Gut ein halbes Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie müssen wir festhalten, dass es sich bei der aktuellen Krise trotz vieler zuvor um die einschneidendste Krise seit dem zweiten Weltkrieg handelt. Die Pandemie hat zeitweise zu einem vollständigen Erliegen des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens geführt, sie hat weltweit hunderttausende Menschen das Leben gekostet und nach wie vor haben wir nicht das erreicht, was öffentlich als „die neue Normalität“ diskutiert wird. Nun, einige Monate nach dem Corona-Schock, ist die Debatte über die Lehren aus und die Folgen von dieser Krise in vollem Gange und für uns als Jusos ist klar: Die neue Normalität nach Corona darf nicht die alte Normalität vor Corona sein. Wir müssen stärker aus der Krise zurückkommen: Die neue Normalität muss eine bessere sein!
Aus politischer Sicht beispielsweise muss die Lehre aus dieser Zäsur sein, dass wir endgültig Abschied nehmen von den zwei maßgeblich dominierenden Politiken der letzten Jahrzehnte.
Dabei handelt es sich zum einen um die Ideologie des Neoliberalismus, die in den letzten Jahrzehnten so prägend war wie keine andere und die zugleich nun so offensichtlich am Ende ist wie keine andere. Die Idee, dass das zentrale Ordnungssystem unserer Gesellschaft der Markt ist, auf dem sich eigen- verantwortliche Individuen zur Profitmaximierung versammeln, und dass dieser Markt, einmal aus dem Gleichgewicht geraten, sich durch magische Selbstreinigungskräfte wieder selbst besser ins Gleichgewicht bringt als durch politische Steuerung; diese Idee ist krachend gescheitert. Das neoliberale Mantra „Privat vor Staat“ und das zusammengefasste Glaubensbekenntnis „Das regelt der Markt.“ wirkt angesichts der aktuellen Lage wie Hohn und vermag nur noch Delegierte eines FDP-Parteitags zu überzeugen. Die große Mehrheit der Menschen hingegen musste in den letzten Jahren und nun spätestens durch die Corona- Krise erfahren, was der Markt alles nicht regelt. Der Markt hat weder für 5G an jeder Milchkanne, noch für flächendeckende Mobilität in der Breite der Bundesrepublik, weder für eine angemessene Gesundheitsversorgung, noch für bezahlbaren Wohnraum oder die angemessene Entlohnung systemrelevanter Berufe gesorgt. Und wie schlecht es um die vermeintlichen Selbstreinigungskräfte des Marktes bestellt ist, kann daran gesehen werden, dass selbst diejenigen, die sich Eingriffe des Staates immer verbeten haben, nun die Lautesten sind, die nach staatlichen Hilfen rufen.
Die zweite dominante Politik der letzten Jahrzehnte, die nun an ihr Ende kommen muss, ist das TINA- Prinzip (There is no alternative), mit dem politische Entscheidungen nicht mit Sach-Argumenten, son- dern mit dem Verweis auf ihre vermeintliche Alternativlosigkeit gerechtfertigt wurden. Denn während zu Beginn der Pandemie und auf der Ebene des unmittelbaren Krisenmanagements bestimmte Entscheidungen in der Tat zwingend und richtig waren, bestehen nun in der Frage, welche Konsequenzen aus der aktuellen Krise gezogen werden müssen, so klare Alternativen wie lange nicht mehr. Die Chancen für progressive Politik für die Zeit nach Corona stehen gut, aber das Ende des Neoliberalismus wird kein Selbstläufer, weil uns auf der anderen Seite eine Koalition aus Konservativen und Neoliberalen gegenübersteht, die nach der Krise mit den alten, gescheiterten Rezepten weitermachen wollen. Dagegen müssen wir eine progressive, gesellschaftliche Allianz für ein besseres Morgen bilden, mit der wir stärker als vorher aus der Krise herauskommen. Der Kampf um die Deutungshoheit rund um die Corona-Krise ist also in vollem Gange und wir werden ihn nur dann für uns entscheiden können, wenn wir klar sagen können, wie die neue Normalität eine bessere sein kann. Dazu macht dieser Antrag einen Aufschlag.
Ein neues Staatsverständnis
Die bessere Normalität braucht vor allem ein neues Verständnis über die Rolle des Staates in unserer Gesellschaft. Wir sind der Überzeugung, dass nicht der Markt, sondern eben der Staat als demokratische Verfasstheit aller Bürger*innen das zentrale Ordnungssystem unserer Gesellschaft darstellt. Und wie kaum zuvor hat die Corona-Krise zum einen die Handlungsfähigkeit des Staates unter Beweis gestellt und zum anderen auch den Primat der Politik über die Wirtschaft. Während in der Vergangenheit der marktkonformen Demokratie der Mund geredet wurde, steht es für uns nicht zur Debatte, dass wir einen demokratiekonformen Markt brauchen, dem der Staat zu diesem Zweck klare Vorgaben gibt. Unser Staat für ein besseres Morgen ist aber auch ein aktiver und handlungsfähiger Staat, der dem Markt nicht nur einen klaren Handlungsrahmen gibt, sondern auch selbst durch Investitionen für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftlichen Fortschritt sorgt. Den staatlichen Investitionen müssen dabei zwei entscheidende Aufgaben zukommen. Zum einen stellen sie die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik dar. Denn damit Unternehmen erfolgreich sein können, braucht es eine gute öffentliche Infrastruktur – und zwar sowohl physisch in Form von intakten Straßen und Brücken, einem umfassenden Mobilitätsangebot und einer guten digitalen Infrastruktur, als auch sozial in Form von bester Bildung und Forschung, einer guten Gesundheitsversorgung und der Garantie von sozialer Sicherheit. In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer mehr dieser öffentlichen Aufgaben privatisiert und damit dem Diktat der Profitmaximierung unterworfen, mit den bereits beschriebenen Folgen. Wir sind der Auffassung: Öffentliche Aufgaben gehören in öffentliche Hand! Es gibt einfach bestimmte Bereiche des Zusammenlebens, die keiner Marktlogik unterworfen werden dürfen.
Die zweite Aufgabe von öffentlichen Investitionen ist die einer Steuerungsfunktion. Der Staat sollte also nicht blind investieren und so quasi für Herdenliquidität sorgen, sondern durch gezielte Investitionen jene Art des Wirtschaftens und auch jene Innovationen fördern, die dem Gemeinwohl dienen. Konkret bedeutet das, dass Unternehmen nur dann Gelder der Allgemeinheit bekommen sollten, wenn sie sich auch zu Zielen der Allgemeinheit verpflichten.
Staatsschulden
Mit einem neuen Staatsverständnis in der besseren Normalität muss auch ein neues Verständnis von Staatsschulden einhergehen. Im Verlauf der Corona-Krise hat die Bundesregierung mit zwei Konjunkturprogrammen in bemerkenswertem Umfang reagiert und so den wirtschaftlichen und sozialen Totalabsturz verhindert. Im März wurde das Corona-Schutzschild „Bazooka“ über 350 Milliarden Euro für Zuschüsse und Hilfen sowie zusätzlichen 820 Milliarden Euro für Beteiligungen, Kredite und Bürgschaften aufgelegt. Im Juni folgte das Konjunkturprogramm „Wumms“ mit einem Umfang von 160 Milliarden Euro. Angesichts dieser Summen, die die Staatsschuldenquote der Bundesrepublik in die Höhe getrieben haben, ist die Debatte darüber, wie diese Schulden wieder zurückgezahlt werden können in vollem Gange und es wird auf uns ankommen dafür zu sorgen, dass nicht dieselben Fehler wie nach der Finanzkrise 2008 gemacht werden.
Damals hat man als Reaktion auf eine verbreitetere Staatsskepsis und aufgrund der Verunsicherung in der Bevölkerung 2009 die Einführung einer Schuldenbremse beschlossen – mit verheerenden Folgen. Die Schuldenbremse ist die ins Grundgesetz geschriebene neoliberale Ideologie, die die Handlungsfähigkeit des Staates massiv eingeschränkt hat. Und während es in den Jahren nach der Finanzkrise öffentliche Anerkennung für ausgeglichene Haushalte gegeben hat, sieht eine große Mehrheit der Menschen heute die enorme Diskrepanz zwischen dem fetischisierten ausgeglichenen Haushalt und den realen Verhältnis- sen im Land. Aufgrund mangelnder Investitionen durch die Schuldenbremse hinkt die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft peinlich weit hinterher. Die Bildungsausgaben stagnieren seit zehn Jahren im Verhältnis zur Wirtschaftskraft. Die sozial-ökologische Transformation ist zum Erliegen gekommen, was man unter anderem daran sieht, dass die Bundesrepublik ihre Vorreiterinnenrolle bei den Erneuerbaren Energien schon längst wieder verloren und die Automobilbranche als Schlüsselindustrie den Strukturwandel verschlafen hat. Und die öffentliche Infrastruktur ist aufgrund des massiven Investitionsstaus marode und damit eine zunehmende Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit. So sieht die Bilanz von 10 Jahren Schuldenbremse in Deutschland aus. Noch schlimmer hat es die Länder im Süden Europas getroffen, denen wir im Zuge der Eurokrise dieselbe bittere Medizin der Austerität aufgezwungen haben – nur in noch stärkerem Maße. Diese hat während der Corona-Krise tödliche Folgen gehabt, weil die dortigen kaputtgesparten Gesundheitssysteme nicht in der Lage waren, die Pandemie angemessen zu bewältigen.
Diesen Kardinalfehler, nämlich den Versuch, sich gesund zu sparen, dürfen wir nun nicht wiederholen. Der Weg der Konsolidierung durch Austerität ist ein Irrweg. Damit bekennen wir uns zum Weg des Herauswachsens aus der Krise, der es ermöglicht, die Staatsschulden solange zu überwälzen, bis die Schuldenquote durch ein gestiegenes BIP wieder sinkt. Wozu die Alternative des Heraussparens der Konservativen und Neoliberalen führt, konnte eindrücklich in den letzten Jahren beobachtet werden. In Wahrheit hat diese status quo-Koalition der Bewahrer*innen schlicht keinen Plan mehr für die Zukunft.
Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns konkret:
- Wir bekräftigen angesichts der Corona-Krise unsere Forderung nach einer Abschaffung der Schuldenbremse und nach einer Abkehr der Politik der schwarzen Null.
- Statt einmaligen Konjunkturprogrammen fordern wir ein mehrjähriges, massives Investitionsprogramm. Die Investitionen sollten sowohl über unkomplizierte Wege den Kommunen zur Verfügung gestellt werden als auch direkt über Bund und Länder laufen. Folgende sieben Schwerpunkte gilt es dabei zu setzen:
- Ausbau und Modernisierung des Schienennetzes.
- Instandsetzung, Neubau und Anschaffung digitaler Hardware in Bildungseinrichtungen wie Schulen, Kindertagesstätten und Universitäten.
- Programme zum öffentlichen Wohnungsbau.
- Ausbau erneuerbarer Energien beispielsweise über Programme wie Windbürger*innengelder und kommunal subventionierter Ausbau von Solardächern.
- Aufbau massiver Kapazitäten zur Wasserstoff-Produktion.
- Flächendeckender Ausbau digitaler Netze.
Finanzierung
Die bessere Normalität braucht aber auch endlich einen angemessenen Beitrag der Wohlhabenden in unserer Gesellschaft zur Finanzierung der Kosten der Krise sowie eine gerechte Verteilung der Vermögen insgesamt. Mitten in der Corona-Krise hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Juli noch einmal eindrückliche Zahlen zur Vermögenskonzentration in Deutschland vorgelegt. Demnach besitzen die reichsten zehn Prozent der Menschen in Deutschland gut zwei Drittel des Gesamtvermögens, während die Hälfte der Bevölkerung nahezu gar kein Vermögen besitzt. Mit diesem Zustand können wir uns als Jusos und mit diesem Zustand kann sich auch die Sozialdemokratie nicht abfinden. Die bessere Normalität braucht daher ein klares Bekenntnis zur Umverteilung und zu einer gerechten Steuerpolitik, die dafür sorgt, dass die Lasten der Krise nicht wieder nur von Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen geschultert werden.
Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns hier konkret:
- eine einmalige, krisenbedingte Vermögensabgabe für sehr hohe Vermögen.
- Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, wie von den NRW Jusos gefordert, muss schnell umgesetzt werden.
- Ebenso bekräftigen wir unsere Forderungen zur Einführung der Vermögenssteuer und einer Reform der Erbschaftssteuer, wie sie vom SPD-Bundesparteitag zuletzt beschlossen wurde.
Wirtschaft und Arbeit
In keinem anderen Bereich ist es so notwendig, dass die neue Normalität eine bessere wird, wie im Be- reich von Wirtschaft und Arbeit. Schonungslos hat die Corona-Krise die Widersprüche und Schwächen eines Wirtschaftssystems offen gelegt, dessen oberste und manchmal auch einzige Maxime die der Profitmaximierung ist.
In beispiellosem Ausmaß haben wir auf der einen Seite einen Angebotsschock erlebt, weil die hyperglobalisierte Wertschöpfung mit ihren krisenanfälligen just-in-time-Lieferketten teilweise vollständig zum Er- liegen gekommen ist. Die Unternehmen waren schlicht nicht mehr in der Lage zu produzieren. Und zum anderen haben wir in gleicher Weise einen Nachfrageschock erlebt, weil die Verbraucher*innen durch Einkommens- oder gar Jobverlust und Kontaktbeschränkungen kaum noch in der Lage waren zu konsumieren. Um die Krise zu bewältigen, wird es nun darauf ankommen, sowohl die Wertschöpfung wieder zu stabilisieren als auch die Nachfrage wieder zu stimulieren. Dies darf aber eben nicht durch ein Zurück zum Vor-Corona-Zustand passieren, sondern wir müssen die richtigen Schlüsse aus diesem doppelten Schock ziehen und die Chance für eine bessere Normalität nutzen.
Wirtschaftspolitisch heißt das vor allem, dass wir ganz aktiv jene Form des Wirtschaftens fördern, die dem Gemeinwohl dient. Diese zeichnet sich durch gute, tarifgebundene Beschäftigung, durch eine Demokratisierung der Unternehmen, durch qualitatives Wachstum im Sinne der sozial-ökologischen Transformation sowie durch echte Gleichstellung in den Betrieben aus. Auch global muss die Corona-Krise dazu führen, dass zum Beispiel die internationalen Lieferketten nicht länger nur nach dem Maßstab der Profitmaximierung, sondern vor allem unter dem Gesichtspunkt der Resilienz zu organisieren sind. Durch ein entsprechendes Lieferkettengesetz gilt es dabei, faire Arbeitsbedingungen auch über den nationalen Rahmen hinaus zu garantieren. Und um das einmal klarzustellen: Die vollkommen berechtigte Kritik an einer bestimmten Form der Globalisierung („Hyper-Globalisierung“) und die ebenfalls berechtigte Forderung, ausgewählte Lieferketten ein Stück weit weniger global zu organisieren, darf nicht dazu führen, dass wir uns gemein machen mit denjenigen, die der vermeintlichen Re-Nationalisierung das Wort reden. Wir müssen im Gegenteil zwar klar die negativen Auswirkungen der entfesselten Globalisierung thematisieren, um sie dann aber aktiv zu gestalten, ohne zu einfachen Ressentiments nachzugeben. Eine sozialdemokratisch gestaltete Globalisierung kann so zu mehr qualitativem Wachstum, zu besseren Arbeitsbedingungen und zu besseren Löhnen im globalen Kontext führen.
Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns wirtschaftspolitisch konkret:
- Weitere Stimulierungen privater Investitionen. Gerade in einer möglichen Rezession werden private Investitionen dringend benötigt. Auch hier gilt es, schwerpunktmäßig die Transformationen in den Bereichen Sozialstaat, Digitalisierung und Klimaschutz voranzutreiben.
- Durch einen bei der KfW aufgesetzten oder staatlichen Fonds kann Kapital für innovative Neugründungen zur Verfügung gestellt werden.
- Die stattfindenden und zu erwartenden Transformationsprozesse erzeugen erheblichen Weiterbildungsbedarf, um Beschäftigung zu sichern. Beschäftigte müssen qualifiziert werden, um in geänderten oder neuen Berufsfeldern gute Arbeit zu finden. Neben einem Ausbau der Kapazitäten der Berufskollegs ist auch dringend in betriebliche und überbetriebliche Weiterbildungsangebote zu investieren. Auch hierfür könnte ein bei der KfW aufgesetzter oder staatlicher Bildungsfonds die notwendigen Mittel aufbringen, um das lebenslange und immer wiederkehrende Lernen im Job zu ermöglichen.
- Um Unternehmensinsolvenzen zu verhindern, wird der Staat sich mit Eigenkapital an vielen Unter- nehmen beteiligen müssen oder hat dies schon getan. Dabei sollen klare Kriterien gesetzt werden, dass die Beteiligung des Staates nur stattfindet, wenn die künftigen Geschäftsfelder der Unter- nehmen für sozialen und ökologischen Fortschritt und nicht für Rückschritt und Stillstand stehen, dass Vorstandsgehälter und -boni gedeckelt sind, Steuern in der Bundesrepublik gezahlt werden müssen und dass in den Unternehmen nach Tarif bezahlt wird. Wer Geld von der Allgemeinheit bekommt, muss sich auch zu Zielen der Allgemeinheit verpflichten.
- Durch steuerpolitische Maßnahmen können Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz verbessert werden.
- Der Aufbau einer Pharmaindustrie, die die Abhängigkeit von bisherigen Lieferketten löst, muss ein strategisches Ziel der Gesundheitspolitik werden. Dabei muss vor allem in den Blick genommen werden, wie staatliches Kapital für pharmazeutische Innovationen und Neugründungen zur Verfügung gestellt werden kann.
- Durch ein wirksames Lieferkettengesetz für weiterhin notwendige Lieferketten werden wir auch global für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne kämpfen und das Klima schützen.
Arbeitsmarktpolitisch haben wir in Deutschland gerade in den letzten Wochen gesehen, dass der Ab- schied vom Neoliberalismus kein zwingender ist, sondern von uns aktiv betrieben werden muss. Am Anfang der Pandemie wurden einzelne Dienstleistungsberufe vor allem im Gesundheits-, Einzelhandels- und Logistikbereich noch als systemrelevant und heldenhaft gefeiert und beklatscht. Jetzt hingegen, da diese Arbeitnehmer*innen zurecht für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung kämpfen, schlägt ihnen teilweise von denselben Leuten Unverständnis dafür entgegen, dass sie für ihre Rechte streiken. Dabei wissen wir schon heute, dass diese meist prekär Beschäftigten innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses wenig eigenen Schutz vor der Pandemie erfahren haben und auch am längsten mit ihren Auswirkungen in Form von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben werden. Wir sind der klaren Auffassung: Klatschen reicht nicht! Wer den Laden hier am Laufen hält, muss auch anständig bezahlt werden und unter fairen Bedingungen ihren*seinen Job machen können. Kämpfer*innen dafür sind in allererster Linie unsere Kolleg*innen in den Gewerkschaften.
Und die bessere Normalität braucht wieder stärkere Gewerkschaften in der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit angesichts der massiven Transformation der Arbeitswelt. Wir erleben zum einen, dass die Organisationsbedingungen der Belegschaften sich massiv verändern. Während manche im Homeoffice für sich allein arbeiten, befinden sich andere in Kurzarbeit und wieder andere arbeiten ganz normal weiter in den Betrieben. Diese Fragmentierung der Belegschaft stellt die gewerkschaftliche Organisation vor erhebliche Herausforderungen. Zum anderen erleben wir, dass die Kapitalseite versucht, das Modell der Sozialpartnerschaft als nicht mehr zeitgemäß darzustellen. So ließ kürzlich ein Banken-Start-up keine Anstrengung unversucht, die Gründung eines Betriebsrats zu vermeiden, weil dieser gegen alle Werte verstoße, an die das Unternehmen glaube. Wer aber glaubt, dass der Wandel der Arbeitswelt weniger Mitbestimmung bedeuten müsste, hat in uns und unseren gewerkschaftlichen Kolleg*innen die entschiedensten Gegner*innen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Der Wandel in der Arbeitswelt muss zu mehr statt zu weniger Mitbestimmung führen!
Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns arbeitsmarktpolitisch konkret:
- Für die in der Krise zurecht als systemrelevant gefeierten Berufe braucht es endlich auch eine finanzielle Aufwertung. Dazu wäre ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag Pflege beispielweise ein wichtiger Schritt. Ansonsten wäre über Branchenmindestlöhne für Care-Berufe oder solche im Einzelhandel
- Vor allem müssen wir die Rahmenbedingungen aber auch so gestalten, dass sich abhängig Beschäftigte aus diesen Bereichen verstärkt in Gewerkschaften organisieren, um effektiv und demokratisch für bessere Arbeitsbedingungen wie z.B. veränderte Personalschlüssel etc. einstehen zu können. Hier erneuern wir unsere Forderung nach einer Stärkung der Gewerkschaften durch:
- die Aufhebung des Arbeitgeber*innen-Vetos bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen
- ein hartes strafrechtliches Vorgehen gegen die Behinderung von Gewerkschaftsaktivitäten, dem sogenannten Union Busting.
- vollständige Arbeitnehmer*innenrechte für Beschäftigte im Bereich der digitalen Plattformökonomie und entsprechende Stärkung der Betriebsräte auf digitalem Wege.
Sozialstaat
Auch eine andere Errungenschaft, die von Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen erkämpft wurde, ist in den vergangenen Jahren immer wieder von konservativer und neoliberaler Seite als Auslaufmodell dargestellt worden. Aber auch hier hat Corona gezeigt: Die bessere Normalität braucht einen starken, vorsorgenden Sozialstaat, der alle gegen die individuellen Lebensrisiken solidarisch absichert und präventiv für gute Beschäftigung sorgt!
Man stelle sich nur mal vor, die SPD hätte nicht für ein Kurzarbeiter*innengeld, für einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung erstmal ohne Vermögensüberprüfung und für eine Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gesorgt. Das sind aus jungsozialistischer Perspektive nur Notmaßnahmen, aber sie unterstreichen die Bedeutung des Sozialstaats besonders aber nicht nur in der Krise. Das Kurzarbeiter*innengeld sollte dabei nicht nur als reines Notfallinstrument zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit genutzt werden, sondern sollte auf die Finanzierung von Weiterbildungsmöglichkeiten während der Zeit der Kurzarbeit ausgeweitet werden.
Das Corona-Virus trifft eben nicht alle gleich, sondern wirkt sozial-selektiv. Menschen mit niedrigem Einkommen oder ohne Arbeit werden wirtschaftlich härter von der Krise getroffen, Kinderarmut verschärft sich und ganze soziale Schichten werden noch stärker von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen. Für eine bessere Normalität nach der Krise erneuern wir unsere zahlreichen Forderungen für einen aktiven und solidarischen Sozialstaat.
Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns hier konkret:
- eine deutlich längere Bezugsdauer des ALG I (Arbeitslosengeld) gerade bei langen Beitragsjahren
- die Einführung eines ALG Q, mit dem Zeiten der Weiterbildung oder Umschulung finanziert werden, um Beschäftigte in der Transformation nicht allein zu lassen
- die überfällige Abschaffung von Hartz IV durch ein sanktionsfreies und bedarfsgerechtes Bürger*innengeld
- eine eigenständige Kindergrundsicherung
- Schließlich bekräftigen wir unsere Forderung nach einem Recht auf Weiterbildung und Qualifi- zierung sowie nach einem Recht auf Arbeit, zu dem für uns auch das Konzept einer Jobgarantie gehört.
Feminismus
Die neue Normalität muss schließlich auch dahingehend eine bessere werden, als sie feministisch sein muss. Denn das Corona-Virus hat nicht nur sozial-selektiv gewirkt, sondern auch nochmal die enorm ungleich verteilte Belastung von Frauen in unserer Gesellschaft sichtbar gemacht, und zwar in mehreren Hinsichten. Zum einen werden die als systemrelevant erkannten Berufe, ob in der Pflege oder an der Supermarktkasse, überwiegend von Frauen ausgeübt und trotz Systemrelevanz viel zu schlecht bezahlt. Und zum anderen wurde einmal mehr deutlich, wie viel zuvor ‚unsichtbare‘ und unentgeltliche Carearbeit von Frauen im privaten Bereich geleistet wird. Durch den Wegfall von Betreuungsmöglichkeiten im Zuge der Pandemie hat sich dieses massive Ungleichgewicht noch weiter verstärkt und es ist nicht hinnehmbar, dass nach wie vor feministische Belange bei der Bewältigung der Krise überhaupt keine Rolle spielen. Die Pandemie sorgt zusätzlich dafür, dass die Lebensrealitäten und Personen, die schon vorher wenig sichtbar waren, nun noch weiter aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden. Queeren Personen fehlen sowohl Schutz- als auch Begegnungsräume und die Deutungshoheit über die Pandemie in Wissenschaft und Medien haben Männer, deren homogene Lebensrealität sich dann auch in der nicht Berücksichtigung von Frauen in Hilfefonds wiederspiegelt. Dass es um die körperliche Selbstbestimmung von Frauen prekär bestellt war, sieht mensch unter anderem auch daran, dass die Pandemie kurzerhand dafür genutzt wer- den soll, ein “Sexkaufverbot” zu erwirken und der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen noch schwerer ist als ohnehin schon. Die bessere Normalität muss also eine feministische sein! Wir müssen die Diskursfenster, die sich während der Krise eröffnet haben, dafür nutzen, unsere feministischen Forderungen zu radikalisieren.
Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns aus feministischer Perspektive konrekt:
- Endlich eine angemessene Entlohnung von Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden und entsprechende Arbeitsbedingungen.
- Die schwierigen Arbeitsbedingungen in vielen Care-Berufen hängen häufig auch mit einer nicht ausreichenden Personalausstattung zusammen beziehungsweise ließe sich auch sagen, dass beide Probleme sich gegenseitig bedingen. Um diese Zustände aktiv anzugehen, soll es ein staatlich subventioniertes Umschulungsprogramm für Care-Berufe geben, das Perspektiven für Arbeitnehmer*innen, aber auch für die Gesellschaft, die elementar auf diese Branchen angewiesen ist, schafft.
- Außerdem sind Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht für eine bedarfsgerechte und kostenlose Betreuungsstruktur zu sorgen, die auch in Krisenzeiten oberste Priorität hat.
- Und schließlich braucht es endlich eine konsequent feministische Sozialstaatspolitik, die Frauen unabhängig von einem möglichen Partner gegen Lebensrisiken absichert.
Perspektiven für die junge Generation
Die bessere Normalität braucht auf jeden Fall ein Zukunftsversprechen an die junge Generation. Die Pandemie hat viele junge Menschen in unterschiedlichster Art und Weise betroffen und wir wollen auch hier unsere Lehren für die Zukunft ziehen sowie bereits bestehende Forderungen nochmals bekräftigen.
Zum einen hat sich die Landesregierung dilettantisch verhalten, wenn es um die Unterstützung der Schulen und Aufrechterhaltung der Bildung ging. Unzureichende und sich ständig ändernde Anweisungen waren an der Tagesordnung. Schulen wurden häufig allein gelassen und es gab kaum ein Konzept, wie der Ablauf weiterhin garantiert werden kann. Es zeigte sich, dass gerade Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachen Haushalten mal wieder die Leidtragenden waren. Wer kein digitales Endgerät und eigenes Zimmer besitzt, litt besonders unter den Umständen. Wieder einmal wurde klar, dass der Zugang zur Bildung vom Geldbeutel abhängig ist. Wir brauchen endlich gleichberechtigte Konzepte, um gute Bildung für alle zu ermöglichen sowie eine gute, digitale Ausstattung, die gleichberechtigten Zugang auch von zu Hause ermöglicht.
Zum anderen hat auch die Bundesbildungsministerin bewiesen, wie egal ihr Studierende sind. Die existenziellen Ängste wurden über Monate hinweg ignoriert und mit der schlecht organisierten Soforthilfe kam viel zu spät ein Angebot, was durch hohe bürokratische Hürden und mit viel zu wenig Geld keine echte Hilfe war und junge Menschen im Studium allein gelassen hat. Anstatt das BAföG für notleidende Studierende zugänglich zu machen, wurden viele nun in die Schuldenfalle geschickt. Es hat sich wieder gezeigt, dass ein elternunabhängiges BAföG für ein gleichberechtigtes Studium wichtig und existenzsichernd ist.
Auch in Hinblick auf die Ausbildungen muss gehandelt werden, diese dürfen nicht unter der Pandemie leiden – weder in der Qualität noch in der Quantität. Wir stellen uns dabei hinter die Forderungen der DGB Jugend. Entlassungen von Auszubildenden müssen verhindert werden, die Verbundausbildung muss gestärkt werden, die Lohnfortzahlung muss gewährleistet sein, Abschlussprüfungen müssen stattfinden und Übernahmen müssen abgesichert werden. Außerdem muss eine Corona-Delle beim Ausbildungsstart verhindert werden, es braucht daher ein Sonderprogramm zur Ausbildungssicherung zum Beispiel in Form eines Solidarfonds Ausbildung.
Weiterhin sind auch junge Beschäftigte besonders von der Krise betroffen. Kettenbefristungen dürfen nach der Krise nicht die Norm werden, unsere Forderung, sachgrundlose Befristungen abzuschaffen, bleibt bestehen. Es darf nicht wieder zu einer Jugendarbeitslosigkeitswelle kommen, daher muss auch die europäische Jugendgarantie besser ausgestattet werden, um wirklich sinnvoll zu wirken.
Kommunen
Die bessere Normalität braucht starke, handlungsfähige Kommunen. In den Kommunen wird derzeit eine wahnsinnig intensive Arbeit geleistet. Im deutschen Föderalismus sind es die Kommunen, die die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung umsetzen müssen. In den kommunalen Krisenstäben, den Ordnungsbehörden und erst recht in den kommunalen Krankenhäusern wird ein großer Anteil zur Bewältigung der Krise geschafft.
Dabei kommen finanziell schwierige Zeiten auf die Kommunen zu: Für viele Verwaltungen sind zum Beispiel Ausgaben notwendig, um in der Corona-Zeit digital arbeitsfähig zu sein. Die Digitalisierung der Verwaltungen kann dabei als Chance für die Zukunft gesehen werden. Gleichzeitig droht aber durch die bevorstehende Rezession ein Einbruch der Gewerbesteuern.
Dabei sind es gerade die Kommunen, auf die es in der Nach-Corona-Zeit ankommen wird. Nicht nur, weil ein Großteil der Investitionen in den Kommunen getätigt wird. Wenn das öffentliche Leben Stück für Stück wieder hochgefahren wird, wird in den Kommunen ein neues gutes Zusammenleben organisiert werden müssen. Vorstellbar sind etwa Mikrohilfspakete, die den Fortbestand von lokalen, durch den Corona- bedingten Ausfall von Festveranstaltungen oder ähnlichem in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Ver- einen ermöglichen. Das schließt auch die lokale Kunst- & Kulturszene ein. Um ein Club-Sterben und die reihenweise Schließung von Kulturorten zu verhindern, braucht es auch hier finanzielle Unterstützung und Fördertöpfe für Kleinkunst, damit in unserer besseren Normalität auch ein vielfältiges kulturelles An- gebot bestehen bleibt. Dafür muss die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen schnell hergestellt werden.
Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns mit Blick auf die Kommunen:
- Die Corona-Krise zeigt erneut: Die Gesundheitsversorgung gehört in öffentliche Hand. Der Bund sollte einen Topf auflegen, der es Kommunen ermöglicht, private Krankenhäuser zu kommunalisieren.
- Viele Kommunen leiden unter der erdrückenden Last der Altschulden. Für diese Kommunen braucht es eine schnelle Übernahme der Altschulden durch Bund und Länder in Form eines Altschuldentilgungsfonds.
- Eine schnelle grundsätzliche Reform der Kommunalfinanzierung muss die Kommunen aus ihrer Abhängigkeit von der Gewerbesteuer lösen. Mögliche konkrete Maßnahmen dazu wären:
- Eine Heraufsetzung des kommunalen Anteils bei noch zu bestimmenden Gemeinschaftssteuern zur Stärkung der Investivkraft der Kommunen ist zu prüfen.
- Unser Ziel ist eine Harmonisierung der Gewerbesteuer-Hebesätze. Zur Erreichung dessen ist ein Mindesthebesatz geeignet. Dieser muss so gesetzt werden, dass er den Landes- und Bundesschnitt effektiv anhebt. Zur Realisierung dessen sollte eine angemessene Karenzzeit gewählt werden. Die Kommunen, welche auf einen absehbaren Zeitraum von den Änderungen betroffen sein werden, benötigen eine Übergangszeit, in welcher sie ihren Haushalt umstellen können. Denkbar wäre auch eine stufen- weise Anhebung eines Mindesthebesatzes. Da es sich um ein bundesweites Problem handelt, wäre ein bundesweit koordiniertes Vorgehen am sinnvollsten. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Föderalismus und angesichts der aktuellen politischen Konstellationen in den einzelnen Bundesländern, kann dies je- doch keine Bedingung sein.
- Die Finanzierung der Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen ist zu reformieren. Nordrhein-westfälische Kommunen haben im Ländervergleich darunter zu leiden, dass sie in erheblichem Maße die Kosten für die Landschaftsverbände tragen, während sie in anderen Bundesländern durch den Landeshaushalt finanziert werden. Im Landschaftsverband Westfalen-Lippe wird der Haushalt zu zwei Dritteln aus Beiträgen (Landschaftsumlage) der Landkreise und kreisfreien Städte finanziert. Künftig sollte der kommunale Anteil nicht über 50 Prozent liegen.
- Die kommunale Selbstverwaltung ist als zentrales Prinzip unseres Staatsverständnisses zu wahren und zu fördern. Der Tendenz zu auf Landes- und Bundesebene entwickelten „Projektrastern“, denen sich die Kommunen für Zuschusszahlungen zwangsläufig unterordnen, muss entgegengewirkt werden. Insbesondere muss die Zuweisung von Landes- und Bundesmitteln um auch kommunalen Prioritäten gerecht zu werden verstärkt über Schlüssel und Grundzuweisungen erfolgen. Trotzdem stellen solche „Projektraster“ von Bund und Land einen wichtigen Gegenpol zu kommunal bedingten Unterschie- den bei der Erreichung von, auch in diesem Antrag dargestellten Zielen, wie die Förderung von Aus- und Weiterbildung dar. Bei ihrer Erarbeitung müssen die Kommunen jedoch viel mehr einbezogen werden. Es muss eine Kommunikationsstelle zwischen Bund, Land und Kommunen gefunden werden, die die Kom- munen gleichwertig an der Erarbeitung solcher Raster beteiligt.
Europa reformieren – Renationalisierung verhindern
Die bessere Normalität braucht schließlich auch ein besseres Europa. Die Europäische Union spielt bei der Bekämpfung der Corona-Krise nur eine untergeordnete Rolle. Die nationalen Alleingänge bei den Grenzschließungen und die fehlende Garantie, dass der Schengen-Raum nach Corona wieder geöffnet werden, zeigen, in was für einer Gefahr sich die europäische Idee befindet.
Als Konsequenz aus der Krise muss die Europäische Union ihre Integration vorantreiben, auch, um eine Renationalisierung zu verhindern. Eine weitergehende Integration darf aber nicht ziellos alle Bereiche des politischen Lebens betreffen, sondern muss sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen jetzt ein gemeinsames europäisches Vorgehen benötigt wird. Neben der Außenpolitik (auf die hier nicht näher eingegangen werden soll) sind das die Entwicklung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik, die soziale Absicherung, Migrationspolitik und der Kampf gegen den Klimawandel.
Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns europäisch konkret:
- Euro-Bonds können verhindern, dass die Corona-Krise die besonders schwer betroffenen Staaten in die finanzielle Handlungsunfähigkeit treibt. Das aktuell diskutierte Wiederaufbauprogramm, das durch eine Kreditaufnahme über die EU-Kommission und damit durch die regulären Beiträge der Mitgliedsländer finanziert wird, ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung.
- Eine weitere schnelle Reform der Eurozone muss gezielte Investitionen ermöglichen, um wirtschaftliche Ungleichgewichte ausgleichen zu können.
- Maßnahmen gegen das massive Ungleichgewicht der Außenhandelsbilanzen sind gerade in der Krise notwendig. Das heißt in erster Linie eine Stimulierung der Binnennachfrage in Staaten mit hohen Exportüberschüssen wie Deutschland.
- Die EU braucht dringend einen Regionalentwicklungsplan für Süd- und Osteuropa. Die noch immer unter der Eurokrise leidenden südeuropäischen und viele osteuropäischen Staaten haben eine deutlich geringere ökonomische Komplexität als etwa Deutschland. Dieser strukturellen Ungleichheit der Produktionsbedingungen muss gegengesteuert werden.
- Die EU sollte eine eigene Gesellschaft zur Produktion von Wasserstoff aufbauen.
- Die EU muss als Konsequenz aus den Lehren der Corona-Krise gemeinsame gesundheitspolitische Ansätze entwickeln. Mehr Unabhängigkeit von Lieferketten bei Medikamenten wäre etwa ein Thema, das sich gut gemeinsam europäisch angehen lässt. Wir unterstützen den Gesetzentwurf der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament, vorangetrieben von unserer Juso- Abgeordneten Delara Burkhardt, für entwaldungsfreie Lieferketten. Damit soll erreicht werden, dass nur noch Produkte auf dem europäischen Markt landen, die nicht zur Zerstörung von (Regen- )Wäldern, oder zur Verletzung von Menschenrechten beigetragen haben. Das Gesetz fordert regelmäßige Berichte, mehr Transparenz und Haftung für Unternehmen, die Wälder und andere Biotope bei der Produktion ihrer Produkte nicht schützen. Es ist die Pflicht der Unternehmen, sich nicht aus der Verantwortung zu ziehen, wenn sie in anderen Ländern Schäden anrichten und von deren Standort profitieren. Deshalb muss auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier seine Blockadehaltung endlich aufgeben.
- Auch nach Corona wird die globale Migration nicht nachlassen. Es braucht schnell ein unkompliziertes über die Kommunen laufendes Verfahren zur Verteilung von vor Krieg, Verfolgung und Elend fliehenden Menschen. Gerade die Verbesserung der katastrophalen Zustände in Moria sollte dabei oberste Priorität genießen. Das kürzlich vorgestellte Prinzip der „verpflichtenden Solidarität“, das vor allem mehr Abschottung bedeutet, lehnen wir vor diesem Hintergrund ab.
Fazit
Die Corona-Krise hat uns in den verschiedensten Bereichen – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich – gezeigt, dass wir nicht einfach weitermachen können wie bisher. Sie hat aber nach Jahren des Stillstands auch die enorme Handlungsfähigkeit von Politik unter Beweis gestellt. Wir können und wir als Jusos wer- den unser Zusammenleben neu gestalten. Letztlich geht es um die Frage, wie wir eigentlich leben wollen. Und für uns ist dabei klar, dass die neue Normalität nicht die alte sein darf. Sorgen wir durch einen progressiven Politikentwurf dafür, dass sie eine bessere sein wird!