S-11 Eine Gesamtreform des Alterssicherungssystems ist dringend erforderlich und muss umgehend in Angriff genommen werden!

Die Rentenreformen der 2000er Jahre haben die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Das derzeitige Rentensystem ist nicht in der Lage, ein angemessenes Rentenniveau bei einer tragbaren Beitragsbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten und bietet keinen sicheren Schutz vor Altersarmut.

 

Selbst nach langjähriger Beitragszahlung kann mehr als die Hälfte der heute erwerbstätigen 55- bis 65-Jährigen über die Anwartschaften aus der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorge ihr aktuelles Konsumniveau nicht aufrechterhalten. Darüber hinaus sind heute rund 20 Prozent der derzeitigen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland armutsgefährdet. Im internationalen Vergleich liegt die Nettoersatzquote für Durchschnittsverdienerinnen und -verdiener in Deutschland um 13 und für Niedrigverdiener um 18 Prozentpunkte unter dem OECD – Durchschnitt von 63 bzw. 73%. Für Frauen ist das Armutsrisiko im Rentenalter besonders hoch, sie nehmen mit 46 Prozent im geschlechtsspezifischen Rentengefälle den letzten Platz ein.

 

Wir nehmen erfreut die vielen Forderungen aus den Parteigliederungen zur Kenntnis, das derzeitige Rentensystem zu reformieren, wie es auch der Landesvorstand NRW in seinem Leitantrag L-02 formuliert hat. Wir befürworten auch für eine Übergangszeit alle  Verbesserungen, wie sie in den Leitziffern des Antrags L-02 subsumiert sind. Wir befürchten jedoch, dass gerade die grundlegenden Veränderungen in den Ziffern 4 (Private Vorsorge)  und 5 (konkrete Schritte zu einer Erwerbstätigenversicherung) spätestens in den Kompromissen künftiger Koalitionen wie bisher auf Reparaturmaßnahmen am derzeitigen Rentensystem schrumpfen werden, wenn nicht eine Gesamtreform des Alterssicherungssystems in Angriff genommen wird. Wir wollen daher die etablierten Denkschemata verlassen und fordern ein Alterssicherungssystem zu schaffen, das ein angemessenes Rentenniveau bei einer tragbaren Beitragsbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet und einen sicheren Schutz vor Altersarmut bietet.

 

Diese Aufgabe kann nur dann gelöst werden, wenn die Finanzierungslasten, die infolge der künftigen Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung entstehen werden, solidarisch von allen Einkommensbezieherinnen und -beziehern unter Heranziehung aller Einkommensarten getragen werden. Eine derartige Verbreiterung der Finanzierungsbasis ist innerhalb des Rahmens des herkömmlichen Rentensystems nicht möglich. Dazu bedarf es einer Ergänzung des traditionellen Äquivalenzprinzips durch ein starkes Element der solidarischen Umverteilung. Das kann nur über eine umfassende Systemreform der Alterssicherung erfolgen.

 

Wir wollen daher das heutige berufsständisch gegliederte Alterssicherungssystem (gesetzliche Rente, Beamtenversorgung, Sondersysteme für Freiberufler und Landwirte, geförderte Privatvorsorge) durch ein zweistufiges System ersetzen, in das die gesamte Bevölkerung einbezogen wird. Das neue Alterssicherungssystem[1] umfasst zwei Komponenten:

 

  1. Eine Basisrente für die gesamte Bevölkerung, die ab der Altersgrenze oder bei Erwerbsminderung in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums ohne versicherungsrechtliche Voraussetzung allen Bürgerinnen und Bürgern ohne Einkommens- und Vermögensanrechnung gewährt wird. Diese wird durch einen prozentualen Wertschöpfungsbeitrag finanziert, der auf alle Einkommen unabhängig von der Art und Quelle erhoben wird. Da somit alle Einkommensbezieherinnen und -bezieher unabhängig von ihrem Status und der Art und Höhe ihres Einkommens zur Finanzierung der Basisrente beitragen, werden die Belastungen auf möglichst viele und breite Schultern verteilt.

 

  1. Eine obligatorische Zusatzrentenversicherung für alle Erwerbstätigen (ArbeitnehmerInnen, BeamteInnen, Selbständige, Abgeordnete), die nach den Strukturprinzipien der heutigen Rentenversicherung aufgebaut ist (einkommensbezogener, prozentualer und für abhängig Beschäftigte paritätisch von ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern zu leistender Beitrag bis zu einer neu festzulegenden, höheren Beitragsbemessungsgrenze, Rentenberechnung entsprechend dem versicherten Einkommen).

 

  1. Durch das zweistufige Rentensystem werden – anders als im derzeitigen System – die Arbeitseinkommen deutlich entlastet, da alle Rentenleistungen bis zur Höhe des Existenzminimums durch die Basisrente abgedeckt werden und die Finanzierung über einen Wertschöpfungsbeitrag erfolgt, der auf das gesamte Bruttoinlandsprodukt umgelegt wird (der erforderliche Beitragssatz beträgt je nach Ausgestaltung zwischen 7,1 und 10,5%, fiktiv berechnet für 2018). Da auch die BezieherInnen hoher und höchster Einkommen im Alter in den Genuss der Basisrente kommen, werden infolge der teilweisen Einschränkung des traditionellen Äquivalenzprinzips die Einnahmen aus diesen Einkommen die Ausgaben bei weitem übersteigen und somit eine gewissen Umverteilung von oben nach unten zur Folge haben.

 

  1. Die Zusatzrentenversicherung hingegen muss nur noch den über die Basisrente hinausgehenden Teil finanzieren. Daher kann der Beitragssatz auf die Arbeitseinkommen im Vergleich zu heute entsprechend gesenkt werden (erforderlicher Beitragssatz rd. 6,4%, für abhängig Beschäftigte infolge der Beitragsparität entsprechend geringer, fiktiv berechnet für 2018).

 

Mit dem zweistufigen Alterssicherungssystem lassen sich darüber hinaus die Folgen der mit der fortschreitenden Digitalisierung einhergehenden Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf die rentenrechtliche Ausgestaltung neuer Arbeitsformen eingrenzen und das Problem der selbst für DurchschnittsverdienerInnen mit langjähriger Beitragsleistung eklatant zunehmenden Altersarmut zuverlässig und nachhaltig lösen.

Nicht zuletzt wird mit der von uns angestrebten Gesamtreform der Alterssicherung auch das Versprechen der SPD aus den Wahlkämpfen der letzten Dekade eingelöst, eine umfassende und armutsfeste Erwerbstätigenversicherung zu schaffen.

Wir fordern daher, unseren Antrag zumindest als eine in die Zukunft weisende Ergänzung des Leitantrags L-02 zu behandeln.

 

[1]    Die Aussagen in den Punkten 1 – 4 leiten sich zu einem Großteil aus der Beratung und Unterstützung ab, die der Ortsverein im Frühjahr 2019 zur Erstellung seines Papiers „Bilanz und Thesen“ vom 17.04.2019 durch Dr. Thomas Ebert, ehemaliger Rentenexperte der SPD-Bundestagsfraktion und Abteilungsleiter im Bundesministerium für Arbeit uns Soziales, erfahren hat. Vergleiche dazu die Ausführungen von Thomas Ebert in der Ausgabe von „WISO direkt 14/2019“ vom Juli 2019, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn/Berlin.

Empfehlung der Antragskommission:
Überweisung als Material an SPD-Bundestagsfraktion und Rentenkommission des SPD-Parteivorstandes
Änderungsanträge
Status Kürzel Zeile AntragstellerInnen Text PDF
settled Ä-143-145 zum S-11 143-145 OV Dellbrück Streichung des letzten Satzes des Antrags: "Wir fordern daher, unseren Antrag zumindest als eine in die Zukunft weisende Ergänzung des Leitantrags L-02 zu behandeln."    
Beschluss: Überweisung als Material an SPD-Bundestagsfraktion und Rentenkommission des SPD-Parteivorstandes
Text des Beschlusses:

Die Rentenreformen der 2000er Jahre haben die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Das derzeitige Rentensystem ist nicht in der Lage, ein angemessenes Rentenniveau bei einer tragbaren Beitragsbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten und bietet keinen sicheren Schutz vor Altersarmut.

 

Selbst nach langjähriger Beitragszahlung kann mehr als die Hälfte der heute erwerbstätigen 55- bis 65-Jährigen über die Anwartschaften aus der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorge ihr aktuelles Konsumniveau nicht aufrechterhalten. Darüber hinaus sind heute rund 20 Prozent der derzeitigen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland armutsgefährdet. Im internationalen Vergleich liegt die Nettoersatzquote für Durchschnittsverdienerinnen und -verdiener in Deutschland um 13 und für Niedrigverdiener um 18 Prozentpunkte unter dem OECD – Durchschnitt von 63 bzw. 73%. Für Frauen ist das Armutsrisiko im Rentenalter besonders hoch, sie nehmen mit 46 Prozent im geschlechtsspezifischen Rentengefälle den letzten Platz ein.

 

Wir nehmen erfreut die vielen Forderungen aus den Parteigliederungen zur Kenntnis, das derzeitige Rentensystem zu reformieren, wie es auch der Landesvorstand NRW in seinem Leitantrag L-02 formuliert hat. Wir befürworten auch für eine Übergangszeit alle  Verbesserungen, wie sie in den Leitziffern des Antrags L-02 subsumiert sind. Wir befürchten jedoch, dass gerade die grundlegenden Veränderungen in den Ziffern 4 (Private Vorsorge)  und 5 (konkrete Schritte zu einer Erwerbstätigenversicherung) spätestens in den Kompromissen künftiger Koalitionen wie bisher auf Reparaturmaßnahmen am derzeitigen Rentensystem schrumpfen werden, wenn nicht eine Gesamtreform des Alterssicherungssystems in Angriff genommen wird. Wir wollen daher die etablierten Denkschemata verlassen und fordern ein Alterssicherungssystem zu schaffen, das ein angemessenes Rentenniveau bei einer tragbaren Beitragsbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet und einen sicheren Schutz vor Altersarmut bietet.

 

Diese Aufgabe kann nur dann gelöst werden, wenn die Finanzierungslasten, die infolge der künftigen Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung entstehen werden, solidarisch von allen Einkommensbezieherinnen und -beziehern unter Heranziehung aller Einkommensarten getragen werden. Eine derartige Verbreiterung der Finanzierungsbasis ist innerhalb des Rahmens des herkömmlichen Rentensystems nicht möglich. Dazu bedarf es einer Ergänzung des traditionellen Äquivalenzprinzips durch ein starkes Element der solidarischen Umverteilung. Das kann nur über eine umfassende Systemreform der Alterssicherung erfolgen.

 

Wir wollen daher das heutige berufsständisch gegliederte Alterssicherungssystem (gesetzliche Rente, Beamtenversorgung, Sondersysteme für Freiberufler und Landwirte, geförderte Privatvorsorge) durch ein zweistufiges System ersetzen, in das die gesamte Bevölkerung einbezogen wird. Das neue Alterssicherungssystem[1] umfasst zwei Komponenten:

 

  1. Eine Basisrente für die gesamte Bevölkerung, die ab der Altersgrenze oder bei Erwerbsminderung in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums ohne versicherungsrechtliche Voraussetzung allen Bürgerinnen und Bürgern ohne Einkommens- und Vermögensanrechnung gewährt wird. Diese wird durch einen prozentualen Wertschöpfungsbeitrag finanziert, der auf alle Einkommen unabhängig von der Art und Quelle erhoben wird. Da somit alle Einkommensbezieherinnen und -bezieher unabhängig von ihrem Status und der Art und Höhe ihres Einkommens zur Finanzierung der Basisrente beitragen, werden die Belastungen auf möglichst viele und breite Schultern verteilt.

 

  1. Eine obligatorische Zusatzrentenversicherung für alle Erwerbstätigen (ArbeitnehmerInnen, BeamteInnen, Selbständige, Abgeordnete), die nach den Strukturprinzipien der heutigen Rentenversicherung aufgebaut ist (einkommensbezogener, prozentualer und für abhängig Beschäftigte paritätisch von ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern zu leistender Beitrag bis zu einer neu festzulegenden, höheren Beitragsbemessungsgrenze, Rentenberechnung entsprechend dem versicherten Einkommen).

 

  1. Durch das zweistufige Rentensystem werden – anders als im derzeitigen System – die Arbeitseinkommen deutlich entlastet, da alle Rentenleistungen bis zur Höhe des Existenzminimums durch die Basisrente abgedeckt werden und die Finanzierung über einen Wertschöpfungsbeitrag erfolgt, der auf das gesamte Bruttoinlandsprodukt umgelegt wird (der erforderliche Beitragssatz beträgt je nach Ausgestaltung zwischen 7,1 und 10,5%, fiktiv berechnet für 2018). Da auch die BezieherInnen hoher und höchster Einkommen im Alter in den Genuss der Basisrente kommen, werden infolge der teilweisen Einschränkung des traditionellen Äquivalenzprinzips die Einnahmen aus diesen Einkommen die Ausgaben bei weitem übersteigen und somit eine gewissen Umverteilung von oben nach unten zur Folge haben.

 

  1. Die Zusatzrentenversicherung hingegen muss nur noch den über die Basisrente hinausgehenden Teil finanzieren. Daher kann der Beitragssatz auf die Arbeitseinkommen im Vergleich zu heute entsprechend gesenkt werden (erforderlicher Beitragssatz rd. 6,4%, für abhängig Beschäftigte infolge der Beitragsparität entsprechend geringer, fiktiv berechnet für 2018).

 

Mit dem zweistufigen Alterssicherungssystem lassen sich darüber hinaus die Folgen der mit der fortschreitenden Digitalisierung einhergehenden Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf die rentenrechtliche Ausgestaltung neuer Arbeitsformen eingrenzen und das Problem der selbst für DurchschnittsverdienerInnen mit langjähriger Beitragsleistung eklatant zunehmenden Altersarmut zuverlässig und nachhaltig lösen.

Nicht zuletzt wird mit der von uns angestrebten Gesamtreform der Alterssicherung auch das Versprechen der SPD aus den Wahlkämpfen der letzten Dekade eingelöst, eine umfassende und armutsfeste Erwerbstätigenversicherung zu schaffen.

Wir fordern daher, unseren Antrag zumindest als eine in die Zukunft weisende Ergänzung des Leitantrags L-02 zu behandeln.

 

[1]    Die Aussagen in den Punkten 1 – 4 leiten sich zu einem Großteil aus der Beratung und Unterstützung ab, die der Ortsverein im Frühjahr 2019 zur Erstellung seines Papiers „Bilanz und Thesen“ vom 17.04.2019 durch Dr. Thomas Ebert, ehemaliger Rentenexperte der SPD-Bundestagsfraktion und Abteilungsleiter im Bundesministerium für Arbeit uns Soziales, erfahren hat. Vergleiche dazu die Ausführungen von Thomas Ebert in der Ausgabe von „WISO direkt 14/2019“ vom Juli 2019, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn/Berlin.

Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Überwiesen am 10.10.2019 an: SPD-Bundestagsfraktion Überwiesen am 10.10.2019 an: Rentenkommission des SPD-Parteivorstandes Eingangsbestätigung SPD-Bundestagsfraktion am 29.10.2019