Ar-02 Heute für die Fachkräfte von morgen sorgen – die sozialdemokratische Antwort auf den Fachkräftemangel

Ausgangslage

 

Die bundesrepublikanische Wirtschaft und die nordrhein-westfälische im Speziellen sind angewiesen auf Fachkräfte. Egal ob in der Industrie, im Handwerk, im Einzelhandel, in der Bildung, in den sozialen Berufen oder in der Pflege – unser Wohlstand wird von den vielen Arbeitnehmer:innen erwirtschaftet und gesichert, die den Laden jeden Tag am Laufen halten. Umso besorgniserregender ist es, dass in ganz verschiedenen Branchen ein zunehmender Fachkräftemangel sowie ungenügendes Engagement bei der Sicherung von Fachkräften zu beobachten ist. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen merken das schon jetzt auf ganz individueller Ebene, wenn sie wochenlang auf einen Handwerker:innentermin warten; wenn sie die Kinderbetreuung privat organisieren müssen, weil die Kitas die Öffnungszeiten verkürzen; wenn der Zug ausfällt oder wenn sie keinen Pflegeplatz für ihre Angehörigen mehr finden. Diese individuellen Erfahrungen sind oft leider keine Einzelphänomene mehr, sondern Ausdruck eines sich verschärfenden Fachkräftemangels, der auf volkswirtschaftlicher Ebene unser Wachstum und unseren Wohlstand gefährdet.

 

Der dringende Handlungsbedarf wird auch durch einen Blick auf die Zahlen deutlich. Bereits für das Jahr 2021 wies das ‚Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung‘ (KOFA) eine Fachkräftelücke von 53.880 qualifizierten Arbeitnehmer:innen allein für Nordrhein-Westfalen aus. Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem letzten Jahr beziffert die Kosten je fehlender Fachkraft pro Jahr auf 86.000 Euro. Setzt man diese Zahlen zueinander in Verbindung, dann reden wir allein für das Jahr 2021 von über 4,6 Mrd. Euro an Kosten für das Land NRW aufgrund fehlender Fachkräfte. Die Megatrends Demographie, Digitalisierung und Dekarbonisierung verschärfen die beschriebene Entwicklung. Allein schon mit Blick auf die dringend notwendige Energiewende, die besonders für das Industrieland Nordrhein-Westfalen von Bedeutung ist, kann man festhalten: Diese wird vielleicht an Konferenztischen erdacht, aber sie wird von vielen Handwerker:innen gemacht. Kein Windrad entsteht durch warme Worte und keine Solaranlage setzt sich von alleine aufs Dach. Dafür braucht es Fachkräfte. Gleiches gilt für die Mobilitätswende, die im Stau stecken bleibt ohne Ingenieur:innen, die neue Brücken planen oder den Betrieb auf den Schienen am Laufen halten. Aber auch was die Berufe in der Pflege und der Erziehung angeht, ist der Fachkräftemangel ein Problem für den Respekt und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, weil sich menschliche Bedürfnisse eben nicht nach gerade verfügbaren Fachkräften richten.

 

Hier sind wir gerade als Sozialdemokratie gefragt, durch kluges politisches Handeln den Wohlstand von morgen zu sichern, die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben und die Gesellschaft dabei zusammenzuhalten. All diese Herausforderungen hängen mit dem Fachkräftemangel zusammen. Für uns als NRWSPD ist dabei klar, dass wir dieses Thema konsequent aus der Sicht der Beschäftigten angehen. Denn so real die beschriebenen Herausforderungen sind, die sich aus den tatsächlich vorhandenen Engpässen an Fachkräften ergeben, so sehr wissen wir ebenso, dass nicht überall, wo Fachkräftemangel draufsteht, auch Fachkräftemangel drin ist. Hinter so manchen Klagen über angeblich fehlende Fachkräfte stecken manchmal ganz andere Gründe, z.B. schlechte Arbeitsbedingungen und Entlohnung, die mangelnde Ausbildungsbereitschaft mancher Unternehmen und der Wunsch nach Bestenauslese einerseits und billiger Arbeitskraft andererseits. Da passen Worte und Taten nicht immer zusammen. Auch Politik und öffentliche Hand müssen sich hier an die eigene Nase fassen. Die Jahrzehnte des Spardiktats und der mangelnden Zukunftsinvestitionen haben auch für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu einer höheren Arbeitsverdichtung und an den meisten Stellen zu einer deutlichen Ausweitung der Aufgaben geführt. Unsere Kolleg:innen in den Gewerkschaften weisen in ihren aktuellen Streiks zu Recht darauf hin. Wo die Belastung immer höher geworden und die Attraktivität immer mehr gesunken ist, darf man sich nicht über einen vermeintlichen Fachkräftemangel beschweren. Der öffentliche Dienst eine wichtige Säule zur Organisation des Gemeinwesens, der Vergabe von Aufträgen und vielem mehr. Massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind dringend notwendig und diese können nur umgesetzt werden, wenn die öffentliche Hand – gerade auch in den Kommunen – ein attraktiver Arbeitgeber ist. Die Realität ist aber, dass Stellen für Techniker:innen, Ingenieur:innen und viele andere Berufe in Kommunen, aber auch anderen Ebenen, bereits heute nicht mehr annähernd besetzt werden können. Das führt zur Unzufriedenheit mit staatlichen Stellen, weil (Bau-)Projekte nicht umgesetzt werden können und Serviceangebote leiden.

 

Überall dort, wo tatsächlich Fachkräftemangel herrscht, entsteht zunehmend ein Be-werber:innenmarkt. Es sind dort nicht mehr die Unternehmen, die sich die besten Arbeitnehmer:innen aussuchen, sondern es sind die Arbeitnehmer:innen, die sich die besten Unternehmen aussuchen können. Diese Entwicklung birgt das Potential, dass die Rolle der Beschäftigten nachhaltig gestärkt wird, wenn es der Arbeiter:innenbewegung gelingt, solidarisch zu bleiben und sich nicht auseinander dividieren zu lassen, nach dem Motto: Wenn jede:r für sich verhandelt, ist an alle gedacht. Gemeinsam mit unsere Kolleg:innen in den Gewerkschaften wollen wir genau dafür sorgen. Denn Solidarität wird mehr denn je gefragt sein, wenn die Schere zwischen gut qualifizierten Fachkräften einerseits und ungelernten Arbeitskräften andererseits weiter auseinandergehen wird. Es darf keine Beschäftigten zweiter Klasse geben. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass schon beim Übergang von der Schule in den Beruf kein junger Mensch auf der Strecke bleibt und genauso müssen wir den bestehenden Beschäftigten durch eine entsprechende Weiterbildungsinfrastruktur lebenslang die Möglichkeit für eine neue berufliche Perspektive offen halten.

 

Vor allem in Pflege, Gesundheits- und Erziehungsberufen führt der dramatische Fachkräftemangel zu einem Anstieg von Leiharbeit, deren Anbieter mit Anreizen wie höherem Gehalt, flexibleren Arbeitszeiten und weiteren Boni immer öfter die vorhandenen Fachkräfte an sich binden können. Die Folgen sind nicht nur die erhöhte finanzielle Belastung der freien Träger und Dienstleister, sondern auch erhöhte Belastung des Stammpersonals und ultimativ der Abbau von Angeboten in Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Daher braucht es eine weitergehende gesetzliche Reglementierung von Leiharbeit, um sowohl die Auswirkungen des Fachkräftemangels als auch die Arbeitsbedingungen in diesen Sektoren nicht noch weiter zum Negativen zu verschärfen.

 

Schließlich wollen wir dafür sorgen, dass die Produktivitätssteigerungen nicht nur auf die Seite des Kapitals, sondern auch auf die Seite der Arbeit einzahlen. Die Beschäftigten sollen von der gesteigerten Produktivität in Form höherer Löhne und besserer Arbeitsbedingungen profitieren. Insbesondere die Diskussionen um eine andere Art der Verteilung der Arbeit, um Arbeitszeitverkürzung bis hin zur 4-Tage-Woche weisen hier in die richtige Richtung.

 

Um die beschriebenen Entwicklungen gestalten zu können, braucht es eine aktive Politik, die das Thema Fachkräftemangel in seiner Breite erfasst. Diese sieht für uns wie folgt aus.

 

Handlungsfelder

 

Deutschland zu einem wirklichen Einwanderungsland machen

 

Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland, hat sich aber viel zu lange nicht wie eines verhalten. Dabei wäre der bundesrepublikanische Wohlstand ohne die Generationen der sogenannten „Gastarbeiter:innen“ nicht denkbar gewesen. Auch in Zukunft wird die Bundesrepublik auf Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sein. Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit spricht von einer Einwanderung von 400.000 Menschen pro Jahr, die nötig wäre, um die Zahl der Erwerbstätigen stabil zu halten. Um das zu ermöglichen, braucht es nicht nur das klare Bekenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, sondern auch konkrete politische Maßnahmen. Dabei ist es wichtig, die Menschen, die nach Deutschland kommen, nicht als reine Arbeits- und Fachkräfte zu betrachten oder sie als vermeintlich billige Arbeitskräfte gegen bereits hier Beschäftigte auszuspielen. So setzen wir uns unter anderem für eine konsequente Verfolgung und für strenge Kontrollen der Vermittlungsagenturen ein, wo ausländische Arbeitskräfte als Saisonarbeiter:innen oder in der häuslichen Pflege ausgebeutet werden, um nur ein Beispiel zu nennen. Um zu einer echten Willkommenskultur zu kommen, reichen keine warmen Worte.

 

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir das neue, geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung, dass die Hürden zur Einwanderung senkt und neben Fachkräften sowohl Menschen mit langjähriger Berufserfahrung als auch jungen Menschen eine berufliche Perspektive in Deutschland eröffnet. Damit die guten Regelungen des Entwurfes auch in der Praxis umgesetzt werden können, braucht es mehr Personal in den deutschen Konsulaten, um die Visavergabe zu beschleunigen sowie zusätzliches Personal in den kommunalen Ausländerbehörden. Auch landesweite Anlaufstellen sind ein probates Mittel beim Fachkräftezuzug.

 

Neben dem geplanten Gesetz braucht es aus unserer Sicht weitere Anstrengungen. Dazu gehört insbesondere eine bessere, unbürokratischere und deutlich schnellere Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen und (Akademischen-) Abschlüssen. Zu viele gut ausgebildete Menschen, die nach Deutschland kommen, arbeiten hier oft unterhalb ihres Qualifikationsniveaus, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. In diesem Zusammenhang braucht es auch einen leichteren Zugang zu Ausgleichsmaßnahmen und Anpassungsqualifizierungen. Ebenso sprechen wir uns für einen unbürokratischen Familiennachzug sowie für einen flächendeckenden Zugang zu Sprachkursen aus.

 

Neben dem eigentlichen Fachkräftezuzug muss es uns aber auch gelingen, den Menschen, die zu uns geflüchtet sind, einen besseren Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hierzu sind die Maßnahmen des Koalitionsvertrags auf Bundesebene zügig umzusetzen. Dazu gehört für uns die Abschaffung von Arbeitsverboten, die Ermöglichung eines Spurwechsels aus dem Asylsystem in die Arbeitsmigration sowie ein vereinfachter Zugang zum Bleiberecht für Geduldete.

 

Und schließlich geht es auch um die Menschen, die bereits hier sind – teilweise seit Jahrzehnten oder in zweiter und dritter Generation – und die sich immer noch mit rassistischen Ressentiments konfrontiert sehen. Denn auch beim Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt hängen die eigenen Chancen nach wie vor viel zu sehr davon ab, wie der eigene Vorname lautet oder in welchem Viertel man wohnt.

 

Raus aus der Teilzeitfalle – Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen

 

Um alle Potentiale am Arbeitsmarkt zu heben, muss es außerdem gelingen, die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter zu erhöhen. Zwar ist es in den letzten zwei Jahrzehnten gelungen, die Erwerbstätigenquote von Frauen deutlich zu steigern. Zu viele weibliche Beschäftigte, nämlich fast die Hälfte, arbeiten jedoch noch immer in Teilzeit mit den entsprechenden Folgen bei Entlohnung und Altersvorsorge. Von einer wirklichen Gleichstellung kann hier keine Rede sein. Diese wäre erreicht, wenn die Frage nach dem Ob und der Dauer der Beschäftigung eine freie, individuelle Entscheidung wäre und nicht aus Mangel an Alternativen getroffen wird. Um das zu ändern, müssen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern, deren Mangel immer noch einer der Hauptgründe für die sogenannte Teilzeitfalle ist. Tatsächlich schlägt hier der Fachkräftemangel doppelt zu. Fehlende qualifizierte Erzieher:innen und damit fehlende Betreuungsmöglichkeiten führen in der Praxis häufig dazu, dass vor allem Frauen die Kinderbetreuung privat organisieren oder selbst übernehmen müssen und so nicht die Möglichkeit haben, einer eigenen Beschäftigung nachzugehen. So verstärkt der Fachkräftemangel bei den Erzieher:innen und besonders die dramatische Situation in der frühkindlichen Bildung zugleich den allgemeinen Fachkräftemangel. Ähnliches gilt bei der selbst geleisteten Pflege von Angehörigen. Hier braucht es also einen verstärkten Ausbau der Betreuungsangebote und Pflegeplätze und die Inanspruchnahme darf dabei keine Frage des eigenen Geldbeutels sein. Außerdem müssen weitere politische Anreize gesetzt werden, um die Care-Arbeit gerechter aufzuteilen. Dazu gehören für uns eine Neuregelung der Elternschutzzeit, die die Regelungen des sogenannten Mutterschutzes auf die:den Partner:in überträgt. Auch die Elternzeit sollte dahingehend überarbeitet werden, dass eine gleichmäßige Aufteilung finanziell stärker gefördert wird. In diesem Zusammenhang bekräftigen wir unsere Ablehnung des sogenannten Ehegattensplittings und begrüßen die Pläne der Ampel-Regierung für eine Weiterentwicklung der Familienbesteuerung. Neben diesen familienpolitischen Steuerungsmaßnahmen müssen auch die Arbeitgeber:innen stärker in die Pflicht genommen werden. Dazu sind die noch bestehenden Hürden bei der Brückenteilzeit abzusenken, sodass mehr Beschäftigte vom Rückkehrrecht profitieren können. Außerdem braucht es flexiblere und familienfreundliche Arbeitszeiten sowie eine verstärkte Möglichkeit zum Homeoffice. Und selbstverständlich müssen die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern endlich der Vergangenheit angehören.

 

Die Erfahrung älterer Fachkräfte länger nutzen

 

Nicht nur bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen gibt es mit Blick auf den Fachkräftemangel noch Verbesserungsbedarf. Wir wollen darüber hinaus auch langjährigen Fachkräften die Möglichkeit geben, länger in ihrem Beruf zu arbeiten und ihre Erfahrung zur Verfügung zu stellen. Hierzu sind ebenfalls entsprechend flexible Arbeitszeiten und mehr Homeoffice zu ermöglichen sowie Teilzeitangebote in den Fällen, in denen diese gewünscht oder eine Vollzeit nicht mehr leistbar ist. Vorstellbar sind für uns auch ausgeweitete Regelungen der Urlaubstage, um die Möglichkeiten der Regeneration zu erhöhen. Die Angebote zur Gesundheitsprävention sollten außerdem bereits früh im Erwerbsleben greifen und ausgebaut werden, um eine lange gesunde Erwerbstätigkeit zu sichern. Und um auch langjährige Beschäftigte in der Transformation der Arbeitswelt nicht allein zu lassen, können zielgruppenspezifische Weiterbildungsangebote helfen. Mit einem ganzen Mix aus Maßnahmen kann es so gelingen, erfahrene Fachkräfte nicht frühzeitig aus dem Arbeitsmarkt zu verlieren. Forderungen nach einem höheren Renteneintrittsalter erteilen wir an dieser Stelle jedoch eine klare Absage.

 

Alle Potentiale nutzen – für einen inklusiven Arbeitsmarkt

 

Wenn wir im Zusammenhang des Fachkräftemangels über die Erwerbsbeteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppe sprechen, dann geht es nicht an, dass eine Vielzahl von Mitgliedern mancher Gruppen faktisch keinen echten Zugang zum Arbeitsmarkt erhält. Teilhabe am Arbeitsmarkt bedeutet immer auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und jede:r hat ein Recht darauf.

 

Deshalb ist es für uns inakzeptabel, dass die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderung immer noch deutlich unter der Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung liegt. Im Jahr 2019 lag diese lediglich bei knapp 57 Prozent, während die Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung bei 82 Prozent lag. Wir begrüßen vor diesem Hintergrund das auf Bundesebene verabschiedete Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts, das die Arbeitgeber:innen durch höhere Ausgleichsabgaben stärker in die Pflicht nimmt. Auch das in der letzten Legislatur beschlossene Teilhabestärkungsgesetz wies in die richtige Richtung. Aber es braucht darüber hinaus weitere Maßnahmen zur konsequenten Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

 

Sicherheit im Wandel geben durch lebenslanges Lernen

 

In einer sich stetig und mit zunehmender Geschwindigkeit wandelnden Arbeitswelt haben Maßnahmen zur Umschulung, Weiterbildung und Qualifizierung für alle Beschäftigten einen hohen Stellenwert. Die Vorstellung, in jungen Jahren einen Beruf zu erlernen und diesen dann 45 Jahre lang so wie einmal gelernt auszuüben, ist nicht mehr zeitgemäß. Einzelne Berufe und ganze Branchen verändern sich rasant, manche Berufsbilder fallen ganz weg und auf der anderen Seite entstehen ganz neue Berufe, was auch eine Anpassung der Ausbildungsgänge erfordert. Um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten, braucht es eine entsprechende Weiterbildungsinfrastruktur, die allen Beschäftigten über die gesamte Dauer ihres Erwerbslebens berufliche Perspektiven eröffnet, im Wandel Sicherheit gibt und niemanden im Stich lässt. Besonders müssen hier auch die hunderttausenden Menschen, die sich in der Landzeitarbeitslosigkeit befinden, mit in den Blick genommen werden. Zurzeit haben wir es zu oft noch mit einem Flickenteppich aus einzelnen Weiterbildungsmaßnahmen zu tun, die in unterschiedlichen Trägerschaften angeboten werden. Hier sind wir als Politik gefragt, eine öffentliche Weiterbildungsinfrastruktur aufzubauen, die den beschriebenen Anforderungen gerecht wird. Wir halten dafür vor allem die Berufskollegs für geeignet, die schon jetzt eine Vielzahl an Bildungswegen ermöglichen und im Umgang mit Heterogenität erfahren sind. Sie wollen wir zu Transformationszentren weiterentwickeln. Um nicht nur Fachkräfte einmal neu zu gewinnen, sondern sie immer wieder als Fachkräfte zu erhalten und auch um gering qualifizierten Beschäftigten neue Perspektiven zu eröffnen, müssen wir deshalb unsere Anstrengungen intensivieren. Unser Ziel bleibt ein umfassendes Recht auf Weiterbildung. Dazu ist konkret die geplante Einführung einer Bildungs(teil)zeit auf Bundesebene ein wichtiger Schritt zur Förderung selbstorganisierter Weiterbildung. Wir unterstützen in diesem Zusammenhang die Forderungen des DGB, die Förderhöchstdauer zu erhöhen sowie den Fokus auf die Förderung geregelter Bildungsgänge- und -abschlüsse zu legen. Auch der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Freistellung im Teilzeit- und Befristungsgesetz schließen wir uns an. Neben dieser Maßnahme unterstützen wir ebenso die geplante Einführung eines Qualifizierungsgeldes. Dieses muss so gestaltet sein, dass es in der Breite der betrieblichen Praxis Anwendung findet. Auch die Pläne zum Weiterbildungsgeld sowie der vorgesehene Ausbau des Aufstiegs-BAföGs sind wichtige Schritte hin zu einem umfassenden Recht auf Weiterbildung. Keine notwendige Qualifizierung darf an einer unzureichenden finanziellen Absicherung scheitern.

 

Keinen jungen Menschen zurücklassen – für eine echte Ausbildungsgarantie!

 

Nachbesserungsbedarf sehen wir mit Blick auf die Pläne der Ampel-Koalition bei der Frage der Ausbildungsgarantie, die für uns von hoher Bedeutung bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels ist. Auch wir verstehen unter einer Ausbildungsgarantie ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Im Kern geht es aber um einen Rechtsanspruch für jeden jungen Menschen auf eine vollqualifizierende Berufsausbildung und dieser Rechtsanspruch muss auf Bundesebene kommen. Absoluten Vorrang hat dabei die Vermittlung in eine betriebliche Berufsausbildung. Zu diesem Zweck muss das Angebot an Ausbildungsplätzen in den Betrieben erhöht werden. Erst wenn alle dahingehenden Vermittlungsbemühungen gescheitert sind, greift der Anspruch für jede:n Ausbildungssuchende:n auf eine außerbetriebliche Ausbildung. Diese soll bei einem überbetrieblichen Bildungsträger in Zusammenarbeit mit einem Kooperationsbetrieb stattfinden. Auch hierbei ist das Ziel, dass diese außerbetriebliche Ausbildung spätestens zum zweiten Lehrjahr in eine betriebliche Ausbildung überführt wird. Gelingt dies nicht, besteht der Anspruch auf eine vollqualifizierende dreijährige Berufsausbildung beim überbetrieblichen Träger. Wichtig ist dabei, dass es keine Auszubildenden zweiter Klasse gibt. Die Ausbildungsbedingungen und die entsprechende Vergütung müssen also vergleichbar sein.

 

Darüber hinaus muss eine Ausbildungsgarantie solide finanziert sein. Eine gerechte Finanzierung der Garantie wird aus unserer Sicht in Form eines umlagefinanzierten Fonds erreicht. Die Beiträge für nicht-ausbildende Betriebe müssen über den betrieblichen Ausbildungskosten – je nach Betriebsgröße – liegen, um den Anreiz für die betriebliche Ausbildung zu fördern. Schon heute profitieren alle Betriebe von gut ausgebildeten Fachkräften, allerdings beteiligen sich nur ca. 20 Prozent der Unternehmen an den Kosten, indem sie Ausbildungsplätze anbieten. Ein umlagefinanzierter Fonds schafft hier mehr Gerechtigkeit. Mit ihm sind zwei Ziele verbunden. Zum einen wird damit die betriebliche Ausbildung gestärkt und Ausbildungsbetriebe finanziell besser gestellt. Zum anderen sollen aus dem Fonds die Kosten für zusätzliche inner- und außerbetriebliche Ausbildungsplätze im Rahmen der Garantie finanziert werden, um so das Ausbildungsplatzangebot zu erhöhen. Betriebe, die ausbilden oder Auszubildende aus einer außerbetrieblichen Ausbildung übernehmen, profitieren also von der Umlagefinanzierung, wie sie in ähnlicher Form beispielsweise im Baugewerbe (SOKA BAU) schon lange Praxis ist.

 

Weitere Maßnahmen im Rahmen der Ausbildungsgarantie müssen den Übergang zwischen Schule und Beruf in den Blick nehmen. Allein in NRW waren im September 2022 laut Bundesagentur für Arbeit immer noch 17.006 Bewerber:innen auf Ausbildungssuche. Hinzu kommen circa 40.000 junge Menschen, die in Übergangssystemen geparkt sind und von denen laut DGB NRW viele anschließend keine Berufsausbildung mehr machen. Der “Übergang” wird also für viele zu einem unfreiwilligen Dauerzustand teilweise sogar zur Endstation im Berufsbildungssystem. Ziel muss daher ein systematisches Übergangsmanagement sein, dass keinen jungen Menschen mehr zurücklässt. Vorbildcharakter für andere Bundesländer und die Überlegungen auf Bundesebene hat aus unserer Sicht das in NRW erfolgreiche Programm “Kein Abschluss ohne Anschluss”, das wir hier vor allem in Hinblick auf Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen, weiterentwickeln wollen. Außerdem muss die Berufsorientierung in den Schulen stärker auf die Attraktivität der beruflichen Ausbildung hinweisen und auf die Perspektiven, die sich damit eröffnen. Dafür braucht es in den Schulen aber auch Zeit und entsprechende Kapazitäten für die Lehrkräfte. Die Qualität der Berufsorientierung darf nicht vom bemerkenswerten Einsatz einzelner Lehrer:innen abhängen. Auch sollen die Berufskollegs stärker als Praktikumsorte während der Orientierung in den Fokus rücken. Ausdrücklich begrüßen wir die geplante Stärkung und den Ausbau von Jugendberufsagenturen. Diese sollten aus unserer Sicht flächendeckend in der Bundesrepublik eingeführt bzw. bestehende entsprechend ausgebaut werden und junge Menschen bereits vor dem Schulabgang und dann bis zum Abschluss einer Ausbildung begleiten. Zu ihren Aufgaben gehören eine durchgängige und professionelle Beratung, Hilfe bei der Berufsorientierung und falls nötig auch die Vermittlung von Unterstützungsangeboten und das alles aus einer Hand. Um alle jungen Menschen zu erreichen, ist dabei auch eine aufsuchende Beratung notwendig. Die Jugendberufsagenturen sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben entsprechend personell und finanziell sowie mit den notwendigen Daten auszustatten. Da Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt häufig auch räumlich auseinanderfallen, begrüßen wir ebenso die geplante Mobilitätsprämie, die Auszubildende unterstützt, die fernab des Wohnorts eine Ausbildung aufnehmen. Und damit sich die Auszubildenden dort auch eine Wohnung leisten können, wollen wir Azubiwohnheime weiter stärken.

 

Um die Attraktivität der beruflichen Bildung weiter zu steigern, halten wir außerdem eine konsequente Abschaffung versteckter Ausbildungskosten und eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung sowie der Berufsausbildungsbeihilfe für notwendig. Besonders die Finanzierung der schulischen Ausbildungen gehört hier verbessert. Auch die Maßnahmen der Assistierten Ausbildung sollten gestärkt werden, um allen jungen Menschen den Weg in eine betriebliche Ausbildung zu eröffnen. In dem Zusammenhang sollte ebenso die Möglichkeit zu einer Ausbildung in Teilzeit bekannter gemacht und die Zugangsvoraussetzungen dazu gesenkt werden. Nötig sind schließlich zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung der Verbundausbildung, um die Ausbildungsqualität gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen zu sichern, die nicht die gesamte Bandbreite an Ausbildungsinhalten abdecken können.

 

Unser Ziel bleibt eine wirkliche Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. Ein Meister muss endlich so viel wert sein wie ein Master. Dazu gehört auch, dass die Meisterausbildung wie der Master an der Hochschule kostenfrei wird. Dafür reichen nicht nur warme Worte über eine bessere gesellschaftliche Anerkennung. Berufliche Qualifikationen müssen endlich gleichwertig anerkannt werden und mit ihnen müssen die gleichen Möglichkeiten einhergehen wie mit vergleichbaren akademischen Qualifikationen. Das Ziel ist eine echte wechselseitige Anrechenbarkeit der verschiedenen Qualifikationen, um so zu einer besseren Durchlässigkeit inklusive flexiblerer Ein- und Ausstiege zwischen den Systemen der beruflichen und akademischen Bildung zu kommen. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel darf es keine Abschlüsse erster und zweiter Klasse geben.

 

Fazit

 

Der vorliegende Antrag zeigt nicht nur den Handlungsdruck, der mit Blick auf den Fachkräftemangel besteht, sondern auch den großen Handlungsspielraum und die Breite an Forderungen, mit der wir als Sozialdemokratie dieses Thema angehen. Uns geht es dabei um die Sicherung von nachhaltigem Wachstum und Wohlstand auch in den kommenden Jahrzehnten, vor allem geht es uns aber auch um gute Arbeit und Ausbildung für die Beschäftigten.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme
Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

Ausgangslage

Die bundesrepublikanische Wirtschaft und die nordrhein-westfälische im Speziellen sind angewiesen auf Fachkräfte. Egal ob in der Industrie, im Handwerk, im Einzelhandel, in der Bildung, in den sozialen Berufen oder in der Pflege – unser Wohlstand wird von den vielen Arbeitnehmer:innen erwirtschaftet und gesichert, die den Laden jeden Tag am Laufen halten. Umso besorgniserregender ist es, dass in ganz verschiedenen Branchen ein zunehmender Fachkräftemangel sowie ungenügendes Engagement bei der Sicherung von Fachkräften zu beobachten ist. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen merken das schon jetzt auf ganz individueller Ebene, wenn sie wochenlang auf einen Handwerker:innentermin warten; wenn sie die Kinderbetreuung privat organisieren müssen, weil die Kitas die Öffnungszeiten verkürzen; wenn der Zug ausfällt oder wenn sie keinen Pflegeplatz für ihre Angehörigen mehr finden. Diese individuellen Erfahrungen sind oft leider keine Einzelphänomene mehr, sondern Ausdruck eines sich verschärfenden Fachkräftemangels, der auf volkswirtschaftlicher Ebene unser Wachstum und unseren Wohlstand gefährdet.

Der dringende Handlungsbedarf wird auch durch einen Blick auf die Zahlen deutlich. Bereits für das Jahr 2021 wies das ‚Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung‘ (KOFA) eine Fachkräftelücke von 53.880 qualifizierten Arbeitnehmer:innen allein für Nordrhein-Westfalen aus. Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem letzten Jahr beziffert die Kosten je fehlender Fachkraft pro Jahr auf 86.000 Euro. Setzt man diese Zahlen zueinander in Verbindung, dann reden wir allein für das Jahr 2021 von über 4,6 Mrd. Euro an Kosten für das Land NRW aufgrund fehlender Fachkräfte. Die Megatrends Demographie, Digitalisierung und Dekarbonisierung verschärfen die beschriebene Entwicklung. Allein schon mit Blick auf die dringend notwendige Energiewende, die besonders für das Industrieland Nordrhein-Westfalen von Bedeutung ist, kann man festhalten: Diese wird vielleicht an Konferenztischen erdacht, aber sie wird von vielen Handwerker:innen gemacht. Kein Windrad entsteht durch warme Worte und keine Solaranlage setzt sich von alleine aufs Dach. Dafür braucht es Fachkräfte. Gleiches gilt für die Mobilitätswende, die im Stau stecken bleibt ohne Ingenieur:innen, die neue Brücken planen oder den Betrieb auf den Schienen am Laufen halten. Aber auch was die Berufe in der Pflege und der Erziehung angeht, ist der Fachkräftemangel ein Problem für den Respekt und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, weil sich menschliche Bedürfnisse eben nicht nach gerade verfügbaren Fachkräften richten.

Hier sind wir gerade als Sozialdemokratie gefragt, durch kluges politisches Handeln den Wohlstand von morgen zu sichern, die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben und die Gesellschaft dabei zusammenzuhalten. All diese Herausforderungen hängen mit dem Fachkräftemangel zusammen. Für uns als NRWSPD ist dabei klar, dass wir dieses Thema konsequent aus der Sicht der Beschäftigten angehen. Denn so real die beschriebenen Herausforderungen sind, die sich aus den tatsächlich vorhandenen Engpässen an Fachkräften ergeben, so sehr wissen wir ebenso, dass nicht überall, wo Fachkräftemangel draufsteht, auch Fachkräftemangel drin ist. Hinter so manchen Klagen über angeblich fehlende Fachkräfte stecken manchmal ganz andere Gründe, z.B. schlechte Arbeitsbedingungen und Entlohnung, die mangelnde Ausbildungsbereitschaft mancher Unternehmen und der Wunsch nach Bestenauslese einerseits und billiger Arbeitskraft andererseits. Da passen Worte und Taten nicht immer zusammen. Auch Politik und öffentliche Hand müssen sich hier an die eigene Nase fassen. Die Jahrzehnte des Spardiktats und der mangelnden Zukunftsinvestitionen haben auch für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu einer höheren Arbeitsverdichtung und an den meisten Stellen zu einer deutlichen Ausweitung der Aufgaben geführt. Unsere Kolleg:innen in den Gewerkschaften weisen in ihren aktuellen Streiks zu Recht darauf hin. Wo die Belastung immer höher geworden und die Attraktivität immer mehr gesunken ist, darf man sich nicht über einen vermeintlichen Fachkräftemangel beschweren. Der öffentliche Dienst eine wichtige Säule zur Organisation des Gemeinwesens, der Vergabe von Aufträgen und vielem mehr. Massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind dringend notwendig und diese können nur umgesetzt werden, wenn die öffentliche Hand – gerade auch in den Kommunen – ein attraktiver Arbeitgeber ist. Die Realität ist aber, dass Stellen für Techniker:innen, Ingenieur:innen und viele andere Berufe in Kommunen, aber auch anderen Ebenen, bereits heute nicht mehr annähernd besetzt werden können. Das führt zur Unzufriedenheit mit staatlichen Stellen, weil (Bau-)Projekte nicht umgesetzt werden können und Serviceangebote leiden.

Überall dort, wo tatsächlich Fachkräftemangel herrscht, entsteht zunehmend ein Be-werber:innenmarkt. Es sind dort nicht mehr die Unternehmen, die sich die besten Arbeitnehmer:innen aussuchen, sondern es sind die Arbeitnehmer:innen, die sich die besten Unternehmen aussuchen können. Diese Entwicklung birgt das Potential, dass die Rolle der Beschäftigten nachhaltig gestärkt wird, wenn es der Arbeiter:innenbewegung gelingt, solidarisch zu bleiben und sich nicht auseinander dividieren zu lassen, nach dem Motto: Wenn jede:r für sich verhandelt, ist an alle gedacht. Gemeinsam mit unsere Kolleg:innen in den Gewerkschaften wollen wir genau dafür sorgen. Denn Solidarität wird mehr denn je gefragt sein, wenn die Schere zwischen gut qualifizierten Fachkräften einerseits und ungelernten Arbeitskräften andererseits weiter auseinandergehen wird. Es darf keine Beschäftigten zweiter Klasse geben. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass schon beim Übergang von der Schule in den Beruf kein junger Mensch auf der Strecke bleibt und genauso müssen wir den bestehenden Beschäftigten durch eine entsprechende Weiterbildungsinfrastruktur lebenslang die Möglichkeit für eine neue berufliche Perspektive offen halten.

Vor allem in Pflege, Gesundheits- und Erziehungsberufen führt der dramatische Fachkräftemangel zu einem Anstieg von Leiharbeit, deren Anbieter mit Anreizen wie höherem Gehalt, flexibleren Arbeitszeiten und weiteren Boni immer öfter die vorhandenen Fachkräfte an sich binden können. Die Folgen sind nicht nur die erhöhte finanzielle Belastung der freien Träger und Dienstleister, sondern auch erhöhte Belastung des Stammpersonals und ultimativ der Abbau von Angeboten in Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Daher braucht es eine weitergehende gesetzliche Reglementierung von Leiharbeit, um sowohl die Auswirkungen des Fachkräftemangels als auch die Arbeitsbedingungen in diesen Sektoren nicht noch weiter zum Negativen zu verschärfen.

Schließlich wollen wir dafür sorgen, dass die Produktivitätssteigerungen nicht nur auf die Seite des Kapitals, sondern auch auf die Seite der Arbeit einzahlen. Die Beschäftigten sollen von der gesteigerten Produktivität in Form höherer Löhne und besserer Arbeitsbedingungen profitieren. Insbesondere die Diskussionen um eine andere Art der Verteilung der Arbeit, um Arbeitszeitverkürzung bis hin zur 4-Tage-Woche weisen hier in die richtige Richtung.

Um die beschriebenen Entwicklungen gestalten zu können, braucht es eine aktive Politik, die das Thema Fachkräftemangel in seiner Breite erfasst. Diese sieht für uns wie folgt aus.

Handlungsfelder

Deutschland zu einem wirklichen Einwanderungsland machen

Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland, hat sich aber viel zu lange nicht wie eines verhalten. Dabei wäre der bundesrepublikanische Wohlstand ohne die Generationen der sogenannten „Gastarbeiter:innen“ nicht denkbar gewesen. Auch in Zukunft wird die Bundesrepublik auf Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sein. Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit spricht von einer Einwanderung von 400.000 Menschen pro Jahr, die nötig wäre, um die Zahl der Erwerbstätigen stabil zu halten. Um das zu ermöglichen, braucht es nicht nur das klare Bekenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, sondern auch konkrete politische Maßnahmen. Dabei ist es wichtig, die Menschen, die nach Deutschland kommen, nicht als reine Arbeits- und Fachkräfte zu betrachten oder sie als vermeintlich billige Arbeitskräfte gegen bereits hier Beschäftigte auszuspielen. So setzen wir uns unter anderem für eine konsequente Verfolgung und für strenge Kontrollen der Vermittlungsagenturen ein, wo ausländische Arbeitskräfte als Saisonarbeiter:innen oder in der häuslichen Pflege ausgebeutet werden, um nur ein Beispiel zu nennen. Um zu einer echten Willkommenskultur zu kommen, reichen keine warmen Worte.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir das neue, geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung, dass die Hürden zur Einwanderung senkt und neben Fachkräften sowohl Menschen mit langjähriger Berufserfahrung als auch jungen Menschen eine berufliche Perspektive in Deutschland eröffnet. Damit die guten Regelungen des Entwurfes auch in der Praxis umgesetzt werden können, braucht es mehr Personal in den deutschen Konsulaten, um die Visavergabe zu beschleunigen sowie zusätzliches Personal in den kommunalen Ausländerbehörden. Auch landesweite Anlaufstellen sind ein probates Mittel beim Fachkräftezuzug.

Neben dem geplanten Gesetz braucht es aus unserer Sicht weitere Anstrengungen. Dazu gehört insbesondere eine bessere, unbürokratischere und deutlich schnellere Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen und (Akademischen-) Abschlüssen. Zu viele gut ausgebildete Menschen, die nach Deutschland kommen, arbeiten hier oft unterhalb ihres Qualifikationsniveaus, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. In diesem Zusammenhang braucht es auch einen leichteren Zugang zu Ausgleichsmaßnahmen und Anpassungsqualifizierungen. Ebenso sprechen wir uns für einen unbürokratischen Familiennachzug sowie für einen flächendeckenden Zugang zu Sprachkursen aus.

Neben dem eigentlichen Fachkräftezuzug muss es uns aber auch gelingen, den Menschen, die zu uns geflüchtet sind, einen besseren Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hierzu sind die Maßnahmen des Koalitionsvertrags auf Bundesebene zügig umzusetzen. Dazu gehört für uns die Abschaffung von Arbeitsverboten, die Ermöglichung eines Spurwechsels aus dem Asylsystem in die Arbeitsmigration sowie ein vereinfachter Zugang zum Bleiberecht für Geduldete.

Und schließlich geht es auch um die Menschen, die bereits hier sind – teilweise seit Jahrzehnten oder in zweiter und dritter Generation – und die sich immer noch mit rassistischen Ressentiments konfrontiert sehen. Denn auch beim Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt hängen die eigenen Chancen nach wie vor viel zu sehr davon ab, wie der eigene Vorname lautet oder in welchem Viertel man wohnt.

Raus aus der Teilzeitfalle – Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen

Um alle Potentiale am Arbeitsmarkt zu heben, muss es außerdem gelingen, die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter zu erhöhen. Zwar ist es in den letzten zwei Jahrzehnten gelungen, die Erwerbstätigenquote von Frauen deutlich zu steigern. Zu viele weibliche Beschäftigte, nämlich fast die Hälfte, arbeiten jedoch noch immer in Teilzeit mit den entsprechenden Folgen bei Entlohnung und Altersvorsorge. Von einer wirklichen Gleichstellung kann hier keine Rede sein. Diese wäre erreicht, wenn die Frage nach dem Ob und der Dauer der Beschäftigung eine freie, individuelle Entscheidung wäre und nicht aus Mangel an Alternativen getroffen wird. Um das zu ändern, müssen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern, deren Mangel immer noch einer der Hauptgründe für die sogenannte Teilzeitfalle ist. Tatsächlich schlägt hier der Fachkräftemangel doppelt zu. Fehlende qualifizierte Erzieher:innen und damit fehlende Betreuungsmöglichkeiten führen in der Praxis häufig dazu, dass vor allem Frauen die Kinderbetreuung privat organisieren oder selbst übernehmen müssen und so nicht die Möglichkeit haben, einer eigenen Beschäftigung nachzugehen. So verstärkt der Fachkräftemangel bei den Erzieher:innen und besonders die dramatische Situation in der frühkindlichen Bildung zugleich den allgemeinen Fachkräftemangel. Ähnliches gilt bei der selbst geleisteten Pflege von Angehörigen. Hier braucht es also einen verstärkten Ausbau der Betreuungsangebote und Pflegeplätze und die Inanspruchnahme darf dabei keine Frage des eigenen Geldbeutels sein. Außerdem müssen weitere politische Anreize gesetzt werden, um die Care-Arbeit gerechter aufzuteilen. Dazu gehören für uns eine Neuregelung der Elternschutzzeit, die die Regelungen des sogenannten Mutterschutzes auf die:den Partner:in überträgt. Auch die Elternzeit sollte dahingehend überarbeitet werden, dass eine gleichmäßige Aufteilung finanziell stärker gefördert wird. In diesem Zusammenhang bekräftigen wir unsere Ablehnung des sogenannten Ehegattensplittings und begrüßen die Pläne der Ampel-Regierung für eine Weiterentwicklung der Familienbesteuerung. Neben diesen familienpolitischen Steuerungsmaßnahmen müssen auch die Arbeitgeber:innen stärker in die Pflicht genommen werden. Dazu sind die noch bestehenden Hürden bei der Brückenteilzeit abzusenken, sodass mehr Beschäftigte vom Rückkehrrecht profitieren können. Außerdem braucht es flexiblere und familienfreundliche Arbeitszeiten sowie eine verstärkte Möglichkeit zum Homeoffice. Und selbstverständlich müssen die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern endlich der Vergangenheit angehören.

Die Erfahrung älterer Fachkräfte länger nutzen

Nicht nur bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen gibt es mit Blick auf den Fachkräftemangel noch Verbesserungsbedarf. Wir wollen darüber hinaus auch langjährigen Fachkräften die Möglichkeit geben, länger in ihrem Beruf zu arbeiten und ihre Erfahrung zur Verfügung zu stellen. Hierzu sind ebenfalls entsprechend flexible Arbeitszeiten und mehr Homeoffice zu ermöglichen sowie Teilzeitangebote in den Fällen, in denen diese gewünscht oder eine Vollzeit nicht mehr leistbar ist. Vorstellbar sind für uns auch ausgeweitete Regelungen der Urlaubstage, um die Möglichkeiten der Regeneration zu erhöhen. Die Angebote zur Gesundheitsprävention sollten außerdem bereits früh im Erwerbsleben greifen und ausgebaut werden, um eine lange gesunde Erwerbstätigkeit zu sichern. Und um auch langjährige Beschäftigte in der Transformation der Arbeitswelt nicht allein zu lassen, können zielgruppenspezifische Weiterbildungsangebote helfen. Mit einem ganzen Mix aus Maßnahmen kann es so gelingen, erfahrene Fachkräfte nicht frühzeitig aus dem Arbeitsmarkt zu verlieren. Forderungen nach einem höheren Renteneintrittsalter erteilen wir an dieser Stelle jedoch eine klare Absage.

Alle Potentiale nutzen – für einen inklusiven Arbeitsmarkt

Wenn wir im Zusammenhang des Fachkräftemangels über die Erwerbsbeteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppe sprechen, dann geht es nicht an, dass eine Vielzahl von Mitgliedern mancher Gruppen faktisch keinen echten Zugang zum Arbeitsmarkt erhält. Teilhabe am Arbeitsmarkt bedeutet immer auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und jede:r hat ein Recht darauf.

Deshalb ist es für uns inakzeptabel, dass die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderung immer noch deutlich unter der Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung liegt. Im Jahr 2019 lag diese lediglich bei knapp 57 Prozent, während die Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung bei 82 Prozent lag. Wir begrüßen vor diesem Hintergrund das auf Bundesebene verabschiedete Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts, das die Arbeitgeber:innen durch höhere Ausgleichsabgaben stärker in die Pflicht nimmt. Auch das in der letzten Legislatur beschlossene Teilhabestärkungsgesetz wies in die richtige Richtung. Aber es braucht darüber hinaus weitere Maßnahmen zur konsequenten Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Sicherheit im Wandel geben durch lebenslanges Lernen

In einer sich stetig und mit zunehmender Geschwindigkeit wandelnden Arbeitswelt haben Maßnahmen zur Umschulung, Weiterbildung und Qualifizierung für alle Beschäftigten einen hohen Stellenwert. Die Vorstellung, in jungen Jahren einen Beruf zu erlernen und diesen dann 45 Jahre lang so wie einmal gelernt auszuüben, ist nicht mehr zeitgemäß. Einzelne Berufe und ganze Branchen verändern sich rasant, manche Berufsbilder fallen ganz weg und auf der anderen Seite entstehen ganz neue Berufe, was auch eine Anpassung der Ausbildungsgänge erfordert. Um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten, braucht es eine entsprechende Weiterbildungsinfrastruktur, die allen Beschäftigten über die gesamte Dauer ihres Erwerbslebens berufliche Perspektiven eröffnet, im Wandel Sicherheit gibt und niemanden im Stich lässt. Besonders müssen hier auch die hunderttausenden Menschen, die sich in der Landzeitarbeitslosigkeit befinden, mit in den Blick genommen werden. Zurzeit haben wir es zu oft noch mit einem Flickenteppich aus einzelnen Weiterbildungsmaßnahmen zu tun, die in unterschiedlichen Trägerschaften angeboten werden. Hier sind wir als Politik gefragt, eine öffentliche Weiterbildungsinfrastruktur aufzubauen, die den beschriebenen Anforderungen gerecht wird. Wir halten dafür vor allem die Berufskollegs für geeignet, die schon jetzt eine Vielzahl an Bildungswegen ermöglichen und im Umgang mit Heterogenität erfahren sind. Sie wollen wir zu Transformationszentren weiterentwickeln. Um nicht nur Fachkräfte einmal neu zu gewinnen, sondern sie immer wieder als Fachkräfte zu erhalten und auch um gering qualifizierten Beschäftigten neue Perspektiven zu eröffnen, müssen wir deshalb unsere Anstrengungen intensivieren. Unser Ziel bleibt ein umfassendes Recht auf Weiterbildung. Dazu ist konkret die geplante Einführung einer Bildungs(teil)zeit auf Bundesebene ein wichtiger Schritt zur Förderung selbstorganisierter Weiterbildung. Wir unterstützen in diesem Zusammenhang die Forderungen des DGB, die Förderhöchstdauer zu erhöhen sowie den Fokus auf die Förderung geregelter Bildungsgänge- und -abschlüsse zu legen. Auch der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Freistellung im Teilzeit- und Befristungsgesetz schließen wir uns an. Neben dieser Maßnahme unterstützen wir ebenso die geplante Einführung eines Qualifizierungsgeldes. Dieses muss so gestaltet sein, dass es in der Breite der betrieblichen Praxis Anwendung findet. Auch die Pläne zum Weiterbildungsgeld sowie der vorgesehene Ausbau des Aufstiegs-BAföGs sind wichtige Schritte hin zu einem umfassenden Recht auf Weiterbildung. Keine notwendige Qualifizierung darf an einer unzureichenden finanziellen Absicherung scheitern.

Keinen jungen Menschen zurücklassen – für eine echte Ausbildungsgarantie!

Nachbesserungsbedarf sehen wir mit Blick auf die Pläne der Ampel-Koalition bei der Frage der Ausbildungsgarantie, die für uns von hoher Bedeutung bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels ist. Auch wir verstehen unter einer Ausbildungsgarantie ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Im Kern geht es aber um einen Rechtsanspruch für jeden jungen Menschen auf eine vollqualifizierende Berufsausbildung und dieser Rechtsanspruch muss auf Bundesebene kommen. Absoluten Vorrang hat dabei die Vermittlung in eine betriebliche Berufsausbildung. Zu diesem Zweck muss das Angebot an Ausbildungsplätzen in den Betrieben erhöht werden. Erst wenn alle dahingehenden Vermittlungsbemühungen gescheitert sind, greift der Anspruch für jede:n Ausbildungssuchende:n auf eine außerbetriebliche Ausbildung. Diese soll bei einem überbetrieblichen Bildungsträger in Zusammenarbeit mit einem Kooperationsbetrieb stattfinden. Auch hierbei ist das Ziel, dass diese außerbetriebliche Ausbildung spätestens zum zweiten Lehrjahr in eine betriebliche Ausbildung überführt wird. Gelingt dies nicht, besteht der Anspruch auf eine vollqualifizierende dreijährige Berufsausbildung beim überbetrieblichen Träger. Wichtig ist dabei, dass es keine Auszubildenden zweiter Klasse gibt. Die Ausbildungsbedingungen und die entsprechende Vergütung müssen also vergleichbar sein.

Darüber hinaus muss eine Ausbildungsgarantie solide finanziert sein. Eine gerechte Finanzierung der Garantie wird aus unserer Sicht in Form eines umlagefinanzierten Fonds erreicht. Die Beiträge für nicht-ausbildende Betriebe müssen über den betrieblichen Ausbildungskosten – je nach Betriebsgröße – liegen, um den Anreiz für die betriebliche Ausbildung zu fördern. Schon heute profitieren alle Betriebe von gut ausgebildeten Fachkräften, allerdings beteiligen sich nur ca. 20 Prozent der Unternehmen an den Kosten, indem sie Ausbildungsplätze anbieten. Ein umlagefinanzierter Fonds schafft hier mehr Gerechtigkeit. Mit ihm sind zwei Ziele verbunden. Zum einen wird damit die betriebliche Ausbildung gestärkt und Ausbildungsbetriebe finanziell besser gestellt. Zum anderen sollen aus dem Fonds die Kosten für zusätzliche inner- und außerbetriebliche Ausbildungsplätze im Rahmen der Garantie finanziert werden, um so das Ausbildungsplatzangebot zu erhöhen. Betriebe, die ausbilden oder Auszubildende aus einer außerbetrieblichen Ausbildung übernehmen, profitieren also von der Umlagefinanzierung, wie sie in ähnlicher Form beispielsweise im Baugewerbe (SOKA BAU) schon lange Praxis ist.

Weitere Maßnahmen im Rahmen der Ausbildungsgarantie müssen den Übergang zwischen Schule und Beruf in den Blick nehmen. Allein in NRW waren im September 2022 laut Bundesagentur für Arbeit immer noch 17.006 Bewerber:innen auf Ausbildungssuche. Hinzu kommen circa 40.000 junge Menschen, die in Übergangssystemen geparkt sind und von denen laut DGB NRW viele anschließend keine Berufsausbildung mehr machen. Der “Übergang” wird also für viele zu einem unfreiwilligen Dauerzustand teilweise sogar zur Endstation im Berufsbildungssystem. Ziel muss daher ein systematisches Übergangsmanagement sein, dass keinen jungen Menschen mehr zurücklässt. Vorbildcharakter für andere Bundesländer und die Überlegungen auf Bundesebene hat aus unserer Sicht das in NRW erfolgreiche Programm “Kein Abschluss ohne Anschluss”, das wir hier vor allem in Hinblick auf Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen, weiterentwickeln wollen. Außerdem muss die Berufsorientierung in den Schulen stärker auf die Attraktivität der beruflichen Ausbildung hinweisen und auf die Perspektiven, die sich damit eröffnen. Dafür braucht es in den Schulen aber auch Zeit und entsprechende Kapazitäten für die Lehrkräfte. Die Qualität der Berufsorientierung darf nicht vom bemerkenswerten Einsatz einzelner Lehrer:innen abhängen. Auch sollen die Berufskollegs stärker als Praktikumsorte während der Orientierung in den Fokus rücken. Ausdrücklich begrüßen wir die geplante Stärkung und den Ausbau von Jugendberufsagenturen. Diese sollten aus unserer Sicht flächendeckend in der Bundesrepublik eingeführt bzw. bestehende entsprechend ausgebaut werden und junge Menschen bereits vor dem Schulabgang und dann bis zum Abschluss einer Ausbildung begleiten. Zu ihren Aufgaben gehören eine durchgängige und professionelle Beratung, Hilfe bei der Berufsorientierung und falls nötig auch die Vermittlung von Unterstützungsangeboten und das alles aus einer Hand. Um alle jungen Menschen zu erreichen, ist dabei auch eine aufsuchende Beratung notwendig. Die Jugendberufsagenturen sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben entsprechend personell und finanziell sowie mit den notwendigen Daten auszustatten. Da Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt häufig auch räumlich auseinanderfallen, begrüßen wir ebenso die geplante Mobilitätsprämie, die Auszubildende unterstützt, die fernab des Wohnorts eine Ausbildung aufnehmen. Und damit sich die Auszubildenden dort auch eine Wohnung leisten können, wollen wir Azubiwohnheime weiter stärken.

Um die Attraktivität der beruflichen Bildung weiter zu steigern, halten wir außerdem eine konsequente Abschaffung versteckter Ausbildungskosten und eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung sowie der Berufsausbildungsbeihilfe für notwendig. Besonders die Finanzierung der schulischen Ausbildungen gehört hier verbessert. Auch die Maßnahmen der Assistierten Ausbildung sollten gestärkt werden, um allen jungen Menschen den Weg in eine betriebliche Ausbildung zu eröffnen. In dem Zusammenhang sollte ebenso die Möglichkeit zu einer Ausbildung in Teilzeit bekannter gemacht und die Zugangsvoraussetzungen dazu gesenkt werden. Nötig sind schließlich zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung der Verbundausbildung, um die Ausbildungsqualität gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen zu sichern, die nicht die gesamte Bandbreite an Ausbildungsinhalten abdecken können.

Unser Ziel bleibt eine wirkliche Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. Ein Meister muss endlich so viel wert sein wie ein Master. Dazu gehört auch, dass die Meisterausbildung wie der Master an der Hochschule kostenfrei wird. Dafür reichen nicht nur warme Worte über eine bessere gesellschaftliche Anerkennung. Berufliche Qualifikationen müssen endlich gleichwertig anerkannt werden und mit ihnen müssen die gleichen Möglichkeiten einhergehen wie mit vergleichbaren akademischen Qualifikationen. Das Ziel ist eine echte wechselseitige Anrechenbarkeit der verschiedenen Qualifikationen, um so zu einer besseren Durchlässigkeit inklusive flexiblerer Ein- und Ausstiege zwischen den Systemen der beruflichen und akademischen Bildung zu kommen. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel darf es keine Abschlüsse erster und zweiter Klasse geben.

Fazit

Der vorliegende Antrag zeigt nicht nur den Handlungsdruck, der mit Blick auf den Fachkräftemangel besteht, sondern auch den großen Handlungsspielraum und die Breite an Forderungen, mit der wir als Sozialdemokratie dieses Thema angehen. Uns geht es dabei um die Sicherung von nachhaltigem Wachstum und Wohlstand auch in den kommenden Jahrzehnten, vor allem geht es uns aber auch um gute Arbeit und Ausbildung für die Beschäftigten.

Beschluss-PDF: