Mit der Abschaffung der Stichwahl für Bürgermeister und Landräte haben die Regierungsfraktionen von CDU und FDP im April 2019 der kommunalen Demokratie einen Bärendienst erwiesen. Die CDU haben dabei ihren Juniorpartner vor ihren machtpolitischen Karren gespannt, um bei der Kommunalwahl 2020 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Landrätinnen und Landräte aus ihren Ämtern zu vertreiben, die sie 2014 bzw. 2015 mit absoluter Mehrheit der Wählerstimmen errungen haben.
Der entschlossene Widerstand der sozialdemokratisch angeführten Opposition und die Beteiligung am Bündnis „Stichwahl bleibt!“ von „Mehr Demokratie e.V.“ waren notwendige Schritte, die der demokratiepolitischen Dimension dieses unverantwortlichen Handelns gerecht wurden. Die gemeinsame Klage der Grünen- und der SPD-Landtagsfraktion vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster gegen diese schwarz-gelbe Weniger-Demokratie-Reform ist die richtige Konsequenz.
Es genügt jedoch nicht, die Verschlechterung des Status Quo zu beklagen und eine einfache Rückabwicklung der Reform zu fordern. Das erste Argument der Stichwahl-Abschaffer ist schwach, die kaum erwähnenswerten Mehrkosten für einen zweiten Wahlgang allein können diese Reform nicht rechtfertigen. Am zweiten Argument dagegen kranken beide Modelle: Die schwache demokratische Legitimation.
Ohne Stichwahl gehen viele Menschen wählen, jedoch ziehen unter Umständen Kandidierende mit bloß einem Viertel der Stimmen in die Amtsstuben ein. Mit einem zweiten Wahlgang ist die absolute Mehrheit geschützt, jedoch stimmen die Menschen seit Jahren mit den Füßen ab und bleiben in Scharen zu Hause. Diese doppelte Schwäche ist offensichtlich, und kann auch nicht durch Austauschen von jeweils zur eigenen Argumentation passenden Zahlenbeispielen übertüncht werden.
Ein Modell, das diese doppelte Schwäche des Wahlrechts löst, ist die integrierte Stichwahl. In einem einzigen Wahlgang wählen die Wählerinnen und Wähler nicht nur ihre erste Wahl für Rat- und Kreishaus, sondern nummerieren alle Kandidatinnen und Kandidaten auf dem Stimmzettel durch. Es werden – wie in einem ersten Wahlgang – zunächst nur die erste Stimme ausgezählt. Erreicht dabei niemand eine absolute Mehrheit, werden nach und nach die schwächsten Kandidaturen aussortiert und ihre Stimmzettel gemäß dem Wählerwillen weiterverteilt, bis ein Kandidat oder eine Kandidatin die Hälfte aller Wählerstimmen erreicht. Erreichen etwa bei drei Kandidierenden Kandidatin A und Kandidat B jeweils etwa 40 Prozent und Kandidat C etwa 20 Prozent, scheidet letzterer aus und seine Stimmzettel werden nach der zweiten Präferenz auf die beiden Verbliebenen verteilt.
Der einzige Nachteil dieses Verfahrens ein gewisser Mehraufwand beim Auszählen. Dem ist zum einen entgegenzuhalten, dass dieser in keinem Verhältnis zur Belebung des demokratischen Wettstreits in den Kommunen steht. Zum anderen ließe sich auch bei diesem Aspekt durch elektronische Erfassung alle Stimmzettel zum Zweck der Auszählung Abhilfe schaffen. Das bedeutet, dass der Wahlvorstand die Stimmzettel händisch etwa in eine Excel-Tabelle überträgt, wahlweise mithilfe eines geeigneten Programms. Ein zeitaufwendiger Auszählungsprozess mit mehreren Auszählungsrunden lässt sich so vermeiden, die erfassten Stimmzettel können beim Wahlleiter mittels geeigneter Software ausgezählt werden. Der Prozess ist sicher gegen Manipulation, mehr noch trägt er zu mehr Transparenz bei, da einfach nachgeprüft werden kann, ob der Wahlvorstand die Stimmen korrekt erfasst hat. Das Wahlgeheimnis bleibt hierbei vollständig gewahrt, da die Stimmzettel den Wählerinnen und Wählern nicht zugeordnet werden können.
Die integrierte Stichwahl wird erfolgreich etwa bei der Präsidentschaftswahl in Irland oder bei der Wahl der Senatoren im US-Bundesstaat Maine eingesetzt. Der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ spricht sich für dieses Verfahren ebenso aus wie seit 2015 auch die SGK Niedersachen. Sie schafft mit hoher Wahlbeteiligung und einer garantierten absoluten Mehrheit eine doppelt starke demokratische Legitimation. Die SPD-Landtagsfraktion ist aufgefordert, auf eine entsprechende Änderung des Kommunalwahlgesetzes hinzuwirken.