Die SPD wird aufgefordert, eine EXIT-Strategie für die private Krankenversicherung aus dem Krankenversicherungsvollgeschäft zu entwickeln. Ziel ist es, die Entwicklung einer „Bürgerversicherung“ voranzubringen und die Krankenversicherung in diesem Sinne weiterzuentwickeln, auch wenn dies kein aktuelles politisches Vorhaben der neuen Bundesregierung ist. Dabei wird der Einfluss der Digitalisierung auf die zukünftige Entwicklung der Krankenkassen genutzt.
Der digitale Wandel und der medizinisch-technische Fortschritt führen zu grundständigen Veränderungen in der Organisation der Gesundheitsversorgung. Die im ambulanten Bereich vor hundert Jahren entstandenen ärztlichen Vergütungssysteme „Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM)“ für gesetzlich Krankenversicherte (GKV) und „Gebührenordnung Ärzte (GOÄ)“ für privat Versicherte (PKV) werden mittel- und langfristig hinfällig. Die Digitalisierung wird den Betreuungsverkehr zwischen Spezialisten und Generalisten über unterschiedliche Versorgungsbereiche wie z.B. mit dem virtuellen Krankenhaus in Interaktion mit den Patient*innen neu regeln, womit auch alte PKV-Privilegien entfallen. Da die Ärzteschaft für privat Versicherte weitaus höhere Honorare abrechnen kann als für gesetzlich Krankenversicherte, hat der Widerstand der Ärzteschaft seit je her die Einführung einer Bürgerversicherung maßgeblich verhindert. Diesen Widerstand wird die Digitalisierung „auflösen“.
Rund 90% der Bevölkerung in Deutschland sind seit den 1970er Jahren gesetzlich krankenversichert, rund 10% privat. Faktisch besteht bereits seit einigen Jahrzehnten eine Bürgerversicherung, eine „Umkehrung“ der Verhältnisse ist ausgeschlossen. Die gesetzliche Krankenversicherung ist von Beginn an als Partner der Gemeinsamen Selbstverwaltung die tragende und gestaltende Säule des Gesundheitssystems, da die gesetzlichen Krankenkassen Verträge mit den Leistungserbringern verhandeln. Die PKV verfügt historisch bedingt über keinerlei Systemgestaltungskompetenz, da sie nur Verträge mit den Patienten (Versicherten) abschließt. In der Zeit vor der Digitalisierung reichte es für PKV-Unternehmen aus, lediglich Arztrechnungen zu bezahlen und keine systemgestaltenden Aufgaben zu übernehmen und stattdessen im Qualitätswindschatten der GKV zu fahren. Ihre mit der GKV verglichenen nahezu doppelt so hohen Verwaltungskosten setzt die PKV in den Vertrieb für Abschlussaufwendungen. Durch die Digitalisierung wie auch durch neue Anforderungen an das Management der Versichertenversorgung, werden PKVen das Krankenversicherungsgeschäft nicht mehr wie in den letzten 100 Jahren als einfachen Schadensfall ähnlich einer Unfall- oder Haftpflichtversicherung abwickeln können. Dies betrifft insbesondere den Anschluss an die Telematikinfrastruktur. Von den 50 PKV-Unternehmen bieten heute 36 eine Krankenvollversicherung an, 14 Zusatzversicherungen3. Fünf PKV-Unternehmen mit jeweils mehr als über 500.000 Versicherten stellen zusammen 60% des PKV-Vollversichertenbestandes. D.h., ein Großteil der PKV-Unternehmen wird die notwendigen Investitionen und die Umstellung des Geschäftsmodells nicht finanzieren können oder wollen, da es sich oftmals um kleine Versichertenbestände handelt (zwischen 10.000 und 500.000 Versicherten). Neben der Veränderung durch die Digitalisierung tragen auch die Probleme der PKV am Kapitalmarkt sowie die Einführung der pauschalierten Beihilfe dazu bei, dass die PKV langfristig als Vollversicherer ausscheidet.
Seit längerem liegen viele Gutachten zu den unterschiedlichen Aspekten einer Systemharmonisierung vor, die zu einer Gesamt-EXIT-Strategie entwickeln werden sollen. Für die privaten Krankenversicherer braucht es zwei Optionen für die Zukunft: 1. EXIT: Aufgabe des Krankenversicherungsvollgeschäftes, 2. TRANSFORMATION zu einem Krankenversicherer, der unter GKV-Rahmenbedingungen tätig ist.