UE-04 Mit dem Ausstieg einen Einstieg verbinden! Doppelte Geschwindigkeit für gute Arbeit und Energiesicherheit! Mit einem beschleunigten Strukturwandel das Rheinische Revier zur Modellregion der Transformation machen!

Die SPD und insbesondere die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger im Europäischen Parlament, im Deutschen Bundestag, im Landtag NRW sowie die SPD-Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert:

 

 

  1. Den Fokus beim Strukturwandel auf die Schaffung mitbestimmter und tarifgebundener Arbeitsplätze in den Anrainerkommunen zu legen.
  2. Die Landesregierung NRW weiter aufzufordern, einen Zeit-Maßnahmen-Plan vorzulegen, der eine zeitliche Übersicht der wegfallenden Arbeitsstellen und dafür neu zu schaffenden Arbeitsplätze anhand konkreter Maßnahmen spezifiziert. Bei der Bewertung der Maßnahmen ist neben der Tarifbindung und Mitbestimmung auch die Nettolohnentwicklung pro Kopf im Revier zu betrachten.
  3. Sich dafür einzusetzen, gezielte Programme zur Qualifizierung und Umschulungsmaßnahmen für die Beschäftigten der Braunkohlewirtschaft in Kooperation mit Gewerkschaften und den bergbautreibenden, zuliefernden und energieintensiven Unternehmen sowie deren Zulieferern anzubieten und aktiv auszubauen.
  4. Sich für die Formulierung einer eigenständigen investiven Förderrichtlinie des Bundes (Transformationsrichtlinie) einzusetzen: Viele der bisher mit einem Förderbescheid versehenen Projekte im Rheinischen Revier haben nichts mit einer gelingenden Transformation, dem Aufbau von neuen nachhaltigen Wertschöpfungsketten und der Schaffung von neuen tariflich abgesicherten Industriearbeitsplätzen zu tun. Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die bestehenden Förderrichtlinien nicht zur Unterstützung von Transformationsprozessen geeignet sind. Dadurch kommt es zu einer großen Fehlsteuerung der Fördermittel.
  5. Sich dafür einzusetzen, für den Strukturwandel notwendige Infrastrukturmaßnahmen, wie die Schienenvorhaben nach dem Investitionsgesetz Kohleregionen, schneller umzusetzen!
  6. Sich dafür einzusetzen, einen Plan für den zuverlässigen Erhalt und Transformation der energieintensiven Industrie im Revier und darüber hinaus zu entwickeln und zu diesem Zwecke regulatorisch positive Rahmenbedingungen für den Neubau von Energieinfrastruktur (z. B. Gaskraftwerke, Wasserstoffnetze) und für die perspektivische Umnutzung fossiler Energieinfrastruktur und deren Flächen (Braunkohletagebaue, Erdgasleitungen, Kohle- und Gaskraftwerke) zu schaffen.
  7. Sich dafür einzusetzen, den Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Region durch zusätzliche Investitionen und Anstrengungen zur Planungsvereinfachung voranzubringen und bürgerschaftliche, genossenschaftliche und kommunale Beteiligungen am Ausbau Erneuerbarer Energien zu vereinfachen, zu forcieren und Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien bietet auch die Chance, die Energieversorgung zu rekommunalisieren und Kommunen und Bürgerinnen und Bürger aktiv an der Energiewende zu beteiligen.
  8. Sich dafür einzusetzen, einen Investitionsfonds zur langfristigen Gestaltung der Tagebauränder aufzulegen und eine klare Lösung für die in den Kommunen anfallenden Ewigkeitslasten im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau, Kraftwerksstandorten und Tagebaurestseen zu finden und dabei auch die bergbautreibenden Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, ihre Verantwortung gegenüber der Ewigkeitslasten und der langfristigen Gestaltung der Flächen zu übernehmen.
  9. Sich dafür einzusetzen, ein umfassendes Revierwassersystem / -Konzept zu entwickeln. Ein zukünftiges Revier-Wassersystem muss über mehrere Jahrzehnte erst wieder neu hergestellt werden. Dazu gehört auch die sichere und zuverlässige Befüllung bestehender sowie neuer Tagebaurestseen – etwa durch die Rheinwassertransportleitung – und die Folgenabschätzung von Eingriffen in den Wasserhaushalt auf benachbarte Regionen. Der kommende Grundwasserwiederanstieg muss zudem von Hochwasserschutzmaßnahmen begleitet werden. Eine sichere Trinkwasserversorgung ist genehmigungsrechtlich zu unterstützen und auch durch technische und finanzielle Einbindung der Wasserversorgungsunternehmen zu garantieren.
  10. Die Landesregierung NRW aufzufordern, die im Verantwortungsbereich der Landesregierung NRW liegenden Förderprogramme und Förderprojekte deutlich stärker zu forcieren und transparenter sowie einfacher zu gestalten. Der bislang auch im Vergleich zu anderen Revieren mangelhafte Abfluss an Fördermitteln zeigt sehr deutlich, dass der Strukturwandel im Rheinischen Revier in den vergangenen Jahren eine zu geringe Priorität erfahren hat.
  11. Sich für eine eindeutige Verantwortungsstruktur – z.B. eines Strukturwandelbeauftragten – innerhalb der Landesregierung NRW einzusetzen, welche nicht nur als Ansprechstelle für die Kommunen fungiert, sondern auch Entscheidungskompetenzen besitzt, um die Strukturwandelprojekte gemeinsam mit den Kommunen, Gewerkschaften, Beschäftigten und Unternehmen in die Umsetzung zu bringen.
  12. Sich dafür einzusetzen, dass das Rheinische Revier erneuerbare Energien und zukunftsweisende Technologien entwickelt und zukunftsweisend für eine grüne Industrie steht. In diesem Rahmen ist Technologieoffenheit wichtig. Die SPD bekennt sich klar zum Industriestandort Nordrhein Westfalen. NRW ist Industriestandort Nr.1 in Europa und muss das im internationalen Wettbewerb bleiben.
  13. Sich dafür einzusetzen, dass die Transformation in NRW vor dem Hintergrund des Endes der Braunkohleverstromung insgesamt im Dreiklang sozial gerecht, ökologisch aufwertend, demokratisch organisiert und ökonomisch sinnvoll umgesetzt wird.
  14. Sich dafür einzusetzen, dass vor dem Hintergrund der Beschäftigungsfähigkeit in NRW und der Schaffung neuer, guter und mitbestimmter Arbeitsplätze im Rheinischen Revier eine Gesamtstrategie in Kooperation mit den Gewerkschaften, der Agentur für Arbeit und den Jobcentern entwickelt wird.
  15. Sich dafür einzusetzen, dass es eine innovative, zielgerichtete Strategie für die Ansiedlung von Unternehmen von Zukunftstechnologien mit breiter Wertschöpfung in der Region erarbeitet wird.
  16.  Sich dafür einzusetzen, dass alle Beschäftigten, die bei dem ursprünglich vorgesehenen Kohleausstieg bis 2038 APG-berechtigt sind, auch bei einem vorgezogenen Ausstieg diesen Anspruch behalten.
  17. Sich dafür einzusetzen, dass kommunaler Grunderwerb und Flächenaufbereitung als eigener Fördergegenstand eingeführt werden und, dass genügend Flächen zur Ansiedlung neuer Industrien im Revier zur Verfügung stehen, damit Transformation gelingen kann. Sollten vor allem bereits bestehende Industrieflächen transformiert werden, droht mit dem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung ein Strukturbruch, da die Flächen zunächst für neue Industrien nutzbar gemacht werden müssen.
  18. Zu bewirken, dass eine auf die Erfordernisse des Rheinischen Reviers zugeschnittene Sonderförder- und eine Sonderplanungszone geschaffen werden, um nach der drastischen Verkürzung der Restlaufzeit der Braunkohleverstromung den Strukturwandel schneller und erfolgreich zum Gelingen zu bringen. Beides muss ohne Aufweichungen von oder Eingriffe in Mitbestimmungsrechte oder das Arbeits- und Tarifrecht erfolgen.
  19. Die Ausweisung von Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete in den Kommunen dringend zu beschleunigen. Für die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch die Ansiedlung neuer Industrieunternehmen und klimaneutraler Energieerzeugung muss die Flächenbereitstellung deutlich beschleunigt werden. Der Zusatzbedarf der Kommunen an Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete muss anerkannt werden, Flächenpoollösungen ermöglicht und thematisch auf eine konsequent zukunfts- und angebotsorientierte Flächenentwicklung umgestellt werden. Die Etablierung von Sonderplanungszonen und Sonderflächen zur Prozessbeschleunigung ist deshalb kurzfristig dringend geboten
  20. Durch umgehende Konsultationen die Europäische Kommission dazu zu bringen, unter engen Vorgaben bessere beihilferechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit in einer Sonderförderzone eine  direkte Förderung von ansiedlungswilligen Unternehmen in Transformationsgebieten zu ermöglichen und die Landesregierung NRW aufzufordern, eine revierweite aktive Ansiedlung von Unternehmen zu fördern, die dem Anspruch folgt, das Rheinische Revier von einer fossilen zu einer nachhaltigen Energie- und Industrieregion zu transformieren.
  21. Einen Einsatz der Mittel für reguläre Aufgaben des Landes, Bundes und der Kommunen zu unterbinden und zu verhindern, sondern sie nur nach ihrer Zweckmäßigkeit i.S. eines gelingenden Strukturwandels einzusetzen.
  22. Bürgerbeteiligungsformate im Revier so auszurichten, dass jede*r Revier-Bürger*in unabhängig vom sozialen, schulischen oder beruflichen Hintergrund daran partizipieren kann.
Begründung:

 

Am 4. Oktober 2022 verkündeten die zuständigen Ministerinnen und Minister aus Bund und Land, Robert Habeck und Mona Neubaur, gemeinsam mit RWE eine getroffene Einigung zum Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier. Diese sieht insbesondere vor, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 um acht Jahre vorzuziehen. Die NRW SPD begrüßt diesen Schritt im Grundsatz ausdrücklich. Auch Fraktion und Landespartei der SPD hatten sich für den vorgezogenen Kohleausstieg 2030 ausgesprochen. Allerdings haben wir diese Entscheidung an zwei Bedingungen geknüpft. Zum einen muss die Energiesicherheit in Nordrhein Westfalen gesichert sein und zum anderen muss der Strukturwandel dann ebenfalls beschleunigt werden, um insbesondere die Arbeitsplätze im Revier zu sichern. Doch: Eine Entscheidung wurde verkündet und die ruft nur neue Fragen hervor, statt Antworten zu geben.

 

Ein frühzeitiger Kohleausstieg setzt zunächst die gesicherte Energieversorgung im Jahr 2030 voraus. Die Bedingungen hierfür sind aktuell alles andere als ideal. Die Energiekrise in Folge der russischen Aggression und die damit verbundene Gasknappheit, aber auch der stockende Ausbau der Erneuerbaren Energien werfen Fragen auf. Die Landesregierung hatte 1000 Windräder zusätzlich für die laufende Legislaturperiode angekündigt. Das sind im Durchschnitt 200 Windenergieanlagen im Jahr. Im Jahr 2022 sind lediglich 98 Windenergieanlagen neu ans Netz gegangen. Wenn man die abgeschalteten Altanlagen gegenrechnet, erfolgte nur ein Zubau von 68 neuen Anlagen. Nur zehn Prozent des Strombedarfs in NRW wird aktuell über die Windkraft gedeckt. Es muss endlich der Turbo gezündet werden, damit bis 2030 die Kohle aus dem Energiemix ersetzt werden kann und damit vor allem die Energiepreise wieder dauerhaft bezahlbar werden.

 

Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat auch das Potenzial, die Energieversorgung zu rekommunalisieren, somit den Kommunen eine echte Partizipation an der Energiewende zu sichern und Haushalte dauerhaft zu entlassen. Daher soll der Ausbau immer auch mit Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgergesellschaften, Energiegenossenschaften, oder durch die Städte und Gemeinden direkt obligatorisch werden. Hierfür sollen praktikable Instrumente entwickelt werden.

 

Das Revier ist von der Braunkohlewirtschaft geprägt – nicht nur angesichts der 14.400 Beschäftigten, die unmittelbar im Energiesektor arbeiten, sondern auch angesichts der ganzen Wertschöpfung, die regional darauf aufbaut und mittelbar viele weitere Arbeitsplätze bereitstellt. Allein energieintensive Unternehmen im Revier beschäftigten etwa 93.000 Menschen in den drei IHK-Bezirken Aachen, Köln, mittlerer Niederrhein. Allein im Bereich der Kreislaufwirtschaft sind etwa 75.000 Beschäftigte tätig, was das Rheinische Revier zum herausgehobenen Zukunftsstandort in Deutschland macht. Es braucht endlich Klarheit für die Beschäftigten und eine Planungsperspektive für die vielen Menschen in der Region. Die Menschen im Rheinischen Revier haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Großes geleistet. Ihre Arbeit in der Energieerzeugung, aber auch in vielen energieintensiven Unternehmen hat die Wirtschaft in ganz Nordrhein-Westfalen stark gemacht und war durch viele sichere und tarifgebundene Industriearbeitsplätze abgesichert. In den letzten Jahren ist den Beschäftigten bei RWE immer wieder eine Menge zugemutet worden. Zuletzt durch den Angriffskrieg in der Ukraine mussten viele Beschäftigte, die sich bereits in den Ruhestand verabschiedet hatten, wieder zurückkehren, um die Energieversorgung zu gewährleisten. Gut ausgebildete Fachkräfte arbeiten im Rheinischen Revier in einer Vielzahl von Industriebranchen. Das ist ein großer Schatz und Vorteil für die Region. Nicht alle von ihnen werden sozialverträglich aus dem Job scheiden können. Daher benötigt es passgenaue Qualifizierungsmaßnahmen mit einer Arbeitsmarkt-Drehscheibe für die Jobs der Zukunft. Mit diesen Maßnahmen sowie Förderinstrumenten zum Aufbau von neuen nachhaltigen Wertschöpfungsketten und der Schaffung von tariflich abgesicherten Industriearbeitsplätzen müssen wir auch der jüngeren Generation eine Perspektive und Sicherheit im Wandel bieten.

 

Ein vorzeitiger Ausstieg von acht Jahren macht es dringend erforderlich, dass der Strukturwandel staatlicherseits nun doppelt so schnell zum Erfolg begleitet werden muss. In den letzten Jahren ist viel zu wenig passiert.

 

Kern der Strukturpolitik ist es, den Wandel von Energiesektor und Wirtschaft nicht einfach den Marktkräften zu überlassen, sondern die betroffenen Menschen und Kommunen aktiv im Wandel zu unterstützen. Das Strukturstärkungsgesetz der Kohleregionen sieht Mittel in Höhe von 40 Milliarden Euro vor, von denen 37 Prozent ins Rheinische Revier fließen sollen. Die Arbeitsplatzwirksamkeit der Investitionen ist entscheidend, bislang jedoch zu wenig beachtet worden. Es muss fortan eine klare Priorisierung für die Schaffung neuer und sicherer Arbeitsplätze geben, noch bevor alle Jobs in der Braunkohlewirtschaft weggefallen sein werden. Dafür müssen auch neue Geschäftsfelder angesiedelt werden. Auch zukünftig wird das Rheinische Revier eine Rolle in der Energieversorgung spielen – mit Erneuerbaren Energien. Klimaschutz und sichere Arbeitsplätze dürfen nicht weiter gegeneinander ausgespielt werden.

 

Mehr als in anderen Braunkohlerevieren bestehen insbesondere im Rheinischen Revier Abhängigkeiten der energieintensiven Produktionsunternehmen in Chemie, Aluminium, Papier u.a. von wettbewerbsfähiger und zuverlässiger Energieversorgung. Strukturbrüche durch nicht mehr finanzierbare Energiepreise und mangelnde regionale Versorgungssicherheit nach dem Kohleausstieg sind abzuwenden. Wer einen klimaneutralen Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen 2045 erreichen möchte, muss die wirtschaftlichen Strukturen im Heute stabilisieren und für die Zukunft sichern, bevor Investitionen in die Transformation überhaupt getätigt werden können.

Dafür braucht es auf Bundesebene eine Transformationsrichtlinie. Viele der bisher mit einem Förderbescheid versehenen Projekte im Rheinischen Revier haben wenig mit einer gelingenden Transformation, dem Aufbau von neuen nachhaltigen Wertschöpfungsketten und der Schaffung von neuen tariflich abgesicherten Industriearbeitsplätzen zu tun. Die Projekte sind weit überwiegend wissenschaftslastig, selbst dann wird nur eine sehr geringe Zahl an neuen Arbeitsplätzen geschaffen. Das Rheinische Revier braucht Brain, aber daneben eine Vielzahl gewerblicher und industrieller Arbeitsplätze, um Innovation in praktische Anwendung und Wertschöpfungsketten umzuwandeln und den Strukturwandel auch für die Menschen in der Region erlebbar zum Gelingen zu bringen.

Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die bestehenden Förderrichtlinien nicht zur Unterstützung von Transformationsprozessen geeignet sind. Mit der STARK-Richtlinie ist zwar ein neues Instrument des Bundes zur Förderung konsumtiver Aufwendungen im Rheinischen Revier geschaffen worden. Es fehlt aber das 2. Standbein einer investiven Förderrichtlinie für den Strukturwandel. Die Förderinstrumente müssen deshalb dringend weiterentwickelt und eine eigenständige investive Förderrichtlinie des Bundes (Transformationsrichtlinie) zur Unternehmensförderung erlassen werden, damit die von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ formulierten Ziele für den Strukturwandel, nämlich der Aufbau neuer nachhaltiger Wertschöpfungsketten und die Schaffung neuer nachhaltiger, industrieller und tariflich abgesicherter Arbeitsplätze, zielgenau erreicht werden können. Eine solche investive Transformationsrichtlinie für die Kohlereviere kann als Blaupause für die Transformation anderer Industriebranchen wie der Automobilindustrie, der chemischen Industrie oder der Stahl- und Aluminiumindustrie dienen.

 

Damit wir aus der Jahrhundertaufgabe, den Wandel in Arbeit und Wirtschaft zu gestalten, endlich eine Jahrhundertchance für das Rheinische Revier machen, benötigen wir eine innovative Ansiedlungspolitik. Daher sind wir auch in der Verantwortung, Anreize für große Investitionen von Zukunftstechnologien in die Region zu ebnen. Dazu ist eine kluge Ansiedlungsstrategie von Land und Bund erforderlich. Auch ist eine Planungsbeschleunigung im Rheinischen Revier für wichtige Infrastrukturmaßnahmen bisher nicht zu erkennen. Dies gilt sowohl für die Schienenvorhaben nach InvKG als auch für die Ausweisung neuer Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete mit nachhaltigen Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätzen. Laut Auskunft des BMDV wird das früheste Schienenprojekt nach InvKG im Rheinischen Revier (S11-Ergänzungspaket) nach derzeitiger Einschätzung erst 2035 in Betrieb gehen, die anderen Schienenprojekte im Rheinischen Revier noch deutlich später nach dem Kohleausstieg. Für die Menschen im Rheinischen Revier ist das ein unhaltbarer Zustand. Es darf keine Diskrepanz zwischen Ausstieg und Aufbau geben. Beides muss Hand in Hand gehen und gilt nicht anders auch für die Ausweisung von Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete. Mit dem bisherigen Tempo dauert die Entwicklung eines Gewerbegebietes von der ersten Planung bis zur Ansiedlung bis zu zehn Jahre. Für die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch die Ansiedlung neuer Industrieunternehmen und klimaneutraler Energieerzeugung kommt eine Flächenbereitstellung mit dieser zeitlichen Perspektive viel zu spät. Die Etablierung von Sonderplanungszonen und Sonderflächen zur Prozessbeschleunigung ist deshalb kurzfristig dringend geboten.

 

Auch braucht es neben dem maßgeblich zu beschleunigenden Ausbau der Erneuerbaren Energien auch deutlich größere staatliche Anstrengungen für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Bislang bestehen rechtlich wie wirtschaftlich unzureichende Rahmenbedingungen, um den Wasserstoffhochlauf zu befördern. Innovationsaufrufe und kleinteilige Projektförderung werden der Größe der Transformationsaufgabe nicht gerecht.

 

Die Folgen der Tagebaue im Rheinischen Revier durch jahrzehntelanges Befüllen mit Wasser zur Bildung einer Seenlandschaft, die Anforderungen an das weitere Wassermanagement, an die Trinkwasserversorgung, an die ökologischen Belange sowie die Rekultivierung der Tagebauflächen oder die Regulierung von Bergschäden werden den Förderzeitraum bis 2038 als Ewigkeitslasten überdauern. Hierzu fordern die Anrainerkommunen seit langem gesetzliche Regelungen ein. Zusätzlich ist eine „Ewigkeitsverpflichtung“ des Bundes und des Landes anzustreben, die die zuvor ausgeführten mittel- und langfristigen Nachlaufeffekte des Strukturwandels finanziell verbindlich absichern. Zusätzlich müssen auch die bergbautreibenden Unternehmen in die Verantwortung genommen werden und eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Ewigkeitslasten sowie der langfristigen Gestaltung der Flächen spielen.

 

Eine herausgehobene Rolle für die zukünftige Entwicklung des Reviers spielt hierbei das Wasser im Rheinischen Revier. Durch die jahrzehntelange Übernutzung des Grundwasserhaushalts hat sich die Wasserlandschaft, sowohl bezogen auf das Grundwasser, als auch in Bezug auf die Oberflächengewässer, radikal verändert. Dies wird sich mit dem Ende des Braunkohleabbaus noch deutlich verschärfen. Viele Flüsse und Gewässer werden deutlich geringere Mengen an Wasser oder gar kein Wasser mehr führen. Das schafft einen erheblichen Verlust für die Natur, der verhindert werden muss. Ein zukünftiges Revier-Wassersystem muss über mehrere Jahrzehnte erst wieder neu hergestellt werden. Dies bedeutet auch, dass die Wasserversorgung im Rheinischen Revier langfristig sichergestellt werden muss und die Folgen von Eingriffen in den Wasserhaushalt auf benachbarte Regionen abzuschätzen und auszugleichen sind.

 

Die Etablierung einer Sonderplanungszone ist für die Anrainerkommunen essenziell. Die Planungszeiträume zur Entwicklung von Gewerbe- und Industriegebieten müssen deutlich verkürzt, der Zusatzbedarf an Flächen in den Anrainerkommunen anerkannt, Flächenpoollösungen ermöglicht und angebotsorientierte Flächenentwicklungen machbar werden. Eine Sonderwirtschaftszone wird es ermöglichen, speziell auf das Transformationsgebiet zugeschnittene Lösungsansätze und konkrete Maßnahmenpakete so schnell umzusetzen, dass die Transformationsgeschwindigkeit mit der Halbierung des Zeitraums bis zum Ende der Braunkohleverstromung Schritt halten kann.

Dabei wie auch bei der direkten Förderung von ansiedlungswilligen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern ist die gebetsmühlenartige Ablehnung solcher Forderungen durch die Landesregierung unter Hinweis auf die Nichtzulässigkeit im Rahmen des EU-Rechts nicht hilfreich. Auch hier kann das Rheinische Revier Modellcharakter für andere Transformationsgebiete haben.

So hat die Europäische Kommission erst im Februar 2023 bei der Vorstellung ihres Industrieplans zum Green Deal eine vorübergehende Ermöglichung zur direkten Beihilfengewährung der Mitgliedstaaten zur Förderung sauberer „grüner“ Investitionen in einer Reihe von Technologiebereichen in Aussicht gestellt.

 

Die Zukunft des Rheinischen Reviers und der hier lebenden Menschen ist zu wichtig, als dass die Chancen weiter verschlafen werden dürfen. Die Zeit ist reif, auf allen Ebenen schneller zu werden, den Turbo zu zünden und Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass wir auch nach 2030 weiterhin ein Revier vorfinden, in dem die Menschen gut und gern leben, in dem nachhaltige Wertschöpfung mit gut bezahlter und tariflich mitbestimmter Arbeit stattfindet und von dem Strahlkraft auch in andere Bereiche bevorstehender Transformation ausgeht.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme
Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

Die SPD und insbesondere die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger im Europäischen Parlament, im Deutschen Bundestag, im Landtag NRW sowie die SPD-Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert:

  1. Den Fokus beim Strukturwandel auf die Schaffung mitbestimmter und tarifgebundener Arbeitsplätze in den Anrainerkommunen zu legen.
  2. Die Landesregierung NRW weiter aufzufordern, einen Zeit-Maßnahmen-Plan vorzulegen, der eine zeitliche Übersicht der wegfallenden Arbeitsstellen und dafür neu zu schaffenden Arbeitsplätze anhand konkreter Maßnahmen spezifiziert. Bei der Bewertung der Maßnahmen ist neben der Tarifbindung und Mitbestimmung auch die Nettolohnentwicklung pro Kopf im Revier zu betrachten.
  3. Sich dafür einzusetzen, gezielte Programme zur Qualifizierung und Umschulungsmaßnahmen für die Beschäftigten der Braunkohlewirtschaft in Kooperation mit Gewerkschaften und den bergbautreibenden, zuliefernden und energieintensiven Unternehmen sowie deren Zulieferern anzubieten und aktiv auszubauen.
  4. Sich für die Formulierung einer eigenständigen investiven Förderrichtlinie des Bundes (Transformationsrichtlinie) einzusetzen: Viele der bisher mit einem Förderbescheid versehenen Projekte im Rheinischen Revier haben nichts mit einer gelingenden Transformation, dem Aufbau von neuen nachhaltigen Wertschöpfungsketten und der Schaffung von neuen tariflich abgesicherten Industriearbeitsplätzen zu tun. Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die bestehenden Förderrichtlinien nicht zur Unterstützung von Transformationsprozessen geeignet sind. Dadurch kommt es zu einer großen Fehlsteuerung der Fördermittel.
  5. Sich dafür einzusetzen, für den Strukturwandel notwendige Infrastrukturmaßnahmen, wie die Schienenvorhaben nach dem Investitionsgesetz Kohleregionen, schneller umzusetzen!
  6. Sich dafür einzusetzen, einen Plan für den zuverlässigen Erhalt und Transformation der energieintensiven Industrie im Revier und darüber hinaus zu entwickeln und zu diesem Zwecke regulatorisch positive Rahmenbedingungen für den Neubau von Energieinfrastruktur (z. B. Gaskraftwerke, Wasserstoffnetze) und für die perspektivische Umnutzung fossiler Energieinfrastruktur und deren Flächen (Braunkohletagebaue, Erdgasleitungen, Kohle- und Gaskraftwerke) zu schaffen.
  7. Sich dafür einzusetzen, den Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Region durch zusätzliche Investitionen und Anstrengungen zur Planungsvereinfachung voranzubringen und bürgerschaftliche, genossenschaftliche und kommunale Beteiligungen am Ausbau Erneuerbarer Energien zu vereinfachen, zu forcieren und Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien bietet auch die Chance, die Energieversorgung zu rekommunalisieren und Kommunen und Bürgerinnen und Bürger aktiv an der Energiewende zu beteiligen.
  8. Sich dafür einzusetzen, einen Investitionsfonds zur langfristigen Gestaltung der Tagebauränder aufzulegen und eine klare Lösung für die in den Kommunen anfallenden Ewigkeitslasten im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau, Kraftwerksstandorten und Tagebaurestseen zu finden und dabei auch die bergbautreibenden Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, ihre Verantwortung gegenüber der Ewigkeitslasten und der langfristigen Gestaltung der Flächen zu übernehmen.
  9. Sich dafür einzusetzen, ein umfassendes Revierwassersystem / -Konzept zu entwickeln. Ein zukünftiges Revier-Wassersystem muss über mehrere Jahrzehnte erst wieder neu hergestellt werden. Dazu gehört auch die sichere und zuverlässige Befüllung bestehender sowie neuer Tagebaurestseen – etwa durch die Rheinwassertransportleitung – und die Folgenabschätzung von Eingriffen in den Wasserhaushalt auf benachbarte Regionen. Der kommende Grundwasserwiederanstieg muss zudem von Hochwasserschutzmaßnahmen begleitet werden. Eine sichere Trinkwasserversorgung ist genehmigungsrechtlich zu unterstützen und auch durch technische und finanzielle Einbindung der Wasserversorgungsunternehmen zu garantieren.
  10. Die Landesregierung NRW aufzufordern, die im Verantwortungsbereich der Landesregierung NRW liegenden Förderprogramme und Förderprojekte deutlich stärker zu forcieren und transparenter sowie einfacher zu gestalten. Der bislang auch im Vergleich zu anderen Revieren mangelhafte Abfluss an Fördermitteln zeigt sehr deutlich, dass der Strukturwandel im Rheinischen Revier in den vergangenen Jahren eine zu geringe Priorität erfahren hat.
  11. Sich für eine eindeutige Verantwortungsstruktur – z.B. eines Strukturwandelbeauftragten – innerhalb der Landesregierung NRW einzusetzen, welche nicht nur als Ansprechstelle für die Kommunen fungiert, sondern auch Entscheidungskompetenzen besitzt, um die Strukturwandelprojekte gemeinsam mit den Kommunen, Gewerkschaften, Beschäftigten und Unternehmen in die Umsetzung zu bringen.
  12. Sich dafür einzusetzen, dass das Rheinische Revier erneuerbare Energien und zukunftsweisende Technologien entwickelt und zukunftsweisend für eine grüne Industrie steht. In diesem Rahmen ist Technologieoffenheit wichtig. Die SPD bekennt sich klar zum Industriestandort Nordrhein Westfalen. NRW ist Industriestandort Nr.1 in Europa und muss das im internationalen Wettbewerb bleiben.
  13. Sich dafür einzusetzen, dass die Transformation in NRW vor dem Hintergrund des Endes der Braunkohleverstromung insgesamt im Dreiklang sozial gerecht, ökologisch aufwertend, demokratisch organisiert und ökonomisch sinnvoll umgesetzt wird.
  14. Sich dafür einzusetzen, dass vor dem Hintergrund der Beschäftigungsfähigkeit in NRW und der Schaffung neuer, guter und mitbestimmter Arbeitsplätze im Rheinischen Revier eine Gesamtstrategie in Kooperation mit den Gewerkschaften, der Agentur für Arbeit und den Jobcentern entwickelt wird.
  15. Sich dafür einzusetzen, dass es eine innovative, zielgerichtete Strategie für die Ansiedlung von Unternehmen von Zukunftstechnologien mit breiter Wertschöpfung in der Region erarbeitet wird.
  16.  Sich dafür einzusetzen, dass alle Beschäftigten, die bei dem ursprünglich vorgesehenen Kohleausstieg bis 2038 APG-berechtigt sind, auch bei einem vorgezogenen Ausstieg diesen Anspruch behalten.
  17. Sich dafür einzusetzen, dass kommunaler Grunderwerb und Flächenaufbereitung als eigener Fördergegenstand eingeführt werden und, dass genügend Flächen zur Ansiedlung neuer Industrien im Revier zur Verfügung stehen, damit Transformation gelingen kann. Sollten vor allem bereits bestehende Industrieflächen transformiert werden, droht mit dem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung ein Strukturbruch, da die Flächen zunächst für neue Industrien nutzbar gemacht werden müssen.
  18. Zu bewirken, dass eine auf die Erfordernisse des Rheinischen Reviers zugeschnittene Sonderförder- und eine Sonderplanungszone geschaffen werden, um nach der drastischen Verkürzung der Restlaufzeit der Braunkohleverstromung den Strukturwandel schneller und erfolgreich zum Gelingen zu bringen. Beides muss ohne Aufweichungen von oder Eingriffe in Mitbestimmungsrechte oder das Arbeits- und Tarifrecht erfolgen.
  19. Die Ausweisung von Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete in den Kommunen dringend zu beschleunigen. Für die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch die Ansiedlung neuer Industrieunternehmen und klimaneutraler Energieerzeugung muss die Flächenbereitstellung deutlich beschleunigt werden. Der Zusatzbedarf der Kommunen an Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete muss anerkannt werden, Flächenpoollösungen ermöglicht und thematisch auf eine konsequent zukunfts- und angebotsorientierte Flächenentwicklung umgestellt werden. Die Etablierung von Sonderplanungszonen und Sonderflächen zur Prozessbeschleunigung ist deshalb kurzfristig dringend geboten
  20. Durch umgehende Konsultationen die Europäische Kommission dazu zu bringen, unter engen Vorgaben bessere beihilferechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit in einer Sonderförderzone eine  direkte Förderung von ansiedlungswilligen Unternehmen in Transformationsgebieten zu ermöglichen und die Landesregierung NRW aufzufordern, eine revierweite aktive Ansiedlung von Unternehmen zu fördern, die dem Anspruch folgt, das Rheinische Revier von einer fossilen zu einer nachhaltigen Energie- und Industrieregion zu transformieren.
  21. Einen Einsatz der Mittel für reguläre Aufgaben des Landes, Bundes und der Kommunen zu unterbinden und zu verhindern, sondern sie nur nach ihrer Zweckmäßigkeit i.S. eines gelingenden Strukturwandels einzusetzen.
  22. Bürgerbeteiligungsformate im Revier so auszurichten, dass jede*r Revier-Bürger*in unabhängig vom sozialen, schulischen oder beruflichen Hintergrund daran partizipieren kann.
Beschluss-PDF: