Die SPD-Bundestagsfraktion, die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung und die sozialdemokratischen Vertreter*innen im Bundesrat werden aufgefordert, sich für folgende Ziele und Regelungen einzusetzen:
- Es sind Maßnahmen zu ergreifen, um in großen Großstädten (ab 500 000 Einwohner) oder in vergleichbaren Ballungsräumen den Anteil von Mietwohnungen im Eigentum von öffentlichen, genossenschaftlichen oder anderen gemeinwohlorientierten Anbietern deutlich zu erhöhen. Anzustreben ist langfristig ein Anteil von mindestens 50 Prozent.
- Wenn Grund und Boden in diesen dicht besiedelten Gebieten so knapp geworden ist, dass die angestrebte Erhöhung des Anteils von Wohnungen in öffentlicher oder gemeinwohlorientierter Hand durch Neubau nicht mehr erreicht werden kann, werden Wohnungskonzerne ab einer gewissen Größe gesetzlich dazu verpflichtet, Teile ihres Wohnungsbestandes sukzessive entweder in ein Tochterunternehmen mit gemeinwohlorientierter Rechtsform zu überführen oder an die jeweilige Kommune zu übertragen. Im Falle einer Übertragung würden die Unternehmen nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung abgefunden. Marktbedingte Bodenwertsteigerungen blieben dabei unberücksichtigt.
„Offenheit im Diskurs um Fragen der Vergesellschaftung. Dieser Diskurs schärft die Wahrnehmung für die Frage, in wessen Interesse und mit welcher Logik Stadtentwicklung betrieben wird. Eine Vergesellschaftung von Grund und Boden ist in unterschiedlichen Formen denkbar. Gemeinwohlinteressen zu formulieren und in Abwägung mit Kapitalanlageinteressen zu stellen, ist legitim und wird durch Art 15 GG gedeckt.“
So lauten die Formulierungen des Leitantrags zur Wohnungspolitik, der mit großer Mehrheit auf dem letzten Parteitag der NRW SPD verabschiedet wurde. Die dort erklärte „Offenheit“ hinsichtlich der Eigentumsfrage ist sehr zu begrüßen, weil damit deutlich wird, dass die SPD diese relevante Debatte wieder führen will. Die „Offenheit“ kann aber kein Dauerzustand sein – die SPD muss in wichtigen Diskursen mit klaren Positionen präsent sein. Im Folgenden wird ein konkreter Vorschlag für einen maßvollen und gleichzeitig wirkungsvollen Einsatz des Instruments der Enteignung aus Artikel 14 Grundgesetz (nicht „Vergesellschaftung“ aus Art. 15 Grundgesetz) begründet.
1.) Ausgangslage
In einigen unserer Metropolen in Nordrhein-Westfalen ist beim aktuell prognostizierten Bevölkerungswachstum klar, dass alleine die Erhöhung des Angebotes von Wohnungen („Bauen, bauen, bauen“) nicht mehr ausreichen wird, die Mieten auf ein akzeptables Niveau zu bringen bzw. ein hinreichend großes Segment an bezahlbaren Wohnungen für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu sichern. Hierzu fehlt es zunehmend an bebaubaren Grundstücken. Hinzu kommt, dass der Neubau von Wohnungen durch profitorientierte Akteure zur Erreichung dieses Zieles nicht nachhaltig wirkt: Nach Ablauf der Mietpreisbindung bei öffentlich geförderten Wohnungen „gehören“ diese wieder dem Markt. Mieten können erhöht und Mieter*innen „heraussaniert“ werden etc.
Wohnen ist ein soziales Menschenrecht. Unabhängig von der aktuellen Knappheitssituation ist angezeigt, dass Wohnungen in ausreichender Zahl im Eigentum von öffentlich kontrollierten oder anderen gemeinwohlorientierten Anbietern bereitstehen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Menschen vor den Unwägbarkeiten des unregulierten Marktes dauerhaft geschützt und Menschen aller Einkommensgruppen auch in unseren Metropolen verlässlich eine Heimat finden. Plakativ: Wien war besser auf das aktuelle Bevölkerungswachstum in den Metropolen vorbereitet als viele deutsche Städte, weil die vielen Wohnungen mit Gemeinwohlbindung die Mietpreissteigerungen abzufedern helfen.
2.) Lösung
Damit alle Einkommensschichten ein Angebot an bezahlbaren Wohnraum vorfinden können, ist ein solches Angebot in großen Großstädten (mehr als 500.000 Einwohner) an der Leistungsfähigkeit der Medianverdiener auszurichten (also denjenigen, bei denen die eine Hälfte der Bevölkerung weniger und die andere mehr verdient). Erst bei einem über dem Median liegenden Einkommen können Wohnungssuchende auf den unregulierten Markt verwiesen werden. Für die unteren und mittleren Einkommensgruppen muss die Miete dagegen allein kosten- und nicht renditeorientiert bestimmt werden.
Vorrangig sollte der Bedarf an Wohnungen in gemeinwohlorientierter Hand bei akuter Knappheit durch Neubau realisiert werden. Denn so wird nicht nur das gemeinwohlorientierte Segment, sondern das Wohnungsangebot insgesamt vergrößert. Wenn Grund und Boden in bestimmten Lagen so knapp geworden sind, dass die angestrebte Erhöhung des Anteils von Wohnungen in öffentlicher oder gemeinwohlorientierter Hand durch Neubau nicht mehr in ausreichender Zahl realisierbar ist, sollten Wohnungskonzerne ab einer gewissen Größe gesetzlich dazu verpflichtet sein, Teile ihres Wohnungsbestandes sukzessive entweder in eine gemeinnützige Form zu überführen oder an öffentliche oder gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen zu übertragen. Wichtig ist hier zu betonen, dass es ausschließlich um große Konzerne und nicht mittelständische Immobilieneigentümer geht. Im Falle einer Übertragung würden die Unternehmen nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung abgefunden. Marktbedingte Bodenwertsteigerungen blieben dabei unberücksichtigt. Staatliche oder kommunale Investitionen für diese Enteignungsentschädigungen würden sich langfristig amortisieren und zudem einen dauerhaften Beitrag dazu leisten, dass bezahlbare Wohnungen verlässlich bereitstehen.
Die Enteignung wäre in einem solchen Modell nur „Ultima Ratio.“ Vorrangig wäre der Neubau von Wohnungen und – falls dies nicht möglich ist – die Überführung von Teilen des Wohnungsbestandes privater Wohnungskonzerne in eine gemeinnützige Tochter. Erst wenn hierzu die Bereitschaft fehlen sollte, würde die Enteignung Platz greifen.
Das hier beschriebene Modell ist verfassungsgemäß. Artikel 14 Absatz 3 Satz Grundgesetz erlaubt Enteignungen zum Wohle der Allgemeinheit. Die Wahrung der Vielfalt in der Stadtbevölkerung und der Schutz der Ortsansässigen vor einer Verdrängung aus ihrer Heimatstadt aus wirtschaftlichen Gründen sind als Gemeinwohlziele anzusehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2019, Rn. 72 – Az.: 1 BvR 1/18, 1BvR 4/18, 1 BvR 1595/18); dem Gesetzgeber steht bei der Auswahl dieser Ziele ein weiter Spielraum zu (vgl. BVerfGE 134, 242 Rn. 172). Eine Enteignung ist auch finanzierbar. Nach dem eindeutigen Wortlaut von Artikel 14 Absatz 3 Satz 3 Grundgesetz ist nicht der Verkehrswert geschuldet, vielmehr ist die Entschädigung durch eine gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Dies hat die SPD – namentlich Carlo Schmid – im Parlamentarischen Rat durchgesetzt. Da das Grundeigentum hier nicht in die Hand von renditeorientierten Privaten überführt werden soll, kann der Gesetzgeber eine Enteignungsentschädigung deshalb auf den Betrag reduzieren, der erforderlich ist, damit dem Eigentümer im Hinblick auf seine getätigten Investitionen kein Verlust entsteht. Einer Entschädigung ist lediglich hinsichtlich der Bausubstanz eines auf dem Grundstück befindlichen Gebäudes dessen Sachwert in der Regel nach den dafür anzusetzenden Marktpreisen ‑ unabhängig vom Ort und der Lage der Liegenschaft ‑ zugrunde zu legen (zur Sachwertermittlung vgl. § 21 der Immobilienwertermittlungsverordnung). Für den darüber hinaus gehenden Bodenwert der Immobilie sind marktbedingte Bodenwertsteigerungen nicht zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass spekulationsgetriebene Exzesse auf dem Grundstückmarkt bei einer Enteignungsentschädigung nicht zu Grunde gelegt werden müssten.
Wenn es richtig ist, dass „Bauen, bauen, bauen“ in Ballungsräumen alleine keine Linderung der Wohnungsknappheit verspricht, dann ist es zwingend notwendig, andere wirksame Lösungen durchzusetzen. Die SPD kann sich nicht leisten, auf dieses drängende Problem nur unzureichend zu reagieren, denn betroffen sind unsere aktuellen und zurückzugewinnenden Wählerinnen und Wähler. Deshalb gilt es, die Debatte sachlich zu führen und sich nicht durch unsachliche Zuspitzungen in den Medien aus dem Konzept bringen zu lassen. Entscheidend ist die Kompetenz, Probleme nicht nur zu beklagen, sondern zu lösen.
Streiche Punkt 2