Die SPD-Landtagsfraktion wird aufgefordert, die folgenden Forderungen für eine echte Reform der Jurist*innenausbildung gegenüber der Landesregierung und im Landtag zu vertreten und eine etwaige Zustimmung zu einer Reform an einer Realisierung dieser Forderungen zu messen.
I) Studium
- Stoff reduzieren: Eine Verschlankung des Pflichtfachstoffes ist unabdingbar, um eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Stoff zu ermöglichen und gleichzeitig die „Studierbarkeit“ des Faches zu erhalten. Auch die Reform des JAG 2013 hat in der Praxis hier zu keinem durchschlagenden Erfolg geführt. Neben einer Reduzierung der geprüften Materien und zentraler Fokussierung der grundständigen Studieninhalte auf den Examensstoff erscheint ebenfalls angezeigt, dass auch in den Kernmaterien eine detaillierte Kenntnis von unterschiedlichen Auslegungsergebnissen, Gerichtsurteilen („Meinungsstreitigkeiten“) nicht verlangt und stattdessen das Strukturverständnis und methodische Kompetenzen verstärkt gefördert werden. Statt „Rennfahrerklausuren“, die vor allem auf ein schnelles Abspulen auswendig gelernten Wissens ohne vertieftes Verständnis abzielen, sollte verlangt werden, dass die Hintergründe abgeprüfter dogmatischer Streitigkeiten verstanden und erläutert werden können. Hierzu bedarf es nicht nur einer Reduktion des Pflichtfachstoffes, sondern auch des Umfangs der Examensklausuren, um eine tiefgehende Argumentation zu einzelnen Problemen zu ermöglichen.
- Praxisnähe auch in der Prüfung: Während des Studiums und in der Prüfung zum Ersten Staatsexamen sind Kommentierungen, Markierungen, Querverweise oder Griffregister in Gesetzestexten zu erlauben, um die Arbeit mit und am Gesetz als Kern juristischer Arbeit zu stärken. Überdies sind Handkommentaren, die im Zweiten Staatsexamen bereits erlaubt sind, auch im Ersten Staatsexamen zuzulassen. Angesichts der Bedeutung von Handkommentaren in der Praxis entbehrt es jeden Sinns, sie im Ersten Staatsexamen nicht zuzulassen. Darüber hinaus kann eine Zulassung von Handkommentaren die Prüflinge darin unterstützen, sich weniger auf das Auswendiglernen bestimmter Definitionen, Streitigkeiten oder Urteile zu konzentrieren und Methodik und Argumentationstechnik in den Vordergrund zu stellen.
- Wissenschaftlichkeit statt Rechtstechnokratie: Das Studium in seiner aktuellen Ausrichtung kann nur begrenzt als wissenschaftlich bezeichnet werden, wenn unter Wissenschaftlichkeit auch die Kenntnis von und die Reflexion über Methoden verstanden wird. Vermittelt und geprüft werden sollten Grundkenntnisse der Rechtsgeschichte, eine Reflexion über Möglichkeit und Grenzen der juristischen Methodik sowie die vertiefte Behandlung grundlegender rechtsphilosophischer Fragen. Hinzu kommen Grundlagen der Rechtssoziologie, um das Rechtsystem und die Rechtspraxis auch von einem externen Standpunkt – kritisch – zu betrachten und sich ein realistisches Bild von der Steuerungsfähigkeit des Rechts zu machen. Insbesondere Kenntnisse über die Pervertierung des Rechts im Nationalsozialismus müssen vermittelt werden. Dabei darf es allerdings nicht nur um historische Faktenkenntnis gehen, sondern es muss ein kritisches methodisches Bewusstsein für die Strukturmerkmale von rechtsstaatlichem Recht und rechtsstaatswidrigem Unrecht vermittelt werden. Grundlagenwissen muss sowohl in die bestehenden Vorlesungen integriert als auch weiter in eigenen Veranstaltungen vermittelt und zum examensrelevanten Prüfungsstoff gehören.Besonders das 2003 eingeführte Schwerpunktstudium hat sich bewährt, um mit fortgeschrittenen Studierenden in kleineren Gruppen die juristische Methodik und Grundlagenkenntnis sowie insbesondere das wissenschaftliche Arbeiten einzuüben und zu vertiefen. Der Schwerpunkt ist daher als wesentlicher Aspekt einer rechtswissenschaftlichen Ausbildung beizubehalten. In Kombination mit einem verschlankten Pflichtfachstoff kann ein vertiefter Schwerpunkt maßgeblich dazu beitragen, den Fokus vom Auswendiglernen bestimmter Fallkonstellationen hin zu exemplarischer, methodenbasierter Arbeit zu lenken. Der Schwerpunkt sollte daher – entgegen der Position der Justizministerkonferenz, die leider auch mit der Stimme Nordrhein-Westfalens zustande kam – in Umfang und Wertigkeit erhalten bleiben. Der Inhalt der Schwerpunktthemen kann und sollte dabei neben Methodik auch aktuelle Themen einbeziehen. Schwerpunktveranstaltungen in den Bereichen Legal Tech, Medien-, Internet- und Datenschutzrecht oder auch im europäischen und internationalen Recht sollten aufgrund ihrer besonderen Relevanz ausgebaut werden.
- Unterschiedliche Kompetenzen fördern – für Wissenschaft und Praxis: Die Forderung nach mehr Praxisbezug ist ambivalent, weil damit auch eine Abkehr von wissenschaftlicher Fundierung gemeint sein könnte. Dies ist jedoch nicht das Ziel: Vielmehr geht es richtig verstanden um die Förderung von Kompetenzen über die bloße Falllösung hinaus – sowohl im Rahmen des Pflichtfachstoffes als auch im Rahmen von freiwilligen Zusatzangeboten. Hier kommen zum Beispiel Simulationen von Verfahren („Moot-Courts“), Rechtsberatung unter fachlicher Anleitung („Law Clinics“), rechtsgestaltende Aufgabenstellungen oder Themenvorträge in Betracht. Diese Methoden schaffen einen für die wissenschaftliche Reflexion hilfreichen Perspektivenwechsel im Studium und fördern zudem Kompetenzen, die in der späteren beruflichen Praxis hilfreich sind. Nicht zuletzt fördern unterschiedliche und interaktive Veranstaltungsformate auch die Freude am Studieren.
- Betreuung während des Studiums: Wir fordern eine bessere Beratung der Studierenden bei der Planung ihres Studiums und möglicher Alternativen. So hat der Hochschulgesetzgeber in NRW für Bachelor- und Masterstudiengänge reagiert und in § 58a HG NRW die Fachstudienberatung sowie die sog. Studienverlaufsvereinbarung eingeführt. Nach der Gesetzesbegründung soll die Studienberatung bzw. die Studienverlaufsvereinbarung mit dem jeweils betroffenen Studierenden Orientierung im Studium verschaffen und ihm die Gelegenheit bieten, das Studium erfolgreich abzuschließen. Diese Studienverlaufsvereinbarungen sind so konzipiert, dass sie die Umstände des Einzelfalls, etwa die Erwerbstätigkeit, die Erziehungs- oder Pflegeverantwortung, das Engagement oder den Umstand einer chronischen Erkrankung oder Behinderung des Studierenden, angemessen Rechnung tragen sollen.So begrüßenswert die Ausweitung von Beratungsmöglichkeiten ist, so klar lehnen wir verpflichtende Studienberatungen als Einschränkung der akademischen Freiheit ab. Auch wenn die Nichteinhaltung des Studienverlaufsvereinbarung keine Rechtsfolgen vorsieht, so ist alleine die obligatorische Beratungspflicht eine Abkehr vom Bild mündiger Studierender.
- Bachelor für universitären Teil: Bereits mit dem Abschluss des universitären Grundstudiums und des Schwerpunktes haben die Studierenden gezeigt, Grundzüge des juristischen Handwerks zu beherrschen. Für den Abschluss dieser Studienteile ist daher der akademische Grad eines Bachelors zu verleihen. Entsprechende Planungen existieren bereits seitens der Fakultäten in Bochum und Münster, werden aber derzeit leider von den Ministerien der Justiz, für Wissenschaft und des Innern blockiert. Diese Blockadehaltung sollte gebrochen und den Fakultäten die entsprechende Gestaltungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt werden. Ein solcher Abschluss kann das Studium attraktiver machen, indem er dem Examen seinen Charakter als „Alles-oder-nichts“-Prüfung nimmt. Er honoriert die bereits vor dem Examen erbrachten Leistungen und kann auch einen Ausweg für die volkswirtschaftlichen Schäden hohe Abbrecherquoten im Jurastudium schaffen: So gibt es genügend Studierende, die bereits vor der Examensprüfung wissen, keinen „klassischen“ juristischen Beruf ergreifen zu wollen, sondern während ihres Studiums vielfältige andere Berufswünsche entwickelt haben. Diesen Studierenden sollte die Freiheit gegeben werden, mit einem anschließenden Masterstudium, etwa im Wirtschaftsrecht oder Steuerrecht, direkt den von ihnen gewählten Beruf anzustreben, ohne zuvor das Examen absolvieren zu müssen. So wird auch eine Vergleichbarkeit zu anderen Studiengängen geschaffen, die ebenfalls in der mittleren Phase des Studiums einen Bachelorabschluss gewährleisten und eine weitere Orientierung für einen Master ermöglichen. Die Orientierung hin zum juristischen Staatsexamen als Masteräquivalent sollte gleichwohl weiterhin das Ziel des Studiums darstellen. Eine generelle Umstellung des juristischen Studiums auf das Bachelor-/Master-System wird ausdrücklich nicht gefordert.
- Verbesserungsversuch für alle: Der Verbesserungsversuch muss allen Studierenden unabhängig von der Studiendauer offenstehen. Das ohnehin fragwürdige Ziel, Studierende durch den Freischuss zulasten der Qualität zu einer kürzeren Studienzeit zu bewegen, sollte nicht das Leitbild der Juristenausbildung sein. Andere Bundesländer haben den Freischuss bereits von der Studiendauer gelockert, sodass die Chancengleichheit für die Studierenden aus NRW den Freischuss ebenfalls gebietet. Daher ist es ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, dass auch Studierende, die sich neben ihrem Studium noch ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und daher mehr Zeit benötigen, in den Genuss des Verbesserungsversuches kommen.
- Erhalt der Abschichtungsmöglichkeit: Die Möglichkeit der Abschichtung wurde leider nur in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen umgesetzt, während sie in anderen Bundesländern unbeachtet blieb. Gleichwohl schafft sie für die Studierenden die Möglichkeit, sich im Examen stärker auf die einzelnen Bereiche zu spezialisieren, zudem haben einzelne nordrhein-westfälische Universitäten auch ihre Studienverläufe auf die Abschichtung ausgerichtet. Sie ist daher sowohl für Studierende als auch für die Fakultäten fest in der Ausbildung in Nordrhein-Westfalen angekommen und sollte beibehalten werden. Das Leitbild des Einheitsjuristen bleibt bereits dadurch gewahrt, dass die Querbezüge zwischen den Rechtsgebieten einen wichtigen Teil der Examensklausuren bilden und mündliche Prüfung sowie das zweite Staatsexamen ohnehin in allen Fächern erfolgen.
- Kindererziehung anerkennen: Das Engagement von Personen, die mit Kindern ihren Studienabschluss verfolgen, sollte hinreichend honoriert und die Vereinbarung von Kind und Studium gesteigert werden. Ein Hindernis schafft hier allerdings bereits das JAG NRW, das derzeit Freisemester nur für die Mutterschutzzeit zulässt (§ 25 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1). Anders als in sonstigen Berufen ist eine Elternzeit für Jurastudierende nach dem JAG NRW nicht vorgesehen. In anderen Bundesländern ist eine Berücksichtigung der Elternzeit bereits vorgesehen, zur besseren Vereinbarkeit von Studium und Familie sollte sie auch in Nordrhein-Westfalen ermöglicht werden.
- Qualifikation der Prüfer: Da das erste Staatsexamen das Universitätsstudium abschließt, sollte § 14 JAG ernst genommen und die Prüferinnen und Prüfer der schriftlichen mindestens zur Hälfte aus Hochschullehrern, außerplanmäßigen Professoren o. Privatdozenten bestehen. Dies wurde auch jüngst durch das OVG Münster bestätigt (https://www.lto.de/recht/studium-referendariat/s/examen-jurastudentin-erfolg-ovg-klausurenstreit-durchgefallen-pruefer-entsprechen-nicht-den-anforderungen/ ). In der gegenwärtigen Prüfungspraxis prüfen im ersten Staatsexamen, sowohl bei der Bewertung der Klausuren als auch in der mündlichen Prüfung, immer weniger Hochschullehrer. Es sollte sogar erwogen werden, § 14 Abs. 2 JAG als Muss-Vorschrift mit einer Ausnahmeklausel umzuformulieren, um das intendierte Ermessen noch klarer zu machen (Etwa: „(2) Eine der Prüferinnen oder einer der Prüfer muss dem Personenkreis des 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder 2 angehören. In Ausnahmefällen darf davon abgewichen werden.“).
II) Referendariat
- Ausbilder entlasten: Die Ausbilder sind stärker zu entlasten, z.B. durch Verringerung der Eingänge im Dezernat, damit sie sich verstärkt der Ausbildung der Referendare und der Leitung von Arbeitsgemeinschaften widmen können.
- Begrenzung des Klausurumfangs: Der Klausurumfang ist zu begrenzen durch schlankere Aktenauszüge und die Vorlage von Briefbögen, die Formalia wie z.B. Anschrift, Rubrum usw. bereits beinhalten. Letzteres ist praxisnah, da auch Praktiker mit vorgefertigten Vordrucken/Briefbögen arbeiten. Ein Auswendiglernen dieser Formalia hat keine Aussagekraft über die Kompetenz des Prüflings, daher sollte dies für die Prüfung selbst irrelevant sein.
- Qualifikation der Prüfer: Prüfer sollten ausschließt aus der Praxis kommen, da das Zweite Examen ein Praxisexamen ist.
- Drei reguläre Versuche: Oft hängt das Misslingen des Zweiten Examens mit der persönlichen Situation (Familiengründung, Versagensängste, Krankheit, finanzielle und strukturelle Probleme) zusammen. Deshalb fordern wir, den dritten „Gnadenversuch“ zu einer regulären Möglichkeit zu machen, die allen Prüflingen gewährt wird.
III) Generelle Forderungen
- Chancengleichheit in den Prüfungen: In jeder mündlichen Prüfungskommission sollte mindestens eine Frau vertreten sein. So ist statistisch anhand einer Studie des LJPA NRW (abrufbar unter https://www.justiz.nrw/JM/schwerpunkte/ juristenausbildung/benotung_staatliche_juristische_ pruefungen/180331-v_fin-Abschlussbericht-korr1.pdf) nachweisbar, dass Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Mitprüflingen eine 6% geringere Chance haben, die nächsthöhere Notenstufe zu erreichen, sofern die Prüfungskommission nur aus Männern besteht (S. 20). Bei Personen mit Migrationshintergrund weist die Studie signifikant schlechtere Noten im Vergleich zu „biodeutschen“ Kommilitonen auf (S. 23 f.), geht allerdings wegen zu geringer Vergleichswerte nicht auf die Möglichkeit einer Besetzung der Prüfungskommission mit Personen mit Migrationshintergrund ein. Gleichwohl liegt der Verdacht eines ähnlichen statistischen Effekts nahe, sodass im Fall von Prüflingen mit Migrationshintergrund auch Prüfer mit Migrationshintergrund der Kommission angehören sollten. LJPA und Justizprüfungsämter sollten hierzu Frauen und Personen mit Migrationshintergrund gezielt motivieren, die Tätigkeit als Prüfer wahrzunehmen.In der Praxis zeigt sich zudem, dass Prüfungen mit sechs Prüflingen sowohl für Prüfer als auch für Prüflinge mit erheblichen Strapazen verbunden sind, zumal auf beiden Seiten nach einer gewissen Zeitdauer naturgemäß die Aufmerksamkeitsspanne nachlässt und somit schlechtere Leistungen entstehen. Die Berichte aus der Praxis sollten hier berücksichtigt und die Maximalgröße für eine mündliche Prüfung in § 15 Abs. 1 Satz 3 JAG NRW auf ein „Muss“ von fünf Personen reduziert werden.
- Blindkorrektur: Hinsichtlich der Bewertung von Aufsichtsarbeiten in den Staatsprüfungen muss § 14 Abs. 1 JAG NRW (der gem. § 54 für die zweite Staatsprüfung entsprechend gilt) dahingehend ergänzt werden, dass beide Korrekturen „blind“ erfolgen, der Zweitkorrektor also nicht bereits vor seiner Korrektur auf Anmerkungen und Bewertung des Erstkorrektors zugreifen kann. Hier zeigt die bisherige Praxis, dass Zweitkorrektoren sich in vielen Fällen darauf beschränken, sich dem Erstkorrektor anzuschließen, ohne ausführliche eigene Stellungnahme zu verfassen. Durch eine „blinde“ Zweitkorrektur würde eine (unterschwellige) Beeinflussung durch den Erstkorrektor von vornherein vermieden. Nachdem langfristig ohnehin eine Umstellung auf eine elektronische Anfertigung der Prüfungsarbeiten zu erwarten ist, wäre diese Korrekturpraxis ab diesem Zeitpunkt zugleich kaum mit erhöhtem Aufwand verbunden. Auch bis dahin erscheint der zusätzliche Aufwand – bestehend in der Anfertigung von Scans bzw. Kopien – jedoch gerechtfertigt angesichts der enormen Bedeutung der juristischen Staatsprüfungen für den beruflichen Werdegang der Absolventen. Zugleich würde es die damit verbundene „Dopplung“ der angefertigten Aufsichtsarbeiten nahezu ausschließen, dass Arbeiten aufgrund von Schwierigkeiten beim Postversand o.ä. unwiederbringlich verloren gehen.
Ersetze Zeilen 8-13 durch: Die SPD-Landtagsfraktion wird aufgefordert, sobald im Rahmen der Beratung über eine Reform der Jurist*innenausbildung eine Gesetzesentwurf eingebracht wird, mit der AsJ auf Grundlage der dann vorliegenden Gesetzes und des vorliegenden Antrags Rücksprache zu halten.