäischer Staatsbürger*innen durch Digital-Konzerne ist Steuer-ungerecht. Es besteht eine große Ungleichheit in der Besteuerung traditioneller Unternehmen und derjenigen von (insbesondere großen) Digitalkonzernen. Ein logisches, rechtlich einwandfreies und durchsetzungsstarkes Besteuerungsmodell für derartige Unternehmen existiert aber zurzeit nicht.[4] Nicht ausreichend wären Begründungen, dass diese Konzerne in ihren Heimatländern kaum besteuert werden (Deutschland oder Europa können daraus keine eigenen Besteuerungsrechte ableiten) oder dass die Unternehmen Steuern umgehen (das tun viele andere Konzerne auch). Ansatzpunkte könnten sein, den Tausch zu besteuern, der in der Hergabe persönlicher Daten von Verbrauchern gegen die Zurfügungstellung von Leistungen durch die Konzerne besteht. Alternativ könnten die Vertretungen dieser Konzerne hierzulande als Betriebsstätten betrachtet werden, die für eine Besteuerung geeignet wären. Eine derartige Steuer könnte etwa 10 Mrd. Euro an Einnahmen erbringen. Aufgrund des bisher fehlenden Konzeptes erhält diese Steuer hier keinen erstrangigen Stellenwert.

 

  • Finanztransaktionssteuer: Eine derartige Steuer könnte aus drei Gründen auf Finanzprodukte bzw. -kontrakte zu erhoben werden: (1) Viele dieser Produkte haben keinen Nutzen für die Realwirtschaft bzw. für die möglichst günstige Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Gütern; (2) Finanzderivate (von normalen Finanzvorgängen wie Krediten oder Wertpapieren abgeleitete Produkte) oder unregulierte Finanzhandel-Plattformen können das Finanzsystem destabilisieren (durch Vernetzung, Ansteckungsgefahren, Konzentration übermäßiger spekulativer Risiken oder Marktstörungen); (3) eine derartige Steuer könnte zu staatlichen Einnahmen einen – allerdings nicht sehr großen – Beitrag leisten. Die Steuersätze könnten bei regulären Wertpapieren 0,1 %, bei Derivaten 0,01 % pro Geschäft betragen. Aufgrund des internationalen Charakters und starker Ausweichmöglichkeiten dieser Finanzmarkt-Vorgänge wären mindestens europäisch, besser noch international einheitliche Regeln erforderlich. Dies ist allerdings aufgrund sehr unterschiedlicher Länderinteressen und sehr starker Lobby-Gruppen des Finanzsektors extrem schwer durchzusetzen. Deswegen erhält diese Steuer hier, obwohl wichtig, keinen erstrangigen Stellenwert. Sie muss aber längerfristig angegangen werden.

 

Die Steuern sind für große gesellschaftliche Aufgaben erforderlich

Neoliberale Politik will staatliche Leistungen, insbesondere im sozialen Bereich, rigoros beschneiden und zugleich die Steuern senken, was insbesondere oberen Einkommensschichten zugutekäme und die bereits jetzt in Deutschland herrschende große Ungleichheit in Vermögen und Einkommen immer weiter vergrößerte. Es sind jedoch für die großen, nicht gelösten und zukünftig anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben zusätzliche Mittel erforderlich, so für die völlig unterausgestatteten Systeme von Bildung, Pflege und Gesundheit, für die Verkehrs-Infrastruktur, auch unter dem Blickwinkel der notwendigen Verkehrswende, für die Energiewende und den Klimaschutz sowie für Forschung und Entwicklung in zukunftsträchtigen wirtschaftlichen Gebieten. Außerdem sind große finanzielle Puffer für die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden zukünftigen Konjunktur- und Finanzkrisen erforderlich.

 

Rechnung und Gegenfinanzierung

Die vorgeschlagenen Änderungen im Steuersystem und in der Steuereintreibung würden auf der einen Seite zu hohen Steuerverlusten, auf der anderen Seite zu zusätzlichen Steuereinnahmen führen, die die Verluste überwiegen. Die folgende Aufstellung besteht aus groben Schätzungen, die noch nicht exakt durchgerechnet sind. Zweck der Aufstellung ist es zu verdeutlichen, wie man in der Steuerpolitik vorgehen könnte, um mehr Gerechtigkeit und solide Einnahmen für wichtige gesellschaftliche Aufgaben zu erzielen.[5]:

 

Geschätzte Steuerverluste aufgrund der Vorschläge (Mrd. Euro pro Jahr)

Senkung von Unternehmensteuern:                 20

Senkung und Änderung von Umsatzsteuern:  40

Anderer Einkommensteuerverlauf (große Verluste unten, Gewinne oben):

30

_________________________________

Summe                                                                     90

 

Geschätzte zusätzliche Steuereinnahmen aufgrund der Vorschläge (Mrd. Euro pro Jahr)

Bekämpfung Steuerumgehung und -betrug: 50

Vermögensteuer:                                                 30

Erbschaftsteuer:                                                  30

________________________________

Summe                                                                 110

 

Alles in allem würde nach den genannten Vorschlägen und der aufgemachten Rechnung die Belastung der unteren Einkommenschichten (bis etwa 55.000 Euro Jahreseinkommen) verringert, bei Jahreseinkommen (Einzelperson) im Bereich zwischen 16.000 und 36.000 erheblich, und andererseits die der oberen Einkommensschichten deutlich erhöht; leistungslose Einkommen bzw. Vermögen würden einer gerechteren Besteuerung unterzogen; unternehmerische Tätigkeit würde gefördert; es ständen erhebliche Mittel für wichtige gesellschaftliche Zukunftsaufgaben sowie für große gesellschaftliche Krisen zur Verfügung; und insgesamt würde eine größere gesellschaftliche Gerechtigkeit hergestellt und damit ein zentraler Beitrag für das Vertrauen und die Stabilität unseres Gemeinwesen geleistet. Nicht berücksichtigt sind bei dieser Aufstellung eine Datenverbrauchsteuer und eine Finanztransaktionssteuer, da deren endgültige Konzipierung und ihre Realisierung zurzeit höchst ungewiss sind. Mit ihnen ließen sich theoretisch jeweils zusätzliche 10 Mrd. Euro pro Jahre an Steuereinnahmen erzielen.

 

Die Probleme der Umsetzung und der Durchsetzung

Die obigen Vorschläge in dieser oder ähnlicher Form politisch durch- und umzusetzen ist alles andere als einfach. Es erfordert mutige, risikobereite sowie durchsetzungs- und durchhaltenswillige Politiker, die sich weder durch die mächtigen und wirkungsstarken Lobbygruppen, die Steuersenkungen und einen schlanken Staat fordern, noch durch die von diesen beeinflusste Medienöffentlichkeit aus dem Tritt bringen lassen. Und diese Politiker sind eigentlich nur vorstellbar, wenn es für diese Forderungen eine breit mobilisierte Bevölkerung gibt, die auf die Politik einen entsprechend starken Druck ausübt. Angesichts der komplexen Problematik gelingt es den Lobbygruppen oft, mit geschickten Erklärungen, Verdrehungen und Drohungen, wesentliche Teile der Bevölkerung für Positionen einzunehmen, die eigentlich ihren eigenen Interessen widersprechen. Dass es Modelle und günstige Rahmenbedingungen zum Eintreiben legaler und widerrechtlicher Steuervermeidung geben kann, zeigten die Praxis unter dem früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans, der Gebrauch von Steuer-CDs, die Veröffentlichung der Panama- und Paradise-Papers und die ersten zarten steuerpolitischen Initiativen von OECD, EU und deutschen Regierungen in Bund und Ländern.

Bei der Durchsetzung müssten alle oben genannten steuerlichen Entlastungen in einem Junktim zwingend mit der Durchsetzung der genannten Mehreinnahmen verbunden werden. Wenn dies nicht der Fall wäre, würden entlastete Unternehmen lediglich mit höheren Gewinnen belohnt; in der Einkommensteuer wären vermögende Personen unberührt, weil sie sich weiter der Steuer entzögen, sodass die Entlasteten über Belastungen an anderer Stelle (beispielsweise Reduzierung von Sozialausgaben oder Steuererhöhungen an anderer Stelle) selber ihre Entlastung bezahlten. Die Gefahr des Scheiterns eines derartigen Konzeptes ist immer gegeben, da „die Politik“ bedroht, eingeschüchtert oder „überzeugt“ wird, sodass Lösungen oft halbherzig oder sogar gegenteilig ausfallen könnten.

 

[1] Quellen: www.m.bpb.de; www.bundesfinanzministerium.de/

Monatsberichte/2018/07/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-5-Steuern-im-internationalen-Vergleich.html

[2] Quelle: Bundesministerium der Finanzen

[3] Siehe hierzu: Norbert Walter-Borjans, Steuern – Der große Bluff

[4] Siehe hierzu: Clemens Fuest, Digitalisierung und Steuerpolitik, in: Ifo-Schnelldienst, 14/2018, 26.07.2018

[5] Siehe hierzu: Norbert Walter-Borjans, Steuern – Der große Bluff

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in Fassung der Antragskommission/ Ablehnung/ Erledigt durch Annahme von L-03 in Fassung der Antragskommission
Version der Antragskommission:

Zu 1.:

Annahme in Fassung der Antragskommission:

 

Einfügen in Zeile 103:

Denn die Ausgestaltung des Steuersystems hat eine hohe Bedeutung für eine gerechte und eine zukunftsfähige Gesellschaft. Die reale Ausgestaltung dieses Systems in Deutschland ist weit von diesen Anforderungen entfernt.
Leitschnur der sozialdemokratischen Steuerpolitik sind Gerechtigkeit, Fairness und Nachhaltigkeit.

 

Zu 2.:

Ablehnung

 

Zu 3.:

Erledigt durch Annahme L-03 in Fassung der Antragskommission

Beschluss: Annahme in Fassung der Antragskommission/Ablehnung/Erledigt durch Annahme von L-03 in Fassung der Antragskommission