B-01 Abschaffung staatlich-religiöser Schulen in NRW

Faktum:

In NRW sind von 2786 staatlichen Grundschulen 892 christliche Bekenntnisschulen. Das ist ein Drittel aller dieser Schulen. Von diesen sind 90 Prozent katholisch orientiert und 10 Prozent evangelisch. Alle diese konfessionellen Schulen werden als staatliche Schulen zu 100 Prozent durch den Staat NRW finanziert. Des ungeachtet unterstehen diese staatlichen Schulen als pädagogisch-erzieherische Einheiten des staatlichen Schulsystems von NRW ganzheitlich, d.h. im Hinblick auf alle Unterrichtsfächer und das Schulleben, unter kirchlicher Aufsicht (Artikel 12 Absatz VI Landesverfassung). NRW ist das einzige Bundesland der Bundesrepublik Deutschland, das eine solche Regelung kennt.

(Der Parteitag möge beschließen):

Forderungen:

Das Prinzip der staatlichen Bekenntnisschulen wird abgeschafft.

Dem entsprechend wird der Artikel 12 der Verfassung des Landes NRW geändert:

In Absatz II – („Grundschulen sind Gemeinschaftsschulen, Bekenntnisschulen oder Weltanschauungsschulen.“) wird die Formulierung „Bekenntnisschulen oder Weltanschauungsschulen“ gestrichen

Absatz III wird gestrichen und durch einen neuen Absatz III ersetzt, der dem pädagogisch-erzieherischen Kernanliegen des bisherigen Absatzes VI zeitgemäß eine neue Ausrichtung gibt.

Vorschlag für Absatz III:

Es wird vorgeschlagen, in diese Neuformulierung die folgenden Zielsetzungen aufzunehmen:

„In allen staatlichen Schulen des Landes werden die Kinder auf der Grundlage freiheitlich-demokratischer Werte vor dem Hintergrund abendländischer Traditionen in Offenheit für alle religiösen Bekenntnisse und weltanschaulichen Überzeugungen sowie in und zur Achtung der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Menschenrechte gemeinsam unterrichtet und erzogen.“

Sollte die für die hier geforderte Verfassungsänderung erforderliche 2/3-Mehrheit nicht zu erreichen sein, wird die Fraktion der SPD im NRW-Landtag aufgefordert, angesichts der offensichtlichen Grundgesetzwidrigkeit des Artikels 12 der Landesverfassung die Landesregierung zu veranlassen, beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage einzureichen.

Ausklammerung:

Dieser Antrag und seine Forderungen berühren weder den Bereich der Privatschulen noch den des Religionsunterrichts in staatlichen Schulen. Diese Bereiche sind nicht Gegenstand des Antrags.

Begründung:

 

  1. Der bisherige Artikel 12 der Landesverfassung verstößt gegen Artikel 4 Absatz I des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Dort heißt es:„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“

    Diese Norm enthält das Grundgesetz wesentlich auch vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands, als Verbotsnorm, gerichtet an den Staat. Der Staat darf diese Menschen-Freiheit nicht verletzen. Der Staat von NRW verstößt jedoch seit seiner Gründung gegen dieses Verbot, indem er die Kirchen ermächtigt, in seinem Machtbereich der Pflichtschule rechtlich unmündige (und individualpsychologisch sich noch entwickelnde) Kinder einer bestimmten Religion zuzuführen.

  2. Alle übrigen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland – zum Teil unter christdemokratischer Führung – haben dies offenbar erkannt und eine Ermächtigung der Kirchen abgeschafft oder erst gar nicht eingeführt.
  3. Die staatliche Ermächtigung der Kirchen, staatliche Schulen pädagogisch-erzieherisch verbindlich zu beaufsichtigen und mitzugestalten, beinhaltet neben dem allgemeinen Recht, in allen Unterrichtsfächern Pädagogik und Erziehung nach kirchlichen Grundsätzen zu praktizieren, auch das Recht, Kindern, die nicht dem Bekenntnis angehören, dem die Schule unterworfen ist, die Aufnahme zu verweigern. Das verstößt angesichts des Pflichtschulprinzips der in Artikel 3 des Grundgesetzes festgeschriebenen Gleichheit vor dem Gesetz.
  4. Das Selektionsrecht der Kirchen im Raum der staatlichen Schulen hat bisher in vielen Regionen des Landes NRW im Hinblick auf zugewanderte Familien mit Kindern integrationsstörende Folgen. So beteiligt sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der katholischen Grundschulen des Landes nicht an dessen Integrationsbemühungen von Kindesbeinen an.
  5. Angesichts des historischen Rückgangs der Bedeutung der Kirchen in Gesellschaft und Kultur – bundesweit gehören gerade einmal die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger einer Kirche an (im Nationalsozialismus und in den frühen 50er Jahren waren es noch mehr als 90 Prozent) – und angesichts des katastrophalen Versagens des Klerus, als weitgehend allein maßgebendes Kollektiv der Kirchen, im Umgang mit Abhängigen, Schutzbefohlen (u.a. Missbrauch-Debatte) und Frauen, muss der heutige Staat alle bisherigen Ermächtigungen der Kirchen in Bezug auf staatliches Handeln auf den Prüfstand nehmen.
  6. Schließlich stützt sich dieser Antrag in all seinen Forderungen und dazugehörigen Begründungen auf den Artikel 8 der Landesverfassung. Dort heißt es in Absatz 1, Satz 3:„Die staatliche Gemeinschaft hat Sorge zu tragen, dass das Schulwesen den kulturellen und sozialen Bedürfnissen des Landes entspricht.“

    Angesichts der tiefgreifenden Veränderung der kulturellen und sozialen Bedürfnisse in den vergangenen 50 Jahren in unserem Land kann dieser Satz als Verfassungsauftrag gelesen werden, das Schulwesen nicht nur schulpädagogisch und schulorganisatorisch an neue Wirklichkeiten anzupassen, sondern gegebenenfalls auch die schulrechtlichen Rahmenbedingungen bis hin zu den entsprechenden Vorgaben der Verfassung neu zu justieren.

Empfehlung der Antragskommission:
Überweisung an SPD-Landesvorstand und Einrichtung einer zuständigen Kommission nach der Landtagswahl
Beschluss: Überweisung an SPD-Landesvorstand und Einrichtung einer zuständigen Kommission nach der Landtagswahl
Text des Beschlusses:

Faktum:

In NRW sind von 2786 staatlichen Grundschulen 892 christliche Bekenntnisschulen. Das ist ein Drittel aller dieser Schulen. Von diesen sind 90 Prozent katholisch orientiert und 10 Prozent evangelisch. Alle diese konfessionellen Schulen werden als staatliche Schulen zu 100 Prozent durch den Staat NRW finanziert. Des ungeachtet unterstehen diese staatlichen Schulen als pädagogisch-erzieherische Einheiten des staatlichen Schulsystems von NRW ganzheitlich, d.h. im Hinblick auf alle Unterrichtsfächer und das Schulleben, unter kirchlicher Aufsicht (Artikel 12 Absatz VI Landesverfassung). NRW ist das einzige Bundesland der Bundesrepublik Deutschland, das eine solche Regelung kennt.

(Der Parteitag möge beschließen):

Forderungen:

Das Prinzip der staatlichen Bekenntnisschulen wird abgeschafft.

Dem entsprechend wird der Artikel 12 der Verfassung des Landes NRW geändert:

In Absatz II – („Grundschulen sind Gemeinschaftsschulen, Bekenntnisschulen oder Weltanschauungsschulen.“) wird die Formulierung „Bekenntnisschulen oder Weltanschauungsschulen“ gestrichen

Absatz III wird gestrichen und durch einen neuen Absatz III ersetzt, der dem pädagogisch-erzieherischen Kernanliegen des bisherigen Absatzes VI zeitgemäß eine neue Ausrichtung gibt.

Vorschlag für Absatz III:

Es wird vorgeschlagen, in diese Neuformulierung die folgenden Zielsetzungen aufzunehmen:

„In allen staatlichen Schulen des Landes werden die Kinder auf der Grundlage freiheitlich-demokratischer Werte vor dem Hintergrund abendländischer Traditionen in Offenheit für alle religiösen Bekenntnisse und weltanschaulichen Überzeugungen sowie in und zur Achtung der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Menschenrechte gemeinsam unterrichtet und erzogen.“

Sollte die für die hier geforderte Verfassungsänderung erforderliche 2/3-Mehrheit nicht zu erreichen sein, wird die Fraktion der SPD im NRW-Landtag aufgefordert, angesichts der offensichtlichen Grundgesetzwidrigkeit des Artikels 12 der Landesverfassung die Landesregierung zu veranlassen, beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage einzureichen.

Ausklammerung:

Dieser Antrag und seine Forderungen berühren weder den Bereich der Privatschulen noch den des Religionsunterrichts in staatlichen Schulen. Diese Bereiche sind nicht Gegenstand des Antrags.

Beschluss-PDF: