B-24 Neuaufstellung der historisch-politischen Bildung in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen des Landes NRW

Parteivorstand und Landtagsfraktion werden aufgefordert, die Initiative für eine Neuaufstellung der historisch-politischen Bildung zu ergreifen, mit dem Ziel mehr Demokratieverständnis in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen des Landes NRW zu verankern.

Begründung:

 

A. Ausgangslage:

 

 

1. Als einziges schulisches Unterrichtsfach neben dem staatlichen Religionsunterricht hat in NRW der Politik-Unterricht Verfassungsrang.

 

Artikel 11 LV:

 

„In allen Schulen ist Staatsbürgerkunde Lehrgegenstand und staatsbürgerliche Erziehung verpflichtende Aufgabe.“

 

2. Mit dieser „Aufgabe“ des Staates hat sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen zuletzt 1974 – Politik-Unterricht – und 1980 – Geschichtsunterricht – befasst. Das bedeutet 44 bzw. 38 Jahre Nichtbefassung.

 

Damals bezogen sich diese Fächer auf Empfehlung des DEUTSCHEN BILDUNGSRATS auf

  • die realen Gesellschaftsverhältnisse
  • die reale Bewusstseinslage der Schüler/innen
  • die aktuell virulenten Zielsetzungen von Grundgesetz und Landesverfassung
  • den aktuellen Stand und Standart der Bezugs-Fachwissenschaften des historisch-politischen Lernens und der pädagogisch relevanten Forschung zu den Grundlagen von Lernen durch Sozialisation und Erziehung

 

3. Auf welche Realitäten muss sich die historisch-politische Bildung der Schule in diesen vier Bereichen heute beziehen und konzentrieren?

 

Stichworte in fließenden (!) Übergängen:

 

Gesellschaft

 

  • Finanzkapitalistischer Globalimperialismus
  • Globale Klimawandel-Folgen
  • Ungezügelte Müllüberflutung
  • Religionen als Brandbeschleunigerinnen in Kriegs- und Gewaltsituationen
  • Weltweite Fluchtbewegungen
  • Massenhafte Imigration
  • Multikulturelle Gesellschaft in Deutschland
  • Weltweite digitale Vernetzung

Jugend

 

  • Voranschreiten einer weltweiten Netzgefangenschaft der jungen Generationen
  • Bedürfnis und Drang nach Freiheit und fortschreitender Verlust von individuellen technik-unabhängigen Kulturtechniken.
  • Europäische Union als Raum der selbstverständlichen Reisefreiheit – Europa als freier Lernraum
  • Deutschland-Bewusstsein: Während die Jugend der 70er Jahre mit „Deutschland“ mehrheitlich eine belastete und belastende Identität verbanden, erfährt die deutsche Jugend heute Deutschland als ein angesehenes und auf vielen Gebieten weltweit sehr erfolgreiches Land.
  • Naturgemäßes Versinken der Erinnerung an NS-Herrschaft, Holokaust und Weltkrieg in den fernen Ozean des Geschichtsbuchwissens.

Grundgesetz

 

  • Entwicklung einer auch individuellen Identifikation mit dem organisierten Europa als Friedensraum im Wandel zu einem staatlichen Ordnungsraum
  • Europa – Grundgesetz – europäische Verfassung als Integrationsproblem
  • Gewaltenteilung und osteuropäischen Staaten. Ist es sinnvoll, ein „Kern“-Europa anzustreben?
  • Privatisierung des Völkerrechts durch globalisierende Freihandelsabkommen mit nichtstaatlicher Rechtsgewalt
  • Digitale Entmündigung durch Bot- und Fake-News-Industrie, Gefahr der Entstehung eines demokratisch unkontrollierbaren Überwachungsstaats und einer rechtspraktisch unkontrollierbaren Überwachungsgesellschaft und die Zukunft der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenrechte.
  • Volksentscheide, Populismus und sachlich-fachliche Kompetenz und historische Verantwortung.
  • Wandel des Menschenbildes im Rahmen der Werte und Normen des Grundgesetzes und Legitimität des Rechtssystems (z. B. Geschlecht und Ehe; Selbstverwirklichung durch Arbeit)
  • Einwanderung, Integration, Grundgesetz

Wissenschaft

 

  • Der Stand und der Standard der Fachwissenschaften zu all diesen historischen-politisch Themen-, Problem- und Konfliktbereichen und die Fachdidaktik des historischen-politisch Lernens im schulischen Unterricht
  • Pädagogisch relevanten Grundlagenforschungen: Psychologie, Soziologie; neu: Hirnforschung, Neurowissenschaften, Genetik und Epigenetik.

 

4. Gegenwärtiger Zustand des Faches Politik-Unterricht in NRW

 

B. Beschluss-Text des Antrags und

Vorschläge zur Umsetzung des Beschlusses:

 

Parteivorstand und Landtagsfraktion werden aufgefordert, die Initiative für eine

Neuaufstellung der historisch-politischen Bildung

in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen des Landes NRW

zu ergreifen.

 

Vorschläge zur Umsetzung des Beschusses:

 

1. Vor dem Hintergrund der skizzierten Ausgangslage soll zunächst eine Expertenrunde eingerichtet werden, die die in diesem Antrag nur skizzierten und angetippten Bereiche und Fragen für einen landesweiten Diskurs ordnet und diskutierbar macht. (Thematisierung)

An dieser Expertenrunde sollten auch Fachleute beteiligt werden, die nicht der SPD angehören.

 

2. Auf der Grundlage der Thematisierung durch die Expertenrunde soll eine Konferenz „Neuaufstellung der historisch-politischen Bildung in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen des Landes NRW “ einberufen werden, die sich

  • aus Experten und Expertinnen (aus Fachdidaktik und Wissenschaft sowie Bundeszentrale und Landeszentrale für politische Bildung),
  • aus kompetenten Vertreterinnen und Vertretern pädagogisch relevanter Organisationen (der Lehrer/innenverbände, der GEW, der Deutsche Vereinigung für politische Bildung (DVpB) und des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands),
  • aus Vertreterinnen und Vertretern der Schüler/innenschaft und der Elternschaft

zusammensetzen soll.

 

Diese Konferenz soll in eigener Vollmacht Teilziele, Verfahren Dauer und Rhythmik ihrer Arbeit festlegen.

 

3. Zu erarbeitendes Produkt soll eine fachlich und politisch begründete Empfehlung an den Landtag sein, einen Beschluss zur.

Neuaufstellung der historisch-politischen Bildung

in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen des Landes NRW

zu fassen,

  • der für die Schulpraxis und die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer in allen Fächern, die für die historisch-politisch Bildung relevant sind, verbindliche Ziele und Inhalte formuliert,
  • die sich wissenschaftsbasiert konkret auf die Gegenwart und die zu erwartende Zukunft der heute jungen Menschen beziehen sowie
  • auf unsere Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Welt und auf unseren Verfassungsstaat.

Diese Empfehlung soll

  • eine kritische historische Evaluation von Politik- und Geschichtsunterricht seit ihrer Neuorientierung in den 70er und zu Beginn der 80er Jahren enthalten.
  • die derzeitige Praxis, den Unterricht über kompetenzorientierte Kernlehrpläne gestalten zu lassen, auf den Prüfstand stellen.
  • Vorschläge zur Verankerung der historisch-politischen Bildung in den Stundentafeln der Schulformen und Schulstufen sowie in den Ausbildungsordnungen der Lehrämter machen.
Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt durch die Annahme von B-09