Ar-05 Mitbestimmung stärken. Mehr Demokratie in der Arbeitswelt. Betriebsverfassungsgesetz auf die Höhe der Zeit bringen.

Der SPD Landesparteitag NRW fordert ein Betriebsverfassungsgesetz auf der Höhe der Zeit. Dazu gehören insbesondere folgende Punkte:

 

1. Betriebsräte stärker vor Drangsalierung schützen und so das demokratische Recht auf Mitbestimmung entschiedener durchsetzen.

2. Die Mitbestimmung bei neuen Arbeitsorganisationsformen und der digitalen und ökologischen Transformation verankern.

3. Die Mitbestimmung inhaltlich so aufstellen, dass Betriebsräte in ihren Unternehmen wirklich über die Zukunft mitbestimmen können.

4. Die gesellschaftliche Bedeutung von Mitbestimmung stärken.

Begründung:

 

Die Mitbestimmung in den Betrieben und Unternehmen in Deutschland bröckelt. Vor 20 Jahren wurden noch 50% der Beschäftigten in Westdeutschland und 42% der Beschäftigten in Ostdeutschland von einem Betriebsrat vertreten. Heute sind es nur noch 39% im Westen und 34% im Osten. Das ist ein Problem – für uns alle. Denn die Mitbestimmung in den Betrieben und Unternehmen ist nicht einfach ein nettes Gimmick, sondern ein grundlegender Pfeiler für eine wirklich demokratische Gesellschaft. Deshalb ersetzt weder ein coffee corner noch eine Obstbox in der Etagenküche und auch ein Kicker im Pausenraum nicht das Recht auf Mitbestimmung.

 

Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene hat ihrem Regierungsprojekt das Motto gegeben: „Mehr Fortschritt wagen“. Im Koalitionsvertrag haben sich die Koalitionsparteien auch darauf verständigt, die Mitbestimmung weiterzuentwickeln. Das ist auch dringend nötig, da die Mitbestimmungsrechte heute längst nicht mehr der betrieblichen Wirklichkeit entsprechen. Auch fortschrittliche Unternehmen und Gewerkschaften drängen darauf, die Mitbestimmung auf die Höhe der Zeit zu bringen. Die DGB-Gewerkschaften haben im vergangenen Jahr einen umfassenden Reformvorschlag für das Betriebsverfassungsgesetz vorgelegt.

 

Das Betriebsverfassungsgesetz beruht im Wesentlichen immer noch auf seiner Reform von 1972 durch die damaligen Koalitionsparteien SPD und FDP. Diese Reform folgte dem von Willy Brandt geprägten Motto: „Mehr Demokratie wagen.“ In den 50 Jahren seitdem hat sich die Arbeitswelt jedoch tiefgreifend gewandelt: Beschäftigte übernehmen heute mehr unternehmerische Verantwortung, Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel erfordern Veränderungen. Die Reformen zum Betriebsverfassungsgesetz 2001 und auch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz von 2021 waren wichtige und nötige Schritte, um die Mitbestimmung moderner zu machen. Aber um sie wirklich auf die Höhe der Zeit zu bringen, bleibt noch viel zu tun.

 

Viele für uns als Gesellschaft wichtige Entscheidungen treffen wir demokratisch. Das macht sie in der Tendenz ausgewogener und erhöht ihre Legitimation. Aber nicht alle wichtigen Entscheidungen treffen wir gerade demokratisch, zum Beispiel unternehmerische Entscheidungen in der Wirtschaft. Aber auch in der Wirtschaft könnte es demokratischer zugehen. Dafür spielt die Mitbestimmung eine Schlüsselrolle. Sie stärkt die Unternehmen: Mitbestimmte Unternehmen sind krisenfester, produktiver und haben zufriedenere Beschäftigte. Und sie stärkt unsere Gesellschaft: Wo die Mitbestimmung in den Betrieben und Unternehmen stark ist, ist es auch das Vertrauen in demokratische Prozesse überhaupt. Angesichts des Vorrückens faschistischer Strömungen in unserer Gesellschaft braucht es gerade heute nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung, mehr Demokratie. Wer sich dem entgegenstemmt, gießt Wasser auf die Mühlen derjenigen, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen. Wir hingegen wollen mehr Fortschritt, mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung wagen.

 

1. Betriebsräte stärker vor Drangsalierung schützen und so das demokratische Recht auf Mitbestimmung entschiedener durchsetzen. Union Busting wirksam bekämpfen.

 

Das Betriebsverfassungsgesetz ist eine wichtige Errungenschaft der Arbeiter*innenbewegung in Deutschland und trägt wesentlich zur sozialen Sicherheit abhängig Beschäftigter bei. Wo es Betriebsräte gibt, gibt es meist einen höheren Lohn, mehr Urlaubstage und bessere Arbeitsbedingungen. Studien zeigen, dass eine starke Mitbestimmung der Beschäftigten darüber hinaus ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine langfristige Unternehmensentwicklung ist. Denn in mitbestimmten Betrieben steigt durchschnittlich die Produktivität – und damit auch die Gewinne.

 

Dennoch versuchen Arbeitgeber*innen immer häufiger, betriebliche Mitbestimmung in ihren Unternehmen auszuhebeln oder ganz zu verhindern. Jüngste Beispiele in der Plattformökonomie zeigen ein in Deutschland vergleichsweise neues Phänomen: „Union Busting“, das systematische Bekämpfen von Gewerkschaften und das Ver- oder Behindern von betrieblicher Interessenvertretung. Zwar ist ein aggressives Vorgehen gegen Betriebsräte nichts gänzlich Neues in Deutschland, doch wurde in den letzten Jahren ein neues Niveau erreicht. Ganze Branchen haben sich darauf spezialisiert, das Gründen von Betriebsräten zu verhindern und ihre Arbeit zu behindern.

 

Solche Einschüchterungsversuche von Arbeitgeber*innen gegen Betriebsräte sind nicht nur ein Angriff auf die Interessen der Beschäftigten. Die Vermeidung von Mitbestimmung ist unsolidarisch gegenüber den vielen Unternehmen in Deutschland, die die Mitbestimmungsrechte ihrer Beschäftigten wertschätzen und achten. Und sie untergräbt auch einen Grundpfeiler jedes wirklich demokratischen Zusammenlebens. Beschäftigte müssen ihre demokratischen Rechte und Interessen verfolgen können, ohne deswegen Sanktionen oder gar eine Kündigung fürchten zu müssen. Mitbestimmung ist ein demokratisches Recht und das Mindeste, was Beschäftigte erwarten können. Dieses Recht wird vom Gesetz geschützt: Unternehmensführungen, die es einzuschränken versuchen, machen sich strafbar.

 

Doch nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der gegen Betriebsratsarbeit begangenen Straftaten wird auch verfolgt. Eine strafrechtliche Verfolgung erfolgt bislang nur auf Antrag; antragsberechtigt sind unter anderem der Betriebsrat oder die Gewerkschaft. Schaffen es Arbeitgeber*innen jedoch früh genug, die Bildung eines Wahlvorstands zu verhindern, so findet sich meist niemand, der einen Antrag stellen kann. Eingeschüchterte oder rausgeschmissene Betriebsräte scheuen sich mitunter, Anzeige gegen ihre (ehemaligen) Arbeitgeber*innen zu erstatten.

 

Deshalb ist es ein entscheidender Schritt zum Schutz des demokratischen Rechts auf Mitbestimmung, solche Straftaten gemäß § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes zum Offizialdelikt zu machen. Das ermöglicht Staatsanwaltschaften, sie auch dann zu verfolgen, wenn Betriebsräte und andere Betroffene keinen Strafantrag stellen können oder wollen. Wir begrüßen die Vereinbarung im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene und unterstützen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil dabei, diese Vereinbarung in einem Gesetz umzusetzen.

 

Mit einer gesetzlichen Regelung allein ist es jedoch nicht getan. Staatsanwaltschaften müssen die Ressourcen haben, solche Straftaten auch tatsächlich verfolgen zu können. Dafür ist es nötig, Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Straftaten gegen das demokratische Recht auf Mitbestimmung zu bilden, in denen sich spezialisierte Staatsanwaltschaft mit der Verfolgung dieser Taten beschäftigen. Zuständig für die Bildung solcher Schwerpunktstaatsanwaltschaften sind die Länder. Wir fordern daher die Landesregierung auf, bereits jetzt die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um mindestens eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Verfolgung von Straftaten gegen Betriebsräte in NRW zu bilden.

 

2. Die Mitbestimmung bei neuen Arbeitsorganisationsformen und der digitalen und ökologischen Transformation verankern. Mitbestimmung auf Höhe der Zeit.

 

Das Betriebsverfassungsgesetz ist mehr als 70 Jahre alt. Als es 1972 grundlegend reformiert und die Grundzüge des heutigen Mitbestimmungsrechts festgelegt wurden, gab es in vielen Unternehmen noch keine Computer. Heute arbeiten dort agile Teams in SCRUM-Prozessen. Digitale Video-Konferenzen sind kaum mehr wegzudenken. Für Millionen ist Home-Office Alltag. Aber auch als die letzte größere Mitbestimmungs-Reform von 2001 beschlossen wurde, gab es noch keine Smartphones und auch kein schnelles Internet. Es wäre undenkbar gewesen, Millionen von Beschäftigten kurzfristig ins Home-Office zu verlagern. Heute hingegen haben Fahrradkurier*innen nicht einmal mehr einen festen Betrieb, ihre Arbeitsanweisung erhalten sie von einer App. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz von 2021 hat für die digitale Arbeit von Betriebsräten viele Verbesserungen gebracht. Spätestens die Erfahrungen der Corona-Pandemie haben jedoch gezeigt, dass es mehr digitale Rechte braucht.

 

Das digitale Zugangsrecht der Gewerkschaften zu den Betrieben ist dafür ein wichtiger Baustein. Gerade bei hauptsächlich digital geführten Unternehmen, bei denen die Beschäftigten von zuhause oder unterwegs arbeiten, ist ein Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb zwar wichtig – aber wenig hilfreich, um in einen echten Austausch mit den Kolleg*innen zu kommen. Daher ist es wichtig, dass die Gewerkschaften entsprechend ihrer bestehenden analogen Rechte auch das Recht bekommen, die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten im Unternehmen zu nutzen, um Kontakt zu den Kolleg*innen aufnehmen zu können. Auch hier begrüßen wir die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag und unterstützen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bei der Umsetzung dieses von der Sozialdemokratie angestoßenen Vorhabens.

 

Ebenfalls unterstützen wir die Einigung im Koalitionsvertrag, ein eigenes Gesetz zum Beschäftigtendatenschutz einzuführen. Angesichts der Digitalisierung und dem massenhaften Sammeln und Verarbeiten von Daten in vielen Betrieben und Unternehmen ist es dringend nötig, Beschäftigten Rechte über die Verwendung ihrer Daten einzuräumen.

 

Mit dem Begriff der Digitalisierung werden heute sehr unterschiedliche Entwicklungen in der Arbeitswelt beschrieben. So erleben wir völlig neue Arbeitsorganisationsformen auf der einen Seite und breite Prekarisierung auf der anderen Seite. In vielen Bereichen arbeiten Beschäftigte in selbstorganisierten Teams. Dort gehört es zu ihrer Arbeit, ihre Arbeit zu bearbeiten und weiterzuentwickeln. Partizipation und vorgeblich flachere Hierarchien lassen aufscheinen, welches Potential in diesen Arbeitsformen stecken könnte. Die Folgen dieser Form der Arbeitsorganisation zeigen sich jedoch in überlangen nicht erfassten Arbeitszeiten, in Mobbing und psychischen Belastungen sowie in der Erosion kollegialer und gewerkschaftlicher Solidarität. Um sich mit diesen Folgen solidarisch auseinandersetzen zu können, ist es wichtig, dass die Kolleg*innen und ihre Interessenvertretungen sich diese Teamstrukturen und -dynamiken bewusstmachen. Betriebsräte brauchen deshalb ein Mitbestimmungsrecht nicht nur bei der Durchführung, sondern auch bei der Einführung von Gruppenarbeit.

 

In anderen Bereichen sehen wir eine Tendenz zunehmender Prekarisierung: Beschäftigte arbeiten in befristeten Verhältnissen, oft auch in Scheinselbstständigkeit, organisiert und herumkommandiert von Algorithmen, die sie bewerten. Auch hier ist es wichtig, dass sich die Kolleg*innen die Mechanismen bewusst machen können, die hinter ihrer Arbeitsorganisation stecken. Dafür brauchen Betriebsräte Informations- und Mitbestimmungsrechte bei der Einführung Künstlicher Intelligenz und algorithmischer Datenverarbeitung.

 

Angesichts der anhaltenden Debatten um einen Fachkräfte- oder Arbeitskräftemangel ist die Forderung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, Deutschland müsse Weiterbildungsrepublik werden, nur zu begrüßen. Betriebsräte können dabei eine wichtige Rolle spielen, indem sie innerbetriebliche Weiterbildungsperspektiven vorantreiben und die Umschulung ihrer Kolleg*innen unterstützen. Dafür brauchen Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen, die der Aus- und Weiterbildung dienen.

 

In vielen kritischen Bereichen wie der Pflege verlassen zahlreiche Beschäftigte ihren Job wegen der Arbeitsbedingungen. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir neben Ausbildungs- und Öffentlichkeitsinitiativen ein Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte bei der Personalbemessung. Denn Betriebsräte wissen meist sehr genau um die Möglichkeiten und Grenzen der Personaldecke in ihrem Betrieb. Sie können dazu beitragen, durch ein ausgewogeneres Verhältnis der Belastung bei den Kolleg*innen Fortgänge zu verringern.

 

3. Die Mitbestimmung inhaltlich so aufstellen, dass Betriebsräte in ihren Unternehmen wirklich über die Zukunft mitbestimmen können.

 

Wir befinden uns in Zeiten tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels. Betriebliche Interessenvertretungen stehen an erster Stelle, wenn es darum geht, diesen gesellschaftlichen Wandel zu gestalten. Die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, sind dabei zahlreich – das wissen wenige besser als diejenigen, die sie in den Unternehmen tagtäglich bewältigen. Häufig sind es Betriebsräte, die Vorschläge zum Wandel ihrer Betriebe ausarbeiten und Transformationspläne vorlegen. Betriebsräte setzen sich in vielen Fällen eindrücklich mit Fragen des Klimaschutzes und der gesellschaftlichen Tragweite unternehmerischer Entscheidungen auseinander. Viele Betriebsräte arbeiten Tag für Tag daran, die Interessen ihrer Kolleg*innen zu vertreten, indem sie ihre Unternehmen weiterentwickeln und damit einen sinnvollen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten. Es sind die Beschäftigten in den Unternehmen und Betrieben, die unsere Gesellschaft am Laufen halten. Um den gesellschaftlichen Wandel und damit unsere Zukunft in unserem Sinne zu gestalten, spielt die Mitbestimmung der Kolleg*innen in den Betrieben und Unternehmen eine entscheidende Rolle. Wir wollen diese wichtige Rolle der Kolleg*innen anerkennen – und ihr entsprechende rechtliche Geltung verschaffen.

 

Jede Zeit braucht ihre Antworten, unsere braucht mehr Mitbestimmung. So, wie sich die Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, haben sich auch die Ansprüche der Kolleg*innen an die Mitbestimmung weiterentwickelt. Beschäftigte, die sich in ihre Arbeit einbringen, ihren Betrieb mitgestalten und immer mehr unternehmerische Verantwortung wahrnehmen, erheben zurecht den Anspruch, auch bei der Entwicklung ihres Unternehmens ein Wörtchen mitzureden zu haben. Vielen Menschen ist es heute wichtig, mit ihrer Arbeit nicht nur ihren Lebens- und Familienunterhalt zu verdienen, sondern damit auch etwas Sinnvolles zu tun.

 

Dabei treffen auch Beschäftigte und Betriebsräte nicht immer richtige Entscheidungen. Aber katastrophale Management-Fehlentscheidungen wie etwa die vermeidbare Schließung von rund 50 Standorten der Galeria-Kaufhäuser zeigen deutlich: Betriebsräte sind besser als so manche Unternehmensleitungen in der Lage, widersprechende gesellschaftliche Interessen gegeneinander abzuwägen und ausgewogene Entscheidungen voranzutreiben. Das private Interesse von Investor*innen und Anteilseigner*innen an Profiten und einer möglichst hohen Rendite tritt nicht nur in Widerspruch zu den Interessen der Kolleg*innen. Häufig verletzen an einer möglichst hohen Rendite orientierte Entscheidungen auch gesamt-gesellschaftliche Interessen, zum Beispiel das Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung belebter Innenstädte. Die Interessenvertretungen der Beschäftigten können bei Entscheidungen solcher Tragweite eine vermittelnde Rolle spielen: Sie haben ein starkes Eigeninteresse an einer wirtschaftlich tragfähigen Unternehmensentwicklung und treffen deshalb tendenziell Entscheidungen, die dem Erhalt des Betriebs und Unternehmens dienen. Dabei schauen sie aber nicht bloß auf eine kurzfristige Rendite, sondern haben ein Interesse an einer langfristigen Sicherung ihrer Arbeitsplätze, auch und gerade in Zeiten von Krisen und Transformation. Zugleich leben die Beschäftigten – anders als viele Investor*innen – auch meist in der Umgebung ihrer Betriebe. Deshalb kann betrieblichen Interessenvertretungen im Interesse ihrer Kolleg*innen nicht egal sein, wie sich die Umgebung ihrer Betriebe entwickelt. Wir wollen deshalb, dass Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht bei Standort-Schließungen und dem Eröffnen neuer Betriebe oder Standorte haben.

 

Betriebsräte sind längst nicht die Verhinderer in den Unternehmen, als die sie oft gezeichnet werden. Im Gegenteil: Viele Betriebsräte arbeiten Tag für Tag daran, die Interessen ihrer Kolleg*innen zu vertreten, indem sie ihre Unternehmen weiterentwickeln, um einen sinnvollen Beitrag zu unserer Gesellschaft zu leisten. Das können sie besser, wenn sie dafür nicht auf den guten Willen der Unternehmensleitungen angewiesen sind, sondern auf ein gesetzlich garantiertes Recht zurückgreifen können. Betriebsräte sollten deshalb das Recht haben, bei strategischen Entscheidungen wie dem Einführen völlig neuer Produktlinien oder dem Einstellen ganzer Unternehmensteile mitzubestimmen. Den Unternehmensleitungen wird dabei, anders als mitunter behauptet, ihre unternehmerische Freiheit nicht genommen. Durch ein Mitbestimmungsrecht müssen Betriebsräte bei der Entscheidung einbezogen werden, die Entscheidung treffen jedoch immer noch die Unternehmensleitungen selbst. Sie können berechtigte Einwände und Vorschläge dann jedoch nicht rücksichtslos in den Wind schlagen, weil Betriebsräte in einem solchen Fall die Einigungsstelle anrufen könnten, die willkürlichen Entscheidungen entgegentreten kann. Dieser Mechanismus, der bei vielen betrieblichen Angelegenheiten lange erprobt und bewährt ist, führt zu besser abgewogenen Entscheidungen und nachgewiesenermaßen zu einer nachhaltigeren Unternehmensentwicklung, auch durch Zeiten von Krisen und Transformation.

 

Besonders deutlich wird die entscheidende Rolle der betrieblichen Interessenvertretungen bei ökologischen Fragen. Gesetzliche Regelungen, die dem Klimaschutz dienen, gelten für alle Unternehmen gleichermaßen. Während viele Unternehmen bereits mit aller Kraft die eigene Transformation in Richtung Klimaneutralität vorantreiben, bleiben andere deutlich hinter ihrem Potential zurück. Gesetzliche Bestimmungen noch weiter zu verschärfen, birgt mitunter die Gefahr, dass die Belastungen für einige Unternehmen nicht mehr tragbar sind. Betriebsräte können hier für eine möglichst schnelle Transformation unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle einnehmen. Sie kennen ihre Betriebe und Unternehmen und haben ein großes Eigeninteresse an deren Weiterbestehen. Schon aus Eigeninteresse werden sie deshalb in aller Regel keine unerreichbaren Anforderungen an den betrieblichen Klimaschutz stellen. Gleichzeitig haben sie ein Interesse an einem möglichst langfristigen Fortbestehen des Unternehmens – auch über die jetzige Transformation hinaus – und an einer natürlichen Umgebung, in der sie und ihre Familien noch lange gut leben können. Viele Betriebsräte nehmen diese Verantwortung für ihre Kolleg*innen und den Klimaschutz jetzt schon wahr und gestalten die Transformation in ihren Unternehmen zusammen mit weitsichtigen Arbeitgeber*innen oder über Umwege, zum Beispiel den Aufsichtsrat, mit. Wo diese jedoch fehlen, sind den Betriebsräten oft die Hände gebunden, da sie kaum Rechte im Hinblick auf Mitbestimmung bei ökologischen Fragen haben. Wir wollen deshalb ein Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte bei betrieblichen Maßnahmen, die dem Umwelt- und Klimaschutz dienen.

 

Auch bei Fragen der Geschlechtergerechtigkeit spielen Betriebsräte eine wichtige Rolle. Sie tragen schon häufig in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften dazu bei, Geschlechtergerechtigkeit in Betrieben und Unternehmen voranzutreiben. Grundlegend sind dafür zum Beispiel Entlohnungsgrundsätze und Entgeltgleichheit im Betrieb. Betriebsräte brauchen deshalb Mitbestimmungsrechte für Entlohnungsgrundsätze sowie bei Maßnahmen zur Herstellung von Entgeltgleichheit und Geschlechtergerechtigkeit im Betrieb.

 

Gesellschaft und Arbeitsverhältnisse werden auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen reproduziert. Probleme werden in verschiedenen Lebenswirklichkeiten bearbeitet und Lösungen entwickelt nicht nur auf der Ebene „der Politik“, sondern auch in den Betrieben, sozialen Einrichtungen und bei der Arbeit zuhause. Dabei spielen die Beschäftigten eine wesentliche Rolle. Je wichtiger gesellschaftliche Anforderungen bei der Arbeit werden und je mehr sich die Kolleg*innen damit auseinandersetzen müssen, desto wichtiger wird es, dass sie die Zeit haben, sich darüber auszutauschen. Für eine gelingende Transformation ist es wichtig, Beschäftigten über ihre Gewerkschaften sowie die Betriebs- und Personalräte dafür zu gewinnen, sich in ihrer Arbeit mit der Lösung von den Aspekten der gesellschaftlichen Probleme zu befassen, die mit ihrer Arbeitstätigkeit zusammenhängen. Wir halten es für nötig, dass Beschäftigte mindestens eine Stunde in der Woche als Demokratiezeit zur Verfügung haben, um sich mit diesen gesellschaftlichen Anforderungen an ihre Arbeit und einem demokratischen Umgang damit solidarisch auseinanderzusetzen.

 

4. Die gesellschaftliche Bedeutung von Mitbestimmung stärken.

 

Neben dem rechtlichen Rahmen der Mitbestimmung spielen auch gesellschaftliche Bedingungen eine wesentliche Rolle dafür, wie wirksam Mitbestimmung ist. Vielen Menschen in Deutschland und auch vielen Beschäftigten sind Bedeutung und Vorteile der Mitbestimmung nicht bekannt. Gerade in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten oft migrantische Beschäftigte, für die das deutsche Arbeitsrecht mitunter schwerer verständlich und denen betriebliche Mitbestimmung, wie sie in Deutschland praktiziert wird, häufig unbekannt ist.

 

Vor diesem Hintergrund bedarf es umfassender gesellschaftlicher Informationen, um die Bedeutung der Mitbestimmung in der Breite der Gesellschaft zu erhöhen, mehr Betriebsräte in der Fläche zu etablieren und die Tarifbindung in Deutschland zu stärken. Wir fordern die Landesregierung NRW, namentlich Landesarbeitsminister Laumann dazu auf, eine landesweite Kampagne zu veranlassen, um die Bedeutung der Mitbestimmung in Betrieben und Öffentlichkeit präsent zu machen und Informationen über die Gründung und Arbeit von Betriebsräten zu verbreiten.

 

Vielen jungen Leuten fehlt Wissen über das System der betrieblichen und unternehmerischen Interessenvertretung in Deutschland. Schüler*innen und Student*innen haben selten einen praktischen Zugang dazu und im Verlauf des Bildungsweges werden kaum Kenntnisse über Mitbestimmung vermittelt. Es ist deshalb wichtig, dass bereits in allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen über die Bedeutung der Mitbestimmung breiter informiert wird. Dabei sollte Wissen über Mitbestimmung und Interessenvertretungen schon frühzeitig und praxisnah an junge Menschen vermittelt werden. Wer eine allgemeinbildende Schule in Deutschland verlässt, sollte nicht nur Kenntnisse über grundlegende Funktionsweisen eines Unternehmens haben, sondern auch darüber informiert sein, welche Rolle dabei die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen, die Gewerkschaften und Betriebsräte in diesem Zusammenhang spielen. Auch hier ist die Landesregierung in einer gesellschaftlichen Verantwortung.

 

In jedem Betrieb in Deutschland mit mindestens fünf Beschäftigten besteht das Recht, einen Betriebsrat zu gründen. Viele Beschäftigte wissen von diesem Recht nicht. Doch nur, wer seine Rechte kennt, kann sie durchsetzen. Wir unterstützen deshalb den Vorschlag der DGB-Gewerkschaften, dass Unternehmensleitungen in Betrieben, in denen es noch keinen Betriebsrat gibt, mindestens einmal im Jahr auf einer Betriebsversammlung bei Einladung der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften die Belegschaft über die Möglichkeiten der Gründung eines Betriebsrates informieren müssen.

 

Die Mitbestimmung beschränkt sich nicht auf das Betriebsverfassungsgesetz allein. Auf verschiedenen Ebenen des Betriebs und Unternehmens (Aufsichtsrat, Jugendausbildungsvertretung, Schwerbehindertenvertretung) aber auch außerhalb der Privatwirtschaft (Personalrat) vertreten Beschäftigte ihre Interessen gegenüber ihren Arbeitgeber*innen. Diese Interessensvertretungsorgane stehen oftmals in Wechselwirkung zueinander. So finden sich Betriebsräte oft in Aufsichtsräten wieder, aus der Jugendausbildungsvertretung kommen zukünftige Betriebsrät*innen, aber auch die Schwerbehindertenvertretung nimmt an Betriebsratssitzungen teil. Die verschiedenen Bereiche des Mitbestimmungsrechts spielten für die rechtliche Entwicklung der jeweils anderen stets auch eine Rolle. Die Trennung des Mitbestimmungsrechts nach öffentlichem Sektor (Personalvertretungsgesetz) und privatem Sektor (Betriebsverfassungsgesetz) ist kaum noch zeitgemäß. Die Sonderstellung der Beschäftigten bei kirchlichen Arbeitgeber*innen ist – sofern es sich nicht um verkündungsnahe Tätigkeiten von Priester*innen handelt – völlig aus der Zeit gefallen: Es gibt keinen verständigen Grund, warum Pfleger*innen in einem städtischen Krankenhaus anderen Regeln der Mitbestimmung unterfallen sollten als ihre Kolleg*innen in einem kirchlichen Krankenhaus. Deshalb ist es perspektivisch sinnvoll, die unterschiedlichen Gesetze, die das Mitbestimmungsrecht regeln, stärker zusammenzuführen.

 

Tarifautonomie und betriebliche Mitbestimmung sind eng miteinander verzahnt. Wo es keinen Betriebsrat gibt, ist die Tarifbindung geringer und umgekehrt. Tarifverträge sichern gute Arbeit und faire Löhne. In der Transformation setzen sie den Rahmen für gute Arbeitsbedingungen. Besonders gut funktionieren Tarifverträge dort, wo Betriebsräte an ihrer Umsetzung mitwirken und sie kontrollieren. Wer Mitbestimmung stärken will, muss daher auch die Tarifbindung stärken – und umgekehrt. Der Staat als öffentlicher Auftraggeber hat dabei eine Vorbildfunktion. In Zeiten schwindender Tarifbindung bedarf es aber auch der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. In erster Linie ist es aber die Pflicht der Arbeitgeber*innen, sich ihrer Verantwortung für gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen nicht zu entziehen; der Beitritt zu Arbeitgeberverbänden nur im Rahmen von OT-Mitgliedschaften gehört abgeschafft.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme
Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

Der SPD Landesparteitag NRW fordert ein Betriebsverfassungsgesetz auf der Höhe der Zeit. Dazu gehören insbesondere folgende Punkte:

1. Betriebsräte stärker vor Drangsalierung schützen und so das demokratische Recht auf Mitbestimmung entschiedener durchsetzen.

2. Die Mitbestimmung bei neuen Arbeitsorganisationsformen und der digitalen und ökologischen Transformation verankern.

3. Die Mitbestimmung inhaltlich so aufstellen, dass Betriebsräte in ihren Unternehmen wirklich über die Zukunft mitbestimmen können.

4. Die gesellschaftliche Bedeutung von Mitbestimmung stärken.

Beschluss-PDF: