EU-04 Europa: Solidarität statt Austerität

In den letzten Jahren haben sich immer mehr BürgerInnen von der Europäischen Union abgewendet. Einer Union, die in wichtigen Fragen uneinig wirkt, die scheinbar nur einigen Wenigen nützt, die einseitig auf Marktliberalisierung und Kapitalverkehrsfreiheit setzt und in der der Solidarität zwischen Stärkeren und Schwächeren scheinbar kein eigener Wert zukommt. Diese Entwicklung ist gefährlich: Sie untergräbt nicht nur die Akzeptanz einer Institution; sie bedroht die Entwicklung eines europäischen Gesellschafts- und Sozialmodells insgesamt.

 

Ein Kurswechsel tut Not. Die Sozialdemokratie in Europa hat sich in den letzten Jahren zwischen die Alternativen neoliberales Markteuropa auf der einen und den Rückzug in die Grenzen nationalstaatlicher Politik auf der anderen Seite zwängen lassen. Aber diese Alternativen sind beide auf Dauer schlecht für die Menschen in Deutschland und in Europa. Wir wollen endlich einen Neuanfang für ein neues, ein sozialeres und demokratischeres Europa.

 

Gerade die Bundesrepublik hat unter der Führung von Angela Merkel mit Fokussierung auf Exporte und dem Beharren auf „Haushaltsdisziplin“ in den letzten Jahren einen  sozialen Aufbruch in der europäischen Gemeinschaft verhindert. Die Abkehr vom Dogma der „Schwarzen Null“ hierzulande ist Voraussetzung für eine andere Politik in ganz Europa und eine Stärkung aller progressiven Kräfte.

 

Die Konstruktionsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion müssen beseitigt und die EU zu einer politischen Union mit einer starken sozialen Dimension weiterentwickelt werden. Europa muss auf Solidarität und Investitionen statt auf Austerität (strikte Sparpolitik und Einschränkung der Staatstätigkeit) setzen. Wir brauchen gemeinsame Sozialstandards, die an die Lebensbedingungen, die wirtschaftliche Kraft und die sozialstaatlichen Traditionen der jeweiligen Länder und Regionen anknüpfen, aber zugleich zur sozialen und wirtschaftlichen Konvergenz beitragen. Ein solches Europa und die damit verbundenen Anstrengungen und gegenseitigen Verpflichtungen werden sich aber nur durchsetzen lassen, wenn die Menschen umfassend mitbestimmen können. Ohne Demokratisierung keine Vertiefung der innereuropäischen Beziehungen!

 

Konkret fordern wir:

I. Arbeit und Soziales – Europas Akzeptanz steht auf dem Spiel

  • Wir wollen verbindliche Mindeststandards im Bereich der Sozialpolitik, wie z.B. gemeinsame Prinzipien bei der Festsetzung nationaler Mindestlöhne (z.B. in Abhängigkeit von nationalen Durchschnittseinkommen oder Rentenniveaus). Es kann nicht sein, dass ArbeitnehmerInnen aus verschiedenen europäischen Ländern weiter gegeneinander ausgespielt werden.
  • Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit braucht es europäische Programme zur Förderung von Ausbildung und Qualifizierung (z.B. finanzielle Beihilfen zur Einführung von dualen Ausbildungssystemen).
  • „Mitbestimmungsdumping“ muss aufhören. Wir brauchen gemeinsame Regeln für die effektive und grenzüberschreitende Mitbestimmung von ArbeitnehmerInnen. Es gibt keinen Grund für nationale Parzellierung von Arbeitnehmervertretungen in transnationalen Unternehmen, die in einem gemeinsamen Markt agieren. Europäische Betriebsräte müssen echte Mitbestimmungsrechte bekommen.
  • Die Entsenderichtlinie muss überprüft, um Mißbrauchstatbestände erweitert und diese müssen effektiv sanktioniert werden. Solange keine hinreichende Konvergenz von Arbeits- und Lebensbedingungen gegeben ist, können Arbeitnehmerfreizügigkeit und Entsendung (mit sozialversicherungsrechtlichen Befreiungen) zum Zwecke des Sozialdumpings missbraucht werden.
  • Einheitliche und hohe Mindeststandards im Bereich des Arbeitsrechts müssen ausgebaut werden. Nationale Standards des Arbeitnehmerrechts und der Arbeitnehmermitbestimmung dürfen durch europäische Gesetzgebung nicht abgesenkt werden.

 

II. Steuern und Haushalt – Solidarität ist keine Einbahnstraße

  • Wir brauchen eine vom Europäischen Parlament gewählte Europäische Wirtschaftsregierung, die eine gemeinsame Wirtschaftspolitik verantwortet. Ein europäischer Finanzminister, der nur die bisherige Spar- und Austeritätspolitik ohne volle demokratische Verantwortung gegenüber dem Europäischen Parlament noch machtvoller durchsetzt, wird zum Totengräber der EU. Fiskalische (haushaltsrechtliche) ohne demokratische Kontrolle lehnen wir ab.
  • Die Länder der Eurogruppe sowie die Länder, die dazu bereit sind, sollten notfalls im Wege der verstärkten Zusammenarbeit verbunden mit umfassender Kontrolle durch das Europäische Parlament im Bereich einer einheitlichen Finanz- und Steuerpolitik vorangehen. Wer nicht mitmacht, kann auch nicht von gemeinsamen Ausgaben profitieren (z.B. Investitionsprogrammen, Kohäsions- und Strukturfonds, Transfermechanismen der Währungs- und Geldpolitik etc.).
  • Die Finanztransaktionssteuer muss endlich kommen.
  • Ertragssteuern sind dort zu erheben, wo Wertschöpfung stattfindet (und insbesondere dort, wo ArbeitnehmerInnen beschäftigt werden). Dies funktioniert nur, wenn die EU maßgeblich durch das Europäische Parlament verantwortete Zuständigkeiten im Bereich der direkten Steuern bekommt, damit sie Kohärenz (Vergleichbarkeit und Abgestimmtheit) der nationalen Steuersysteme aktiv fördern und Steuerdumping vorbeugen kann. Bilaterale Vereinbarungen (Doppelbesteuerungsabkommen) müssen durch europäische Regeln ersetzt werden, um Schlupflöcher und Umgehungsmöglichkeiten zu beenden. Die Regeln zur Begrenzung der Gewinn- und Verlustverschiebung müssen weiter präzisiert und verschärft werden. Für die Einhaltung und Durchsetzung dieser Regeln sollten nicht (nur) die nationalen Steuerbehörden, sondern (auch) die EU-Kommission zuständig sein. Wie die Apple/Starbucks/Amazon-Fälle zeigen, ist nur durch eine übergeordnete Instanz eine effektive Durchsetzung gewährleistet.
  • Die gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage muss endlich kommen. Die vorliegenden Vorschläge gehen nicht weit genug und müssten um wesentliche Aspekte ergänzt werden (z.B. EU-weit gleiche Abschreibungsmöglichkeiten, Höchstgrenzen zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Managervergütungen, in Abhängigkeit von den untersten Lohngruppen im jeweiligen Unternehmen).
  • Wir brauchen mittelfristig EU-weit verbindliche Mindeststeuersätze.

 

  • Ausnahmetatbestände im Umsatzsteuerrecht müssen radikal reduziert und vereinheitlicht werden, um Umgehungen und Betrügereien vorzubeugen.
  • Es sollten EU-weite Höchstsätze bei Umsatzsteuern vereinbart werden. Die schleichende Umverlagerung von Unternehmens- und Ertragssteuern auf Umsatzsteuern in den letzten Jahrzehnten ging zu Lasten der einkommensschwächeren Bevölkerungsteile. Dieser Trend muss europaweit gestoppt werden.

 

III. Investitionen und Wachstum statt Austeritätspolitik

  • Europa braucht eine Abkehr von der sozial verheerenden Austeritätspolitik insbesondere in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit. Es müssen andere, neue Wege gefunden werden, um die öffentliche Verschuldung in ein ausgewogenes Verhältnis zur Wirtschaftsleistung und zum öffentlichen Vermögen zu bringen (Schuldenerlass, Vermögensabgaben, Fonds- bzw. Tilgungsfondslösungen, Reichensteuern o.ä.).
  • Europa braucht Investitionen gegen die Arbeitslosigkeit, insbesondere in Ausbildung und Qualifizierung, sowie in Programme zur Unterstützung des Strukturwandels in ärmeren Mitgliedstaaten. Sinnvoll sind auch grenzübergreifende Bildungs-, Fortbildungs- und Ausbildungsprogramme, die neben dem Arbeitsmarkt auch den Austausch von Bürgerinnen und Bürgern aus verschiedenen Mitgliedstaaten fördern.
  • Es muss mehr Investitionen in Infrastruktur geben: digitale, sowie Energie- und Transportnetze (inkl. E-Mobilität). Diese Infrastruktur hat grenzübergreifenden Nutzen und sollte daher gemeinsam finanziert werden.
  • Die Mittelzuteilung für die Integration von Flüchtlingen muss solidarisch organisiert und Teil der Budgetverhandlungen werden.
  • Die Rekommunalisierung von privatisierten Betrieben darf nicht durch europäisches Wettbewerbs- Beihilfen- oder Vergaberecht praktisch vereitelt werden; entsprechende Regeln müssen überprüft und durch Ausnahmetatbestände bzw. Freigabemechanismen ergänzt werden.

 

Europa steht vor großen Herausforderungen, von innen wie von außen. Diese lassen sich nur gemeinsam lösen. Das Fundament der europäischen Gesellschaftsordnung ruht auf sozialem Ausgleich, Teilhabe und Chancengleichheit. Nur wenn es der Europäischen Union gelingt, diese Solidarität auch in Zukunft zu organisieren, kann sie dauerhaft Bestand haben.

Empfehlung der Antragskommission:
Überweisen an: SPD-Parteivorstand als Material zur Erarbeitung des Europawahlprogramms und SPD-Landesvorstand NRW als Material zur Erarbeitung einer Positionierung der NRWSPD
Version der Antragskommission:

– Parteivorstand als Material zur Erarbeitung des Europawahlprogramms
– SPD-Landesvorstand NRW und AK Europa der NRWSPD als Material zur Erarbeitung einer Positionierung der NRWSPD zur Europawahl

Beschluss: Überweisung an: SPD-Parteivorstand als Material zur Erarbeitung des Europawahlprogramms und SPD-Landesvorstand NRW und AK Europa der NRWSPD als Material zur Erarbeitung einer Positionierung der NRWSPD zur Europawahl
Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Überwiesen am 09.07.2018 an: SPD-Parteivorstand als Material zur Erarbeitung des Europawahlprogramms, SPD-Abgeordnete im Europäischen Parlament, AK Europa der NRWSPD als Material zu Positionierung der NRWSPD zur Europawahl