Solidarpakt Zukunft
Keine Herausforderung seit Ende des Zweiten Weltkrieges haben unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und jede Einzelne und jeden Einzelnen so gefordert wie Corona-Pandemie. Es geht um die Bekämpfung der Ausbreitung des Virus zum einen und um die Abmilderung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieses Vorgehens zum anderen. Wir sehen: Wir haben es bislang gemeinsam und oft solidarisch geschafft – doch die Auswirkungen und Herausforderungen wirken stark unterschiedlich auf Branchen, Beschäftige, Wirtschaftszweige, Familien, unser Bildungs- und Gesundheitssystem.
Deutschland und Nordrhein-Westfalen waren binnen weniger Tage nicht mehr wiederzuerkennen: Schulen und Kitas blieben geschlossen, Geschäfte und Restaurants ebenfalls, die Fußballstadien waren verwaist, Urlaubsreisen verboten, selbst das Treffen mit Familie und Freunden untersagt. Gesellschaft und Staat haben schnell und beherzt reagiert– doch Verunsicherungen entstanden durch unterschiedliches Vorgehen in den Ländern und widersprüchliche Kommunikation. In einer Krise sind Orientierung, Klarheit und Zusammenhalt gefragt wie nie. Unser Sozialstaat hat sich bewiesen: Durch die richtigen politischen Weichenstellungen kann Massenarbeitslosigkeit durch Kurzarbeit verhindert werden und Ressourcen für ein zuvor schon belastetes Gesundheitssystem bereitgestellt werden, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Umgehend wurden Soforthilfen beschlossen, um Existenzen zu sichern. Und um der Wirtschaft einen kräftigen Schub zu geben, haben wir im Bund ein Konjunkturprogramm beschlossen, das sozial gerecht ist – und unser Land auch ökologisch nach vorne bringt. Ein Programm für Familien, für Kommunen, für Auszubildende, für kleine und mittelständische Unternehmen, für die Kultur und die Umwelt. Doch es bleibt auch die Erkenntnis, dass es nach der Corona-Pandemie nicht wieder so sein wird wie zuvor. Die Pandemie wird ein Ende finden, aber unseren Alltag, die Arbeit und das Leben auf Dauer verändern. Die zentralen Fragen rücken wir in den Mittelpunkt. Was wollen wir zum Besseren verändern und damit die Frage aus Sicht der Sozialdemokratie beantworten: Wie geht es für NRW weiter?
Auch wir müssen die Lehren aus der Corona-Pandemie ziehen. Die gesamte öffentliche Daseinsvorsorge, das Gesundheitswesen, Altenpflege, Wirtschaft und Beschäftigte, Bildung, Familien und Kommunen – alle haben sich bewiesen, haben ihr Stärken gezeigt. NRW ist zusammengerückt, ist solidarisch. Doch auch Schwachstellen und Versäumnisse haben sich gezeigt: Teils sind diese Schwachstellen neu, aber in vielen Bereichen wirkt die Pandemie wie ein Brennglas und zeigt drastisch, wo wir Probleme haben liegen lassen. Das war und ist fahrlässig und teils gefährlich.
Mit fast 18 Millionen Menschen ist NRW das bevölkerungsreichste Bundesland. Wir können und wir werden Vorbild sein – in Deutschland, aber auch für Europa. Wir wollen die Probleme anpacken. Wir bezeichnen uns gerne als die Weltmeister des Strukturwandels – das werden wir nun erneut unter Beweis stellen. Diese Umbrüche erfahren nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie eine Beschleunigung und stellen in der Kombination mit der Pandemie einen zusätzlichen Stresstest dar.
Deshalb braucht es einen Solidarpakt Zukunft für NRW. Die NRWSPD hat gemeinsam mit VertreterInnen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen – Partei, Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft – Ideen entwickelt, um die richtigen Lehren aus der Pandemie zu ziehen. Wir haben Lösungen formuliert. Kein leichter, sondern ein anspruchsvoller Weg. Wir wollen in unser Land investieren. Aber diese Investitionen müssen sich daran messen lassen, zukunftstauglich zu sein. Wir wollen Fortschritt – und der ist ökologisch, aber vor allem sozial gerecht. Dabei setzen wir auf ein solidarisches Miteinander: wir wollen die unterschiedlichen Regionen und Teile der Gesellschaft zusammenhalten, indem wir allen eine gute Perspektive bieten. So schaffen wir Sicherheit im Wandel und Akzeptanz in der Bevölkerung. Das ist der Solidarpakt Zukunft für NRW.
Verlässliche Bildungspolitik mit Zukunft
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Digitalisierung im Bildungswesen kein Selbstzweck ist. Sie hat das Lernen auf Distanz ermöglicht. Doch auch abseits von Corona liegen große Potenziale in der Digitalisierung. Sie ermöglicht mehr Teilhabe und Chancengleichheit. Es ist unser Kernanliegen, dass alle Kinder und Jugendliche davon profitieren.
Fast 3 Millionen Kinder lebten in NRW. Und es werden mehr, die Geburtenrate steigt, 2019 wurden in NRW knapp 170.000 Kinder geboren. Daher wird auch absehbar die Zahl der SchülerInnen an den NRW-Schulen deutlich steigen. Rund 620.000 Mädchen und Jungen unter sechs Jahren werden in NRW in Kindertageseinrichtung betreut – Tendenz steigend. Jährlich absolvierten rund 300.000 – zumeist junge – Menschen in NRW eine duale Ausbildung. Und an den NRW-Hochschulen sind etwa 768.000 Studierende eingeschrieben. Sie sind das Potenzial von NRW und sie alle verdienen beste Bildung.
Knapp jede/jeder fünfte Minderjährige in NRW lebt jedoch in einer Familie, die aus eigenen Kräften nicht in der Lage ist, für den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sorgen. Sie leben in Armut oder sind von ihr bedroht. Weder die soziale oder kulturelle Herkunft noch die Finanzkraft der Eltern dürfen jedoch nicht über die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen entscheiden.
Wir wollen Chancengleichheit und dazu gehört auch, dass alle Kinder und Jugendliche von der Digitalisierung profitieren. Wir müssen Kinder, Jugendliche und Bildungseinrichtungen entsprechend ausstatten. Die digitale Bildungsagenda braucht einen echten politischen Aufbruch.
- Wir brauchen eine Gesamtstrategie für die Digitalisierung im Bildungswesen. Sie muss bei der frühen Bildung ansetzen und über allgemeine- und berufsbildende Schulen sowie Ausbildung bis zu den Hochschulen gehen.
Verlässliche Bildungspolitik mit Zukunft S. 6
Neue Wirtschaftskraft durch solidarischen Fortschritt
Mehr als ein Fünftel aller Erwerbstätigen in Deutschland, rund 9,6 Millionen Menschen, sind in NRW beschäftigt. Sie haben im Jahr 2019 Güter und Dienstleistungen mit einem Wert von mehr als 710 Milliarden Euro produziert. Das sind rund 21 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung. 10 der 30 DAX-Unternehmen haben ihren Firmensitz in NRW. Damit ist NRW nicht nur der Motor innerhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb Europas ein echtes Schwergewicht.
Und NRW soll Schwergewicht bleiben. Doch dafür müssen wir investieren. Bereits vor der Pandemie war die NRW-Industrie in keiner guten Verfassung. Die Globalisierung, Handelsstreitigkeiten und der Brexit haben uns zugesetzt. Gleichzeitig stecken wir durch den Klimawandel mitten im Umbau der Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund treffen uns die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie besonders schwer. Unternehmen, die bisher in Schwierigkeiten steckten, ringend jetzt um Luft. Aus Handlungsdruck wird nun echter Zeitdruck.
Wir wollen dieser Herausforderung durch Fortschritt begegnen. Im Angesicht der Lage sind für uns „verwalten“ oder gar „aussitzen“ keine Optionen. Der Fortschritt ist ökologisch – aber vor allem sozial. Daher müssen wir jetzt in Zukunftstechnologien und in die dafür nötige Infrastruktur investieren. Nur so werden wir die Herausforderungen der Energiewende und der digitalen Revolution meistern. Wir wollen unsere Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und die Rezession überwinden. Wir sind bereit, massiv in den Wirtschaftsstandort NRW und seine Beschäftigten zu investieren.
- Für die Sozialdemokratie müssen Investitionen in den Wirtschaftsstandort NRW drei Kriterien erfüllen: wir wollen ökonomischen, ökologischen und sozialen Fortschritt.
NRW: Neue Wirtschaftskraft durch solidarischen Fortschritt S. 15
NRW ist Industrieland und soll es bleiben. Wir sehen die Industrie als einen unverzichtbaren Kernunserer Wirtschaft an, ohne deren Wertschöpfung und Produktion wir nicht krisenfest und zukunftsfähig sein können. In unserem Antrag „Social Green Deal – nachhaltige Industrie als Grundlage für sozialen, demokratischem und ökologischen Fortschritt“ machen wir daher deutlich, welche Vorstellungen die Sozialdemokratie für eine aktive und nachhaltige Industriepolitik hat.
„Social Green Deal“ Antragsbuch St-01
Gesundheit und Pflege: Es braucht mehr Solidarität im System
Die Grundlage dieses Erfolgs, das hat uns die Pandemie vor Augen geführt, ist ein verlässliches Gesundheits- und Pflegewesen. In NRW leben rund 770.000 pflegebedürftige Menschen. Rund drei Viertel von ihnen werden zu Hause versorgt. Jährlich werden in den NRW-Krankenhäusern rund 4,5 Millionen PatientInnen versorgt. In fast allen Bereichen des Gesundheits- und Pflegewesens steigen die Kennziffern, die Nachfrage ist groß. Die Versorgung stellen in NRW rund 1,3 Millionen Beschäftigte sicher – so viele Menschen sind in Gesundheitswesen und -wirtschaft tätig. Etwa jede/jeder siebte Erwerbstätige in NRW arbeitet dort. Inzwischen wird dort sogar knapp ein Zehntel der NRW-Wirtschaftsleistung erbracht.
Unsere Gesundheits- und Altenpflege wird durch die Corona-Pandemie jedoch auf eine harte Probe gestellt, insbesondere die Beschäftigten – sie tragen die Last. Seit geraumen Zeit erleben wir, dass oft das gemacht wird, was sich finanziell rechnet. Leidtragende sind PatientInnen und Personal. Die Pandemie zeigt, dass es ein gefährliches Spiel ist, wenn wir zentrale Systeme der Daseinsvorsoge auf Kante nähen.
Das Handeln im Gesundheitswesen muss sich daher wieder daran ausrichten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist. Notwendig sind vor allem verlässliche Finanzierungsgrundlagen, mehr öffentliche Investitionen und der Schutz vor internationalen Kapitalinteressen. Der Sozialstaat muss wieder mehr Einfluss nehmen und seine Verantwortung auch finanziell untermauern. Die Bürgerversicherung ist nur ein Baustein dieser Politik.
- Nur eine auskömmliche Finanzierung des Gesundheits- und Pflegewesens wird Löhne, Arbeitsbedingungen und damit auch die Qualität nachhaltig verbessern.
Gesundheit und Pflege: Es braucht mehr Solidarität im System S.24
Für Kommunen mit Zukunft – Volles Leben statt leerer Kassen
Für uns ist klar: Zukunft wird vor Ort entschieden. Wirksamer Klimaschutz, ökologische Verkehrswende, konsequente Digitalisierung, gute Arbeitsplätze, beste Bildung, befriedigende Gesundheits- und Pflegeversorgung, verlässliche Kinderbetreuung und starke Wirtschaftsförderung – all das und noch viel mehr leisten unsere Kommunen. Sie setzen Politik um, investieren in Zukunft und machen Politik erlebbar. Das gelingt jedoch nur, wenn Kommunen auch das nötige Geld haben.
NRW ist ein Land mit großen Stärken und vielen Erfolgen. Es ist aber auch ein Land sozialer und ökonomischer Unterschiede – bereits vor Corona. Es gibt Städte, die wachsen, und Städte, die schrumpfen. Es gibt ländliche Räume, die prosperieren, und ländliche Räume, deren Einwohnerzahlen sinken. Boom-Regionen mit Vollbeschäftigung grenzen an strukturschwache Regionen, die gegen Langzeitarbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit zu kämpfen haben.
Viele Kommunalhaushalte sind nun durch Corona ins Wanken geraten, die Pandemie hat massive finanzielle Folgen. Es trifft besonders die Schwachen. Unsere Kommunen brauchen daher dringende Unterstützung aus Bund und Land – mehr denn je und das sofort. Die NRWSPD steht in diesem Kampf an der Seite der Kommunen.
- Die ungleichen Lebensverhältnisse, die wir heute in NRW erleben, sind das Ergebnis ungleicher Verteilung. Vielerorts fehlt das Geld. Daher fordern wir: Ungleiches auch ungleich behandeln!
Für Kommunen mit Zukunft – Volles Leben statt leere Kassen S.37
Die Basis: Ein handlungsfähiger und solidarischer Sozialstaat
Entscheidend ist, dass wir den Staat wieder als Akteur begreifen, der den Alltag aller BürgerInnen besser macht und jedem Menschen die gleichen Chancen für ein gutes und gelingendes Leben bietet. Was wir brauchen, ist ein handlungsfähiger Staat. Und wir wollen, dass der Grundsatz wieder gilt: Starke Schultern tragen mehr als Schwache. Denn nur mit Solidarität wird es gelingen, Fortschritt für alle Menschen in NRW zu erreichen.
Für einen handlungsfähigen Staat müssen sich alle solidarisch an der Finanzierung unseres Zusammenlebens beteiligen. Mit uns haben Steuertrickserei, Steuerbetrug und Steuerraub in NRW keine Zukunft. Im Bund braucht es eine Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaftssteuer. Die zehn Prozent der höchsten EinkommensbezieherInnen müssen wieder mehr in die Verantwortung genommen werden. Auch Kapitalerträge müssen dabei Berücksichtigung finden. Über eine Digitalsteuer wollen wir auch digitale Großkonzerne wie Amazon und Google in die selbstverständliche Steuerpflicht nehmen.
So wird der Staatwieder in der Lage sein, für gleichen und gerechten Zugang zu Bildung und Arbeit zu sorgen, er wird dafür sorgen können, dass genügend bezahlbare Wohnungen gebaut werden und endlich die vielerorts verrottete Infrastruktur wieder repariert wird: Schulen, Schwimmbäder, Brücken, Straßen, Schienen, das heißt Daseinsvorsorge, Mobilität und Gigabit für alle – in Stadt und Land, an jeder Milchkanne.
So schreiben wir einen neuen, modernen, zuversichtlichen und sozial gerechten Entwurf für die Zukunft unseres Landes. Dabei orientieren wir uns an einem Gesellschafts- und Menschenbild, das anerkennt, dass Freiheit für jede Einzelne und jeden Einzelnen nur durch die Solidarität aller möglich ist.
Das ist der Solidarpakt Zukunft.
Verlässliche Bildungspolitik mit Zukunft
Die soziale oder kulturelle Herkunft der Eltern darf nicht über die Bildungschancen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entscheiden. Dass unsere Kinder es einmal besser als wir selbst haben sollen, ist das Ziel sozialdemokratischer Politik. Bildung im gesamten Lebensverlauf muss kostenfrei sein – diese Forderung wird durch die Corona-Krise nicht außer Kraft gesetzt. In Nordrhein-Westfalen muss wieder gelten und das ohne Ausnahme: kein Kind zurücklassen!
Das NRW-Bildungschaos im Jahr 2020 darf sich nicht wiederholen. Dies ist zwar in erster Linie die Schuld verfehlter schwarz-gelber Landespolitik, die Lehre ist aber auch, dass es im Krisenfall ein Gesundheitsschutzkonzept braucht.
Unsere Position:
- NRW braucht ein Gesundheitsschutzkonzept für das Bildungswesen. Kinder, Familien, Bildungsträger und Personal brauchen Verlässlichkeit in der Krise. Ein solches Konzept erfordert die Evaluation des Bildungsjahres 2020 und muss darauf aufbauen.
- Es braucht zeitnah einen Schulgipfel, um gemeinsame Meilensteine für das Bildungssystem in NRW zu entwickeln. Hier müssen das Parlament, die kommunalen Spitzenverbände, die Lehrerverbände, die LandesschülerInnenvertretung und die Elternverbände vertreten sein.
- Wir brauchen eine Gesamtstrategie für die Digitalisierung im Bildungswesen. Sie muss bei der frühen Bildung ansetzen und über allgemeine und berufsbildende Schulen sowie Ausbildung bis zu den Hochschulen gehen.
- Die Digitalisierung im Bildungsbereich soll durch einen Digitalpakt 2.0 gesichert werden. Dieser ermöglicht zusätzliches Fachpersonal, finanziert die Fortbildungen für die PäadagogInnen und gewährleistet die Versorgung mit leistungsfähigen Internetzugängen und kostenfreien Endgeräten.
- Lernprogramme und vor allem Programme, die zur direkten Kommunikation dienen, müssen weiterentwickelt und in allen Bildungsreinrichtungen zum Standard werden.
- Die digitale Organisation und Verwaltung in Bildungseinrichtungen muss verstärkt genutzt werden. Sie können Arbeits- und Handlungsabläufe erleichtern, um mehr pädagogische Ressourcen zur Verfügung stellen zu können.
Es braucht ein NRW-Gesundheitsschutzkonzept für das Bildungswesen
Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit braucht verlässliche Strukturen – gerade in der Krise. Das Bildungschaos 2020 hat Familien und PädagogInnen jedoch an den Rand ihrer Belastungsgrenzen geführt – das darf sich nicht wiederholen. Das Lernen auf Distanz und das Lernen von zu Hause muss die Ultima Ratio bleiben – und gerade deswegen gut vorbereitet und in ein Gesamtkonzept integriert werden. Elemente des Distanzlernens, die sich in den vergangenen Monaten als praktikabel erwiesen haben, müssen sich darin wiederfinden. Es gilt zu überlegen, inwiefern dringend notwendige, individuelle Förderungen, ergänzend zum Vorteil der SchülerInnen genutzt und zugleich in Krisenzeiten weiterhin umgesetzt werden können.
Dieses Gesamtkonzept muss jetzt erstellt werden und allen Beteiligten deutlich machen, welche Maßnahmen generell im Fall einer gesundheitlichen Krise getroffen werden und wie der Ausfall von Präsenzunterricht, Erziehung und Betreuung kompensiert wird. Hierbei ist es wichtig, dass verschiedenste Akteure und damit auch akut betroffenes Lehrpersonal, in die Erstellung des Konzepts eingebunden werden. Die Verantwortung darf nicht – wie 2020 geschehen – auf Familien, PädagogInnen und Bildungsträger abgewälzt werden. Bildungseinrichtungen müssen durch das Land für unterschiedliche Szenarien gerüstet sein.
Infektionsschutz und Bildungsförderung dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden: Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Gesundheit und auf Bildung; und PädagogInnen haben ein Recht darauf, ihrem Beruf nachzugehen, ohne vermeidbare Ansteckungsrisiken in Kauf nehmen zu müssen.
In erster Linie müssen daher Hygienestandards definiert werden. Dies betrifft die Infrastruktur, also sämtliche Räumlichkeiten, Lüftungsmöglichkeiten, die Reinigung von Bildungseinrichtungen sowie den Schutz von Personen durch Schutzausrüstung wie Masken und Desinfektionsmittel. Die Standards müssen für allgemein- und berufsbildende Schulen und Kindertageseinrichtungen gleichermaßen gelten. Voraussetzung ist ein finanzielles Engagement durch das Land. Wir fordern hierfür die Fortsetzung des Programms aus unserer Regierungszeit, nun als „Gute Schule 2025“ betitelt.
Eine Sanierung unserer Schulen ist in Zeiten der Pandemie wichtiger denn je. Daher erneuern wir unsere Forderung nach einem Schulbau-Notprogramm. Hier müssen Land und Kommunen gemeinsam agieren. Denn auch wenn formal die kommunalen Schulträger die Verantwortung für die Ausstattung der Schulgebäude haben, kann es ohne eine neue „Verantwortungsgemeinschaft“ nicht zu einer raschen und guten Lösung kommen. Die gegenwärtigen Verflechtungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind nicht mehr zeitgemäß und schwer durchschaubar. Zudem lähmen sie Prozesse eher, als Lösungen zu bieten. Daher bekräftigen wir noch einmal unsere Forderung nach einem „New Deal“. ExpertInnen, darunter auch VertreterInnen z.B. der Städte und Gemeinden, unterstützen uns hierbei.
Im Vorfeld einer gesundheitlichen Krise braucht es verlässliche Kriterien, für welche Gruppen der intensivere Einsatz von Lernen auf Distanz in Frage kommt. Wir sind der Überzeugung, dass für jüngere und für bildungsbenachteiligte Kinder möglichst viel Präsenz vorgesehen werden muss. Jugendliche, beispielweise SchülerInnen in den Oberstufen, können überwiegend besser mit den Angeboten des Distanzlernens umgehen. Unabhängig von der tatsächlichen Ausgestaltung einer solchen Richtlinie ist für uns klar, dass Ressourcen strategisch eingesetzt werden müssen. Priorität muss die kurzfristige Versorgung der Schulen mit verleihbaren Endgeräten mit Internetzugang (SIM-Karte) sein, damit im Bedarfsfall benachteiligte Kinder und Jugendliche entsprechend ausgestattet werden können.
Unabhängig gilt, dass die zu unterrichtenden Gruppen verkleinert werden müssen, um das Lehrpersonal zu entlasten und die Ansteckungsrisiken zu minimieren. Dabei zeigt sich jedoch erneut das Problem, dass in den seltensten Fällen genug Lehrkräfte vorhanden sind, die durch die Verkleinerung neu entstehende Lerngruppen betreuen und unterrichten können, ohne das ältere SchülerInnen dabei auf der Strecke bleiben. Daher bekräftigen wir unsere Forderung erneut, dem Lehrkräftemangel, auch kurzfristig, entgegenzuwirken, beispielsweise durch zusätzliches pädagogisches Personal oder durch die Erleichterung des Zugangs für Quereinsteiger. Des Weiteren zeigt sich, dass auch die Räumlichkeiten den veränderten Rahmenbedingungen nicht angemessen sind. Die kleineren Gruppen brauchen mehr multifunktionale Räume, wie wir sie bereits gefordert haben. Dies muss auch weiterhin unser Ziel bleiben.
Bevor Kinder und Jugendliche im Ernstfall doch nach Hause geschickt werden, müssen alle vorgelagerten Maßnahmen geprüft und ausgeschöpft werden. Dazu gehört Unterricht auf Abstand, welcher mit Distanzlernphasen kombiniert wird. Des Weiteren müssen auch außerschulische Lernorte und, falls vorhanden, das dortige Personal einbezogen werden. Und wenn Schul- oder Klassenschließungen unvermeidbar sind, muss es für benachteiligte Kinder und Jugendliche Orte für das betreute Lernen in Kleingruppen geben.
Die in unserem Land garantierte Rechtssicherheit darf auch und gerade in einer Krise nicht gefährdet oder gar außer Acht gelassen werden. Dies gilt für den Einsatz der Fach – und Lehrkräfte, den Einsatz kommerzieller Chat- und Videokonferenzprogramme, für die Benotung und Versetzung und den Umgang mit Veranstaltungen und Klassenfahrten. Ziel muss eine rechtlich sichere Lösung sein, durch die die Verantwortung nicht allein bei den betroffenen Fach- und Lehrkräften verbleibt.
Die Digitalisierung des Bildungswesens muss unabhängig von der Krise geschehen, auch wenn die Krise ein Beschleuniger ist. Trotzdem kommt ihr angesichts der Pandemie-Bekämpfung eine besondere Rolle zu, weil die Krise das Lernen auf Distanz erfordert, wenn analoge Strukturen wegbrechen. In der Krise müssen für Distanzlernen erforderliches Know-How und Ausstattung zur Verfügung stehen. So lange im NRW-Lernmanagementsystem „Logineo“ Messenger- und Videodienste in der Fläche noch nicht zur Verfügung stehen oder Rechtssicher sind, müssen Lehrkräfte übergangsweise mit Lizenzen versorgt werden. Ein Vorbild können dabei die Hochschulen in NRW sein, die sich in der Krise bei der schnellen Organisation einer E-Learning-Infrastruktur bewährt haben.
Lernanwendungen, die seit Beginn der Corona-Pandemie zunächst schnell und als Notlösung eingesetzt wurden, müssen nun auf ihren Nutzen überprüft und ggf. in pädagogische Konzepte integriert werden.
Wir müssen die Digitalisierung im Bildungswesen beschleunigen
„Aufstiegschancen durch Bildung. Beste Bildung NRW – ein Leben lang!“ Unter dieser Überschrift formulierten wir 2019 unser Ziel, Bildungsspitzenreiter im Bundesdurchschnitt zu werden. Dieses Ziel wird durch Corona nicht außer Kraft gesetzt! Die Corona-Pandemie hat den Handlungsdruck jedoch erhöht.
Die Digitalisierung im Bildungswesen, insbesondere das Lernen und Lehren auf Distanz, hat sich in der Krise als Schlüssel dafür erwiesen, dass Bildung, wenn auch kompensiert, durch die entsprechenden Einrichtungen noch stattfinden konnte. Nach wie vor unklar ist, wie lange uns das Virus noch beschäftigen wird. Ein weiterer Shutdown könnte drohen, Bildungseinrichtungen könnten erneut schließen. Darauf müssen wir vorbereitet sein.
Bereits vor der Pandemie war klar, dass ein souveräner Umgang mit Computer- und Informationstechnik für das gesamte Bildungswesen zukunftsrelevant ist. Die Digitalisierung darf jedoch nicht an den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus einkommensschwachen Familien vorbeiziehen. Wie sich während der Pandemie erneut gezeigt hat, stehen ihnen oftmals nicht die technischen Endgeräte, ein ausreichender Internetanschluss sowie ein geeigneter Arbeits-(Lern-)platz zur Verfügung. Vor allem aber fehlt es vielen Kindern, Jugendlichen und Eltern an den für die Nutzung digitaler Lernmöglichkeiten erforderlichen Kompetenzen. Chancengleichheit besteht nicht, wenn der Zugang zur digitalen Bildung von Einkommen und Bildungsnähe des Elternhauses abhängt. Zudem sind die Nutzungsmöglichkeiten zwischen Bildungseinrichtungen ungleich verteilt, sodass sich sowohl soziale als auch regionale und quartiersbezogene Ungleichheiten im Zugang zu Bildung verschärfen. Auch hat sich während der Pandemie gezeigt, dass wieder die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen sowie ihrer Familien nicht berücksichtigt wurden. Sie wurden mit den Herausforderungen der Krise faktisch alleingelassen, ungeachtet ihres verbrieften Rechts auf Bildung und Teilhabe.
Um beste Bildung in und für NRW zu realisieren, müssen die Potenziale der Digitalisierung genutzt werden. Diese liegen aus sozialdemokratischer Perspektive vor allem in der Verbesserung von Teilhabe und Chancengleichheit. Eine so verstandene „digitale Bildung“ ersetzt weder pädagogisches Handeln noch die persönlichen Beziehungen zwischen PädagogInnen und Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Die Digitalisierung muss vielmehr eingebunden sein in ein Gesamtkonzept und ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, dessen Einsatz sich an bildungspolitischen Zielen messen lassen muss.
Eine teilhabe- und chancenorientierte Förderung von Kindern und Jugendlichen erfordert eine früh einsetzende, niederschwellig und sozialraumorientiert angelegte Unterstützung von Familien. Sie erfordert die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Bildungseinrichtungen und Eltern, gute Lernbedingungen, individuelle Förderung und eine kognitiv und sozial aktivierende, kompetenzorientierte Gestaltung von Lernen. Und sie erfordert die Begleitung der Bildungslaufbahn einschließlich der Übergänge von Kita zu Schule, von Grund- zu weiterführender Schule und in Ausbildung oder Studium. Während der Corona-Pandemie hat sich besonders deutlich gezeigt, dass diese bildungspolitischen Ziele bisher nicht erreicht werden.
Die Digitalisierung betrifft die gesamte Bildungsbiografie
Die Digitalisierung im Bildungswesen muss die gesamte Bildungsbiografie eines Menschen in den Blick nehmen: von der Frühen Bildung bis zur Ausbildung und Hochschule und darüber hinaus.
Auch in der Frühen Bildung können digitale Instrumente und digitale Bildung sinnvoll eingesetzt und gefördert werden, z. B. Lernprogramme oder Online-Angebote. Der Austausch zwischen PädagogInnen und Eltern kann durch digitale Unterstützung vereinfacht werden.
Zu wenig beachtet wurde bisher die Funktion der Berufskollegs für den Ausgleich von Bildungsbenachteiligung und für die Versorgung des Wirtschaftsstandorts NRW mit Fachkräften. Berufskollegs können dazu beitragen, die gerade auf der mittleren Qualifikationsebene prognostizierte Fachkräftelücke zu schließen. Insbesondere in Bildungsgängen, die auf den Hauptschul- oder einen mittleren Schulabschluss vorbereiten, müssen digitale Schlüsselkompetenzen systematisch vermittelt und die Potenziale der Digitalisierung für die individuelle Förderung und das Ermöglichen von Bildungsaufstiegen genutzt werden. Viele Berufskollegs haben bereits mit großem Engagement entsprechende Konzepte entwickelt; deren Weiterentwicklung und Transfer müssen gezielt gefördert werden.
Hochschulen haben sich in der Corona-Lockdown-Phase als anpassungsfähig, innovativ und flexibel gezeigt – Semesterstarts und Fristen wurden verschoben, viele Veranstaltungen wurden auf digitale Formate umgestellt. Doch auch hier zeigt sich, dass Studierende in finanziell schwächeren Situationen stark von der Krise betroffen waren und sind. Räume zur PC-Nutzung schlossen ebenso wie Bibliotheken. Wer zuhause über schlechtes oder gar kein Internet verfügt, konnte nicht an den Lehrveranstaltungen teilnehmen. Auch fielen Aufgrund des Lockdowns viele Nebentätigkeiten weg. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass viele Studierende eben nicht, oder nur unzureichend, durch ihr Elternhaus finanziell abgesichert sind und somit in ernsthafte finanzielle Probleme gerieten. Während es für die Wirtschaft schnell Konjunkturprogramm gab, fühlten sich viele Studierende im Stich gelassen. Für uns gilt daher, dass an den Hochschulen nicht nur die nötige digitale Infrastruktur gegeben sein muss, sondern auch, dass jede/jeder Studierende den Zugang zu digitalen Endgeräten braucht. Wer zuhause über kein (ausreichendes) Internet verfügt, braucht die entsprechenden Räumlichkeiten an seiner Hochschule. In Krisenzeiten brauchen Studierende zudem schnelle finanzielle Hilfe und nicht erst dann, wenn der oder die Studierende nachweist, dass sie über keinerlei finanzielle Mittel mehr verfügt.
Digitale Infrastruktur und Endgeräte
Die Basis aller Anstrengungen ist der Ausbau der digitalen Infrastruktur an Bildungseinrichtungen durch die Versorgung sowohl mit leistungsfähigen Internetzugängen als auch mit Endgeräten. Damit die Schulträger dies leisten können, müssen die Kommunen regelmäßig unterstützt werden. Dabei darf die Pflege dieser Infrastruktur nicht außer Acht gelassen werden: PädagogInnen sollen keine IT-ExpertInnen werden müssen, sondern müssen im Umgang geschult und bereits im Studium an die Thematik herangeführt werden. Es braucht also zusätzliches Personal für Support und Wartung sowie Fachkräfte für die gezielte Aus- und Fortbildung von PädagogInnen. Auch muss eindeutig festgelegt werden, wo das jeweilige Personal beschäftigt sein wird.
Die kommunale Finanzsituation darf nicht den „Digital Divide“ zwischen Bildungseinrichtungen in „reiche“ und „arme“ Kommunen verschärfen. Gerade in benachteiligten Regionen werden besonders dringend Ressourcen für die Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Familien gebraucht. Daher gilt die Forderung „Ungleiches muss ungleich behandelt werden“. In diesem Zusammenhang wollen wir auch eine sozialindexbasierte Verteilung von Mitteln in allen Bildungsbereichen umsetzen.
Der „DigitalPakt Schule“ der Bundesregierung stellt NRW bis 2021 eine Milliarde Euro zu Verfügung. Wir brauchen eine Verstetigung der Investitionen und ihrer Finanzierbarkeit und vor allem die nachhaltige Sicherung von Support, Pflege und Ersatzbeschaffungen. Es reicht nicht, die Software und Hardware in einer einmaligen Aktion in die Bildungseinrichtungen zu tragen. Der DigitalPakt 2.0 muss kommen.
Unsere Position ist klar: Lernmittel müssen kostenfrei sein. Dieser Grundsatz muss selbstverständlich auch für digitale Endgeräte gelten. Jedes Kind und jede/jeder Jugendliche muss mindestens leihweise Zugriff auf ein Gerät haben, wenn dies pädagogisch geboten ist.
Zentral bleibt: Kinder und Jugendliche müssen in Präsenz lernen, die Geräte für Bildungszwecke zu nutzen, um selbstorganisiert damit arbeiten zu können. Der Bundesbildungsbericht zeigt, dass es keinen Automatismus zwischen der Verfügbarkeit digitaler Ausstattung und ihrer tatsächlichen Nutzung gibt – weder bei PädagogInnen noch bei Kindern und Jugendlichen. Die Verteilung von Endgeräten erfordert daher Vorbereitung und Begleitung und sollte gezielt und bedarfsorientiert und nicht nach dem Gießkannenprinzip erfolgen.
Der Endgeräte- und Softwaremarkt ist vielfältig. Es ist nicht die Aufgabe von PädagogInnen, sich diesen Markt zu erschließen. Es braucht Rahmenverträge. Seitens des Ministeriums muss daher ein Katalog definiert werden, aus dem Bildungseinrichtungen und PädagogInnen wählen können. PädagogInnen brauchen dazu medien- und informationstechnische Basiskompetenzen – ihre Kernaufgabe (und Kernkompetenz) ist und bleibt aber die pädagogische Gestaltung und Vermittlung von Bildung. Die technische Infrastruktur muss demnach stets nutzungsfreundlich gestaltet sein.
Digitale Lehr-Lern-Mittel (Internetangebote, Lernprogramme und Co.)
Die effektive Nutzung digitaler Lehr-Lern-Mittel, wie im Internet abrufbare Videos, Online-Tutorials und Lernprogramme, muss altersgerecht forciert werden. In Kitas werden solche Lernanwendungen bislang eher zögerlich und nicht systematisch genutzt, in Schulen gibt es große Unterschiede.
Eine Plattform, über die digitale Lernanwendungen bereitgestellt und sowohl innerhalb der Bildungseinrichtung als auch dezentral abgerufen werden können, ist die notwendige Grundlage für eine systemische Verbesserung. Bislang bildet die Nutzung von Schulservern eher die Ausnahme. Für Schulen besteht eine solche Plattform über das (weiterzuentwickelnde) System „Logineo NRW“; auch Kitas könnten von einer solchen Lösung profitieren. Lehr-Lern-Mittel müssen, bevor sie auf den Plattformen angeboten werden, ebenso wie Schulbücher einer vorigen Prüfung unterzogen und zugelassen werden.
Gelingen wird die Integration digitaler Lernanwendungen nur, wenn auch zeitliche und damit personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Der Mangel an Lehrkräften, ErzieherInnen und SozialpädagogInnen stellt jedoch schon jetzt ein zentrales Problem dar, vor allem in Schulen in benachteiligten Sozialräumen. Kurzfristige Abhilfe ermöglicht hier der Einsatz von (im Idealfall medienkompetenten) QuereinsteigerInnen, die begleitend pädagogisch qualifiziert und deren Potenziale wertgeschätzt werden müssen.
Digitale Lehr-Lern-Werkzeuge (synchrone Kommunikation)
Während Lehr-Lern-Mittel zur individuellen, ggf. auch selbstorganisierten und zeitlich unabhängigen („asynchronen“) Nutzung bereitgestellt werden, geht es bei Werkzeugen um („synchrone“) Kommunikation – zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Lernenden untereinander und zwischen Bildungseinrichtung und Eltern.
Werkzeuge können angesichts der Entwicklungsbedarfe in der Nutzungskompetenz die Voraussetzungen für eine effektive Nutzung von digitalen Lernanwendungen verbessern und deren Einsatz vorbereiten, unterstützen und begleiten. Vor allem aber bieten sie Möglichkeiten für Partizipation: Lernende bearbeiten nicht nur durch digitale Lernanwendungen vorgegebene Aufgaben, sondern gestalten den Lernprozess in Interaktion mit den Lehrenden aktiv mit.
Diese aktive und aktivierende Nutzung von digitalen Werkzeugen ist im Vergleich zum Einsatz digitaler Lernanwendungen sowohl deutlich weniger verbreitet als auch wesentlich voraussetzungsvoller: Synchrone Kommunikation erfordert eine größere Leistungsfähigkeit von Geräten und Internetzugängen sowie die Organisation von gemeinsamen Zeitfenstern der Beteiligten.
Plattformen für die Bereitstellung von Lernanwendungen müssen ergänzt werden um Tools für Chats und Videokonferenzen. Einsetzbar sind diese Werkzeuge für die Kontaktpflege mit Kindern, Jugendlichen und Eltern, für thematische Einführungen als Vorbereitung der Nutzung von Lernanwendungen, für die Arbeit mit Kleingruppen und die individuelle Förderung sowie mit zunehmendem Alter immer mehr auch für selbstgesteuerte Gruppenarbeiten und das kollaborative Lernen.
In der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass Bildungseinrichtungen kaum auf den Einsatz derartiger Werkzeuge vorbereitet waren. Die Nutzung hing (und hängt) weitgehend von der „Medienkultur“ an der jeweiligen Schule und vom Engagement einzelner PädagogInnen ab – und von ihrer Bereitschaft, für Chats und Videokonferenzen privat beschaffte oder frei zugängliche (und damit im Hinblick auf Datenschutz, Stabilität und Nutzungsmöglichkeiten oft suboptimale) Tools zu nutzen. Dies ist umso problematischer, als bei fehlenden Präsenzkontakten kommunikative Formate unbedingt erforderlich sind – nicht nur für die Begleitung von Lernprozessen und die Nutzung von Lernanwendungen, sondern vor allem für die Pflege der Beziehungen zwischen PädagogInnen und Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien. Dass die meisten Eltern in irgendeiner Weise mit digitalen Medien umgehen, kann für die Kontaktpflege zu den Familien mit Hilfe digitaler Werkzeuge genutzt werden.
Digitale Organisation und Verwaltung
Digitale Technologien können Arbeits- und Handlungsabläufe in Bildungseinrichtungen erleichtern, um letztlich mehr pädagogische Ressourcen zur Verfügung stellen zu können. Hierzu gehören die Verwaltung von SchülerInnendaten sowie von Lehrkräften und weiterem Personal, aber z. B. auch die Erstellung von Stundenplänen und Dienstplänen.
Gleichzeitig können anonymisierte Schülerdaten ein Baustein im schulischen und kommunalen Bildungsmonitoring werden. Bislang ist der selbstverständlich erforderliche Datenschutz an vielen Stellen ein Problem, für das eine angemessene Lösung erarbeitet werden muss. Die Auswertung von Bildungsverlaufsdaten könnte helfen, gezielte Maßnahmen zur Verbesserung von Chancen- und Teilhabegerechtigkeit zu entwickeln.
Resümee
25 Jahre nach der Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Johannes Rau-Kommission „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ sind die damals visionären und über Parteigrenzen hinweg erarbeitenden Vorschläge nur wenig bis kaum umgesetzt. Auf der einen Seite stehen verschiedene parteipolitische Interessen, auf der anderen Seite fehlende finanzielle Zusagen und Streit um Verantwortungsbereiche der konkreten Umsetzung im Weg – gerade und vor allem beim Schulbau oder aktuell zur Digitalisierung. Dies müssen wir angesichts der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit und Ungleichheit in unserem Bildungssystem ändern. Immer mehr Kinder und Jugendliche erfahren keine förderliche Bildungsbiographie – Aufstiegsmöglichkeiten nehmen rapide ab. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Dabei ist es notwendig, gemeinsam über Parteigrenzen hinweg alle Kräfte zu bündeln und für die Kinder und Jugendlichen das Bildungssystem den Anforderungen des 21. Jahrhundert anzupassen. Zum Wohle der Kinder müssen wir dies gemeinsam angehen. Denn nur zusammen werden wir zu einer bildungspolitischen Lösung kommen, die gleichzeitig zeitgemäß und zukunftsweisend ist und dabei kein Kind zurücklässt.
Neue Wirtschaftskraft durch solidarischen Fortschritt
NRW ist ein wirtschaftliches Schwergewicht. Wir sind also ein echter Motor – mitten in Europa. Doch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise treffen NRW hart: In bestimmten Branchen hatten wir bereits vor der Krise Schwierigkeiten. Dort ist der Handlungsdruckt massiv gestiegen. Deshalb braucht es jetzt ein entschiedenes Gegensteuern. Wir wollen unsere Wirtschaft wieder in Gang bringen und die Rezession überwinden. Dafür sind wir bereit, massiv in den Wirtschaftsstandort NRW und seine Beschäftigten zu investieren.
Doch es gibt auch Branchen, die eine klare Perspektive haben, aber aufgrund von auferlegten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nur eingeschränkt oder teils gar nicht wirtschaften können. Allen voran steht die Veranstaltungswirtschaft als akut bedrohte Branche. Sie hat – wie viele andere auch – die von Bund und Ländern auferlegten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung bisher sämtlich mitgetragen. Bei den beschlossenen Hilfsmaßnahmen für Unternehmen wurde die Veranstaltungswirtschaft jedoch bisher unzureichend berücksichtigt. Tausende Einzelunternehmer, kleine und mittelständische Unternehmen erhalten nicht die nötigen Hilfen, die notwendig sind, um massenhafte Entlassungen und Insolvenzen zu verhindern. Hier müssen bestehende Überbrückungs- und Kreditprogramme angepasst werden, um ihre gewollte Wirkung zu entfalten.
Gleichzeitig muss die Innovationskraft, die in diesen Branchen liegt, gefördert werden. Auch mit Corona gibt es Wege, wie Veranstaltungen, Gastronomie und andere Wirtschaftsfelder wieder möglich werden. Richtungsweisend ist das Förderprogramm zur Umrüstung von Klimaanlagen, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Aus eigener Kraft wäre eine solche Investition für viele Unternehmen nicht zu stemmen. Es gibt weitere Ansätze, die nun gefördert werden müssen.
Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, wie sehr ganze Länder, Wirtschaftssektoren, Unternehmen und Beschäftigte aufeinander angewiesen sind. Gerade in NRW leben viele Dienstleistungsunternehmen und deren Beschäftigte von der Wertschöpfung und den Aufträgen der Industrie. Aber ohne ErzieherInnen, VerkäuferInnen oder TransportarbeiterInnen ist die Industrie nicht produktiv. Ohne ein starkes Gesundheits- und Bildungssystem sind Wirtschaft und Wohlstand ungeschützt und krisenanfällig. Die Corona-Krise zeigt uns drastisch, wo wir in NRW noch besser werden müssen.
Für die Sozialdemokratie müssen sich Investitionen daher an drei Kriterien ausrichten: wir wollen ökonomischen, ökologischen und sozialen Fortschritt. Wir wollen in neue digitale und klimaschonende Technologien investieren, in ein besseres und gerechteres Bildungssystem und nicht zuletzt in einen besseren Sozialstaat, der Leistungsgerechtigkeit, Sicherheit und Zusammenhalt garantieren kann.
Eine zentrale Säule, auf der der Wohlstand in NRW aufbaut, ist der europäische Binnenmarkt. Im Jahr 2019 erwirtschaftete die Beschäftigten in NRW Exporterlöse von über 190 Mrd. EUR, das sind 27 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Ein Großteil davon geht in die europäischen Nachbarländer. Aber auch die USA und China sind wichtige Handelspartner. Gerade in Zeiten, in denen die Globalisierung ihre Dynamik ändert, ist der Zusammenhalt und die politische Gestaltung im Rahmen der Europäischen Union wesentlich. Der Brexit zeigt, dass die Existenz dieser EU und des Binnenmarktes bedroht ist, wenn keine solidarischen Antworten gefunden werden. Der europäische Wiederaufbaufonds ist ein historisch wichtiger Beitrag für eine solche solidarische Antwort.
Rund 25 Prozent der ArbeitnehmerInnen arbeiten derzeit im Homeoffice und spüren den Fortschritt der Digitalisierung in bislang nicht gekanntem Ausmaß. Onlinehandel, virtuelle Austauschformen und digitalisierte Prozesse in Unternehmen nehmen weiter Fahrt auf. Selbst dort, wo wie etwa in der Pflege oder auch im Tourismus, der Kultur oder der Gastronomie die direkten Begegnungen von Menschen für unsere Lebensqualität auch künftig unabdingbar sind, erleichtern digitale Lösungen bereits häufig das Leben. Die Debatte um die Corona-App hat gezeigt, wie wichtig dabei die digitale Souveränität für jede Einzelne und jeden Einzelnen ist. Parallel legt die Krise die Mängel in NRW bei der Glasfaserinfrastruktur, beim digitalen Lernen in Schule und Hochschule oder auch bei den Server- und Datenverarbeitungskapazitäten oder den digitalen Plattformen schonungslos offen.
Der gesellschaftliche Umbau zu einer klimafreundlichen Wirtschaft ist nicht nur eine technologische Frage, sondern auch und zuvorderst eine Frage der Verteilung von Wohlstand. Wer um seinen Arbeitsplatz bangen muss oder durch Einkommensverluste seine Miete nicht mehr zahlen kann, wird schwer für Klimaschutzauflagen zu gewinnen sein. Trotzdem ist klar, dass unsere Wirtschaft klimagerecht umgestaltet werden muss, wenn sie zukunftsfähig bleiben will. Auf diesem Weg müssen wir auch die Bedürfnisse der KMU und ihren Beschäftigten im Blick behalten – schließlich stellen diese in NRW einen ganz erheblichen Teil der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und spielen eine wichtige Rolle im Bereich Innovation und Nachhaltigkeit. Wir stellen fest: Der Klimaschutz ist ein Innovations- und Jobmotor. Jedoch werden wir dafür Sorge tragen, dass nicht einzelne soziale Schichten oder einzelne Berufsgruppen zurückgelassen werden. Nur so sichern wir eine breite Akzeptanz für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft.
Damit NRW das wirtschaftliche Schwergewicht im Herzen Europas bleibt, setzen wir auf Fortschritt: durch neues Wissen, technologische Innovationen und soziale Rechte. Gesellschaftlicher Fortschritt, das ist unsere Vision, gelingt durch Solidarität. Unsere Vision baut auf fünf Säulen.
1. Ein aktiver Staat für den solidarischen Fortschritt
Der Neustart erfolgt im Dialog. Wenn wir erfolgreich sein wollen, dann müssen wir die unterschiedlichen Interessen in Einklang bringen. Es gilt Interessen von Beschäftigen, Gewerkschaften, Umweltverbänden, Kapitaleigentümern und vielen mehr abzuwägen. Anderenfalls droht die erneute Polarisierung, wie wir sie bereits heute in vielen gesellschaftlichen Fragen erleben. Politik hat das Wohl der Gesellschaft als Ganzes und für die künftigen Generationen in den Blick zu nehmen. Strategische Projekte für technologische und soziale Innovationen müssen sich diesen Gemeinwohlzielen unterordnen. Dabei geht es nicht um die spezifische Technikauswahl, wohl aber um klare Ziele, wie etwa Umweltgrenzwerte und Indikatoren der sozial gerechten Wohlstandsverteilung.
Als Querschnittsaufgabe und wichtige Grundlage für eine dauerhaft an diesen Zielen ausgerichtete Wirtschafts- und Industriepolitik (s. auch Antrag zu Industriepolitik) ist die Sicherung einer allgemein zugänglichen, öffentlich kontrollierten und modernen Infrastruktur erforderlich. In diesem Rahmen sind und bleiben die Initiativen von InnovatorInnen, GründerInnen und UnternehmerInnen in privaten und öffentlichen Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und wissenschaftlichen Institutionen wesentliche Treiber für die wirtschaftliche Dynamik, die es zu fördern gilt.
Unsere Position:
- NRW benötigt eine Infrastrukturoffensive für eine moderne, öffentliche kontrollierte Infrastruktur in den Bereichen Gesundheit, Wohnen, nachhaltiger Mobilität und Digitalisierung.
- Staatliche Konjunkturprogramme (Kredite, Beteiligungen, Zuschüsse) müssen an die Tariftreue, Mitbestimmung, gesetzeskonforme und transparente Versteuerung, Ausbildungssicherung und Klimaschutzziele geknüpft werden.
- Die anstehende Transformation fordert insbesondere den Automobil- und Chemiesektor, welche in NRW eine herausragende Bedeutung haben. Nach dem Vorbild der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ braucht es daher Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen unter Einbeziehung der Sozialpartner.
- Wir wollen bedarfsorientierte Innovationsplattformen zur Vernetzung der betroffenen Branchen. Unternehmen, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und Wissenschaft müssen es einem Strang ziehen, z.B. bei Fragen der Wasserstoffwirtschaft, der neuen Mobilität oder der demokratischen Digitalisierung.
- Die zur Stabilisierung der Wirtschaft erforderlichen staatlichen Beteiligungen bei privaten Unternehmen (z.B. bei Lufthansa) müssen mit wirksamen Mitspracherechten bei Unternehmensentscheidungen verknüpft werden, um Gemeinwohlansprüche sowie eine angemessene Rückvergütung für die gewährten Hilfen zu sichern; hier sollten kollektiv geregelte Mitarbeiterkapitalbeteiligungen als weitere, ergänzende Option gefördert werden.
2. Gute Arbeit ist systemrelevant – in der Krise und danach
Der Vergleich mit der letzten Finanzkrise macht es deutlich: Als „systemrelevant“ werden nun in der öffentlichen Debatte nicht mehr die Banken bezeichnet, sondern insbesondere die Beschäftigten in vielen – oft schlecht bezahlten, vielfach kaum abgesicherten und zum überwiegenden Teil von Frauen ausgeübten – Dienstleistungsberufen. Und das ist gut so. Dazu gehören zuvorderst das Personal im Gesundheits- und Bildungswesen, aber auch in der Logistik oder der Energie- und Abfallwirtschaft oder dem Einzelhandel. Gerade bei den sozialen Dienstleistungen stehen aber den offenkundigen enormen Leistungen und Belastungen der – meist weiblichen – Beschäftigten schon vor der Krise keine angemessene Absicherung und Bezahlung gegenüber.
Es fehlt zudem oft an gewerkschaftlicher Organisation und betrieblicher Mitbestimmung. Diese gilt es umfassend und in allen Bereichen zu stärken. Mit diesen im Rücken kann es gelingen, die Rahmenbedingungen für Arbeit sowohl bei den Dienstleistungen wie auch in der Industrie deutlich zu verbessern. Arbeitszeitverkürzung und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, höhere Löhne, Aufwertung von bislang unterbezahlten Dienstleistungsberufen und breite soziale Absicherung sind die Grundlage, um gut durch die Krise zu kommen und den Menschen Optimismus und Vertrauen in die Zukunft zu geben. Das stärkt im Übrigen auch die Binnennachfrage. Das kommt den Unternehmen in unserem Land zugute. Politik für gute Arbeit ist gleichzeitig Wirtschaftsförderung.
Unsere Position:
- Wir wollen nicht nur mehr Fachkräfte, sondern auch bessere Arbeitszeiten in den sozialen Dienstleistungen durch Verbesserung der gesetzlichen Personalschlüssel.
- Wir wollen mehr von den Unternehmen bezahlte Aus- und Weiterbildung,
- volle Gewerkschaftsrechte für alle Beschäftigten, auch für WerkvertragsarbeiterInnen oder Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen,
- und volle Arbeitnehmerrechte für Beschäftigten im Bereich der Dienstleistungsplattformen inkl. digitaler Zugangsrechte für Gewerkschaften.
- Wir wollen Ausbildungsplätze sichern. Wir wollen einen steuerlich finanzierten „Solidarfonds Ausbildung“, der aufbauend auf der Corona-Ausbildungsprämie mittelfristig Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei dem Angebot von Berufsausbildung unterstützt.
- Wir müssen die Rechte von Betriebsräten ausweiten, z.B. bei der Einführung neuer digitaler Systeme und der Neuausrichtung von Unternehmen.
- Die Möglichkeit des Arbeitgeber-Vetos bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen muss aufgehoben werden.
- Es braucht eine verschärfte strafrechtliche Verfolgung im Falle der Behinderung von Gewerkschaftsaktivtäten in Unternehmen („Union Busting“).
- Wir fordern wirksame Tariftreuegesetze für öffentliche Aufträge.
- Es braucht die Ausweitung der Gültigkeit von Tarifverträgen auch für „arbeitnehmerähnliche“ Beschäftigte.
- Wir müssen das Recht auf ein mitarbeiterfreundliches Homeoffice gesetzlich regeln.
3. Digitalen und ökologischen Fortschritt in NRW voranbringen
Unser Ziel ist eine demokratische Digitalisierung, die moderne digitale Infrastrukturen und Services für alle Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche mit digitaler Souveränität verknüpft. Die Prinzipien von Kooperation, Beteiligung und Transparenz sind im Zuge der Digitalisierung gegenüber privatwirtschaftlichen Gewinninteressen bislang zu kurz gekommen, obwohl „open innovation- und open source-Ansätze“ hier vielfältige Möglichkeiten eröffnen.
Die Monopolisierung auf digitalen Märkten durch den massiven Technologievorsprung der großen IT-Konzerne droht, die Stärken der deutschen und europäischen Wirtschaft dauerhaft zu unterlaufen. Gelingt ein spezifisch europäischer Weg der Digitalisierung, gewinnen wir nicht nur mehr gesellschaftliche Kontrolle, sondern auch mehr Wettbewerb und wirtschaftliche Entwicklungschancen für start ups, Mittelstand und Industrie.
Zu lange unterschätzt wurden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt. Die fortschreitende Digitalisierung hat einen größeren Energie- und Rohstoffverbrauch zur Folge. Angesichts des Klimawandels ist es daher notwendig, Digitalisierung nachhaltig zu gestalten, an den Klimaschutzzielen ausgerichtet, aber ohne die Innovationskraft der Digitalisierung zu bremsen. So wird die Digitalisierung zum Chancentreiber für Umwelt- und Klimaschutz.
Unsere Position:
- Wir fordern die flächendeckende Verfügbarkeit von Gigabit-Anschlüssen. Zu einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur gehören auch schnelle Mobilfunknetze, sowohl in urbanen Gebieten als auch im ländlichen Raum. Unser Ziel ist ein flächendeckendes Netz mit LTE und darauf aufbauend 5G. Dort, wo der Marktausbau versagt, muss der Staat eingreifen und für die Infrastruktur Sorge tragen.
- NRW verdient eine eigene öffentliche Infrastruktur bei Clouddiensten und damit verbundenen physischer digitaler Infrastruktur.
- Rechtenzentren in NRW müssen klimaneutral werden.
- Wir wollen die umweltfreundliche Gestaltung von digitalen Geräten und ein Recht auf Reparatur.
- Wir wollen open-source-Ansätze besonders fördern, durch verstärkte Forschungsförderung und die besondere Berücksichtigung bei öffentlichen Beschaffungen.
- Wir wollen Wettbewerbsverzerrung vermeiden und daher eine Trennung von Marktplatzbetreibern und Anbietern auf eben diesen Marktplätzen (z.B. bei Amazon).
- Es braucht die Verpflichtung großer digitaler Plattformen zu Interoperationalität und Datenteilung.
- Wir brauchen eine Digitalagentur, die Plattformen beaufsichtigt und reguliert.
Der Klimawandel bleibt die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Und klar ist, der Markt allein wird es nicht regeln. Wir brauchen einen starken Staat, der beim Umbau für soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt sorgt. Mit dem Bundesklimaschutzgesetz und dem Klimaschutzprogramm 2030 hat die SPD in der Bundesregierung die sozial-ökologische Transformation vorangetrieben. Die milliardenschweren staatlichen Investitionen bieten jetzt die Chance, sie weiter entscheidend voranzubringen.
Wir SozialdemokratInnen begreifen Klimaschutz vor allem auch als Motor für eine gute wirtschaftliche Entwicklung zur Schaffung neuer und zukunftsfester Arbeitsplätze. Unser Ziel muss es sein, durch kluge Politik die sozial-ökologische Transformation so voranzubringen, dass ihr der Markt folgt. Dazu gehört zunächst die Setzung von klaren Standards (z.B. Pfad zum Umstieg auf klimafreundliche Antriebe bei allen Verkehrsträgern), Zielvorgaben (z.B. Ausbauziele für erneuerbare Energien) und Preisen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir wollen die klimaneutrale Strahlproduktion in NRW. Dafür brauchen wir zusätzliche 130 Terrawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien. Umgerechnet wären das 12.000 neue Windräder. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat es im Jahr 2019 auf lediglich 300 Windräder gebracht. Das wollen wir dringend ändern.
Die Klimakrise ist mehr als nur eine Krise der Ökologie. Im Weltmaßstab sind arme und kranke Menschen überproportional stark vom Klimawandel getroffen. Sie trifft aber auch hierzulande die Schwächeren ungleich stärker. Denn ihnen fehlen im Allgemeinen die Mittel, sich wirksam gegen Klimaveränderungen zu schützen. Die notwendige Umstellung ihres Konsum- und Mobilitätsverhaltens können sie sich häufig nicht leisten. Außerdem drohen durch den digital-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft genau ihre Arbeitsplätze wegzufallen. Es liegt also in der Verantwortung der Sozialdemokratie, dass aus der Klimakrise keine soziale Krise wird.
Unsere Position:
- Der Strukturwandel in der NRW-Energieproduktion muss weiter struktur- und arbeitsmarktpolitisch begleitet werden. In der Zukunftsagentur Rheinisches Revier müssen die Kommunen besser beteiligt werden. Die Ruhrkonferenz muss zu einem Forum für eine gemeinsame Entwicklungsstrategie weiterentwickelt werden.
- Wir stehen für die nachhaltige Modernisierung unserer Industrie als Kern einer erfolgreichen Wirtschaft ein. Die klimafreundliche und digitale Transformation der NRW-Industrie verlangt umfassende Anstrengungen der öffentlichen Hand, der Tarifparteien, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Hierzu haben wir einen umfassenden industriepolitischen Antrag vorgelegt, auf den wir an dieser Stelle verweisen.
- Ausbau der Erneuerbaren Energien: bis 2023 soll in NRW 30% des Gesamtenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, was für die beiden wichtigsten Energieträger der Erneuerbaren einen jährlichen durchschnittlichen Nettozubau in Höhe von etwa 900 MW bei Photovoltaik und bei etwa 600 MV bei Windkraft bedeutet; dabei soll eine verbindliche Ertragsbeteiligung für BürgerInnen und Kommunen eingeführt werden und die Flächeninanspruchnahme pro Kommune 10% der Potenzialfläche (Gesamtüberfläche abzüglich harter Tabubereiche) nicht überschreiten.
- Wir stehen für eine umfassende Berücksichtigung der Verteilungswirkung von Klimaschutzmaßnahmen und wo nötig Einführung von sozialen Ausgleichsmaßnahmen, wie etwa der Klimaprämie oder auch durch eine steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit.
- Wir werden einen Plan für eine neue Finanzierungsstruktur zum Ausbau und zur attraktiveren Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs entwickeln.
- Es braucht die Neuausrichtung der Steuer- und Subventionspolitik an klimapolitischen Zielen, z.B. durch eine stärkere CO2-Komponente der KfZ-Steuer, oder die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen.
- Wir fordern die Ausgabe von „Green Bonds“ für nachhaltige Investitionen und zur Stärkung der Märkte für nachhaltige Finanzprodukte.
4. NRW braucht ein starkes Europa
Zur Krisenbewältigung gehört auch eine Neugestaltung internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Dabei gilt es in einem schon vor der Krise veränderten internationalen Umfeld die strategischen Interessen der deutschen und europäischen Wirtschaft zu wahren. Im Mittelpunkt stehen dabei der Erhalt und die Weiterentwicklung eines sozial und ökologisch regulierten EU-Binnenmarktes. Dazu sind massive politische Schritte und grundlegende Reformen der EU erforderlich, die Europa endlich mit einer handlungsfähigen und demokratisch kontrollierten Wirtschaftsregierung ausstatten.
Dies ist auch, aber nicht nur eine Antwort auf den aggressiven wirtschaftlichen Nationalismus, der insbesondere die derzeitige US-amerikanischen Regierung („America first“) wie auch die chinesische Staatsführung („Made in China 2025“) betreiben. Dabei bleiben faire und offene Handelsbeziehungen ein sinnvolles Mittel der Außenwirtschaftspolitik. Sie sind jedoch kein Selbstzweck. Die Grundversorgung unserer Volkswirtschaften, ihre dauerhafte technologische Souveränität und die Erfüllung unserer Gemeinwohlziele müssen Bestandteil einer neuen Globalisierung werden. Dabei sind und bleiben die großen Wirtschaftsmächte ebenso wie die Schwellen- und Entwicklungsländer unsere Partner, deren Zugang zu unseren Märkten von ihrem jeweiligen Entwicklungstand und der Erfüllung sozialer und ökologischer Standards abhängig sein müssen.
Unsere Position:
- Die fordern die umgehende Umsetzung der Beschlüsse der EU zum Wiederaufbaufonds mitsamt seinen historisch wichtigen Innovationen wie der gemeinsamen Kreditaufnahme und eigenen Steuereinnahmen für die EU.
- Im Zuge des Green New Deal müssen zur Vermeidung von umweltbedingten Marktverzerrungen („carbon leakage“) Grenzausgleichsmechanismen für CO2-Emissionskosten auf europäischer Ebene geschaffen werden.
- Wir müssen kritische Wertschöpfungsbereiche wie der Medikamentenversorgung oder der medizinischen Schutzausrüstung durch entsprechende Auflagen sichern.
- Es braucht die Aufnahme von verbindlichen, d.h. auch sanktionierbaren Sozial- und Umweltstandards gleichberechtigt mit den Gewinnsicherungsmechanismen für private Unternehmen in die Handelsverträge der EU mit Drittländern.
5. Regionale Stärken in NRW nutzen
Viele Kommunen sind infolge jahrzehntelagen Strukturwandels und einer unzureichenden Lastenverteilung zwischen Bund, Land und Kommunen überschuldet. Ihnen fehlten schon vor der Corona-Krise die Mittel für Investitionen, aber auch für ausreichend Personal für die Erledigung wachsender Aufgaben. Stärken in bestimmten Branchen und Clustern sind höchst unterschiedlich verteilt. Ballungsregionen mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen verfügen über andere Möglichkeiten und Probleme als ländliche Räume, mit mittelständischer Unternehmensstruktur oder hohen Auspendlerzahlen. Die Herausforderungen des Rheinischen Reviers mit dem anstehenden Ausstieg aus der Braunkohleverstromung sind andere, als die in Südwestfalen mit seinen kleineren Automobilzulieferern oder jene in der attraktiven Universitätsstadt Münster mit einer attraktiven Hochschul- und Forschungslandschaft in der Nachbarschaft zum Ruhrgebiet.
Auf diese regionalen Unterschiede müssen die nun anstehenden Konjunktur- und Strukturwandelprogramme im Sinne einer regionalisierten Struktur- und Wirtschaftspolitik eingehen und dazu die jeweiligen regionalen Akteure, einschließlich Sozialpartner, Kommunen, Zivilgesellschaft etc. einbinden. Hier verfügt NRW mit seinen 16 Regionalagenturen über eine gute und ausbaufähige Lenkungsstruktur, die in diesem Zusammenhang genutzt werden sollte.
Unsere Position:
- Es braucht regionale Konjunktur- und Wirtschaftsdialoge, gemäß der 16 Regionalagentur-Bezirke, die besondere Stärken und regionale Anforderungen für Konjunkturfördermaßnahmen erarbeiten.
- Wir wollen regionale Innovationsplattformen fördern, bestehend aus Unternehmen, der Politik und den Sozialpartnern (ähnlich der Forschungscluster an Universitäten), zur Konzeption von regionaler Schwerpunktsetzung und Schaffung von Synergien in den Bereichen Produktion, Logistik und Dienstleistungen.
- Zur Erprobung, der in diesen Innovationsplattformen erarbeiteten Konzepte, sollten nach dem Vorbild der Innovation City Bottrop auch in weiteren Kommunen mit passenden Voraussetzungen vergleichbare Reallabore angestoßen werden.
- Es braucht die gezielte Förderung von Klein- und Kleinstunternehmen mit Wachstumsperspektive in neuen Wirtschaftszweigen, wie E-Sports, regionaler Kreislaufwirtschaft etc.
Gesundheit und Pflege: Es braucht mehr Solidarität im System
Sozialdemokratische Gesundheits- und Pflegepolitik will allen Menschen eine gute Gesundheitsversorgung ermöglichen. Alle müssen unabhängig von Herkunft, Alter oder Geschlecht denselben Anspruch auf Versorgung und gleiche Teilhabe am medizinischen Fortschritt haben. Dieser Anspruch auf Versorgung und Teilhabe gilt ebenso für pflegebedürftige Menschen. Sie bedürfen der besonderen Solidarität. Wenn wir über soziale Sicherheit sprechen, dann ist das der Kern.
Unsere Position:
- Wir erleben im Gesundheitswesen häufig, dass gemacht wird, was sich finanziell rechnet. Das Handeln muss sich wieder daran ausrichten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist. Wir wollen daher die Abkehr vom Fallpauschalen-System.
- Nur eine auskömmliche Finanzierung des Gesundheits- und Pflegewesens wird Löhne, Arbeitsbedingungen und damit auch die Qualität nachhaltig verbessern.
- Der Investitionsstau im Krankenhausbereich muss dringend beseitigt werden. Notwendig ist ein Sonderprogramm bis 2024 und ab sofort die Refinanzierung der erforderlichen Investitionskosten durch das Land NRW.
- Die Pflegeversicherung muss von einer „Teilkasko- in eine Vollkaskoversicherung“ umgewandelt werden. Dafür brauchen wir die solidarische Bürgerversicherung auch in der Pflege: eine solidarische Pflegegarantie.
- Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) unzureichend ausgestattet ist. Er muss deutlich aufgewertet, modernisiert und systematisch viel stärker aufgestellt werden.
- Wir wollen pflegende Angehörige sozialversicherungsrechtlich besser absichern, gleichzeitig braucht es arbeitspolitischer Standards für Pflegekräfte in Privathaushalten. Wir wollen daher das Pilotprojekt „Landespflegegesellschaft“ starten.
Es besteht Handlungsbedarf
Eine Frage der Gerechtigkeit: Gute Gesundheitsversorgung darf nicht vom Einkommen und nicht vom Wohnort abhängen. In City-Lage oder attraktiven Bezirken ist gute und barrierefreie medizinische Versorgung oft Standard. Wir stellen jedoch fest, dass dieser Standard auf ländliche und strukturschwache Regionen wie auch für Stadtteile mit sozialen Problemen oftmals nicht zutrifft. Auf der einen Seite steigen die Sozialversicherungsbeiträge regelmäßig, auf der anderen Seite werden die alltäglichen Erfahrungen in bestimmten Teilen unseres Gesundheitswesens schlechter. Das passt nicht zusammen und nicht zuletzt die Corona-Pandemie lehrt uns, dass dies ein im Zweifel lebens-gefährliches Spiel ist.
In NRW leben rund 770.000 pflegebedürftige Menschen. Rund drei Viertel von ihnen werden zu Hause versorgt. Pflege durch angehörige und FreundInnen muss viel mehr in den Blick geraten und Unterstützung finden. Denn Pflege ist nicht nur Privatsache. Diejenigen, die sich um andere kümmern, lassen wir nicht allein. Das Familienleben hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Immer häufiger sind Sorge- und Erwerbstätigkeit in Einklang zu bringen. Für sie kommt es darauf an, dass sich Familien, privates Umfeld, ambulante und stationäre Einrichtungen wirksam ergänzen.
Die Corona-Pandemie führt schmerzlich vor Augen, dass es im Bereich der Altenpflege Fehlentwicklungen gegeben hat. Die Beschäftigten stehen vor massiven Herausforderungen: Im Verhältnis stehen immer weniger Pflegende einer immer größer werdenden Zahl von Pflegebedürftigen gegenüber. Dieses Ungleichgewicht begründet sich vor allem in mangelnder Wertschätzung: Die Arbeitsbedingungen und Gehaltsstrukturen entsprechen nicht der Verantwortung, die durch die Beschäftigten tagtäglich getragen wird. Hinzu kommen massive Probleme bei der Ausbildung. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen – echte Wertschätzung sieht anders aus.
Hinzu kommen finanzielle Herausforderungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen: Inzwischen sind rund ein Drittel der Pflegebedürftigen in der stationären Altenpflege auf Sozialhilfe angewiesen, weil sie die Eigenanteile nicht mehr stemmen können. Durchschnittlich sind das in NRW monatlich rund 2.350 Euro. Wenn wir von einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung sprechen, dann ist klar, dass es hier mehr Solidarität braucht. Gleichzeitig brauchen Pflegebedürftige und Angehörige mehr Beratung. Darauf haben sie einen gesetzlichen Anspruch. Pflegestützpunkte übernehmen häufig diese Aufgabe – sie gilt es weiter zu stärken.
Ein starkes Gesundheitswesen sowie verlässliche Pflegestrukturen sind zudem ein echter Wettbewerbsvorteil. Wer hier spart, der gefährdet nicht nur die Versorgung, sondern auch den Wirtschaftsstandort NRW. Nicht zuletzt die jüngsten Erfahrungen mit der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass NRW einen leistungsfähigen Gesundheits- und Pflegesektor braucht und auf eine verlässliche öffentliche Infrastruktur in den Kommunen (ÖGD) angewiesen ist. Hinzu kommt, dass der Gesundheits- und Pflegesektor in NRW in erheblichem Umfang zur Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung beiträgt.
Gesundheit und Pflege brauchen eine neue Basis
Fallpauschalen-System überwinden
Das Handeln im Gesundheitswesen muss sich daran ausrichten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist. Dabei halten wir fest an der Förderung des Prinzips „ambulant vor stationär“ sowie einer konsequenten Orientierung an besserer Qualität. Seit geraumer Zeit erleben wir jedoch, speziell im Krankenhausbereich, dass gemacht wird, was sich finanziell rechnet. Schuld ist hier das sogenannte DRG-System (Diagnosis Related Groups) – auch Fallpauschalensystem genannt. Es basiert auf Durchschnittskosten.
Konkret heißt das: Krankenhäuser erhalten pro Behandlungsfall eine feste Pauschale. Bleiben die Kosten darunter, macht die Klinik Gewinn. Übersteigen die Kosten die Pauschale, macht die Klinik Verlust. Um die Behandlungskosten gering zu halten, wurde vor allem am Personal gespart und werden PatientInnen zu früh entlassen. Zudem setzen Fallpauschalen Fehlanreize: Lukrative Operationen oder Kaiserschnitte werden deutlich häufiger durchgeführt als medizinisch notwendig. Das Fallpauschalen-System hat also zu erheblichen Fehlentwicklungen geführt.
Gesundheit und Pflege sind elementare Leistungen, die sich am Menschen und nicht an der Gewinnmaximierung von Unternehmen zu orientieren haben. Daher braucht es unverzüglich eine Abkehr vom Fallpauschalensystem im Gesundheitswesen. Krankenhäuser gehören nicht länger auf den Kapitalmarkt, mit Daseinsvorsorge dürfen nicht länger Aktionärs-Wünsche befriedigt werden. Wohin diese Entwicklung geführt hat, zeigen die Schließungen kommunaler und freigemeinnütziger Krankenhäuser, obwohl sie für die Versorgung gebraucht werden. Im Gesundheitswesen muss der Versorgungsbedarf wieder im Vordergrund stehen. Hierfür muss auch die sogenannte Krankenhausplanung auf Landesebene durch den Staat viel mehr Einfluss und Möglichkeiten bekommen.
Überdeutlich zeigt sich die Fehlentwicklung durch das Fallpauschalen-System in der Unterfinanzierung von Kinderkliniken. Fachabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin werden von Krankenhausbetreibern abgemeldet, weil sie sich nicht rechnen. Für die NRWSPD ist daher klar: In diesem besonderen Fall braucht umgehend eine Grundfinanzierung für Kinderkliniken und eine sofortige Abkehr vom Fallpauschalensystem.
Und auch hier braucht es eine Abkehr: Regelmäßig werden PatientInnen sog. „IGeL-Leistungen“ (Individuelle Gesundheitsleistungen) nahelegt. Das sind ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Leistungen, die Patienten grundsätzlich selbst bezahlen müssen, weil sie nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherungen gehören – aus gutem Grund: Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen nur Leistungen bezahlen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Viele der IGeL-Leistungen haben aber nach erfolgter wissenschaftlicher Analyse keinen Nutzen, sind medizinisch nicht notwendig oder nicht wirtschaftlich. PatientInnen haben kaum eine Chance, den medizinischen Nutzen sowie Qualität und Preis der Angebote zu überprüfen und miteinander zu vergleichen.
Notwendig sind verlässliche Finanzierungsgrundlagen, mehr öffentliche Investitionen in Gesundheit und Pflege und der Schutz vor internationalen Kapitalinteressen. Gewinne, die sich aus Sozialversicherungsbeiträgen ergeben, dürfen nicht ins Ausland abfließen, sondern müssen lokal im Gesundheits- und Pflegesystem investiert werden. Der Sozialstaat braucht wieder mehr Einfluss und muss seine Verantwortung auch finanziell untermauern. Es braucht mehr Solidarität im System. Die Bürgerversicherung ist ein Baustein dieser Politik.
Von der Teilkasko- zur Vollkaskoversicherung in der Pflege
Es ist inakzeptabel, dass inzwischen rund ein Drittel der Pflegebedürftigen in der stationären Altenpflege wieder auf Sozialhilfe angewiesen ist. Die Pflegeversicherung wurde eingeführt, um Menschen im Alter vor Armut durch Pflegebedürftigkeit zu schützen. Dieser Schutz geht mehr und mehr verloren. Hat die Pflegeversicherung in ihren Anfangsjahren die Kosten für den Pflegeaufwand zumeist noch gedeckt, ist das seit langem nicht mehr der Fall. Neben steigenden Unterkunfts- und Verpflegungskosten sowie Investitionskosten müssen die BewohnerInnen auch immer höhere Anteile der Kosten tragen, welche die Pflege mit sich bringt. So belief sich der gesamte Eigenanteil für die BewohnerInnen in NRW auf 2.349,97 Euro (Stand 1.1.2019). Hinzu kommen perspektivisch steigende Ausgaben für mehr Personal und bessere Einkommen der Pflegenden.
Wir wollen, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet oder Kinder großgezogen haben, nicht nach wenigen Jahren der eigenen Pflegebedürftigkeit zum Sozialamt müssen – dies ist auch eine Frage der Anerkennung von Lebensleistung.
Die Pflegeversicherung muss daher von einer „Teilkasko- in eine Vollkaskoversicherung“ umgewandelt werden. Zugleich muss eine Neuausrichtung auch mit Investitionen und einer größeren finanziellen Wertschätzung des Pflegepersonals einhergehen – beides erfordert größere finanzielle Mittel. Dafür muss mehr Geld ins System. Um diese Finanzierung sicherzustellen und dabei die Pflegebedürftigen vor Armutsrisiken zu schützen, brauchen wir einen Systemwechsel von der Pflegeversicherung hin zu einer solidarischen Pflegegarantie, also einer solidarischen Bürgerversicherung auch in der Pflege.
Alle BürgerInnen müssen in diese Sozialversicherung einbezahlen, die Trennung in private und soziale Pflegeversicherung entfällt, die Beitragsbemessung wird angehoben. Nur Unterkunft und Verpflegung sollen HeimbewohnerInnen weiterhin zahlen. Alle pflegerischen Leistungen werden von der Versicherung getragen. Der Investitionskostenanteil, welcher derzeit in NRW bei 518,76 Euro liegt, muss vom Land übernommen werden. Hier sollte NRW eine Vorreiterrolle einnehmen.
Behebung von Investitionsstaus
Weil die Gesundheitsversorgung zur unmittelbaren Daseinsvorsorge gehört, muss auch das Land NRW seinen Finanzierungsverpflichtungen nachkommen. Im Krankenhausbereich geschieht das seit Jahrzehnten nicht.
Die Folgen sind einerseits veraltete Krankenhausgebäude und -geräte, andererseits moderne Krankenhäuser, für die am Personal gespart wurde, um die benötigten Investitionskosten zu erwirtschaften. Nach einem Gutachten des RWI (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) bezogen auf NRW werden für dringend notwendige Investitionen jährlich rund 1,5 Mrd. Euro benötigt. Davon wurde in der Vergangenheit nur etwa ein Drittel vom Land bereitgestellt. Dadurch liegt der Investitionsstau in NRW aktuell bei über 12,5 Mrd. Euro. Notwendig ist ein Sonderprogramm zur Behebung des Investitionsstaus bis 2024 und ab sofort die vollständige Refinanzierung der Investitionskosten durch das Land NRW.
Das bundespolitische Konjunkturpaket (2020) ist ein richtiger Schritt. Die Ausstattung der Krankenhäuser in Deutschland soll damit verbessert werden. Mit 3 Milliarden Euro sollen Investitionen in Notfallkapazitäten, digitale Infrastruktur, in IT- und Cybersicherheit des Gesundheitswesens sowie in gezielte Entwicklung und Stärkung regionaler Versorgungsstrukturen gefördert werden. Das Engagement des Bundes muss nun verstetigt werden.
Die Corona-Pandemie hat den Mehrbedarf an Personal in den Krankenhäusern und die Notwendigkeit einer gesetzlichen Personalbemessung bewiesen und verstärkt. Für die NRWSPD steht fest: Nur durch eine auskömmliche Finanzierung werden Löhne und Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert und damit letztlich auch Qualität. Das ist eine zentrale staatliche Aufgabe.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat und ver.di fordern daher schnellstmöglich eine gesetzliche Personalbemessung in Form einer Pflegepersonal-Regelung 2.0 (PPR 2.0). Auch für die Bereiche Intensiv- und Kinder- und Jugendmedizin sowie für andere Berufsgruppen im Krankenhaus müssen zeitnah verbindliche Regelungen verankert werden. Alternativ könnten verbindliche Personal-Patienten-Schlüssel eingeführt werden. Das Ziel ist ein am Bedarf orientierter Personalstandard in der Pflege und allen anderen Berufsgruppen im Krankenhaus einschließlich Psychiatrien und Rehakliniken.
Mehr Demokratie wagen
Im Angesicht historischer Herausforderungen, sowohl im Gesundheitswesen als auch in der Altenpflege, braucht es eine Re-Demokratiesierung dieser Politikfelder. Es ist richtig, dass Verbände und insbesondere Gewerkschaften in diesem Kernbereich des Sozialstaats mitwirken. Die Selbstverwaltung, also die Mitbestimmung der Versicherten in der gesetzlichen Krankversicherung ist Ausdruck davon. Sie verdient Wertschätzung.
Es darf jedoch nicht sein, dass Institutionen durch ihre Dominanz zur unüberwindbaren Hürde werden. Es darf nicht sein, dass beispielsweise der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zum „kleinen Gesetzgeber“ wird oder gar das „Zentralkomitee des Gesundheitswesens“. Politik muss wieder das letzte Wort haben.
Öffentliche Verantwortung für Gesundheit ist unerlässlich
Den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken und modernisieren
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, welche zentrale Bedeutung der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) – übrigens eine für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hat. Diese Erfahrung hat jedoch auch offengelegt, dass der ÖGD strukturell unzureichend ausgestattet ist und es vor allem an der notwendigen Personalausstattung selbst im Normalbetrieb mangelt. Stellenabbau, lange Vakanzen bei der Neubesetzung von Stellen und auch Arbeitsbedingungen wie Gehälter, die als unattraktiv gelten, sind hierfür verantwortlich. Diese Entwicklungen haben die Gesundheitsvorsorge und Prävention auf kommunaler Ebene dramatisch ausgedünnt.
Mit einem „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ – eine Initiative der SPD – hilft der Bund u.a. zusätzlich erforderliche Stellen in den Gesundheitsämtern zu finanzieren. Außerdem wird der Bund die Gesundheitsämter bei der technischen und digitalen Auf- und Ausrüstung unterstützen.
Künftig muss der ÖGD deutlich aufgewertet, modernisiert und gestärkt werden. Ansätze dafür liegen in einer besseren Ausstattung, einer modernen Organisation, einer Weiterentwicklung der Aufgabenfelder und einer Digitalisierungsstrategie. Die digital unterstützte Modernisierung des ÖGD trägt dazu bei, die Leistungen des ÖGD bürgernäher, teilhabeorientierter und serviceorientierter zu organisieren. Für die Gesundheitsfachberufe können, wie international bereits üblich, neue gesellschaftliche Aufgabenfelder erschlossen werden, etwa in der betrieblichen Gesundheitsförderung, der Schulgesundheitspflege oder Familiengesundheitspflege.
Attraktivere Rahmenbedingungen für Arbeit
Dem Fachkräftebedarf und dem zum Teil bereits bestehenden Fachkräftemangel in den Gesundheitsfachberufen müssen wir mit einer attraktiven, zeitgemäßen Ausbildung begegnen. Die Kostenfreiheit der Ausbildung und der Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung in allen Gesundheitsfachberufen (Heilberufe) müssen verankert werden. Die Voraussetzung sind attraktive Ausbildungsbedingungen und eine gute Ausbildungsqualität. Dafür werden einheitliche Standards in den Gesundheitsfachberufen benötigt. Dies betrifft die Qualitätsstandards für die theoretische und praktische Ausbildung (u. a. zur Praxisanleitung, Qualifikation der Lehrkräfte). Aber auch die Ausbildungsstrukturen sollten stärker harmonisiert werden, hin zu einer stärkeren Angleichung an das duale System (Betrieb als Ausbildungsträger, Ausbildungsvertrag des Betriebs mit den Auszubildenden, Schutzrechte für Auszubildende).
Die Ausbildung in einem Kernbereich des Sozialstaats darf nicht leichtfertig dem Markt überlassen werden. Es ist eine Investition in Wertschätzung, Qualität und letztlich auch die Zukunft NRWs. Die Finanzierung der Ausbildungen muss daher über eine Kostenübernahme durch die Länder für die schulische Ausbildung gesichert werden, die Kosten für die praktische Ausbildung inkl. Ausbildungsvergütung tragen die Betriebe – refinanziert durch die Kostenträger.
Diese Investition in unser Gesundheitswesen wird sich doppelt auszahlen. Denn sie ist nicht nur eine Investition in Menschen, sondern auch in den Wirtschaftsstandort NRW. Ein gesundes NRW ist ein klarer Wettbewerbsvorteil.
Antworten auf Bedürfnisse der Menschen geben – Bedarfsorientierte Versorgung stärken
Das wichtigste Ziel ist die Gesundheit der Menschen. Dafür braucht es eine Gesundheits- und Pflegeinfrastruktur, die auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist.
Medizinische Versorgung dort anzubieten, wo sie gebraucht wird, ist seit jeher eine zentrale Herausforderung in der Gesundheitspolitik. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass es in den Regionen ein abgestimmtes Miteinander der Kliniken unterschiedlicher Versorgungsstufen braucht. Auch nach der Krise muss neben der erforderlichen Spezialisierung eine flächendeckende Grundversorgung in ländlichen Räumen und strukturschwachen Teilen der Ballungsgebiete gesichert sein. Die Menschen müssen sich überall auf eine gute Gesundheitsversorgung verlassen können.
Dafür müssen die sektoralen Grenzen zwischen „Ambulant“ und „Stationär“ endlich überwunden werden. Eine getrennte Planung, so wie sie sich heute findet, ist ein klares Defizit. Dem würde die Zusammenarbeit der bisherigen Entscheidungsträger – Bundesländer, Kassenärztliche Vereinigungen sowie Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen – in einem gemeinsamen Gremium entgegenwirken.
Gleichzeitig bedarf es neuer Wege: Die Verbindung von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) mit Praxiskliniken (kurzstationäre Behandlungen) ermöglicht eine Versorgungsstruktur, die Krankenhäuser der Allgemeinversorgung ersetzen kann. Der aktuelle Rechtsrahmen reicht hierfür aus, soweit die Empfehlungen zu den Praxiskliniken realisiert werden.
Neuer Wege bedarf es auch in der Notfallversorgung: Besonders im ländlichen Raum ist dies mit Blick auf die Belastung der knappen Arbeitskräfte geboten. Häufig werden Ärztinnen und Ärzte mit Zusatzqualifikationen durch Rettungswagen aus ihren Praxen geholt, um die Notfallversorgung sicherzustellen. Dies kann ein Provisorium sein, darf aber niemals auf Dauer gestellt werden. Es braucht daher eine auskömmliche Finanzierung einer dauerhaften Notfallversorgung durch entsprechende Zentren und Wachen.
Krankenhausplanung in NRW
Im September 2019 sorgte ein im Auftrag der schwarz-gelben Landesregierung erstelltes Gutachten zur Krankenhausplanung in NRW für Aufmerksamkeit. Richtig ist, dass es nun eine ernste Debatte zur Versorgungsstruktur in NRW gibt. Mit allen Mitteln muss aber verhindert werden, dass die neue Planung lediglich zum Vorwand für einen harten Sparkurs wird. Das Ziel muss eine regional abgestimmte und landesweit koordinierte Planung sein, die dem realen Bedarf Rechnung trägt und wohnortnahe Versorgung sicherstellt. Diese Planung muss zudem Landesgrenzen überwinden.
Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge. Über die Krankenhausplanung muss politisch entschieden werden, nicht durch Markt und Wettbewerb. Veränderungen, die sich aus der Krankenhausplanung ergeben, müssen so gestaltet werden, dass in jeder Phase eine wohnortnahe Versorgung gewährleistet ist.
Die Kurzzeitpflege flächendeckend ausweiten und besser finanzieren
Die Kurzzeitpflege ist ein wesentlicher Faktor zur Entlastung pflegender Angehöriger in der familiären Pflege. Aber das Angebot an Kurzzeitpflege ist nicht ausreichend, es mangelt an flächendeckend verfügbaren Angeboten. Die Nachfrage wird perspektiv jedoch deutlich steigen. Unser Anspruch: Kurzzeitpflege muss in NRW flächendeckend verfügbar sein.
Dazu muss die Zahl der verfügbaren Kurzzeitpflegeplätze in NRW ausgeweitet werden, die Angebote müssen transparent, niederschwellig und wohnortnah erreichbar sein. Das Angebot an Kurzzeitpflege muss für die Betreiber wirtschaftlich auskömmlich sein, dazu sollen die Pflegesätze entsprechend erhöht werden. Diese Erhöhung darf nicht zulasten der Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen gehen.
Wertschätzung muss durch Aufwertung beantwortet werden
Pflegebedürftige Menschen wollen und sollen – wo gewünscht – so lange wie möglich in der eigenen häuslichen Umgebung bleiben. Diesen Wunsch gilt es bei der Planung pflegerischer Infrastrukturen und der dazugehörigen Personalbedarfsplanung als Grundsatz stets mitzudenken. Daneben wird es immer auch stationäre Pflegeeinrichtungen geben.
Die umfassende Pflege, Betreuung und Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen setzt eine gute Personalausstattung mit ausreichend qualifizierten Beschäftigten voraus, die es in der Altenpflege so zurzeit nicht gibt. Es fehlt Personal.
In NRW fehlten 2017 nach der Landesberichterstattung 10.000 Pflegefachkräfte, hochgerechnet auf Vollzeitstellen. Aufgrund der hohen Teilzeitquoten in der Pflege heißt das, 14.000 Stellen für Pflegefachkräfte sind nicht besetzt. Der Großteil davon in der ambulanten und stationären Altenpflege. Dieser Mangel an Pflegefachkräften ist eine Herausforderung, der sich Gesellschaft und Politik endlich stellen müssen.
Die öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung von Gesundheits- und Pflegearbeit ist durch die Corona-Pandemie gestiegen. Zwar können junge Menschen es sich laut aktueller Umfragen prinzipiell durchaus vorstellen, z.B. einen Pflegeberuf zu ergreifen. Die Hebung dieses Potenzials für die Fach- und Arbeitskräftesicherung ist jedoch kein Selbstläufer. Verdienstunterschiede von bis zu 600 Euro zwischen den Pflegefachkräften im Krankenhaus und den Pflegefachkräften in der Altenpflege sind angesichts der Anforderungen nicht mehr zu rechtfertigen. Einmalige Prämien ändern hieran nichts. Pflegefachkräfte müssen in der Altenpflege eine attraktive Alternative zum Krankenhaus sehen. Gelingt das nicht, wird der Personalmangel in der Altenpflege bestehen bleiben.
Notwendig ist daher die kritische Reflexion von Logiken und Mechanismen der Inwert-Setzung von Gesundheits- und Pflegearbeit. Industriell geprägte Formen der Arbeitsbewertung sind nicht hinreichend, um den Wert der Arbeit, das Wissen und Können, Kompetenzzuwächse und veränderte Belastungsprofile der Beschäftigten hinreichend abzubilden. Im Kern geht es damit um eine Angleichung der Verdienststrukturen einerseits, aber auch um mehr Wissen über Veränderungen in Bezug auf das Arbeitsvolumen, Aufgaben und Tätigkeiten sowie Belastungen.
Aufgrund der kleinteiligen Struktur in der stationären und ambulanten Altenpflege und der steigenden Zahl privater Einrichtungen werden die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten immer seltener durch einen Tarifvertrag oder kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien geregelt. Bei einem Personalkostenanteil von über 70 Prozent führt das zu einem Wettbewerb um möglichst niedrige Personalkosten. Gleichzeitig wird damit auch der Druck auf existierende Tarifverträge immer größer. Um diese Entwicklung zu stoppen, brauchen wir einen flächendeckenden Tarifvertrag in der Altenpflege. Mit dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz ist die Grundlage für einen solchen Tarifvertrag durch den Bundesarbeitsminister gegeben.
Alle Berufsgruppen in NRW müssen mit Personalschlüsseln zurechtkommen, die sich an Personalrichtwerten orientieren, die aus der Zeit vor Einführung des SGB XI stammen. Sie sind veraltet. Für die Verwaltung, die Haustechnik, die Sozialarbeit und die Hauswirtschaft heißt das, dass umgehend neue Personalrichtwerte ermittelt und verbindlich eingeführt werden müssen. Auch für diese Berufsgruppen ist das Arbeitsaufkommen und die Arbeitsintensität in den letzten Jahren durch Veränderung der BewohnerInnenstrukturen enorm gewachsen. Hier ist das Land gefordert. Die zuständigen Behörden auf Länderebene müssen zudem verpflichtet werden, die Einhaltung der Fachkraftquote zu überprüfen und gegebenenfalls zu sanktionieren.
Studien zeigen, dass es vielfältige strukturelle Hindernisse für Fachkräfte aus dem Ausland sowie für QuereinsteigerInnen in der Pflege gibt. Notwendig sind, neben dem Abbau bürokratischer Hindernisse, soziale Innovationen auf Organisationsebene. Ansätze liegen hier u.a. in dem Aufbau systematischer betrieblicher Recruitment- und Rückkehrprogramme, in der Anerkennung informell erworbener Kompetenzen für den Einstieg in die Pflegearbeit, in der Förderung multiprofessioneller Teamarbeit sowie in der Stärkung einer fachlich-sozialen Praxisanleitung für diese Zielgruppe. Hierfür braucht es Maßnahmenkataloge und Qualitätskriterien. Betriebliche Interessenvertretungen können darin unterstützen, entsprechende Maßnahmen zu entwickeln und überprüfen, ob diese eingehalten werden.
Mehr Köpfe sind wichtig, aber es braucht noch mehr!
Denn sozialer Fortschritt im und mit dem Gesundheits- und Pflegesektor ist ohne qualifiziertes und motiviertes Personal nicht möglich.Gegenwärtige Maßnahmen der Gesundheitspolitik zielen vor allem darauf, mehr Köpfe für die Arbeit in Gesundheit und Pflege zu gewinnen. Dies ist für die Beschäftigten vor Ort wichtig, kann aber allein keine Antwort auf die drängenden Herausforderungen sein. Damit es hier nicht zu Enttäuschungen kommt, braucht es einen Plan, wie NeueinsteigerInnen nicht nur in der Pflege ankommen, sondern auch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, damit sie dort bleiben wollen.
Spätestens wenn um die Betreuung von Kindern geht, kommt es häufig zu Enttäuschungen. Richtig kompliziert wird es für Eltern, die im Schichtdienst arbeiten – und das werden immer mehr. Wohin mit den Kindern morgens um fünf oder abends um zehn? Hier braucht es entsprechende Arbeitszeitarrangements sowie ein verstärktes Engagement durch die Träger, beispielsweise durch betriebliche Betreuungseinrichtungen.
Durch die zunehmende Diffusion und Nutzung digitaler Technik, durch neue und erweiterte Qualifikations- und Kompetenzprofile sowie durch neue Wege der Arbeitsorganisation und -gestaltung auf betrieblicher Ebene werden sich Versorgungs- und Arbeitsarrangements grundlegend ändern. »Effizientere Gesundheits- und Pflegearbeit« markiert an sich aber noch keinen Fortschritt, denn oftmals bleibt unklar, ob daraus ein tatsächlicher Mehrwert für PatientInnen, Pflegebedürftige und deren Angehörige sowie für die Beschäftigten wird.
Es braucht eine Vision, wie Arbeit im Gesundheits- und Pflegesektor unter Nutzung neuer Kompetenzprofile, organisatorischer und technischer Möglichkeiten (Digitalisierung) künftig besser und intelligenter organisiert werden kann. Trotz der Anstrengungen zum Aufbau einer umfassenden Telematikinfrastruktur ist die Förderung der technischen Infrastruktur für Telemedizin in der Altenpflege nicht ausreichend. Insbesondere mangelt es an einer integrierten Vernetzung pflegerischer Expertisen mit der Akutversorgung sowie der (fach)ärztlichen und therapeutischen Versorgung. Entsprechende Programme für die Altenpflege müssen verstärkt auf die gezielte Förderung des Ausbaus telepflegerischer und teletherapeutischer Angebote für und in der Altenpflege setzen, und die Einrichtungen auch in der organisatorischen Umsetzung und Personalentwicklung unterstützen.
Dazu sollten regionale Kompetenzzentren für eine digital gestärkte Altenpflege aufgebaut werden. Gerade in der Altenpflege geht es um eine kluge Mischung digitaler Technik und »analoger« Betreuung als Ansatzpunkt zur Verbesserung der pflegerischen Versorgungsqualität.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Beschäftigten im Kontext der Digitalisierung vor neuen und erweiterten Anforderungen stehen. Allerdings liegt der Fokus derzeit in erster Linie auf der »Akzeptanz« neuer technischer Anwendungen. Dies greift angesichts der potenziellen Folgen digitaler Technik zu kurz. Digitale Technik kann dann zu einem Fortschritt für die Weiterentwicklung der Pflege werden, wenn Beschäftigte mit ihren fachlichen Kompetenzen und Interessenvertretungen konsequent an der Auswahl, Umsetzung und Evaluierung beteiligt werden, die reflexiven Kompetenzen und Gestaltungskompetenz der Beschäftigten gestärkt und Nutzeneffekte sichtbar werden. Folgen der Digitalisierung auf betrieblicher Ebene sind systematisch zu erfassen. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSCHG) bietet hierfür den notwendigen gesetzlichen Rahmen. Doch oftmals werden Digitalisierungsfolgen in diesem Kontext gar nicht systematisch erfasst. Im Kontext beruflicher Bildung ist der Wandel der Kompetenzanforderungen zu erfassen, die Vermittlung digitaler Kompetenzen in der Ausbildung sollte gestärkt und ein Berichtssystem für betriebliche Qualifizierungsaktivitäten aufgebaut werden (analog zum BBiG).
Wandel arbeitsorientiert gestalten: Mitbestimmung und tarifliche Regelungen stärken, Pflegekammer ist hier nicht die Lösung.
NRW hat eine besondere Tradition der sozialpartnerschaftlichen Gestaltung von Arbeit. Diese Tradition muss insbesondere im Bereich der Altenpflege wieder sichtbar werden. Ob Strategien zur Aufwertung der Arbeit künftig erfolgreich sein werden, hängt entscheidend davon ab, wie tarifliche Rahmenbedingungen ausgestaltet sind und auf betrieblicher Ebene wirksam werden.
Die Etablierung einer Pflegekammer in NRW ist jedoch keine Lösung. Denn es ist nicht Aufgabe einer Kammerorganisation, verlässliche Einsatz- und Anwendungsbedingungen von Arbeit in Gesundheit und Pflege zu verhandeln und betrieblich durchzusetzen. Die Auflösung der Pflegekammer Niedersachen im Jahr 2020 – per Mitgliedervotum – macht das deutlich.
Es ist notwendig, deutlich sichtbarer als bisher aufzuzeigen, wie Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft dazu beitragen können, den Strukturwandel des Gesundheits- und Pflegesektors beschäftigten- und qualitätsorientiert zu gestalten. Mitbestimmungsakteure müssen im Transformationsprozess gestärkt und in ihrer Wissens- und Kompetenzwicklung unterstützt werden.
Neue Wege finden: Landespflegegesellschaft als Pilotprojekt
Die Umsetzung arbeitsrechtlicher Standards für Pflegekräfte in Privathaushalten ist überfällig. Die arbeitsvertragliche Situation muss verbessert werden. Zentral sind mehr und verpflichtende Beratung und Aufklärung, Arbeitsverträge mit Aufgabenbeschreibung sowie die Verpflichtung der vermittelnden Agenturen zur Information, Qualifizierung und Beratung.
Die NRWSPD schlägt daher ein Pilotprojekt »Landespflegegesellschaft« vor. Eine solche gemeinnützige GmbH könnte sukzessive zur Anlaufstelle im Pflegebereich werden. Über sie könnte nicht nur Information, Qualifizierung und Beratung erfolgen, sondern auch – weitergehend und nach österreichischem Vorbild – eine direkte Anstellung pflegender Angehöriger.
Dies macht aus drei Gründen Sinn: Erstens, um diese Personen sozialversicherungsrechtlich abzusichern und ihnen den Lebensunterhalt zu wahren; zweitens, um den pflegebedürftigen Personen den Verbleib zu Hause zu ermöglichen; und drittens, um durch die Ausbildungsmöglichkeit auch mittelfristig zusätzliches Personal für den Pflegebereich zu gewinnen.
Klar ist jedoch auch, dass daran nicht die Erwartungshaltung geknüpft werden darf, dass die bisherige Erwerbstätigkeit aufgegeben wird. Die Mehrzahl der Menschen, die Angehörige pflegen, ist in Teilzeit oder sogar in Vollzeit beschäftigt: Zwei Drittel der informell Pflegenden unter 65 Jahren sind selbst erwerbstätig. Die Erwerbstätigkeit wird aber aufgrund des Engagements in der Pflege der Angehörigen strukturell eingeschränkt. Deshalb ist die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und familiärer, informeller, Pflegearbeit eine große Herausforderung. Das gilt in besonderer Weise für Frauen, die in ihrem Alltag in erheblichem Umfang damit konfrontiert sind, die informelle Sorgearbeit mit Angehörigen, die eigene Erwerbstätigkeit sowie die eigene informelle Familienarbeit miteinander zu vereinbaren. Dieser strukturellen Benachteiligung kann durch eine Landespflegegesellschaft begegnet werden.
Eine dritte Ebene dieser Landespflegegesellschaft könnte die Anstellung von Pflegekräften sein, die bisher im Graubereich, also über Agenturen vermittelt in privaten Haushalten tätig sind. Diese Art der Laienpflege, die häufig den Charakter einer Betreuungspflege hat, könnte damit in ein ordentliches Beschäftigungsverhältnis überführt werden. Auch hier könnte eine Landespflegegesellschaft durch Information, Beratung und schließlich auch Qualifikation einen zusätzlichen Beitrag liefern.
Das Pilotprojekt Landespflegegesellschaft sollte zunächst in einer Modellregion erprobt und evaluiert werden. Wichtig ist zudem, dass die Gewerkschaften ein Mitbestimmungsrecht haben. Zu diesem Zweck sollte der Vorstand paritätisch besetzt sein. Klar ist damit auch, dass die Landespflegegesellschaft zu einem anerkannten Leistungserbringer im Sinne des Sozialgesetzbuches wird.
Für Kommunen mit Zukunft – Volles Leben statt leerer Kassen
Zukunft wird vor Ort entschieden. Wirksamer Klimaschutz, konsequente Digitalisierung, gute Arbeitsplätze, beste Bildung, befriedigende Gesundheits- und Pflegeversorgung, verlässliche Kinderbetreuung und starke Wirtschaftsförderung – all das und noch viel mehr leisten unsere Kommunen. Sie setzen Politik um, investieren in Zukunft und machen Politik erlebbar. Das gelingt jedoch nur, wenn unsere Kommunen auch die nötige Finanzausstattung haben.
Unsere Position:
- Handlungsfähig werden vielen Kommunen erst dann, wenn sie von ihrer Schuldenlast befreit werden: Es braucht einen kommunalen Altschuldenfonds in NRW.
- Wir wollen die Position der Kommunen stärken – mit einer starken Stimme und echten Mitspracherechten.
- Wir brauchen einen “New Deal” in der Finanzierung von Bildungseinrichtungen. Solange Bildung „Ländersache“ ist, muss das Land seiner Verantwortung nachkommen.
- Steueroasen haben in NRW keine Zukunft. Unternehmensgewinne müssen dort versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden.
- Ungleiches auch ungleich behandeln: Die Gemeindefinanzierung muss sich wieder nach der objektiven Leistungsfähigkeit der Städte und Gemeinden richten.
- Die Verteilung der Umsatzsteueranteile der Kommunen darf sich nicht allein am jeweiligen Steueraufkommen bzw. der Wirtschaftskraft orientieren. Auch hier gilt: Ungleiches auch ungleich behandeln.
Gleiche Lebensverhältnisse erreichen wir durch Solidarität und gerechte Verteilung
Die ungleichen Lebensverhältnisse, die wir heute in NRW erleben, sind das Ergebnis ungleicher Verteilung. Vielerorts fehlt das Geld. Das hat spürbare Folgen: In NRW ist die Verfügbarkeit von Kita-Plätzen oder die Höhe der Kita-Beiträge vom Wohnort abhängig. Ob es ein Schwimmbad oder einen Sportplatz in der Nähe gibt, hängt vom Wohnort ab. Ob die Schultoilette oder der Aufzug zur U-Bahn funktioniert, ist vom Wohnort abhängig. Selbst die Lebenserwartung ist inzwischen vom Wohnort abhängig.
Daran sind nicht die KommunalpolitikerInnen vor Ort schuld. Dennoch sind sie es, die landauf und landab erklären müssen, warum bestimmte Dinge nicht mehr möglich sind. Schlimmer: Mancherorts geht es ausschließlich darum, zu erklären, warum bestimmte Einrichtungen oder Angebote dicht gemacht werden müssen. Menschen erleben, dass öffentliche Infrastruktur verfällt. Ausweise, Bauanträge, KFZ-Angelegenheiten, Heirat oder Geburt – überall ist die Kommune die erste Anlaufstellte für staatliche Hoheitsaufgaben. Doch wenn es hier mehr und mehr hakt, wenn Warte- und Bearbeitungszeiten immer länger werden, dann schleicht sich das Gefühl ein, dass der Staat nicht mehr richtig funktioniert. Im Ergebnis schwindet das Vertrauen in Politik und die Unzufriedenheit steigt.
Für die NRWSPD ist klar, dass dieser Zustand nicht länger andauern darf. Wenn Menschen vor Ort erleben, dass Politik nicht mehr gestalten kann, dass Zukunft verspielt wird – dann ist die Demokratie vor Ort in Gefahr. Populisten und Rechtsradikale wissen diese Entwicklung zu nutzen – mit vermeintlich einfachen Antworten. Die NRWSPD hat eine bessere Antwort – die einzig richtige Antwort: Es braucht wieder mehr finanzielle Mittel in den Kommunen.
Das muss auch im Interesse von vermögenden Kommunen sein, die es in NRW ebenso gibt. Auch starke Kommunen sind zwingend darauf angewiesen, dass es ihren Nachbarkommunen gut geht. Tourismus, Einkaufsstraßen und Gastronomie leben von Gästen, die Geld mitbringen. Unternehmen brauchen gut ausgebildete ArbeitnehmerInnen. Großstädte brauchen attraktiven Wohnraum im Speckgürtel. Und Wirtschaft funktioniert nur dann, wenn Unternehmen aus der Region zuliefern, oder in der Nachbarschaft Güter und Dienstleistungen nachgefragt werden. Das Vorbild ist Europa: Ein starker Binnenmarkt stärkt auch Deutschland. Nur gemeinsam sind wir stark. Dieses Prinzip greift ebenso für die Kommunen in NRW. Das bedeutet Solidarität.
Mit „Rot Pur“ hat die NRWSPD ihr Bekenntnis zu dieser kommunalen Solidarität erneuert. Es braucht starke Kommunen. In der Krise hat sich bewiesen, dass dieser Weg richtig ist. Unsere Kommunen schultern Verantwortung und tragen entscheidend dazu bei, dass wir gesamtgesellschaftliche Herausforderungen bewältigen, wie wir es jüngst im Kampf gegen die Corona-Pandemie erleben.
Spar- und Sanierungsanstrengungen werden durch Corona-Pandemie zunichte gemacht
Die Corona-Pandemie ist jedoch für viele Kommunen auch ein Brandbeschleuniger. Denn Corona hat massive finanzielle Folgen: Weniger Geld wird eingenommen, weil die Gewerbesteuer sowie die kommunalen Anteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer wegbrechen. Auch Einnahmen aus anderen Abgaben wie Gebühren und Beiträgen, oder Erträge aus kommunalen Unternehmen sinken. Auf der anderen Seite wird mehr Geld ausgegeben, weil die Bekämpfung der Pandemie hohe Ausgaben verursacht.
Das trifft vor allem schwache Kommunen. Viele von ihnen haben im Rahmen des „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ einen harten Sanierungskurs eingeschlagen. Dafür haben sie im Gegenzug seit dem Jahr 2011 insgesamt rund 6 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt bekommen, um wieder handlungsfähig zu werden. Denn bereits vor Corona steckten viele Kommunen in der Falle, oder besser gesagt im Teufelskreis: Aus eigener Kraft schaffen es betroffene Kommunen nicht, ihre Attraktivität zu steigern, umso mehr Steuer- oder Finanzkraft für nötige Investitionen zu generieren. Die Haushalte sind am Limit. Also ist das Gegenteil der Fall: Durch den Verschleiß von Infrastruktur und Personalabbau in den nötigen Ämtern sinkt die Attraktivität weiter und damit auch die Chance, sich selbst zu befreien. Der Stärkungspakt Stadtfinanzen war der richtige Weg, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Die Krise droht jedoch alle Sparanstrengungen zunichte zu machen.
Ein erstes wichtiges Zeichen hat der Bund gesetzt: Durch die dauerhafte Entlastung von Sozialleistungen (Konjunkturpaket 2020) haben die Kommunen bundesweit jedes Jahr 4 Milliarden Euro mehr in den Kassen. Das hilft besonders dort, wo Arbeitslosigkeit hoch und Einkommen niedrig sind.
Doch damit kann es noch nicht getan sein. Die Kommunen müssen von Belastungen befreit werden, über die sie selbst nicht bestimmen können. Soweit Kommunen bestimmte Aufgaben übernehmen, weil Bund und Länder sie ihnen zugewiesen haben, müssen die Kosten dafür von den Auftraggebern getragen werden. Dies entspricht dem Grundsatz der Konnexität. Die Entlastung von Sozialleistungen ist daher richtig und muss nun konsequent fortgeführt werden.
Ein Schuldenschnitt für die Kommunen
Zudem drücken vielerorts sogenannte Kassenkredite, die zur Überbrückung vorübergehender Kassenengpässe verwendet werden. In den NRW-Kommunen sind so Schulden von insgesamt 22,6 Mrd. Euro aufgelaufen.
Diese Kassenkredite, die aus eigener Kraft nicht mehr abgelöst werden können, müssen endlich in einen Altschuldenfonds überführt werden. Hier ist das Land in der Verantwortung, nachdem die CDU-Bundestagsfraktion eine Beteiligung des Bundes blockiert hat. Zwar sind die Zinslasten aktuell verhältnismäßig gering, jedoch werden Investitionen verhindert, da Überschüsse in den Ausgleich gesteckt werden müssen. Nur in Zeiten niedriger Zinsen ist eine Lösung des Altschuldenproblems realistisch und finanzierbar. Es ist daher naiv und unverantwortlich, das Problem jetzt nicht anzugehen, mit dem Argument, die Zinsen seien niedrig.
Selbst die schwarz-grüne hessische Landesregierung macht es vor: Im Jahr 2018 wurden mit dem Programm „Hessenkasse“ rund 4,8 Mrd. Euro kommunaler Kassenkredite abgelöst.
Die Position der Kommunen stärken – mit einer starken Stimme
Die Bewältigung der Flüchtlingskrise ist eine gutes Beispiel, um zu belegen, dass unsere Kommunen echte Krisenmanager sind. Kommunen haben Verantwortung übernommen – auch in finanzieller Hinsicht. Unbestritten ist die Bewältigung jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dies muss sich auch in der Finanzierung widerspiegeln. Dem ist jedoch nicht so; die Kommunen wurden und werden über Gebühr belastet. Die Corona-Pandemie droht eine ähnliche Erfahrung für die Kommunen zu werden.
Als NRWSPD wollen wir die politische Position der Kommunen stärken. Wir wollen mit den kommunalen Spitzenverbänden in einen Dialog eintreten, wie es gelingt, ihre Stimme im institutionellen Gefüge zu stärken. Kommunen brauchen ein landes- und ggf. auch bundesrechtliches Mitspracherecht. Es muss verhindert werden, dass Kommunen sich regelmäßig nach Krisen oder im Rahmen anderer gesellschaftlicher Herausforderungen in der alleinigen Finanzverantwortung wiederfinden. Sie müssen bei der Ausgestaltung von Lösungen institutionell beteiligt werden.
Als ersten Schritt ist die NRWSPD als Erstunterzeichnerin dem Bündnis „Für die Würde unsere Städte“ beigetreten.
Das Subsidiaritätsprinzip hat Grenzen
NRW lässt überproportional viele Aufgaben durch seine Kommunen erledigen. Leistungen sollen ortsnah angeboten und an die lokalen Bedürfnisse angepasst sein. Diese Idee der Subsidiarität ist grundsätzlich richtig und begrüßenswert. Sie findet allerdings dort ihre Grenzen, wo durch die unterschiedliche Steuerkraft und damit Leistungsfähigkeit der Kommunen keine an die örtlichen Bedürfnisse angepasste Erledigung erfolgen kann, da schlicht die Ressourcen fehlen.
Daher braucht es in vielen Bereichen einen „New Deal“ in der Finanzierung von Aufgaben. Einerseits geht es dabei um eine bedarfsorientierte, grundständige Finanzierung über die bestehenden Verteilungsmechanismen. Andererseits braucht es aber auch eine Diskussion darüber, wo wieder mehr Aufgaben vom Land selbst übernommen werden müssen.
Ein erster Ansatzpunkt kann die Schulträgerschaft sein. Grundgesetzänderungen in der jüngeren Vergangenheit haben es ermöglicht, dass sich der Bund finanziell einbringen kann. Die Grenzen zwischen den Zuständigkeiten kommen immer mehr ins Schwimmen. Der Zeitpunkt ist also günstig: Es braucht neben einer erneuten Anstrengung des Landes für mehr Investitionen in die Schulinfrastruktur (Fortschreibung des Programms „Gute Schule 2020“) auch einen organisatorischen Neuanfang der finanziellen Kompetenzen. Dafür benötigen wir neue Verantwortungsgemeinschaften, einen “New Deal” in der Schul- und Bildungspolitik, bei dem die Zusammenarbeit von Kommunen, Land und Bund neu geregelt wird.
Steueroasen haben in NRW keine Zukunft
Europa kann sich nur weiterentwickeln und ist nur dann stark, wenn alle Länder und alle Ebenen zusammenarbeiteten – denn alle sind voneinander abhängig. Dieses Prinzip trifft auch auf NRW und seine Kommunen zu.
Wenn sich Kommunen einen Vorteil gegenüber dem Umland verschaffen, indem sie massiv ihre Gewerbesteuer senken, dann ist das ein egoistischer Weg, der ausblendet, dass es in Zukunft immer mehr darauf ankommen wird, gemeinsam zu arbeiten. Dass es aber in Deutschland zur gängigen Praxis von Großkonzernen werden könnte, durch konzerninterne Verlagerungen steuerlicher Erträge oder die Einrichtung von „Briefkastenfirmen“ Steuern zu sparen, ist besorgniserregend. Es ist schief, dass mitten in Deutschland Steueroasen entstehen, während wir genau das auf internationaler Ebene mit allen Mitteln bekämpfen.
Unternehmensgewinne müssen dort versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden. Wir brauchen andere Rahmenbedingungen, insbesondere muss die Gewerbesteuer noch deutlicher an die Produktionsorte gebunden werden.
Die Möglichkeiten, Gewerbesteuern durch die Anrechnung von Patenten und Lizenzen sowie die Reduzierung der Beschäftigten durch die Ausgliederung in Dienstleistungsunternehmen zu verlagern, muss abstellt werden. Gewerbesteuern müsseb dort verbleiben, wo der Mehrwert geschaffen wird. Denn dort, wo die tatsächliche gewerbliche Produktion stattfindet, bleiben die Belastungen für Umwelt und Infrastruktur. Ohne dass dafür allerdings von Unternehmen vor Ort ein angemessener Finanzierungsanteil getragen wird.
Im Übrigen bedeutet ein Unterbietungswettbewerb auch, dass insgesamt weniger Unternehmenssteuern in NRW hängen bleiben. Daher setzen wir uns dafür ein, dass die Gewerbesteuer dort gezahlt wird, wo die Bänder laufen, die Schlote qualmen und die LKWs über den Asphalt rollen – und nicht dort, wo der Briefkasten hängt.
Gemeindefinanzierungsgesetz: Ungleiches auch ungleich behandeln
Das Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) regelt den jährlichen Finanzausgleich zwischen dem Land und den Kommunen. Mit dem GFG 2019 hat die schwarz-gelbe Landesregierung die Aufwands- und Unterhaltungspauschale neu eingeführt und diese 2020 auch noch überproportional gegenüber der Gesamtsumme erhöht. Das ist der Einstieg in eine Verteilung der Mittel, die sich nicht mehr an der Bedürftigkeit der Kommunen orientiert. Starke Kommunen werden bevorzugt, schwache Kommunen werden schwächer. Gleichzeitig sind in NRW überproportional viele Aufgaben den Kommunen übertragen worden. Die Mittel, welche die Kommunen im Rahmen des GFG bekommen, sind dafür bisher zu gering angesetzt.
Die Gemeindefinanzierung muss sich daher wieder nach der objektiven Leistungsfähigkeit der Städte und Gemeinden richten. Für uns gilt hier der Maßstab: Ungleiches auch ungleich behandeln. Nur so werden strukturelle Nachteile vor Ort nicht zu einer Bürde beim Kampf um gleichwertige Lebensverhältnisse.
Dafür müssen die Soziallasten bei der Verteilung der Mittel stärker berücksichtigt werden. Zudem gilt es, die Aufwands- und Unterhaltungspauschale abzuschaffen, oder nach Bedürftigkeit zu verteilen. Um den überproportional vielen Aufgaben gerecht zu werden, muss außerdem der Anteil an den Steuermitteln, der im GFG auf die Kommunen verteilt wird, mittelfristig und Schritt für Schritt von 23 auf 28 Prozent erhöht werden.
Die Umsatzsteuer braucht einen neuen Verteilungsmechanismus
Die Anteile der Kommunen am Umsatzsteueraufkommen stellen eine relevante Einnahmeposition für diese dar. Die Umsatzsteuer ist darüber hinaus in der jüngeren Vergangenheit wiederholt als Vehikel zur Verteilung von (Sonder-)Zuweisungen des Bundes an die Kommunen benutzt worden.
Die Verteilung der Umsatzsteueranteile richtet sich jedoch bisher nach dem jeweiligen Steueraufkommen der Städte und Gemeinden bzw. deren Wirtschaftskraft. Das bevorzugt steuerstarke Gemeinden, da diese einen verhältnismäßig höheren Anteil erhalten. Gerade vor dem Hintergrund, dass (Sonder-)Zuweisungen des Bundes insbesondere auch dem Zweck der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse dienen sollen, ist ein solcher Verteilschlüssel nicht zielführend. Ein solcher Verteilschlüssel verstärkt sogar bestehende Ungleichheiten und strukturelle Benachteiligungen.
Auch hier gilt: Ungleiches auch ungleich zu behandeln. Es braucht eine Verteilung, die sich stärker am Bedarf, also nach sozialen Kritierien ausrichtet. Die Verteilung der Umsatzsteueranteile der Kommunen darf sich nicht allein am jeweiligen Steueraufkommen bzw. der Wirtschaftskraft orientieren.
Eine Grundsteuersenkung gelingt nur durch die faire Verteilung von Mitteln
Letztlich wird dieser Dreiklang, also die bessere Zuweisung und Verteilung von Mitteln über das Gemeindefinanzierungesetz sowie die Gewerbe- und Umsatzsteuer dazu beitragen, dass auch die kommunale Grundsteuer stabil oder sogar wieder gesenkt werden kann.
Wie hoch die Grundsteuer ausfällt, variiert je nach Wohnort und kann über den lokalen Hebesatz gesteuert werden. Inzwischen korreliert die Grundsteuerbelastung jedoch wesentlich mit der Finanznot der Kommunen. Zwischen dem günstigen Gütersloh und dem Spitzenreiter Witten besteht eine Diskrepanz von jährlich knapp 450 Euro, gemessen an einem Standard-Einfamilienhaus.
Nur eine bessere finanzielle Ausstattung der armen Kommunen und die Lösung der Altschuldenfrage kann diesen Trend aufhalten. Die Steuerbelastung der Einwohner einer Stadt muss sich wieder an den Leistungen der Stadt orientieren können.
Solidarpakt Zukunft
Keine Herausforderung im 21. Jahrhundert fordert jede Einzelne und jeden Einzelnen, unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft wie die CoronaPandemie. Es geht zum einen um die Bekämpfung der Ausbreitung des Virus und zum anderen um die Abmilderung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Bislang haben wir vieles gemeinsam, oft solidarisch und in kürzester Zeit geschafft. Doch wir sehen auch, dass die Auswirkungen der Pandemie und die daraus resultierenden Herausforderungen sehr unterschiedlich auf Beschäftigte, Familien, unser Bildungs und Gesundheitssystem, auf Branchen und Wirtschaftszweige wirken.
Deutschland und damit auch Nordrhein-Westfalen waren seit März 2020 binnen weniger Tage nicht mehr wiederzuerkennen: Schulen und Kitas blieben geschlossen, Geschäfte und Restaurants ebenfalls, die Fußballstadien verwaist, Urlaubsreisen abgesagt, selbst Treffen mit Familie und Freunden massiv eingeschränkt. Diese, teilweise massiven Grundrechtseingriffe haben wir im Laufe des Jahres 2020 und bis in den Februar 2021 immer wieder erleben müssen vom Lockdown in die Lockerungen und umgekehrt.
Es hat sich zum einen deutlich gezeigt, wie wichtig ein funktionierender solidarischer Sozialstaat ist. Durch die richtigen politischen Weichenstellungen kann Massenarbeitslosigkeit durch Kurzarbeit verhindert werden und durch die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen ein schon zuvor belastetes Gesundheitssystem der Druck gemildert werden, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Durch den vehementen Einsatz unserer Bundesvorsitzenden, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sowie durch die Beharrlichkeit unseres Bundesfinanzministers und Spitzenkandidaten Olaf Scholz konnten wir im Bund ein Konjunkturprogramm beschließen, das soziale Härten abfedert und unser Land auch ökologisch nach vorne bringt. Ein Programm für Familien, für Kommunen, für Auszubildende, für kleine und mittelständische Unternehmen, für die Kultur und Klima.
Die Corona Pandemie wird ihr Ende finden; auch durch die hoffentlich bald einsetzenden, flächendeckenden Impfungen. Was allerdings bleiben sollte, ist das Bewusstsein, dass sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen bereits jetzt, aber auch langfristig nach Beendigung der Pandemie etwas verändern muss. Ein einfaches „Zurück“ darf es nicht geben. Die NRWSPD ist dazu bereit. Wir geben Orientierung und rücken die zentralen Fragen in den Mittelpunkt.
So hilfreich die Soforthilfeprogramme waren und sind, so stark sich die Solidarität der Menschen nicht nur im Gesundheitsbereich, in der Altenpflege, in den kommunalen Behörden, dem Einzelhandel oder Gastronomie, im Bildungsbereich und insbesondere in den Familien gezeigt hat, dürfen die finanziellen Hilfen und der Applaus nicht weiße Salbe zum Überdecken der grundsätzlichen strukturellen Probleme sein. Vielmehr müssen wir die Pandemie auch als Weckruf begreifen, um Lehren aus dem Bisherigen zu ziehen, neue Ideen zu entwickeln und diese dann auch mutig durchsetzen.
Mit fast 18 Millionen Menschen ist NRW das bevölkerungsreichste Bundesland. Wir können und wir werden Vorbild sein – in Deutschland, aber auch für Europa. Wir wollen die Probleme anpacken. Wir bezeichnen uns gerne als die Weltmeister des Strukturwandels – das werden wir nun erneut unter Beweis stellen.
Deshalb braucht es einen Solidarpakt Zukunft für NRW. Die NRWSPD hat gemeinsam mit VertreterInnen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen – Partei, Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft – Ideen entwickelt, um die richtigen Lehren aus der Pandemie zu ziehen und Perspektiven zu geben. Wir haben Lösungen formuliert. Wir wollen in unser Land investieren. Diese Investitionen müssen sich daran messen lassen, zukunftstauglich zu sein. Wir wollen Fortschritt –der ökologisch, aber vor allem sozial gerecht ist. Dabei setzen wir auf ein solidarisches Miteinander- auch und gerade weil Nordrhein-Westfalen so unterschiedlich und vielfältig ist: wir wollen die unterschiedlichen Regionen und Teile der Gesellschaft zusammenhalten, indem wir allen Perspektiven bieten. Wir schaffen Sicherheit im Wandel.
Verlässliche Bildungspolitik mit Zukunft
Fast 3 Millionen Kinder leben in NRW – Tendenz steigend. Rund 620.000 Mädchen und Jungen unter sechs Jahren werden in NRW in Kindertageseinrichtung betreut. Jährlich absolvierten rund 300.000 – zumeist junge – Menschen in NRW eine duale Ausbildung. Und an den NRW-Hochschulen sind etwa 768.000 Studierende eingeschrieben. Sie sind die Zukunft von NRW und sie alle verdienen beste Bildung.
Auf beste Bildung müssen Kinder und Jugendliche auch in der Krise vertrauen dürfen. Dafür setzen wir ihren Erfolg an erste Stelle und hören ihnen zu. Denn es braucht gute Kommunikation, schlüssige Handlungsanweisungen und verlässliche Perspektiven. Die schwarz-gelbe Landesregierung führt schmerzlich vor Augen, wie Vertrauen bei Kindern, Jugendlichen, Eltern, Schulleitungen und Lehr-Personal verspielt wird. Anstatt Chaos zu stiften, muss die Landesregierung die vielen engagierten Schulleitungen, Eltern, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und SchülerInnen endlich bestmöglich unterstützen und anerkennen, dass dieses Schuljahr eben kein normales ist.
Die Corona-Pandemie hat auch gezeigt, dass die Digitalisierung im Bildungsbereich kein Selbstzweck ist. Sie hat das Lernen auf Distanz an vielen Orten, aber längst nicht allen ermöglicht. Doch auch abseits von Corona liegen große Potenziale in der Digitalisierung. Sie ermöglicht mehr Teilhabe und Chancengleichheit. Es ist unser Kernanliegen, dass alle Kinder und Jugendliche davon profitieren.
Denn knapp jede/jeder fünfte Minderjährige in NRW lebt in einer Familie, die aus eigenen Kräften nicht in der Lage ist, für den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sorgen. Sie leben in Armut oder sind von ihr bedroht. Weder die soziale Herkunft noch die Finanzkraft der Eltern dürfen über die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen entscheiden. Wir wollen, dass jede und jeder alles aus seinem oder ihrem Leben machen kann.
Wir wollen Chancengleichheit und dazu gehört auch, dass alle Kinder und Jugendliche von der Digitalisierung profitieren. Wir müssen Kinder, Jugendliche und Bildungseinrichtungen entsprechend ausstatten. Die digitale Bildungsagenda braucht einen echten politischen Aufbruch.
- NRW braucht jetzt schnell einen Neustart im Bildungsbereich. Dieses Schuljahr ist kein normales Schuljahr. Wir brauchen eine transparente und umfassende Öffnungsstrategie für die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts und für den Schulbetrieb im Schuljahr 2020/21 und 2021/22.
- Wir brauchen eine Gesamtstrategie für die Digitalisierung im Bildungswesen. Sie muss bei der frühen Bildung ansetzen und über allgemeine- und berufsbildende Schulen sowie Ausbildung bis zu den Hochschulen gehen.
Verlässliche Bildungspolitik mit Zukunft S.7
Neue Wirtschaftskraft durch solidarischen Fortschritt
Mehr als ein Fünftel aller Erwerbstätigen in Deutschland, rund 9,6 Millionen Menschen, sind in NRW beschäftigt. Sie haben im Jahr 2019 Güter und Dienstleistungen mit einem Wert von mehr als 710 Milliarden Euro produziert. Das sind rund 21 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung. 10 der 30 DAX-Unternehmen haben ihren Firmensitz in NRW. Damit ist NRW nicht nur der Motor innerhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb Europas ein echtes Schwergewicht.
Und NRW soll Schwergewicht bleiben. Doch dafür müssen wir investieren. Bereits vor der Pandemie war die NRW-Industrie in keiner guten Verfassung. Die Globalisierung, Handelsstreitigkeiten und der Brexit haben der Wirtschaftskraft zugesetzt. Gleichzeitig steht der Wirtschaftsbereich durch den Klimawandel in großen Umbauprozessen. Vor diesem Hintergrund treffen uns die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie besonders schwer. Unternehmen, die bisher in Schwierigkeiten steckten, ringend jetzt um Luft. Aus Handlungsdruck wird nun echter Zeitdruck.
Wir wollen dieser Herausforderung durch Fortschritt begegnen. Im Angesicht der Lage sind für uns „verwalten“ oder gar „aussitzen“ keine Optionen. Der Fortschritt ist ökologisch – aber vor allem sozial. Daher müssen wir jetzt in Zukunftstechnologien und in die dafür nötige Infrastruktur investieren. Nur so werden wir die Herausforderungen der Energiewende und der digitalen Revolution meistern. Wir wollen unsere Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und die Rezession überwinden. Wir sind bereit, massiv in den Wirtschaftsstandort NRW zu investieren; diese Investitionen müssen und werden auch den Beschäftigten zu Gute kommen.
- Für die Sozialdemokratie müssen Investitionen in den Wirtschaftsstandort NRW drei Kriterien erfüllen: wir wollen ökonomischen, ökologischen und sozialen Fortschritt.
NRW: Neue Wirtschaftskraft durch solidarischen Fortschritt S. 19
NRW ist Industrieland und soll es bleiben. Wir sehen die Industrie als einen unverzichtbaren Kern unserer Wirtschaft an, ohne deren Produktion und Wertschöpfung wir nicht krisenfest und zukunftsfähig sein können. In unserem Antrag „Social Green Deal – nachhaltige Industrie als Grundlage für sozialen, demokratischem und ökologischen Fortschritt“ machen wir daher deutlich, welche Vorstellungen die Sozialdemokratie für eine nachhaltige Industriepolitik hat.
„Social Green Deal“ Antragsbuch St-01
Gesundheit und Pflege: Es braucht mehr Solidarität im System
NRW verdient ein verlässliches Gesundheits- und Pflegewesen. Rund 965.00 pflegebedürftige Menschen sowie deren Angehörige zählen darauf. Vier von fünf Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Jährlich werden in den NRW-Krankenhäusern rund 4,7 Millionen PatientInnen versorgt. In fast allen Bereichen des Gesundheits- und Pflegewesens steigen die Kennziffern, die Nachfrage ist groß. Die Versorgung stellen in NRW rund 1,3 Millionen Beschäftigte sicher – so viele Menschen sind in Gesundheitswesen und -wirtschaft tätig. Etwa jede/jeder siebte Erwerbstätige in NRW arbeitet dort. Inzwischen wird dort sogar knapp ein Zehntel der NRW-Wirtschaftsleistung erbracht.
Unsere Gesundheits- und Altenpflege wird durch die Corona-Pandemie jedoch auf eine harte Probe gestellt, insbesondere die Beschäftigten – sie tragen die Last. Seit geraumen Zeit erleben wir, dass oft das gemacht wird, was sich finanziell rechnet. Leidtragende sind PatientInnen und Personal. Die Pandemie zeigt, dass es ein gefährliches Spiel ist, wenn wir zentrale Systeme der Daseinsvorsoge auf Kante nähen. Die Pflege von und die Gesundheit von Menschen darf nicht länger renditeorientiert sein, sondern muss sich an der Qualität und nicht an den Kosten messen lassen.
Das Handeln im Gesundheitswesen muss sich daher wieder daran ausrichten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist. Notwendig sind vor allem verlässliche Finanzierungsgrundlagen, mehr öffentliche Investitionen und der Schutz vor internationalen Kapitalinteressen. Der Sozialstaat muss wieder mehr Einfluss nehmen und seine Verantwortung auch finanziell untermauern. Die Bürgerversicherung ist nur ein Baustein zu diesem Ziel.
- Nur eine auskömmliche Finanzierung des Gesundheits- und Pflegewesens wird Löhne, Arbeitsbedingungen und damit auch die Qualität nachhaltig verbessern.
Gesundheit und Pflege: Es braucht mehr Solidarität im System S. 28
Für Kommunen mit Zukunft – Volles Leben statt leerer Kassen
Für uns ist klar: Zukunft wird vor Ort entschieden. Wirksamer Klimaschutz, ökologische Verkehrswende, konsequente Digitalisierung, gute Arbeitsplätze, beste Bildung, befriedigende Gesundheits- und Pflegeversorgung, verlässliche Kinderbetreuung und starke Wirtschaftsförderung – all das und noch viel mehr leisten die kommunalpolitisch Verantwortlichen in unseren Gemeinden, Städten und Kreisen. Sie setzen Politik um, investieren in Zukunft und machen Politik erlebbar. Das gelingt jedoch nur, wenn Gemeinden, Städte und Kreise in NRW auch das nötige Geld haben.
NRW ist ein Land mit großen Stärken und vielen Erfolgen. Es ist aber auch ein Land sozialer und ökonomischer Unterschiede – bereits vor Corona. Es gibt Städte, die wachsen, und Städte, die schrumpfen. Es gibt ländliche Räume, die prosperieren, und ländliche Räume, deren Einwohnerzahlen sinken. Boom-Regionen mit Vollbeschäftigung grenzen an strukturschwache Regionen, die gegen Langzeitarbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit zu kämpfen haben.
Viele Kommunalhaushalte sind nun durch Corona ins Wanken geraten, die Pandemie hat massive finanzielle Folgen. Es trifft besonders die Schwachen. Unsere Kommunen brauchen daher dringende Unterstützung aus Bund und Land – mehr denn je und das sofort. Die NRWSPD steht in diesem Kampf an der Seite derer, die in den Gemeinden, Städten und Kreisen Verantwortung tragen.
- Ungleiches auch ungleich behandeln: Die Tendenz in der Gemeindefinanzierung, die finanzkraftunabhängigen Pauschalen zulasten der finanzkraftabhängigen Schlüsselzuweisungen zu erhöhen, muss rückgängig gemacht werden.
Für Kommunen mit Zukunft – Volles Leben statt leere Kassen S. 42
Die Basis: Ein handlungsfähiger und solidarischer Sozialstaat
Entscheidend ist, dass wir den Staat wieder als Akteur begreifen, der den Alltag aller BürgerInnen besser macht und jedem Menschen die gleichen Chancen für gelingendes Leben bietet. Was wir brauchen, ist ein handlungsfähiger Staat. Und wir wollen, dass der Grundsatz wieder gilt: Starke Schultern tragen mehr als Schwache. Denn nur mit Zusammenhalt wird es gelingen, Fortschritt für alle Menschen in NRW zu erreichen.
Für einen handlungsfähigen Staat müssen sich alle solidarisch an der Finanzierung unseres Zusammenlebens beteiligen. Mit uns haben Steuertrickserei, Steuerbetrug und Steuerraub in NRW keine Zukunft. Im Bund braucht es eine Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaftssteuer. Denn wir wollen, dass MultimillionärInnen wieder mehr in die Verantwortung genommen werden und mehr Steuern zahlen. Auch Kapitalerträge müssen dabei Berücksichtigung finden. Über eine Digitalsteuer wollen wir zudem digitale Großkonzerne wie Amazon und Google in die selbstverständliche Steuerpflicht nehmen.
Vor dem Hintergrund ungleicher Vermögensverteilung nehmen wir bei der Finanzierung der krisenbedingen Kosten besonders Vermögende in die Pflicht. Wir fordern eine einmalige, krisenbedingte Vermögensabgabe für sehr hohe Vermögen.
So wird der Staat wieder in der Lage sein, für gleichen und gerechten Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit zu sorgen, er wird dafür sorgen können, dass genügend bezahlbare Wohnungen gebaut werden und endlich die vielerorts verrottete Infrastruktur wieder repariert wird: Schulen, Schwimmbäder, Brücken, Straßen, Schienen, das heißt Daseinsvorsorge, Mobilität und Gigabit für alle – in Stadt und Land, an jeder Milchkanne.
So schreiben wir einen neuen, modernen, zuversichtlichen und sozial gerechten Entwurf für die Zukunft unseres Landes. Dabei orientieren wir uns an einem Gesellschafts- und Menschenbild, das anerkennt, dass Freiheit für jede Einzelne und jeden Einzelnen nur durch die Solidarität aller möglich ist.
Das ist der Solidarpakt Zukunft.
Verlässliche Bildungspolitik mit Zukunft
Die soziale Herkunft der Eltern darf nicht über die Bildungschancen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entscheiden. Dass unsere Kinder es einmal besser als wir selbst haben sollen, ist das Ziel sozialdemokratischer Politik. Bildung im gesamten Lebensverlauf muss kostenfrei sein – diese Forderung wird durch die Corona-Krise nicht außer Kraft gesetzt, vielmehr hat sich die Dringlichkeit der Erfüllung der Forderung verschärft. Es zeigt sich, dass die Forderungen, die wir 2019 unter der Überschrift „Aufstieg durch Bildung“ beschlossen haben, richtig sind. In Nordrhein-Westfalen muss wieder gelten und das ohne Ausnahme: kein Kind zurücklassen!
Wir müssen kurzfristig wieder für Orientierung im Bildungsbereich sorgen. Kinder, Jugendliche, Familien, Schulleitungen und LehrerInnen brauchen Perspektive und Verlässlichkeit. Es braucht einen Neustart. Damit sich das NRW-Bildungschaos der Jahre 2020 und 2021 nicht wiederholt, müssen wir zudem aus Fehlern lernen. NRW verdient ein Schutzkonzept, dass im Vorfeld einer Krise definiert, wann welche Maßnahmen greifen. Ein Schutzkonzept, dass rechtliche Sicherheit bietet und welches vor allem Verlässlichkeit schafft. Dazu gehört auch die konsequente Digitalisierung im Bildungsbereich. Hier wollen wir kein „Klein-Klein“, sondern ein schlüssiges Gesamtkonzept.
Unsere Position:
- NRW braucht jetzt schnell einen Neustart im Bildungsbereich. Das kommende Schuljahr kann aufgrund der Ereignisse in den letzten Monaten nicht wie gewohnt ablaufen.
- NRW braucht ein Schutzkonzept für das Bildungswesen. Kinder, Familien, Bildungsträger und Personal brauchen Verlässlichkeit in der Krise. Ein solches Konzept erfordert die Evaluation des Bildungsjahres 2020/2021 und muss die Lehren daraus ziehen.
- Wir brauchen eine Gesamtstrategie für die Digitalisierung im Bildungswesen. Sie muss bei der frühen Bildung ansetzen und über allgemeine und berufsbildende Schulen sowie Ausbildung bis zu den Hochschulen gehen.
- Die Digitalisierung im Bildungsbereich soll durch einen Digitalpakt 2.0 gesichert werden. Dieser ermöglicht zusätzliches Fachpersonal, finanziert die Fortbildungen für die PädagogInnen und gewährleistet die Versorgung mit leistungsfähigen Internetzugängen und kostenfreien Endgeräten.
- Lernprogramme und vor allem Programme, die zur direkten Kommunikation dienen, müssen weiterentwickelt und in allen Bildungsreinrichtungen zum Standard werden.
- Die digitale Organisation und Verwaltung in Bildungseinrichtungen muss verstärkt genutzt werden. Sie können Arbeits- und Handlungsabläufe erleichtern, um mehr pädagogische Ressourcen zur Verfügung stellen zu können.
Vertrauen in Schule zurückgewinnen – NRW braucht einen Neustart
Die Pandemie fordert von Familien, von SchülerInnen, Schulleitungen und dem Personal an und in den Schulen Enormes. Dabei werden sie von der Landesregierung allein gelassen. Wir sind an der Seite all der engagierten Kräfte vor Ort, die jeden Tag alles dafür geben die Krise bestmöglich zu stemmen. Für die Bildungschancen unserer Kinder ist es zentral, den AkteurInnen in den Schulen zu vertrauen, ihre Arbeit wertzuschätzen und sie zu unterstützen. Genau das verweigert die schwarz-gelbe Landesregierung. NRW braucht einen Plan für die Schuljahre 2020/2021 und 2021/2022, der mehr Aspekte als Wechsel- und Distanzunterricht einbezieht, sondern kreative und pragmatische Lösungen ermöglicht und die Gesundheit aller und den Erfolg der Lernenden an erste Stelle setzt.
Damit der Neustart gelingt, muss die Landesregierung anerkennen, dass dieses Schuljahr kein normales Schuljahr ist. Wir brauchen eine transparente und umfassende Öffnungsstrategie für die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts und für den Schulbetrieb im Schuljahr 2020/21 und 2021/22.
Jedes Kind und jeder Jugendliche soll in den Blick genommen werden. Die Ängste und Sorgen der SchülerInnen müssen wir ernst nehmen. Sie müssen intensiver als bisher in alle Diskussionen einbezogen werden.
Individuelle Lernlücken werden gemeinsam mit den SchülerInnen festgehalten und in Form von individuellen Förder- und Lernplänen dokumentiert. Darüber hinaus müssen Förderkonzepte für alle SchülerInnen, unabhängig bereits festgestellter Förderbedarfe, geschrieben werden. Die Lehrpläne sind kurzfristig zu verschlanken, damit in den Schulen klare Prioritäten gesetzt werden können.
Gerade Grundschulkinder brauchen soziale Kontakte. Hierzu bedarf es der Einrichtung von Kleinstgruppen unter Einhaltung der RKI-Standards, damit ein Austausch und Kontakt mit den Fach- und Klassenlehrkräften ermöglicht wird.
Für die Klassen 4 ist der Übergang in die weiterführenden Schulen zu sichern. In den ersten Monaten des fünften Schuljahres ist das Augenmerk auf die individuelle Förderung der SchülerInnen zu legen, da die Lernunterschiede wahrscheinlich noch nie so große waren, wie in dieser Zeit der Pandemie. Daher muss die Erprobungsstufe (5. und 6. Klasse) bis zum Ende der Klasse 7 verlängert werden.
Im Rahmen eines neuen Bildungsganztages werden insbesondere in den Klassen 1 bis 6 Möglichkeiten geschaffen, individuelle Defizite auszugleichen. Die Erprobungsstufe wird bis zum Ende der Jahrgangsstufe 7 ausgeweitet.
In Absprache mit Trägern der OGS und pädagogischem Personal, das pandemiebedingt Kapazitäten zur Verfügung hat, wie Kunst-, Theater und Musikpädagoginnen und -pädagogen, und Kommunen sind Ferienprogramme aufzulegen, um Kindern flächendeckend pädagogisch untermauerte Spiel- und Freizeitaktivitäten anzubieten. Dort können gleichzeitig Lerndefizite aus der Schule aufgearbeitet werden. Im Zuge dieser Planung sollten Gespräche mit der Familienbildung und weiteren Akteuren der Weiterbildung geführt werden, und Möglichkeiten der Kooperation geprüft werden.
Insbesondere die Bedürfnisse von Kindern mit besonderen Förderbedarfen müssen in den Blick genommen werden. Dabei müssen die Förderschulen stärker berücksichtigt werden.
Zur Unterstützung der Lehrkräfte für diese Aufgaben, brauchen die Schulen zusätzliches Personal. Lehramts- oder Pädagogikstudierende können hierfür gezielt angeworben und an den Schulen in Abstimmung mit den unterrichtenden Lehrkräften eingesetzt werden. Ähnliches gilt für MitarbeiterInnen, sowie PädagogInnen geschlossener Jugendeinrichtungen, die pandemiebedingt Kapazitäten frei haben. Sie arbeiten wo möglich mit den Schulen zusammen, um den Kindern einen gelungenen Neustart zu ermöglichen.
Die MitarbeiterInnen der Familien- und Jugendhilfe arbeiten mit den Schulen und Lehrkräften zusammen, damit Kinder und Jugendliche sowie ihre Eltern auch bei den besonderen Herausforderungen in und nach der Pandemie die notwendigen Hilfen und Unterstützung erfahren, um drohende individuelle Beeinträchtigungen der Kinder und Jugendlichen in ihrer schulischen Ausbildung auszugleichen.
Ausgerichtet an den schulischen Begebenheiten vor Ort sollen die Wechselunterrichtkonzepte von den Schulen in Eigenverantwortung geplant und realisiert werden. Die Schulen brauchen organisatorische Freiheiten innerhalb klarer rechtlicher Leitplanken. Best-Practice-Beispiele müssen benannt und beworben werden.
Ausgerichtet an den baulichen Begebenheiten vor Ort sowie der kommunalen Raummöglichkeiten sollen Lernraumkonzepte von den Schulen in mit Museen, Theatern, Bibliotheken biologischen Stationen etc. in Eigenverantwortung geplant und realisiert werden.
Lernende aller Jahrgangstufen, die keine Lernräume in der häuslichen Umgebung haben, müssen Lernräume in der Schule zur Verfügung gestellt werden. Dieses „Study Hall Konzept“ gewährleistet, dass die Lernenden die von ihnen benötigte Lernumgebung haben, um die schulischen Aufgaben zu bearbeiten.
Für den digitalen Distanzunterricht – später auch für digitale Angebote im Präsenzunterricht – bedarf es einer verbindlichen Struktur und eines umfassenden Medienkonzepts, das nicht nur die Hardware, sondern auch die Software (Lernplattformen, Chat- und Konferenztools etc.) und das pädagogische Konzept in den Blick nimmt. Eine Beratungsstelle, die beispielsweise in den Regionalen Bildungszentren verankert ist, kann hierfür einen einheitlichen Rahmen schaffen und koordinierende Aufgaben übernehmen.
Kurzfristig brauchen die Schulen klare Hinweise, explizit zum Datenschutz, um Sicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Konkret muss das MSB endlich verbindliche Aussagen machen, z. B. ob Kinder und Jugendliche verpflichtet sind, die Videoübertragung zu nutzen, ob Videoaufzeichnungen des Unterrichtsstoffs (zur späterer Vertiefung und Wiederholung der Inhalte) erlaubt sind, wie mit illegaler Verwendung von Bild- und Videomaterial aus den schulischen Kontext umgegangen wird und wie bei der Bewertung beispielsweise auch Netzprobleme berücksichtigt werden.
Es muss sichergestellt werden, dass Angebote der Berufsorientierung, einschließlich Lösungen für die Berufspraktika, an allen weiterführenden Schulen gewährleistet werden, um einen Anschluss nach dem Schulabschluss zu ermöglichen.
Die zentralen Abschlussprüfungen der Klasse 10 sollten noch stärker in die Verantwortung der betreuenden Lehrkräfte gelegt werden, die mit Unterstützung der Fachaufsicht die Qualität sichern, auch wenn die Quantität nicht die gleiche sein kann. SchülerInnen, die nur knapp oder nicht bestehen, sollen das Angebot erhalte, ggf. mit Unterstützung der Kammern und ggf. der Agentur für Arbeit von August bis November nachgeschult zu werden.
Die Schüler der Klasse 8 und 9 am Gymnasium sollen das Angebot bekommen, freiwillig in G9 umzusteigen.
Die Kernlehrpläne in NRW gehen von einem bestimmten Umfang und Unterrichtszeit aus. Diese standardisierten Zeitfenster wurden durch die Pandemie außer Kraft gesetzt. Noch nie hat es in NRW so unterschiedliche Lern- und Unterrichtszeiten gegeben. Die Kernlehrpläne in NRW sind kompetenzorientiert. Dieser Umstand birgt die große Chance, geforderte Inhalte, Themen und Lerngegenstände vor dem Hintergrund der Pandemie neu zu bewerten und eine Engführung der Themen vorzunehmen. Der Ausfall unzähliger Unterrichtszeiten darf nicht ignoriert werden und muss angemessen in den Kernlehrplänen für die nächsten Jahre abgebildet werden. Neue Prioritäten in den einzelnen Fächern müssen festgelegt werden.
Aus Fehlern lernen: NRW braucht ein Schutzkonzept für das Bildungswesen
Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit braucht verlässliche Strukturen. In der Pandemie ist deutlich geworden, dass es hier noch viel zu tun gibt. Das Bildungschaos 2020/21 hat Familien und PädagogInnen an den Rand ihrer Belastungsgrenzen geführt – das darf sich nicht wiederholen. Das Lernen auf Distanz und das Lernen von zu Hause muss die Ultima Ratio bleiben – und gerade deswegen gut vorbereitet und in ein Gesamtkonzept integriert werden. Elemente des Distanzlernens, die sich in den vergangenen Monaten als praktikabel erwiesen haben, müssen sich darin wiederfinden. Die individuelle Förderung darf dabei nicht unter die Räder geraten.
Dieses Gesamtkonzept muss allen Beteiligten deutlich machen, welche Maßnahmen generell im Fall einer gesundheitlichen Krise getroffen werden und wie der Ausfall von Präsenzunterricht, Erziehung und Betreuung kompensiert wird. Hierbei ist es wichtig, dass verschiedenste Akteure und damit auch akut betroffenes Lehrpersonal, in die Erstellung des Konzepts eingebunden werden. Die Verantwortung darf nicht – wie 2020/2021 geschehen – auf Familien, PädagogInnen und Bildungsträger abgewälzt werden. Bildungseinrichtungen müssen durch das Land für unterschiedliche Szenarien gerüstet sein.
Infektionsschutz und Bildungsförderung dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden: Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Gesundheit und auf Bildung; und PädagogInnen haben ein Recht darauf, ihrem Beruf nachzugehen, ohne vermeidbare Ansteckungsrisiken in Kauf nehmen zu müssen.
In erster Linie müssen daher einheitliche Hygienestandards für allgemein- und berufsbildende Schulen und Kindertageseinrichtungen definiert werden. Dies betrifft die Infrastruktur, also sämtliche Räumlichkeiten, Lüftungsmöglichkeiten, die Reinigung von Bildungseinrichtungen sowie – wenn nötig – den Schutz von Personen durch Schutzausrüstung wie Masken und Desinfektionsmittel. Voraussetzung ist ein finanzielles Engagement durch das Land. Wir fordern hierfür die Fortsetzung des Programms aus unserer Regierungszeit, nun als „Gute Schule 2025“ betitelt.
Darüber hinaus erneuern wir unsere Forderung nach einem Schulbau-Notprogramm. Hier müssen Land und Kommunen gemeinsam agieren. Denn auch wenn formal die kommunalen Schulträger die Verantwortung für die Ausstattung der Schulgebäude haben, kann es ohne eine neue „Verantwortungsgemeinschaft“ nicht zu einer raschen und guten Lösung kommen. Die gegenwärtigen Verflechtungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind nicht mehr zeitgemäß und schwer durchschaubar. Zudem lähmen sie Prozesse eher, als Lösungen zu bieten. Daher bekräftigen wir unsere Forderung nach einem „New Deal“. ExpertInnen, darunter auch VertreterInnen z.B. der Städte und Gemeinden, unterstützen uns hierbei.
Im Vorfeld einer gesundheitlichen Krise braucht es verlässliche Kriterien, für welche Gruppen der intensivere Einsatz von Lernen auf Distanz in Frage kommt. Wir sind der Überzeugung, dass für jüngere und für bildungsbenachteiligte Kinder möglichst viel Präsenz vorgesehen werden muss. Jugendliche, beispielweise SchülerInnen in den Oberstufen, können überwiegend besser mit den Angeboten des Distanzlernens umgehen. Unabhängig von der tatsächlichen Ausgestaltung einer solchen Richtlinie ist für uns klar, dass Ressourcen strategisch eingesetzt werden müssen.
Unabhängig gilt, dass die zu unterrichtenden Gruppen verkleinert werden müssen, um das Lehrpersonal zu entlasten und die Ansteckungsrisiken zu minimieren.
Bevor Kinder und Jugendliche im Ernstfall doch nach Hause geschickt werden, müssen alle vorgelagerten Maßnahmen geprüft und ausgeschöpft werden. Dazu gehört Unterricht auf Abstand, welcher mit Distanzlernphasen kombiniert wird. Des Weiteren müssen auch außerschulische Lernorte und, falls vorhanden, das dortige Personal einbezogen werden. Und wenn Schul- oder Klassenschließungen unvermeidbar sind, muss es für Kinder und Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf Orte für das betreute Lernen in Kleingruppen geben.
Die in unserem Land garantierte Rechtssicherheit darf auch und gerade in einer Krise nicht gefährdet oder gar außer Acht gelassen werden. Dies gilt für den Einsatz der Fach– und Lehrkräfte, den Einsatz kommerzieller Chat- und Videokonferenzprogramme, für die Benotung und Versetzung und den Umgang mit Veranstaltungen und Klassenfahrten. Ziel muss eine rechtlich sichere Lösung sein, durch die die Verantwortung nicht allein bei den betroffenen Fach- und Lehrkräften verbleibt. Selbstverständlich muss dieser Rechtsrahmen ebenso berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche mögliche Bildungsnachteile, die sich bspw. durch Schulschließungen hinnehmen mussten, ausgleichen bzw. nachholen können.
Der Digitalisierung kommt im Angesicht der Pandemie-Bekämpfung eine besondere Rolle zu, weil die Krise das Lernen auf Distanz erfordert, wenn analoge Strukturen wegbrechen. In der Krise müssen für Distanzlernen erforderliches Know-How und Ausstattung zur Verfügung stehen. Dementsprechend muss das NRW-Lernmanagementsystem „Logineo“ nun schnellstmöglich weiterentwickelt werden.
Lernanwendungen, die seit Beginn der Corona-Pandemie zunächst schnell und als Notlösung eingesetzt wurden, müssen nun auf ihren Nutzen überprüft und ggf. in pädagogische Konzepte integriert werden.
Wir müssen die Digitalisierung im Bildungswesen beschleunigen
Die Digitalisierung im Bildungswesen, insbesondere das Lernen und Lehren auf Distanz, erweist sich in der Krise als Schlüssel dafür, dass Bildung, wenn auch kompensiert, durch die entsprechenden Einrichtungen noch stattfinden konnte.
Bereits vor der Pandemie war klar, dass ein souveräner Umgang mit Computer- und Informationstechnik für das gesamte Bildungswesen zukunftsrelevant ist. Die Digitalisierung darf jedoch nicht an den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus einkommensschwachen Familien vorbeiziehen. Wie sich während der Pandemie erneut gezeigt hat, stehen ihnen oftmals nicht die technischen Endgeräte, ein ausreichender Internetanschluss sowie ein geeigneter Arbeits-(Lern-)platz zur Verfügung. Vor allem aber fehlt es vielen Kindern, Jugendlichen und Eltern an den für die Nutzung digitaler Lernmöglichkeiten erforderlichen Kompetenzen. Chancengleichheit besteht nicht, wenn der Zugang zur digitalen Bildung von Einkommen und Bildungsnähe des Elternhauses abhängt. Zudem sind die Nutzungsmöglichkeiten zwischen Bildungseinrichtungen ungleich verteilt, sodass sich sowohl soziale als auch regionale und quartiersbezogene Ungleichheiten im Zugang zu Bildung verschärfen. Auch hat sich während der Pandemie gezeigt, dass die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen sowie ihrer Familien nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Sie wurden mit den Herausforderungen der Krise faktisch alleingelassen, ungeachtet ihres verbrieften Rechts auf Bildung und Teilhabe.
Um beste Bildung in und für NRW zu realisieren, müssen die Potenziale der Digitalisierung genutzt werden. Diese liegen aus sozialdemokratischer Perspektive vor allem in der Verbesserung von Teilhabe und Chancengleichheit. Eine so verstandene „digitale Bildung“ ersetzt weder pädagogisches Handeln noch die persönlichen Beziehungen zwischen PädagogInnen und Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Die Digitalisierung muss vielmehr eingebunden sein in ein Gesamtkonzept und ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, dessen Einsatz sich an bildungspolitischen Zielen messen lassen muss.
Eine teilhabe- und chancenorientierte Förderung von Kindern und Jugendlichen erfordert eine früh einsetzende, niederschwellig und sozialraumorientiert angelegte Unterstützung von Familien. Sie erfordert die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Bildungseinrichtungen und Eltern, gute Lernbedingungen, individuelle Förderung und eine kognitiv und sozial aktivierende, kompetenzorientierte Gestaltung von Lernen. Und sie erfordert die Begleitung der Bildungslaufbahn einschließlich der Übergänge von Kita zu Schule, von Grund- zu weiterführender Schule und in Ausbildung oder Studium. Während der Corona-Pandemie hat sich besonders deutlich gezeigt, dass diese bildungspolitischen Ziele bisher nicht erreicht werden.
Die Digitalisierung betrifft die gesamte Bildungsbiografie
Die Digitalisierung im Bildungsbereich muss die gesamte Bildungsbiografie eines Menschen in den Blick nehmen: von der Frühen Bildung bis zur Ausbildung und Hochschule und darüber hinaus.
Auch in der Frühen Bildung können digitale Instrumente und digitale Bildung sinnvoll eingesetzt und gefördert werden, z. B. Lernprogramme oder Online-Angebote. Der Austausch zwischen ErzieherInnen und Eltern kann durch digitale Unterstützung vereinfacht werden. Die Landesregierung hat hier – trotz Studien zur Digitalisierung in der frühkindlichen Bildung – in der Pandemie nichts unternommen, sondern Einrichtungen allein gelassen. Diese haben mit digitalen Morgenkreisen und anderen Angeboten je nach individueller Möglichkeit vor Ort versucht, Kontakt zu den Kindern und Familien zu halten. Dies ist sowohl in der Frage des Kinderschutzes wesentlich als auch in der Frage nach Teilhabe an Bildung. Konzepte, die in zahlreichen Einrichtungen erarbeitet wurden, müssen in die Fläche getragen werden. Dafür müssen Kitas mit entsprechender Technik und Medienkompetenz ausgestattet und die Vernetzung zu Best-Practice-Beispielen gefördert werden.
Zu wenig beachtet wurde bisher die Funktion der Berufskollegs für den Ausgleich von Bildungsbenachteiligung. Sie ermöglichen Chancen und haben gleichzeitig eine hohe Bedeutung für unseren Arbeitsmarkt. Insbesondere in Bildungsgängen, die auf den Hauptschul- oder einen mittleren Schulabschluss vorbereiten, müssen digitale Schlüsselkompetenzen systematisch vermittelt und die Potenziale der Digitalisierung für die individuelle Förderung und das Ermöglichen von Bildungsaufstiegen genutzt werden. Viele Berufskollegs haben bereits mit großem Engagement entsprechende Konzepte entwickelt; deren Weiterentwicklung und Transfer müssen gezielt gefördert werden.
Hochschulen haben sich in den Corona-Lockdown-Phasen als anpassungsfähig, innovativ und flexibel gezeigt – Semesterstarts und Fristen wurden verschoben, viele Veranstaltungen wurden auf digitale Formate umgestellt. Doch auch hier zeigt sich, dass Studierende in finanziell schwächeren Situationen stark von der Krise betroffen waren und sind. Räume zur PC-Nutzung schlossen ebenso wie Bibliotheken. Wer zuhause über schlechtes oder gar kein Internet verfügt, konnte nicht an den Lehrveranstaltungen teilnehmen. Auch fielen Aufgrund des Lockdowns viele Nebentätigkeiten weg. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass viele Studierende eben nicht, oder nur unzureichend, durch ihr Elternhaus finanziell abgesichert sind und somit in ernsthafte finanzielle Probleme gerieten. Während es für die Wirtschaft schnell Konjunkturprogramm gab, fühlten sich viele Studierende im Stich gelassen. Für uns gilt daher, dass an den Hochschulen nicht nur die nötige digitale Infrastruktur gegeben sein muss, sondern auch, dass jede/jeder Studierende den Zugang zu digitalen Endgeräten braucht. Wer zuhause über kein (ausreichendes) Internet verfügt, braucht die entsprechenden Räumlichkeiten an seiner Hochschule. In Krisenzeiten brauchen Studierende zudem schnelle finanzielle Hilfe und nicht erst dann, wenn der oder die Studierende nachweist, dass sie über keinerlei finanzielle Mittel mehr verfügt.
Digitale Infrastruktur und Endgeräte
Die Basis aller Anstrengungen ist der Ausbau der digitalen Infrastruktur an Bildungseinrichtungen durch die Versorgung sowohl mit leistungsfähigen Internetzugängen als auch mit Endgeräten. Damit die Schulträger dies leisten können, müssen die Kommunen regelmäßig unterstützt werden. Dabei darf die Pflege dieser Infrastruktur nicht außer Acht gelassen werden: PädagogInnen sollen keine IT-ExpertInnen werden müssen, sondern müssen im Umgang geschult und bereits im Studium an die Thematik herangeführt werden. Es braucht also zusätzliches Personal für Support und Wartung sowie Fachkräfte für die gezielte Aus- und Fortbildung von PädagogInnen. Auch muss eindeutig festgelegt werden, wo das jeweilige Personal beschäftigt sein wird.
Die kommunale Finanzsituation darf nicht den „Digital Divide“ zwischen Bildungseinrichtungen in „reiche“ und „arme“ Kommunen verschärfen. Gerade in benachteiligten Regionen werden besonders dringend Ressourcen für die Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Familien gebraucht. Daher gilt die Forderung „Ungleiches muss ungleich behandelt werden“ noch dringlicher. In diesem Zusammenhang wollen wir auch eine sozialindexbasierte Verteilung von Mitteln in allen Bildungsbereichen umsetzen. Das heißt: die besten und viele Lehrkräfte dorthin, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Die schwarze-gelbe Mogelpackung, die diese Landesregierung „Index“ nennt, werden wir korrigieren.
Der „DigitalPakt Schule“ der Bundesregierung stellt NRW bis 2021 eine Milliarde Euro zu Verfügung. Wir brauchen eine Verstetigung der Investitionen und ihrer Finanzierbarkeit und vor allem die nachhaltige Sicherung von Support, Pflege und Ersatzbeschaffungen. Es reicht nicht, die Software und Hardware in einer einmaligen Aktion in die Bildungseinrichtungen zu tragen. Der DigitalPakt 2.0 muss kommen.
Unsere Position ist klar: Lernmittel müssen kostenfrei sein. Dieser Grundsatz muss selbstverständlich auch für digitale Endgeräte gelten. Jedes Kind und jede/jeder Jugendliche muss mindestens leihweise Zugriff auf ein Gerät haben.
Zentral bleibt: Kinder und Jugendliche müssen in Präsenz lernen, die Geräte für Bildungszwecke zu nutzen, um selbstorganisiert damit arbeiten zu können. Der Bundesbildungsbericht zeigt, dass es keinen Automatismus zwischen der Verfügbarkeit digitaler Ausstattung und ihrer tatsächlichen Nutzung gibt – weder bei PädagogInnen noch bei Kindern und Jugendlichen. Die Verteilung von Endgeräten erfordert daher Vorbereitung und Begleitung und sollte gezielt und bedarfsorientiert und nicht nach dem Gießkannenprinzip erfolgen.
Der Endgeräte- und Softwaremarkt ist vielfältig. Es ist nicht die Aufgabe von PädagogInnen, sich diesen Markt zu erschließen. Es braucht Rahmenverträge. Seitens des Ministeriums muss daher ein Katalog definiert werden, aus dem Bildungseinrichtungen und PädagogInnen wählen können. PädagogInnen brauchen dazu medien- und informationstechnische Basiskompetenzen – ihre Kernaufgabe (und Kernkompetenz) ist und bleibt aber die pädagogische Gestaltung und Vermittlung von Bildung.
Digitale Lehr-Lern-Mittel (Internetangebote, Lernprogramme und Co.)
Die effektive Nutzung digitaler Lehr-Lern-Mittel, wie im Internet abrufbare Videos, Online-Tutorials und Lernprogramme, muss altersgerecht forciert werden. Hier gibt es noch große Unterschiede.
Eine Plattform, über die digitale Lernanwendungen bereitgestellt und sowohl innerhalb der Bildungseinrichtung als auch dezentral abgerufen werden können, ist die notwendige Grundlage für eine systemische Verbesserung. Bislang bildet die Nutzung von Schulservern eher die Ausnahme. Für Schulen besteht eine solche Plattform über das System „Logineo NRW“. Logineo kann perspektivisch eine Lösung sein , ist aber für viele noch nicht wirklich überzeugend und muss daher schnellstmöglich weiterentwickelt werden. Auch Kitas könnten von einer solchen Lösung profitieren. Die Landesregierung hat bereits Ergebnisse einer Modellstudie zum Umgang mit Digitalisierung in Kitas vorliegen. Trotz Pandemie und der damit verbundenen Herausforderungen in allen Bildungsbereichen, hat die Landesregierung es nicht für nötig gehalten, die Kitas entsprechend auszustatten und systematisch zu befähigen, mit den Kindern medienkompetent zu arbeiten. Auch auf Distanz muss es gelingen, den Kontakt zur Bildungseinrichtung, zu Bezugspersonen und Gleichaltrigen zu erhalten. Dazu müssen Einrichtungen und Familien entsprechend ausgestattet sein. Lehr-Lern-Mittel müssen, bevor sie auf den Plattformen angeboten werden, ebenso wie Schulbücher einer vorigen Prüfung unterzogen und zugelassen werden.
Gelingen wird die Integration digitaler Lernanwendungen nur, wenn auch zeitliche und damit personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Der Mangel an Lehrkräften, ErzieherInnen und SozialpädagogInnen stellt jedoch schon jetzt ein zentrales Problem dar, vor allem in Schulen in benachteiligten Sozialräumen. Kurzfristige Abhilfe ermöglicht hier der Einsatz von (im Idealfall medienkompetenten) QuereinsteigerInnen, die begleitend pädagogisch qualifiziert und deren Potenziale wertgeschätzt werden müssen.
Digitale Lehr-Lern-Werkzeuge (synchrone Kommunikation)
Während Lehr-Lern-Mittel zur individuellen, ggf. auch selbstorganisierten und zeitlich unabhängigen („asynchronen“) Nutzung bereitgestellt werden, geht es bei Werkzeugen um („synchrone“) Kommunikation – zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Lernenden untereinander und zwischen Bildungseinrichtung und Eltern.
Werkzeuge können angesichts der Entwicklungsbedarfe in der Nutzungskompetenz die Voraussetzungen für eine effektive Nutzung von digitalen Lernanwendungen verbessern und deren Einsatz vorbereiten, unterstützen und begleiten. Vor allem aber bieten sie Möglichkeiten für Partizipation: Lernende bearbeiten nicht nur durch digitale Lernanwendungen vorgegebene Aufgaben, sondern gestalten den Lernprozess in Interaktion mit den Lehrenden aktiv mit.
Diese aktive und aktivierende Nutzung von digitalen Werkzeugen ist im Vergleich zum Einsatz digitaler Lernanwendungen sowohl deutlich weniger verbreitet als auch wesentlich voraussetzungsvoller: Synchrone Kommunikation erfordert eine größere Leistungsfähigkeit von Geräten und Internetzugängen sowie die Organisation von gemeinsamen Zeitfenstern der Beteiligten.
Plattformen für die Bereitstellung von Lernanwendungen müssen ergänzt werden um Tools für Chats und Videokonferenzen. Einsetzbar sind diese Werkzeuge für die Kontaktpflege mit Kindern, Jugendlichen und Eltern, für thematische Einführungen als Vorbereitung der Nutzung von Lernanwendungen, für die Arbeit mit Kleingruppen und die individuelle Förderung sowie mit zunehmendem Alter immer mehr auch für selbstgesteuerte Gruppenarbeiten und das kollaborative Lernen.
In der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass Bildungseinrichtungen kaum auf den Einsatz derartiger Werkzeuge vorbereitet waren. Die Nutzung hing (und hängt) weitgehend von der „Medienkultur“ an der jeweiligen Schule und vom Engagement einzelner PädagogInnen ab – und von ihrer Bereitschaft, für Chats und Videokonferenzen privat beschaffte oder frei zugängliche (und damit im Hinblick auf Datenschutz, Stabilität und Nutzungsmöglichkeiten oft suboptimale) Tools zu nutzen. Dies ist umso problematischer, als bei fehlenden Präsenzkontakten kommunikative Formate unbedingt erforderlich sind – nicht nur für die Begleitung von Lernprozessen und die Nutzung von Lernanwendungen, sondern vor allem für die Pflege der Beziehungen zwischen PädagogInnen und Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien. Dass die meisten Eltern in irgendeiner Weise mit digitalen Medien umgehen, kann für die Kontaktpflege zu den Familien mit Hilfe digitaler Werkzeuge genutzt werden.
Digitale Organisation und Verwaltung
Digitale Technologien können Arbeits- und Handlungsabläufe in Bildungseinrichtungen erleichtern, um letztlich mehr pädagogische Ressourcen zur Verfügung stellen zu können. Hierzu gehören die Verwaltung von SchülerInnendaten sowie von Lehrkräften und weiterem Personal, aber z. B. auch die Erstellung von Stundenplänen und Dienstplänen.
Gleichzeitig können anonymisierte Schülerdaten ein Baustein im schulischen und kommunalen Bildungsmonitoring werden. Bislang ist der selbstverständlich erforderliche Datenschutz an vielen Stellen ein Problem, für das eine angemessene Lösung erarbeitet werden muss. Die Auswertung von Bildungsverlaufsdaten könnte helfen, gezielte Maßnahmen zur Verbesserung von Chancen- und Teilhabegerechtigkeit zu entwickeln. Für konkrete Maßnahmen braucht es jedoch zunächst weitere Forschung. Da es sich zudem um einen sehr sensiblen Bereich handelt, ist ein intensiver Dialog mit allen Akteuren zwingend.
Resümee
25 Jahre nach der Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Johannes Rau-Kommission „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ sind die damals visionären und über Parteigrenzen hinweg erarbeitenden Vorschläge nur wenig bis kaum umgesetzt. Auf der einen Seite stehen verschiedene parteipolitische Interessen, auf der anderen Seite fehlende finanzielle Zusagen und Streit um Verantwortungsbereiche der konkreten Umsetzung im Weg – gerade und vor allem beim Schulbau oder aktuell zur Digitalisierung. Dies müssen wir angesichts der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit und Ungleichheit in unserem Bildungssystem ändern. Immer mehr Kinder und Jugendliche erfahren keine förderliche Bildungsbiografie – Aufstiegsmöglichkeiten nehmen rapide ab. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Dabei ist es notwendig, gemeinsam über Parteigrenzen hinweg alle Kräfte zu bündeln und für die Kinder und Jugendlichen das Bildungssystem den Anforderungen des 21. Jahrhundert anzupassen. Zum Wohle der Kinder müssen wir dies gemeinsam angehen. Denn nur zusammen werden wir zu einer bildungspolitischen Lösung kommen, die gleichzeitig zeitgemäß und zukunftsweisend ist und dabei kein Kind zurücklässt. Die Corona-Pandemie hat dabei die Bedeutung der frühkindlichen Bildung als erstem Glied der Bildungskette unterstrichen. Kitas und die Kindertagespflege sind als Einrichtungen der Bildung, Betreuung und Erziehung weiter zu stärken und Familien einen gebührenfreien Zugang zur frühkindlichen Bildung zu ermöglichen. Die Defizite, die sich aus einem unzureichendem Personalschlüssel, fortwährender Unterfinanzierung und einem weiter ansteigenden Fachkräftebedarf ergeben, sind in der Krise deutlicher zutage getreten. Darum gilt es mit einem neuen Kita-Gesetz und einer Fachkräfteoffensive neue Perspektiven zu schaffen.
Neue Wirtschaftskraft durch solidarischen Fortschritt
NRW ist ein wirtschaftliches Schwergewicht. Wir sind also ein echter Motor – mitten in Europa. Doch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise treffen NRW hart: In bestimmten Branchen hatten wir bereits vor der Krise Schwierigkeiten. Dort ist der Handlungsdruckt massiv gestiegen. Deshalb braucht es jetzt ein entschiedenes Gegensteuern. Wir wollen unsere Wirtschaft wieder in Gang bringen und die Rezession überwinden. Dafür sind wir bereit, massiv in den Wirtschaftsstandort NRW zu investieren, um damit auch den Beschäftigten Sicherheit zu geben.
Doch es gibt auch Branchen, die eine klare Perspektive haben, aber aufgrund von auferlegten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nur eingeschränkt oder teils gar nicht wirtschaften können. Allen voran steht die Veranstaltungswirtschaft als akut bedrohte Branche. Sie hat – wie viele andere auch – die von Bund und Ländern auferlegten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung bisher sämtlich mitgetragen. Tausende Einzelunternehmer, kleine und mittelständische Unternehmen erhalten nicht die Hilfen, die notwendig sind, um massenhafte Entlassungen und Insolvenzen zu verhindern. Hier müssen bestehende Überbrückungs- und Kreditprogramme angepasst werden, um ihre gewollte Wirkung zu entfalten.
Gleichzeitig muss die Innovationskraft, die in diesen Branchen liegt, gefördert werden. Auch mit Corona gibt es Wege, wie Veranstaltungen, Gastronomie und andere Wirtschaftsfelder wieder möglich werden. Richtungsweisend ist das Förderprogramm zur Umrüstung von Klimaanlagen, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Aus eigener Kraft wäre eine solche Investition für viele Unternehmen nicht zu stemmen. Es gibt weitere Ansätze, die geprüft und dann ggf. gefördert werden könnten.
Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, wie sehr ganze Länder, Wirtschaftssektoren, Unternehmen und Beschäftigte aufeinander angewiesen sind. Gerade in NRW leben viele Dienstleistungsunternehmen und deren Beschäftigte von der Wertschöpfung und den Aufträgen der Industrie. Aber ohne ErzieherInnen, VerkäuferInnen oder TransportarbeiterInnen ist die Industrie nicht produktiv. Ohne ein starkes Gesundheits- und Bildungssystem sind Wirtschaft und Wohlstand ungeschützt und krisenanfällig. Die Corona-Krise zeigt uns drastisch, wo wir in NRW noch besser werden müssen.
Für die Sozialdemokratie müssen sich Investitionen daher an drei Kriterien ausrichten: wir wollen ökonomischen, ökologischen und sozialen Fortschritt. Wir wollen in neue digitale und klimaschonende Technologien investieren, in ein besseres und gerechteres Bildungssystem und nicht zuletzt in einen besseren Sozialstaat, der Leistungsgerechtigkeit, Sicherheit und Zusammenhalt garantieren kann.
Eine zentrale Säule, auf der der Wohlstand in NRW aufbaut, ist der europäische Binnenmarkt. Im Jahr 2019 erwirtschaftete die Beschäftigten in NRW Exporterlöse von über 190 Mrd. EUR, das sind 27 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Ein Großteil davon geht in die europäischen Nachbarländer. Aber auch die USA und China sind wichtige Handelspartner. Gerade in Zeiten, in denen die Globalisierung ihre Dynamik ändert, ist der Zusammenhalt und die politische Gestaltung im Rahmen der Europäischen Union wesentlich. Der Brexit zeigt, dass die Existenz dieser EU und des Binnenmarktes bedroht ist, wenn keine solidarischen Antworten gefunden werden. Der europäische Wiederaufbaufonds ist ein historisch wichtiger Beitrag für eine solche solidarische Antwort.
Zahlreiche ArbeitnehmerInnen arbeiten derzeit im Homeoffice und spüren den Fortschritt der Digitalisierung in bislang nicht gekanntem Ausmaß. Millionen Beschäftigte haben unter Beweis gestellt, dass die Arbeit von Zuhause funktionieren kann. Perspektivisch braucht es daher endlich einen rechtlichen Rahmen, der Sicherheit gibt und noch mehr Beschäftigten das Homeoffice ermöglicht.
Onlinehandel, virtuelle Austauschformen und digitalisierte Prozesse in Unternehmen nehmen weiter Fahrt auf. Selbst dort, wo wie etwa in der Pflege oder auch im Tourismus, der Kultur oder der Gastronomie die direkten Begegnungen von Menschen für unsere Lebensqualität auch künftig unabdingbar sind, erleichtern digitale Lösungen bereits häufig das Leben. Die Debatte um die Corona-App hat gezeigt, wie wichtig dabei die digitale Souveränität für jede Einzelne und jeden Einzelnen ist. Parallel legt die Krise die Mängel in NRW bei der Glasfaserinfrastruktur, beim digitalen Lernen in Schule und Hochschule oder auch bei den Server- und Datenverarbeitungskapazitäten oder den digitalen Plattformen schonungslos offen.
Der gesellschaftliche Umbau zu einer klimafreundlichen Wirtschaft ist nicht nur eine technologische Frage, sondern auch und zuvorderst eine Frage der Verteilung von Wohlstand. Wer um seinen Arbeitsplatz bangen muss oder durch Einkommensverluste seine Miete nicht mehr zahlen kann, wird schwer für Klimaschutzauflagen oder höhere Preise zu gewinnen sein. Trotzdem ist klar, dass unsere Wirtschaft klimagerecht umgestaltet werden muss, wenn sie zukunftsfähig bleiben will. Deutschland und Europa werden bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein. Auf diesem Weg müssen wir auch die Bedürfnisse der KMU und ihren Beschäftigten im Blick behalten – schließlich stellen diese in NRW einen ganz erheblichen Teil der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und spielen eine wichtige Rolle im Bereich Innovation und Nachhaltigkeit. Wir stellen fest: Der Klimaschutz ist ein Innovations- und Jobmotor. Jedoch werden wir dafür Sorge tragen, dass dabei niemand unter die Räder gerät – sei es beruflich oder finanziell. Nur so sichern wir eine breite Akzeptanz für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft.
Damit NRW das wirtschaftliche Schwergewicht im Herzen Europas bleibt, setzen wir auf Fortschritt: durch neues Wissen, technologische Innovationen und soziale Rechte. Unsere Vision ist gesellschaftlicher Fortschritt der durch Solidarität gelingt.
1. Ein aktiver Staat für den solidarischen Fortschritt
Der Neustart erfolgt im Dialog. Wenn wir erfolgreich sein wollen, dann müssen wir die unterschiedlichen Interessen in Einklang bringen. Es gilt Interessen von Beschäftigen, Gewerkschaften, Umweltverbänden, Kapitaleigentümern und vielen mehr abzuwägen. Anderenfalls droht die erneute Polarisierung, wie wir sie bereits heute in vielen gesellschaftlichen Fragen erleben. Politik hat das Wohl der Gesellschaft als Ganzes und für die künftigen Generationen in den Blick zu nehmen. Strategische Projekte für technologische und soziale Innovationen müssen sich diesen Gemeinwohlzielen unterordnen. Dabei geht es nicht um die spezifische Technikauswahl, wohl aber um klare Ziele, wie etwa Umweltgrenzwerte und Indikatoren der sozial gerechten Wohlstandsverteilung.
Als Querschnittsaufgabe und wichtige Grundlage für eine dauerhaft an diesen Zielen ausgerichtete Wirtschafts- und Industriepolitik (s. auch Antrag zu Industriepolitik) ist die Sicherung einer allgemein zugänglichen, öffentlich kontrollierten und modernen Infrastruktur erforderlich. In diesem Rahmen sind und bleiben die Initiativen von InnovatorInnen, GründerInnen und UnternehmerInnen in privaten und öffentlichen Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und wissenschaftlichen Institutionen wesentliche Treiber für die wirtschaftliche Dynamik, die es zu fördern gilt.
Unsere Position:
- NRW benötigt eine Infrastrukturoffensive für eine moderne, öffentliche Infrastruktur in den Bereichen Gesundheit, Wohnen, nachhaltiger Mobilität und Digitalisierung.
- Staatliche Konjunkturprogramme (Kredite, Beteiligungen, Zuschüsse) müssen an die Tariftreue, Mitbestimmung, gesetzeskonforme und transparente Versteuerung, Ausbildungssicherung und Klimaschutzziele geknüpft werden.
- Die anstehende Transformation fordert insbesondere den Automobil- und Chemiesektor, welche in NRW eine herausragende Bedeutung haben. Nach dem Vorbild der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ braucht es daher Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen unter Einbeziehung der Sozialpartner.
- Wir wollen bedarfsorientierte Innovationsplattformen zur Vernetzung der betroffenen Branchen. Unternehmen, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik müssen an einem Strang ziehen, z.B. bei Fragen der Wasserstoffwirtschaft, der neuen Mobilität oder der demokratischen Digitalisierung.
- Die zur Stabilisierung der Wirtschaft erforderlichen staatlichen Beteiligungen bei privaten Unternehmen (z.B. bei Lufthansa) müssen mit wirksamen Mitspracherechten bei Unternehmensentscheidungen verknüpft werden, um Gemeinwohlansprüche sowie eine angemessene Rückvergütung für die gewährten Hilfen zu sichern; hier sollten kollektiv geregelte Mitarbeiterkapitalbeteiligungen als weitere, ergänzende Option gefördert werden.
- „Durch einen bei der KfW aufgesetzten oder staatlichen Fonds soll Kapital für innovative Neugründungen zur Verfügung gestellt werden.
2. Gute Arbeit ist systemrelevant – in der Krise und danach
Der Vergleich mit der letzten Finanzkrise macht es deutlich: Als „systemrelevant“ werden nun in der öffentlichen Debatte nicht mehr die Banken bezeichnet, sondern insbesondere die Beschäftigten in vielen – oft schlecht bezahlten, vielfach kaum abgesicherten und zum überwiegenden Teil von Frauen ausgeübten – Dienstleistungsberufen. Und das ist gut so. Dazu gehören zuvorderst das Personal im Gesundheits- und Bildungswesen, aber auch in der Logistik oder der Energie- und Abfallwirtschaft oder dem Einzelhandel. Gerade bei den sozialen Dienstleistungen stehen aber den offenkundigen enormen Leistungen und Belastungen der – meist weiblichen – Beschäftigten schon vor der Krise keine angemessene Absicherung und Bezahlung gegenüber.
Es fehlt zudem oft an gewerkschaftlicher Organisation und betrieblicher Mitbestimmung. Diese gilt es umfassend und in allen Bereichen zu stärken. Mit dieser Stärkung im Rücken kann es gelingen, die Rahmenbedingungen für Arbeit sowohl in den Dienstleistungsbranchen wie auch in der Industrie deutlich zu verbessern. Arbeitszeitverkürzung und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, höhere Löhne, Aufwertung von bislang unterbezahlten Dienstleistungsberufen und breite soziale Absicherung sind die Grundlage, um durch die Krise zu kommen und den Menschen Optimismus und Vertrauen in die Zukunft zu geben. Das stärkt im Übrigen auch die Binnennachfrage, und. kommt den Unternehmen in unserem Land zugute. Politik für gute Arbeit ist gleichzeitig Wirtschaftsförderung.
Unsere Position:
- Wir wollen bessere Arbeitszeiten in den sozialen Dienstleistungen durch Verbesserung der gesetzlichen Personalschlüssel, um auch so mehr Fachkräfte zu gewinnen.
- Wir wollen mehr bezahlte Aus- und Weiterbildung, zudem muss die Kapazität der Berufskollegs ausgebaut werden.
- Wir wollen volle Gewerkschaftsrechte für alle Beschäftigten, auch für WerkvertragsarbeiterInnen oder Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen
- und volle Arbeitnehmerrechte für Beschäftigten im Bereich der Dienstleistungsplattformen inkl. digitaler Zugangsrechte für Gewerkschaften.
- Wir wollen Ausbildungsplätze sichern. Wir wollen einen steuerlich finanzierten „Solidarfonds Ausbildung“, der aufbauend auf der Corona-Ausbildungsprämie mittelfristig Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei dem Angebot von Berufsausbildung unterstützt.
- Wir müssen die Rechte von Betriebsräten ausweiten, z.B. bei der Einführung neuer digitaler Systeme und der Neuausrichtung von Unternehmen.
- Die Möglichkeit des Arbeitgeber-Vetos bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen muss aufgehoben werden.
- Es braucht eine verschärfte strafrechtliche Verfolgung im Falle der Behinderung von Gewerkschaftsaktivtäten in Unternehmen („Union Busting“).
- Wir fordern wirksame Tariftreuegesetze für öffentliche Aufträge.
- Es braucht die Ausweitung der Gültigkeit von Tarifverträgen auch für „arbeitnehmerähnliche“ Beschäftigte.
- Wir müssen das Recht auf ein mitarbeiterfreundliches Homeoffice gesetzlich regeln.
3. Digitalen und ökologischen Fortschritt in NRW voranbringen
Die Prinzipien von Kooperation, Beteiligung und Transparenz sind im Zuge der Digitalisierung gegenüber privatwirtschaftlichen Gewinninteressen bislang zu kurz gekommen, obwohl „open innovation- und open source-Ansätze“ hier vielfältige Möglichkeiten eröffnen. Daher ist unser Ziel, die Digitalisierung, demokratisch zu organisieren.
Die Monopolisierung auf digitalen Märkten durch den massiven Technologievorsprung der großen IT-Konzerne droht, die Stärken der deutschen und europäischen Wirtschaft dauerhaft zu unterlaufen. Gelingt ein spezifisch europäischer Weg der Digitalisierung, gewinnen wir nicht nur mehr gesellschaftliche Kontrolle, sondern auch mehr Wettbewerb und wirtschaftliche Entwicklungschancen für start ups, Mittelstand und Industrie.
Zu lange unterschätzt wurden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt. Die fortschreitende Digitalisierung hat einen größeren Energie- und Rohstoffverbrauch zur Folge. Angesichts des Klimawandels ist es daher notwendig, Digitalisierung nachhaltig zu gestalten, an den Klimaschutzzielen ausgerichtet, aber ohne die Innovationskraft der Digitalisierung zu bremsen. So wird die Digitalisierung zum Chancentreiber für Umwelt- und Klimaschutz.
Unsere Position:
- Wir fordern die flächendeckende Verfügbarkeit von Gigabit-Anschlüssen. Zu einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur gehören auch schnelle Mobilfunknetze, sowohl in urbanen Gebieten als auch im ländlichen Raum. Unser Ziel ist ein flächendeckendes Netz mit LTE und darauf aufbauend 5G. Dort, wo der Marktausbau versagt, muss der Staat eingreifen und für die Infrastruktur Sorge tragen.
- NRW verdient eine eigene öffentliche Infrastruktur bei Clouddiensten und damit verbundenen physischer digitaler Infrastruktur.
- Rechenzentren in NRW müssen klimaneutral werden.
- Wir wollen die umweltfreundliche Herstellung von digitalen Geräten und ein Recht auf Reparatur.
- Wir wollen open-source-Ansätze besonders fördern, durch verstärkte Forschungsförderung und die besondere Berücksichtigung bei öffentlichen Beschaffungen.
- Wir wollen Wettbewerbsverzerrung vermeiden und daher eine Trennung von Marktplatzbetreibern und Anbietern auf eben diesen Marktplätzen (z.B. bei Amazon).
- Es braucht die Verpflichtung großer digitaler Plattformen zu Interoperationalität und Datenteilung.
- Wir brauchen eine Digitalagentur, die Plattformen beaufsichtigt und reguliert.
Der Klimawandel bleibt die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Und klar ist, der Markt allein wird sie nicht lösen. Wir brauchen einen starken Staat, der beim Umbau für soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt sorgt. Mit dem Bundesklimaschutzgesetz, dem Klimaschutzprogramm 2030 und dem Konjunkturprogramm hat die SPD in der Bundesregierung die sozial-ökologische Transformation vorangetrieben. Die milliardenschweren staatlichen Investitionen bieten jetzt die Chance, sie weiter entscheidend voranzubringen.
Wir SozialdemokratInnen begreifen Klimaschutz vor allem auch als Motor für eine gute wirtschaftliche Entwicklung zur Schaffung neuer und zukunftsfester Arbeitsplätze. Unser Ziel muss es sein, durch kluge Politik die sozial-ökologische Transformation so voranzubringen, dass ihr der Markt folgt. Dazu gehört zunächst die Setzung von klaren Standards (z.B. Pfad zum Umstieg auf klimafreundliche Antriebe bei allen Verkehrsträgern), Zielvorgaben (z.B. Ausbauziele für erneuerbare Energien) und Preisen (z.B. CO2-Preis auf fossile Heiz- und Kraftstoffe).
Um ein Beispiel zu nennen: Wir wollen die klimaneutrale Strahlproduktion in NRW. Dafür brauchen wir perspektivisch zusätzliche 130 Terrawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat es im Jahr 2019 jedoch auf lediglich 300 Windräder gebracht. Unser Ziel ist es, dass jedes Bundesland zwei Prozent seiner Flächen für die Gewinnung von Windenergie einsetzt. Bis 2040 soll der Strombedarf möglichst vollständig aus Wind- und Sonnenenergie gedeckt werden.
Die Klimakrise ist mehr als nur eine Krise der Ökologie. Im Weltmaßstab sind arme und kranke Menschen überproportional stark vom Klimawandel getroffen. Sie trifft aber auch hierzulande die Schwächeren ungleich stärker. Denn ihnen fehlen im Allgemeinen die Mittel, sich wirksam gegen Klimaveränderungen zu schützen. Die notwendige Umstellung ihres Konsum- und Mobilitätsverhaltens können sie sich häufig nicht leisten. Der CO2-Preis soll eine ökologische Lenkungswirkung entfalten, aber nicht zu sozialen Ungerechtigkeiten führen. Außerdem drohen durch den digital-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft genau ihre Arbeitsplätze wegzufallen. Es liegt also in der Verantwortung der Sozialdemokratie, dass aus der Klimakrise keine soziale Krise wird.
Unsere Position:
- Der Strukturwandel in der NRW-Energieproduktion muss weiter struktur- und arbeitsmarktpolitisch begleitet werden. In der Zukunftsagentur Rheinisches Revier müssen die Kommunen besser beteiligt werden. Die Ruhrkonferenz muss zu einem Forum für eine gemeinsame Entwicklungsstrategie weiterentwickelt werden.
- Wir stehen für die nachhaltige Modernisierung unserer Industrie als Kern einer erfolgreichen Wirtschaft ein. Die klimafreundliche und digitale Transformation der NRW-Industrie verlangt umfassende Anstrengungen der öffentlichen Hand, der Tarifparteien, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Hierzu haben wir einen umfassenden industriepolitischen Antrag vorgelegt, auf den wir an dieser Stelle verweisen.
- Grüner Wasserstoff ist für uns ein Kernelement nachhaltiger Industriepolitik. Dafür braucht es eine leistungsfähige Transportinfrastruktur und entsprechende internationale Produktions- und Lieferstrukturen.
- Ausbau der Erneuerbaren Energien: bis 2023 soll in NRW 30% des Gesamtenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, was für die beiden wichtigsten Energieträger der Erneuerbaren einen jährlichen durchschnittlichen Nettozubau in Höhe von etwa 900 MW bei Photovoltaik und bei etwa 600 MV bei Windkraft bedeutet; dabei soll eine verbindliche Ertragsbeteiligung für BürgerInnen und Kommunen eingeführt werden und die Flächeninanspruchnahme pro Kommune 10% der Potenzialfläche (Gesamtüberfläche abzüglich harter Tabubereiche) nicht überschreiten.
- Wir stehen für eine umfassende Berücksichtigung der Verteilungswirkung von Klimaschutzmaßnahmen. Wegen des absehbar steigenden CO2-Preises und weil der Umstieg auf klimaschonendere Alternativen nicht bei allen gleich schnell gelingen kann, wollen wir das System der CO2-Bepreisung mit der Einführung einer Pro-Kopf-Klimaprämie für alle Bürgerinnen und Bürger solidarisch weiterentwickeln. Damit werden besonders die unteren und mittleren Einkommen sowie Familien mit Kindern entlastet. Wer sich klimafreundlich verhält, der hat am Ende des Jahres netto mehr Geld in der Tasche.
- Wir werden einen Plan für eine neue Finanzierungsstruktur zum Ausbau und zur attraktiveren Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs entwickeln.
- Es braucht die Neuausrichtung der Steuer- und Subventionspolitik an klimapolitischen Zielen, z.B. durch eine stärkere CO2-Komponente der KfZ-Steuer oder die klare Orientierung der Subventionspolitik an Kriterien der Nachhaltigkeit.
- Wir fordern die Ausgabe von „Green Bonds“ für nachhaltige Investitionen und zur Stärkung der Märkte für nachhaltige Finanzprodukte.
4. NRW braucht ein starkes Europa
Zur Krisenbewältigung gehört auch eine Neugestaltung internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Dabei gilt es in einem schon vor der Krise veränderten internationalen Umfeld die strategischen Interessen der deutschen und europäischen Wirtschaft zu wahren. Im Mittelpunkt stehen dabei der Erhalt und die Weiterentwicklung eines sozial und ökologisch regulierten EU-Binnenmarktes. Dazu sind grundlegende Reformen der EU erforderlich.
Dies ist auch, aber nicht nur eine Antwort auf den aggressiven wirtschaftlichen Nationalismus, der insbesondere die chinesische Staatsführung („Made in China 2025“) wie auch zuletzt die US-amerikanische Regierung („America first“) unter Donald Trump betreiben bzw. betrieben hat. Dabei bleiben faire und offene Handelsbeziehungen ein sinnvolles Mittel der Außenwirtschaftspolitik. Sie sind jedoch kein Selbstzweck. Die Grundversorgung unserer Volkswirtschaften, ihre dauerhafte technologische Souveränität und die Erfüllung unserer Gemeinwohlziele müssen Bestandteil einer neuen Globalisierung werden. Dabei sind und bleiben die großen Wirtschaftsmächte ebenso wie die Schwellen- und Entwicklungsländer unsere Partner, deren Zugang zu unseren Märkten von ihrem jeweiligen Entwicklungstand und der Erfüllung sozialer und ökologischer Standards abhängig sein müssen.
Unsere Position:
- Die fordern die umgehende Umsetzung der Beschlüsse der EU zum Wiederaufbaufonds mitsamt seinen historisch wichtigen Innovationen wie der gemeinsamen Kreditaufnahme und eigenen Steuereinnahmen für die EU.
- Im Zuge des Green New Deal müssen zur Vermeidung von umweltbedingten Marktverzerrungen („carbon leakage“) Grenzausgleichsmechanismen für CO2-Emissionskosten auf europäischer Ebene geschaffen werden.
- Wir müssen kritische Wertschöpfungsbereiche wie der Medikamenten- und Impfstoffversorgung oder der medizinischen Schutzausrüstung durch entsprechende Auflagen sichern und die Produktionen in der EU koordinieren.
- Es braucht die Aufnahme von verbindlichen, d.h. auch sanktionierbaren Sozial- und Umweltstandards gleichberechtigt mit den Gewinnsicherungsmechanismen für private Unternehmen in die Handelsverträge der EU mit Drittländern.
5. Regionale Stärken in NRW nutzen
Viele Kommunen sind infolge jahrzehntelagen Strukturwandels und einer unzureichenden Lastenverteilung zwischen Bund, Land und Kommunen überschuldet. Ihnen fehlten schon vor der Corona-Krise die Mittel für Investitionen, sowie auch erforderliches Personal für die Erledigung wachsender Aufgaben. Stärken in bestimmten Branchen und Clustern sind höchst unterschiedlich verteilt. Ballungsregionen mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen verfügen über andere Möglichkeiten und Probleme als ländliche Räume, mit mittelständischer Unternehmensstruktur oder hohen Auspendlerzahlen. Die Herausforderungen des Rheinischen Reviers mit dem anstehenden Ausstieg aus der Braunkohleverstromung sind andere, als die in Südwestfalen mit seinen Automobilzulieferern oder jene in der attraktiven Universitätsstadt Münster mit einer attraktiven Hochschul- und Forschungslandschaft in der Nachbarschaft zum Ruhrgebiet.
Auf diese regionalen Unterschiede müssen die Konjunktur- und Strukturwandelprogramme im Sinne einer regionalisierten Struktur- und Wirtschaftspolitik eingehen und dazu die jeweiligen regionalen Akteure, einschließlich Sozialpartner, Kommunen, Zivilgesellschaft etc. einbinden. Hier verfügt NRW mit seinen 16 Regionalagenturen über eine gute und ausbaufähige Lenkungsstruktur, die in diesem Zusammenhang genutzt werden sollte.
Unsere Position:
- Es braucht regionale Konjunktur- und Wirtschaftsdialoge, gemäß der 16 Regionalagentur-Bezirke, die besondere Stärken und regionale Anforderungen für Konjunkturfördermaßnahmen erarbeiten.
- Wir wollen regionale Innovationsplattformen fördern, bestehend aus Unternehmen, der Politik und den Sozialpartnern (ähnlich der Forschungscluster an Universitäten), zur Konzeption von regionaler Schwerpunktsetzung und Schaffung von Synergien in den Bereichen Produktion, Logistik und Dienstleistungen.
- Zur Erprobung, der in diesen Innovationsplattformen erarbeiteten Konzepte, sollten nach dem Vorbild der Innovation City Bottrop auch in weiteren Kommunen mit passenden Voraussetzungen vergleichbare Reallabore angestoßen werden.
- Es braucht die gezielte Förderung von Klein- und Kleinstunternehmen mit Wachstumsperspektive in neuen Wirtschaftszweigen, wie E-Sports, regionaler Kreislaufwirtschaft etc.
Gesundheit und Pflege: Es braucht mehr Solidarität im System
Wir wollen, dass alle unabhängig von Herkunft, Alter oder Geschlecht denselben Anspruch auf Versorgung und gleiche Teilhabe am medizinischen Fortschritt haben. Dieser Anspruch auf Versorgung und Teilhabe gilt ebenso für pflegebedürftige Menschen. Sie bedürfen der besonderen Solidarität.
Unsere Position:
- Wir erleben im Gesundheitsbereich häufig, dass gemacht wird, was sich finanziell rechnet. Das Handeln muss sich wieder daran ausrichten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist. Wir wollen daher die Abkehr vom Fallpauschalen-System.
- Nur eine auskömmliche Finanzierung des Gesundheits- und Pflegebereichs wird Löhne, Arbeitsbedingungen und damit auch die Qualität nachhaltig verbessern.
- Der Investitionsstau im Krankenhausbereich muss dringend beseitigt werden. Notwendig ist ein Sonderprogramm bis 2024 und ab sofort die Refinanzierung der erforderlichen Investitionskosten durch das Land NRW.
- Die Pflegeversicherung muss von einer „Teilkasko- in eine Vollkaskoversicherung“ umgewandelt werden. Dafür brauchen wir die solidarische Bürgerversicherung auch in der Pflege: eine solidarische Pflegegarantie.
- Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) unzureichend ausgestattet ist. Er muss deutlich aufgewertet, modernisiert und systematisch viel stärker aufgestellt werden.
- Wir wollen pflegende Angehörige sozialversicherungsrechtlich besser absichern, gleichzeitig braucht es arbeitspolitischer Standards für Pflegekräfte in Privathaushalten. Wir wollen daher das Pilotprojekt „Landespflegegesellschaft“, das wir nachfolgend erläutern, starten.
Es besteht Handlungsbedarf
Es ist eine Frage der Gerechtigkeit: Gesundheitsversorgung darf nicht vom Einkommen und nicht vom Wohnort abhängen. In City-Lage oder attraktiven Bezirken ist umfangreiche und barrierefreie medizinische Versorgung oft Standard. Wir stellen jedoch fest, dass dieser Standard auf ländliche und strukturschwache Regionen wie auch für Stadtteile mit sozialen Problemen oftmals nicht zutrifft. Auf der einen Seite steigen die Sozialversicherungsbeiträge ständig, auf der anderen Seite werden die alltäglichen Erfahrungen in bestimmten Teilen des Gesundheitsbereichs schlechter. Das passt nicht zusammen und nicht zuletzt die Corona-Pandemie lehrt uns, dass wir diese Schere wieder schließen müssen.
In NRW leben rund 965.000 pflegebedürftige Menschen. Rund vier Fünftel von ihnen werden zu Hause versorgt. Pflege durch Angehörige und FreundInnen muss viel mehr in den Blick geraten und Unterstützung finden. Denn Pflege ist nicht nur Privatsache. Diejenigen, die sich um andere kümmern, lassen wir nicht allein. Das Familienleben hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Immer häufiger sind Sorge- und Erwerbstätigkeit unter großem Kraftaufwand in Einklang zu bringen. Daher müssen sich ambulante und stationäre Angebote passgenau an die Erfordernisse der Zupflegenden und deren Familien ausrichten.
Die Corona-Pandemie führt schmerzlich vor Augen, dass es im Bereich der Altenpflege Fehlentwicklungen gegeben hat. Die Beschäftigten haben massive Herausforderungen zu bewältigen: Im Verhältnis stehen immer weniger Pflegende einer immer größer werdenden Zahl von Pflegebedürftigen gegenüber. Dieses Ungleichgewicht begründet sich vor allem in mangelnder Wertschätzung: Die Arbeitsbedingungen und Gehaltsstrukturen entsprechen nicht der Verantwortung, die durch die Beschäftigten tagtäglich getragen wird. Hinzu kommen massive Probleme bei der Ausbildung. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen – echte Wertschätzung sieht anders aus.
Hinzu kommen finanzielle Herausforderungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen: Inzwischen sind rund ein Drittel der Pflegebedürftigen in der stationären Altenpflege auf Sozialhilfe angewiesen, weil sie die Eigenanteile nicht mehr stemmen können. Durchschnittlich sind das in NRW monatlich rund 2.460 Euro. Für uns sind die finanziellen Auswirkungen keine Privatangelegenheit, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur solidarisch gelöscht werden kann. Gleichzeitig brauchen Pflegebedürftige und Angehörige mehr Beratung. Pflegebedürftige und Angehörige haben einen gesetzlichen Anspruch auf qualifizierte Beratung durch die sog. Pflegestützpunkte. Dieses Beratungsangebot gilt es auszubauen.
Ein starker Gesundheitsbereich sowie verlässliche Pflegestrukturen sind zudem ein echter Wettbewerbsvorteil. Wer hier spart, der gefährdet nicht nur die Versorgung, sondern auch den Wirtschaftsstandort NRW. Nicht zuletzt die jüngsten Erfahrungen mit der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass NRW einen leistungsfähigen Gesundheits- und Pflegesektor braucht und auf eine verlässliche öffentliche Infrastruktur in den Kommunen (ÖGD) angewiesen ist. Hinzu kommt, dass der Gesundheits- und Pflegesektor in NRW in erheblichem Umfang zur Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung beiträgt.
Gesundheit und Pflege brauchen eine neue Basis
Fallpauschalen-System überwinden
Das Handeln im Gesundheitswesen muss sich daran ausrichten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist. Dabei halten wir fest an der Förderung des Prinzips „ambulant vor stationär“ sowie einer konsequenten Orientierung an besserer Qualität. Seit geraumer Zeit erleben wir jedoch, speziell im Krankenhausbereich, dass gemacht wird, was sich finanziell rechnet. Schuld ist hier das sogenannte DRG-System (Diagnosis Related Groups) – auch Fallpauschalensystem genannt, der auf auf Durchschnittskosten basiert.
Konkret heißt das: Krankenhäuser erhalten pro Behandlungsfall eine feste Pauschale. Bleiben die Kosten darunter, macht die Klinik Gewinn. Übersteigen die Kosten die Pauschale, macht die Klinik Verlust. Um die Behandlungskosten gering zu halten, wurde vor allem am Personal gespart und werden PatientInnen zu früh entlassen. Zudem setzen Fallpauschalen Fehlanreize: Lukrative Operationen oder Kaiserschnitte werden deutlich häufiger durchgeführt als medizinisch notwendig. An einigen Stellen, wie den Pflegepersonalkosten, haben wir bereits Verbesserungen erreicht. Dennoch führt das Fallpauschalen-System auch weiterhin zu erheblichen Fehlentwicklungen, die es zu korrigieren gilt.
Gesundheit und Pflege sind elementare Leistungen, die sich am Menschen und nicht an der Gewinnmaximierung von Unternehmen zu orientieren haben. Daher braucht es unverzüglich eine Abkehr vom Fallpauschalensystem im Gesundheitsbereich. Krankenhäuser gehören nicht länger auf den Kapitalmarkt, mit Daseinsvorsorge dürfen nicht länger Aktionärs-Wünsche befriedigt werden. Wohin diese Entwicklung geführt hat, zeigen die Schließungen kommunaler und freigemeinnütziger Krankenhäuser, obwohl sie für die Versorgung gebraucht werden. Stattdessen ist die Rekommunalisierung wieder in den Blick zu nehmen. Im Gesundheitsbereich muss der Versorgungsbedarf wieder im Vordergrund stehen. Hierfür muss auch die sogenannte Krankenhausplanung auf Landesebene durch den Staat viel mehr Einfluss und Möglichkeiten bekommen.
Überdeutlich zeigt sich die Fehlentwicklung durch das Fallpauschalen-System in der Unterfinanzierung von Kinderkliniken. Fachabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin werden von Krankenhausbetreibern abgemeldet, weil sie sich nicht rechnen. Für die NRWSPD ist daher klar: In diesem besonderen Fall braucht umgehend eine Grundfinanzierung für Kinderkliniken und eine sofortige Abkehr vom Fallpauschalensystem.
Und auch hier braucht es eine Abkehr: Regelmäßig werden PatientInnen sog. „IGeL-Leistungen“ (Individuelle Gesundheitsleistungen) nahelegt. Das sind ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Leistungen, die Patienten grundsätzlich selbst bezahlen müssen, weil sie nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherungen gehören – aus gutem Grund: Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen nur Leistungen bezahlen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Viele der IGeL-Leistungen haben aber nach erfolgter wissenschaftlicher Analyse keinen Nutzen, sind medizinisch nicht notwendig oder nicht wirtschaftlich. PatientInnen haben kaum eine Chance, den medizinischen Nutzen sowie Qualität und Preis der Angebote zu überprüfen und miteinander zu vergleichen.
Die Corona-Pandemie hat die Abhängigkeit von Lieferketten offenbart und die Frage mit sich gebracht, welche Waren und Dienstleistungen vor Ort vorgehalten müssen, um Daseinsvorsorge im Krisenfall garantieren zu können. Wir müssen nun prüfen, welche Rückschlüsse wir beispielsweise für die Pharmaindustrie ziehen. Dabei muss vor allem in den Blick genommen werden, wie staatliches Kapital für pharmazeutische Innovationen und Neugründungen zur Verfügung gestellt werden kann.
Notwendig sind verlässliche Finanzierungsgrundlagen, mehr öffentliche Investitionen in Gesundheit und Pflege und der Schutz vor internationalen Kapitalinteressen. Es kann nicht sein, dass Gewinne, die sich aus Sozialversicherungsbeiträgen ergeben, ins Ausland abfließen. Es muss wieder gelten, dass Gewinne wieder lokal im Gesundheits- und Pflegesystem investiert werden. Der Sozialstaat braucht wieder mehr Einfluss und muss seine Verantwortung auch finanziell untermauern. Es braucht mehr Solidarität im System. Die Bürgerversicherung ist ein Baustein dieser Politik.
Von der Teilkasko- zur Vollkaskoversicherung in der Pflege
Es ist inakzeptabel, dass inzwischen rund ein Drittel der Pflegebedürftigen in der stationären Altenpflege wieder auf Sozialhilfe angewiesen ist. Die Pflegeversicherung wurde eingeführt, um Menschen im Alter vor Armut durch Pflegebedürftigkeit zu schützen. Dieser Schutz geht mehr und mehr verloren. Hat die Pflegeversicherung in ihren Anfangsjahren die Kosten für den Pflegeaufwand zumeist noch gedeckt, ist das seit langem nicht mehr der Fall. Neben steigenden Unterkunfts- und Verpflegungskosten sowie Investitionskosten müssen die BewohnerInnen auch immer höhere Anteile der Kosten tragen, welche die Pflege mit sich bringt. Der gesamte Eigenanteil für die BewohnerInnen in NRW beläuft sich inzwischen auf durchschnittlich 2.460 Euro – damit steht NRW im Bundesländervergleich an der Spitze.
Wir wollen, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet oder Kinder großgezogen haben, nicht nach wenigen Jahren der eigenen Pflegebedürftigkeit zum Sozialamt müssen – dies ist auch eine Frage der Anerkennung von Lebensleistung.
Die Pflegeversicherung muss daher von einer „Teilkasko- in eine Vollkaskoversicherung“ umgewandelt werden. Zugleich muss eine Neuausrichtung auch mit Investitionen und einer größeren finanziellen Wertschätzung des Pflegepersonals einhergehen – beides erfordert größere finanzielle Mittel. Dafür muss mehr Geld ins System. Um diese Finanzierung sicherzustellen und dabei die Pflegebedürftigen vor Armutsrisiken zu schützen, brauchen wir einen Systemwechsel von der Pflegeversicherung hin zu einer solidarischen Pflegegarantie, also einer solidarischen Bürgerversicherung auch in der Pflege, die wie folgt aussieht:
Alle BürgerInnen müssen in diese Sozialversicherung einbezahlen, die Trennung in private und soziale Pflegeversicherung entfällt, die Beitragsbemessung wird angehoben. Nur Unterkunft und Verpflegung sollen HeimbewohnerInnen weiterhin zahlen. Alle pflegerischen Leistungen werden von der Versicherung getragen. Der Investitionskostenanteil, welcher derzeit in NRW bei 518,76 Euro liegt, muss vom Land übernommen werden. Hier sollte NRW eine Vorreiterrolle einnehmen.
Behebung von Investitionsstaus
Weil die Gesundheitsversorgung zur unmittelbaren Daseinsvorsorge gehört, muss auch das Land NRW seinen Finanzierungsverpflichtungen nachkommen. Im Krankenhausbereich geschieht das seit Jahrzehnten nicht.
Die Folgen sind einerseits veraltete Krankenhausgebäude und -geräte, andererseits moderne Krankenhäuser, für die am Personal gespart wurde, um die benötigten Investitionskosten zu erwirtschaften. Nach einem Gutachten des RWI (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) bezogen auf NRW werden für dringend notwendige Investitionen jährlich rund 1,5 Mrd. Euro benötigt. Davon wurde in der Vergangenheit nur etwa ein Drittel vom Land bereitgestellt. Dadurch liegt der Investitionsstau in NRW aktuell bei über 12,5 Mrd. Euro. Notwendig ist ein Sonderprogramm zur Behebung des Investitionsstaus bis 2024 und ab sofort die vollständige Refinanzierung der Investitionskosten durch das Land NRW.
Das bundespolitische Konjunkturpaket (2020) ist ein richtiger Schritt. Die Ausstattung der Krankenhäuser in Deutschland soll damit verbessert werden. Mit 3 Milliarden Euro sollen Investitionen in Notfallkapazitäten, digitale Infrastruktur, in IT- und Cybersicherheit des Gesundheitswesens sowie in gezielte Entwicklung und Stärkung regionaler Versorgungsstrukturen gefördert werden. Das Engagement des Bundes muss nun verstetigt werden. Der Bund soll zudem einen Topf auflegen, der es den Kommunen ermöglicht, private Krankenhäuser zu kommunalisieren.
Die Corona-Pandemie hat den Mehrbedarf an Personal in den Krankenhäusern und die Notwendigkeit einer gesetzlichen Personalbemessung bewiesen und verstärkt. Für die NRWSPD steht fest: Nur durch eine auskömmliche Finanzierung werden Löhne und Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert und damit letztlich auch Qualität. Das ist eine zentrale staatliche Aufgabe.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat und ver.di fordern daher schnellstmöglich eine gesetzliche Personalbemessung durch eine Pflegepersonal-Regelung 2.0 (PPR 2.0). Auch für die Bereiche Intensiv- und Kinder- und Jugendmedizin sowie für andere Berufsgruppen im Krankenhaus müssen zeitnah verbindliche Regelungen verankert werden. Das Ziel ist ein am Bedarf orientierter Personalstandard in der Pflege und allen anderen Berufsgruppen im Krankenhaus einschließlich Psychiatrien und Rehakliniken.
Mehr Demokratie wagen
Im Angesicht historischer Herausforderungen, sowohl im Gesundheitsbereich als auch in der Altenpflege, braucht es eine Re-Demokratiesierung dieser Politikfelder. Es ist richtig, dass Verbände und insbesondere Gewerkschaften in diesem Kernbereich des Sozialstaats mitwirken. Die Selbstverwaltung, also die Mitbestimmung der Versicherten in der gesetzlichen Krankversicherung ist Ausdruck davon. Sie verdient Wertschätzung.
Es darf jedoch nicht sein, dass Institutionen durch ihre Dominanz zur unüberwindbaren Hürden werden. Es darf nicht sein, dass beispielsweise der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zum „kleinen Gesetzgeber“ wird oder gar das „Zentralkomitee des Gesundheitswesens“. Parlamente müssen wieder das letzte Wort haben.
Öffentliche Verantwortung für Gesundheit ist unerlässlich
Den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken und modernisieren
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, welche zentrale Bedeutung, die Gesundheitsämter und damitder Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) – übrigens eine für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hat. Diese Erfahrung hat jedoch auch offengelegt, dass der ÖGD strukturell unzureichend ausgestattet ist und es vor allem an der notwendigen Personalausstattung selbst im Normalbetrieb mangelt. Stellenabbau, lange Vakanzen bei der Neubesetzung von Stellen und auch Arbeitsbedingungen sowie Gehälter, die als unattraktiv gelten, sind hierfür verantwortlich. Diese Entwicklungen haben die Gesundheitsvorsorge und Prävention in den Städten und Gemeinden dramatisch ausgedünnt.
Mit einem „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ – eine Initiative der SPD – hilft der Bund u.a. zusätzlich erforderliche Stellen in den Gesundheitsämtern zu finanzieren. Außerdem wird der Bund die Gesundheitsämter bei der technischen und digitalen Auf- und Ausrüstung unterstützen.
Künftig muss der ÖGD deutlich aufgewertet, modernisiert und gestärkt werden. Dies ist Aufgabe des Landes. Ansätze dafür liegen in einer besseren Ausstattung, einer modernen Organisation, einer Weiterentwicklung der Aufgabenfelder und einer Digitalisierungsstrategie. Die digital unterstützte Modernisierung des ÖGD trägt dazu bei, die Leistungen des ÖGD bürgernäher, teilhabeorientierter und serviceorientierter zu organisieren. Für die Gesundheitsfachberufe können, wie international bereits üblich, neue gesellschaftliche Aufgabenfelder erschlossen werden, etwa in der betrieblichen Gesundheitsförderung, der Schulgesundheitspflege oder Familiengesundheitspflege.
Attraktivere Rahmenbedingungen für Arbeit
Dem Fachkräftebedarf und dem zum Teil bereits bestehenden Fachkräftemangel in den Gesundheitsfachberufen müssen wir mit einer attraktiven, zeitgemäßen Ausbildung begegnen. Die Kostenfreiheit der Ausbildung und der Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung in allen Gesundheitsfachberufen (Heilberufe) müssen gesetzlich verankert werden. Die Voraussetzung sind attraktive Ausbildungsbedingungen und eine gute Ausbildungsqualität. Dafür werden einheitliche Standards in den Gesundheitsfachberufen benötigt. Dies betrifft die Qualitätsstandards für die theoretische und praktische Ausbildung (u. a. zur Praxisanleitung, Qualifikation der Lehrkräfte). Aber auch die Ausbildungsstrukturen sollten stärker harmonisiert werden, hin zu einer stärkeren Angleichung an das duale System (Betrieb als Ausbildungsträger, Ausbildungsvertrag des Betriebs mit den Auszubildenden, Schutzrechte für Auszubildende).
Die Ausbildung in einem Kernbereich des Sozialstaats darf nicht dem Markt überlassen werden. Es ist eine Investition in Wertschätzung, Qualität und letztlich auch die Zukunft NRWs. Die Finanzierung der Ausbildungen muss daher über eine Kostenübernahme durch die Länder für die schulische Ausbildung gesichert werden, die Kosten für die praktische Ausbildung inkl. Ausbildungsvergütung tragen die Betriebe – refinanziert durch die Kostenträger.
Diese Investition in unserem Gesundheitsbereich wird sich doppelt auszahlen. Denn sie ist nicht nur eine Investition in Menschen, sondern auch in den Wirtschaftsstandort NRW. Ein gesundes NRW ist ein klarer Wettbewerbsvorteil.
Antworten auf Bedürfnisse der Menschen geben – Bedarfsorientierte Versorgung stärken
Das wichtigste Ziel ist die Gesundheit der Menschen. Dafür braucht es eine Gesundheits- und Pflegeinfrastruktur, die auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist.
Medizinische Versorgung dort anzubieten, wo sie gebraucht wird, ist seit jeher eine zentrale Herausforderung in der Gesundheitspolitik. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass es in den Regionen ein abgestimmtes Miteinander der Kliniken unterschiedlicher Versorgungsstufen braucht. Auch nach der Krise muss neben der erforderlichen Spezialisierung eine flächendeckende Grundversorgung in ländlichen Räumen und strukturschwachen Teilen der Ballungsgebiete gesichert sein. Die Menschen müssen sich überall auf die gute Gesundheitsversorgung verlassen können.
Dafür müssen die sektoralen Grenzen zwischen „Ambulant“ und „Stationär“ endlich überwunden werden. Eine getrennte Planung, so wie sie sich heute findet, ist ein klares Defizit. Dem würde die Zusammenarbeit der bisherigen Entscheidungsträger – Bundesländer, Kassenärztliche Vereinigungen sowie Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen – in einem gemeinsamen Gremium entgegenwirken.
Gleichzeitig bedarf es neuer Wege: Die Verbindung von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) mit Praxiskliniken (kurzstationäre Behandlungen) ermöglicht eine Versorgungsstruktur, die Krankenhäuser der Allgemeinversorgung ersetzen kann. Der aktuelle Rechtsrahmen reicht hierfür aus, soweit die Empfehlungen zu den Praxiskliniken realisiert werden.
Neuer Wege bedarf es auch in der Notfallversorgung: Besonders der ländliche Raum braucht dringend mehr Personal und eine belastbare Infrastruktur. Häufig werden Ärztinnen und Ärzte mit Zusatzqualifikationen durch Rettungswagen aus ihren Praxen geholt, um die Notfallversorgung sicherzustellen. Dies kann nur ein Provisorium sein, darf sich aber niemals auf Daueretablieren. Es braucht daher eine auskömmliche Finanzierung einer dauerhaften Notfallversorgung durch entsprechende Zentren und Wachen.
Krankenhausplanung in NRW
Im September 2019 sorgte ein im Auftrag der schwarz-gelben Landesregierung erstelltes Gutachten zur Krankenhausplanung in NRW für Aufsehen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine breite Krankenhauslandschaft ist und dass der Wettbewerb kein ausreichendes Kriterium für die Versorgungsstruktur in NRW sein darf. Umso empörender ist, dass die Landesregierung ihre Krankenhausplanung weiterhin intransparent und hinter verschlossenen Türen vorantreibt. Das Parlament bleibt außen vor. Deshalb muss nun mit allen Mitteln verhindert werden, dass die neue Planung lediglich zum Vorwand für einen harten Sparkurs wird. Das Ziel muss eine regional abgestimmte und landesweit koordinierte Planung sein, die dem realen Bedarf Rechnung trägt, die wohnortnahe Versorgung sicherstellt und die im Krisenfall ausreichend Kapazitäten bereithält. Diese Planung muss zudem Landesgrenzen überwinden.
Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge. Über die Krankenhausplanung muss politisch entschieden werden, nicht nur durch Markt und Wettbewerb. Veränderungen, die sich aus der Krankenhausplanung ergeben, müssen so gestaltet werden, dass in jeder Phase eine wohnortnahe Versorgung gewährleistet ist. Insbesondere müssen schwächere Gemeinden, Städte und Stadtteile dabei berücksichtigt werden. Anderenfalls droht eine Schere auseinanderzugehen, in der finanzstarke Regionen überversorgt und schwache Regionen unterversorgt werden. Die Krankenhausplanung muss dem Rechnung tragen.
Die Kurzzeitpflege flächendeckend ausweiten und besser finanzieren
Die Kurzzeitpflege ist ein wesentlicher Faktor zur Entlastung pflegender Angehöriger in der familiären Pflege. Aber das Angebot an Kurzzeitpflege ist nicht ausreichend, es mangelt an flächendeckend verfügbaren Angeboten. Die Nachfrage wird perspektiv jedoch deutlich steigen. Unser Anspruch: Kurzzeitpflege muss in NRW flächendeckend verfügbar sein.
Dazu muss die Zahl der verfügbaren Kurzzeitpflegeplätze in NRW ausgeweitet werden, die Angebote müssen transparent, niederschwellig und wohnortnah erreichbar sein. Das Angebot an Kurzzeitpflege muss für die Betreiber wirtschaftlich auskömmlich sein, dazu sollen die Pflegesätze entsprechend erhöht werden. Diese Erhöhung darf nicht zulasten der Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen gehen.
Wertschätzung muss durch Aufwertung beantwortet werden
Pflegebedürftige Menschen wollen und sollen – wo gewünscht – so lange wie möglich in der eigenen häuslichen Umgebung bleiben. Diesen Wunsch gilt es bei der Planung pflegerischer Infrastrukturen und der dazugehörigen Personalbedarfsplanung als Grundsatz stets mitzudenken. Daneben wird es immer auch stationäre Pflegeeinrichtungen geben.
Die umfassende Pflege, Betreuung und Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen setzt eine gute Personalausstattung mit ausreichend qualifizierten Beschäftigten voraus, die es in der Altenpflege so zurzeit nicht gibt. Es fehlt Personal.
In NRW fehlten 2017 nach der Landesberichterstattung 10.000 Pflegefachkräfte, hochgerechnet auf Vollzeitstellen. Aufgrund der hohen Teilzeitquoten in der Pflege heißt das, 14.000 Stellen für Pflegefachkräfte sind nicht besetzt. Dieser Mangel an Pflegefachkräften ist eine Herausforderung, der sich Gesellschaft und Politik endlich stellen müssen.
Die öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung von Gesundheits- und Pflegearbeit ist durch die Corona-Pandemie gestiegen. Zwar können junge Menschen es sich laut aktueller Umfragen prinzipiell durchaus vorstellen, z.B. einen Pflegeberuf zu ergreifen. Die Hebung dieses Potenzials für die Fach- und Arbeitskräftesicherung ist jedoch kein Selbstläufer. Verdienstunterschiede von bis zu 600 Euro zwischen den Pflegefachkräften im Krankenhaus und den Pflegefachkräften in der Altenpflege sind angesichts der Anforderungen nicht mehr zu rechtfertigen. Einmalige Prämien ändern hieran nichts. Pflegefachkräfte müssen in der Altenpflege eine attraktive Alternative zum Krankenhaus sehen. Gelingt das nicht, wird der Personalmangel in der Altenpflege bestehen bleiben.
Notwendig ist daher die kritische Reflexion von Logiken und Mechanismen der Inwert-Setzung von Gesundheits- und Pflegearbeit. Industriell geprägte Formen der Arbeitsbewertung sind nicht hinreichend, um den Wert der Arbeit, das Wissen und Können, Kompetenzzuwächse und veränderte Belastungsprofile der Beschäftigten hinreichend abzubilden. Im Kern geht es damit um eine Angleichung der Verdienststrukturen einerseits, aber auch um mehr Wissen über Veränderungen in Bezug auf das Arbeitsvolumen, Aufgaben und Tätigkeiten sowie Belastungen.
Aufgrund der kleinteiligen Struktur in der stationären und ambulanten Altenpflege und der steigenden Zahl privater Einrichtungen werden die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten immer seltener durch einen Tarifvertrag oder kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien geregelt. Bei einem Personalkostenanteil von über 70 Prozent führt das zu einem Wettbewerb um möglichst niedrige Personalkosten. Gleichzeitig wird damit auch der Druck auf existierende Tarifverträge immer größer. Um diese Entwicklung zu stoppen, brauchen wir einen flächendeckenden Tarifvertrag in der Altenpflege. Mit dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz ist die Grundlage für einen solchen Tarifvertrag durch den Bundesarbeitsminister gegeben.
Alle Berufsgruppen in NRW müssen mit Personalschlüsseln zurechtkommen, die sich an Personalrichtwerten orientieren, die aus der Zeit vor Einführung des SGB XI stammen. Sie sind veraltet. Für die Verwaltung, die Haustechnik, die Sozialarbeit und die Hauswirtschaft heißt das, dass umgehend neue Personalrichtwerte ermittelt und verbindlich eingeführt werden müssen. Auch für diese Berufsgruppen ist das Arbeitsaufkommen und die Arbeitsintensität in den letzten Jahren durch Veränderung der BewohnerInnenstrukturen enorm gewachsen. Hier ist das Land gefordert. Die zuständigen Behörden auf Länderebene müssen zudem verpflichtet werden, die Einhaltung der Fachkraftquote zu überprüfen und gegebenenfalls zu sanktionieren.
Studien zeigen, dass es vielfältige strukturelle Hindernisse für Fachkräfte aus dem Ausland sowie für QuereinsteigerInnen in der Pflege gibt. Notwendig sind, neben dem Abbau bürokratischer Hindernisse, soziale Innovationen auf Organisationsebene. Ansätze liegen hier u.a. in dem Aufbau systematischer betrieblicher Recruitment- und Rückkehrprogramme, in der Anerkennung informell erworbener Kompetenzen für den Einstieg in die Pflegearbeit, in der Förderung multiprofessioneller Teamarbeit sowie in der Stärkung einer fachlich-sozialen Praxisanleitung für diese Zielgruppe. Hierfür braucht es Maßnahmenkataloge und Qualitätskriterien. Betriebliche Interessenvertretungen können darin unterstützen, entsprechende Maßnahmen zu entwickeln und überprüfen, ob diese eingehalten werden.
Mehr Köpfe sind wichtig, aber es braucht noch mehr!
Denn sozialer Fortschritt im und mit dem Gesundheits- und Pflegesektor ist ohne qualifiziertes und motiviertes Personal nicht möglich.Gegenwärtige Maßnahmen der Gesundheitspolitik zielen vor allem darauf, mehr Köpfe für die Arbeit in Gesundheit und Pflege zu gewinnen. Dies ist für die Beschäftigten vor Ort wichtig, kann aber allein keine Antwort auf die drängenden Herausforderungen sein. Damit es hier nicht zu Enttäuschungen kommt, braucht es einen Plan, wie NeueinsteigerInnen nicht nur in der Pflege ankommen, sondern auch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, damit sie dort bleiben wollen.
Spätestens wenn um die Betreuung der eigenen Kinder geht, kommt es häufig zu Enttäuschungen. Richtig kompliziert wird es für Eltern, die im Schichtdienst arbeiten – und das werden immer mehr. Wohin mit den Kindern morgens um fünf oder abends um zehn? Hier braucht es entsprechende Arbeitszeitarrangements sowie ein verstärktes Engagement durch die Träger, beispielsweise durch betriebliche Betreuungseinrichtungen.
Durch die zunehmende Diffusion und Nutzung digitaler Technik, durch neue und erweiterte Qualifikations- und Kompetenzprofile sowie durch neue Wege der Arbeitsorganisation und -gestaltung auf betrieblicher Ebene werden sich Versorgungs- und Arbeitsarrangements grundlegend ändern. »Effizientere Gesundheits- und Pflegearbeit« markiert an sich aber noch keinen Fortschritt, denn oftmals bleibt unklar, ob daraus ein tatsächlicher Mehrwert für PatientInnen, Pflegebedürftige und deren Angehörige sowie für die Beschäftigten wird.
Es braucht eine Vision, wie Arbeit im Gesundheits- und Pflegesektor unter Nutzung neuer Kompetenzprofile, organisatorischer und technischer Möglichkeiten (Digitalisierung) künftig besser und intelligenter organisiert werden kann. Trotz der Anstrengungen zum Aufbau einer umfassenden Telematikinfrastruktur ist die Förderung der technischen Infrastruktur für Telemedizin in der Altenpflege nicht ausreichend. Insbesondere mangelt es an einer integrierten Vernetzung pflegerischer Expertisen mit der Akutversorgung sowie der (fach)ärztlichen und therapeutischen Versorgung. Entsprechende Programme für die Altenpflege müssen verstärkt auf die gezielte Förderung des Ausbaus telepflegerischer und teletherapeutischer Angebote für und in der Altenpflege setzen, und die Einrichtungen auch in der organisatorischen Umsetzung und Personalentwicklung unterstützen.
Wir wollen regionale Kompetenzzentren für eine digital gestärkte Altenpflegeaufbauen. Gerade in der Altenpflege geht es um eine kluge Mischung digitaler Technik und »analoger« Betreuung als Ansatzpunkt zur Verbesserung der pflegerischen Versorgungsqualität.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Beschäftigten im Kontext der Digitalisierung vor neuen und erweiterten Anforderungen stehen. Allerdings liegt der Fokus derzeit in erster Linie auf der »Akzeptanz« neuer technischer Anwendungen. Dies greift angesichts der potenziellen Folgen digitaler Technik zu kurz. Digitale Technik kann dann zu einem Fortschritt für die Weiterentwicklung der Pflege werden, wenn Beschäftigte mit ihren fachlichen Kompetenzen und Interessenvertretungen konsequent an der Auswahl, Umsetzung und Evaluierung beteiligt werden, die reflexiven Kompetenzen und Gestaltungskompetenz der Beschäftigten gestärkt und Nutzeneffekte sichtbar und umgesetzt werden. Folgen der Digitalisierung auf betrieblicher Ebene sind systematisch zu erfassen. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSCHG) bietet hierfür den notwendigen gesetzlichen Rahmen. Doch oftmals werden Digitalisierungsfolgen in diesem Kontext gar nicht systematisch erfasst. Im Kontext beruflicher Bildung ist der Wandel der Kompetenzanforderungen zu erfassen, die Vermittlung digitaler Kompetenzen in der Ausbildung sollte gestärkt und ein Berichtssystem für betriebliche Qualifizierungsaktivitäten aufgebaut werden (analog zum BBiG).
Wandel arbeitsorientiert gestalten: Mitbestimmung und tarifliche Regelungen stärken, Pflegekammer ist hier nicht die Lösung.
NRW hat eine besondere Tradition der sozialpartnerschaftlichen Gestaltung von Arbeit. Diese Tradition muss insbesondere im Bereich der Altenpflege wieder gelebt werden. Ob Strategien zur Aufwertung der Arbeit künftig erfolgreich sein werden, hängt entscheidend davon ab, wie tarifliche Rahmenbedingungen ausgestaltet sind und auf betrieblicher Ebene wirksam werden.
Die Etablierung einer Pflegekammer in NRW ist jedoch keine Lösung. Denn es ist nicht Aufgabe einer Kammerorganisation, verlässliche Einsatz- und Anwendungsbedingungen von Arbeit im Gesundheits- und Pflegebereich zu verhandeln und betrieblich durchzusetzen. Die Auflösung der Pflegekammer Niedersachen im Jahr 2020 – per Mitgliedervotum – ist der eindeutige Beleg dafür.
Der Gesundheits- und Pflegesektor braucht mehr Mitbestimmung, Unternehmen ohne Tarif müssen endlich ihre Abwehrhaltung aufgeben. Nur so werden Arbeitsbedingungen und damit auch die Qualität der Arbeit nachhaltig gestärkt. Dafür müssen die Mitbestimmungsakteure im Transformationsprozess gestärkt und in ihrer Wissens- und Kompetenzwicklung unterstützt werden.
Neue Wege finden: Landespflegegesellschaft als Pilotprojekt
Die Umsetzung arbeitsrechtlicher Standards für Pflegekräfte in Privathaushalten ist überfällig. Die arbeitsvertragliche Situation muss verbessert werden. Zentral sind mehr und verpflichtende Beratung und Aufklärung, Arbeitsverträge mit Aufgabenbeschreibung sowie die Verpflichtung der vermittelnden Agenturen zur Information, Qualifizierung und Beratung.
Wir wollen daher ein Pilotprojekt »Landespflegegesellschaft« auflegen. Eine solche gemeinnützige GmbH soll sukzessive zur Anlaufstelle im Pflegebereich werden. Über sie soll nicht nur Information, Qualifizierung und Beratung erfolgen, sondern auch – weitergehend und nach österreichischem Vorbild – eine direkte Anstellung pflegender Angehöriger erfolgen.
Dies macht aus drei Gründen Sinn: Erstens, um diese Personen sozialversicherungsrechtlich abzusichern und ihnen ihren Lebensunterhalt zu sichern; zweitens, um den pflegebedürftigen Personen den Verbleib zu Hause zu ermöglichen; und drittens, um durch die Ausbildungsmöglichkeit auch mittelfristig zusätzliches Personal für den Pflegebereich zu gewinnen.
Klar ist jedoch auch, dass daran nicht die Erwartungshaltung geknüpft werden darf, dass die bisherige Erwerbstätigkeit aufgegeben wird. Zwei Drittel der informell Pflegenden unter 65 Jahren sind selbst erwerbstätig, in Voll- oder Teilzeit. Die Erwerbstätigkeit wird aber aufgrund des Engagements in der Pflege der Angehörigen strukturell eingeschränkt. Deshalb ist die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und familiärer, informeller, Pflegearbeit eine große Herausforderung. Das gilt in besonderer Weise für Frauen, die in ihrem Alltag in erheblichem Umfang damit konfrontiert sind, die informelle Sorgearbeit mit Angehörigen, die eigene Erwerbstätigkeit sowie die eigene informelle Familienarbeit miteinander zu vereinbaren. Dieser strukturellen Benachteiligung kann durch eine Landespflegegesellschaft begegnet werden.
Eine dritte Aufgabe dieser Landespflegegesellschaft soll die Anstellung von Pflegekräften sein, die bisher im Graubereich, also über Agenturen vermittelt in privaten Haushalten tätig sind. Diese Art der Laienpflege, die häufig den Charakter einer Betreuungspflege hat, könnte damit in ein ordentliches Beschäftigungsverhältnis überführt werden. Auch hier soll eine Landespflegegesellschaft durch Information, Beratung und schließlich auch Qualifikation einen zusätzlichen Beitrag liefern.
Das Pilotprojekt Landespflegegesellschaft sollte zunächst in einer Modellregion erprobt und evaluiert werden. Wichtig ist zudem, dass die Gewerkschaften ein Mitbestimmungsrecht haben. Zu diesem Zweck sollte der Vorstand paritätisch besetzt sein. Klar ist damit auch, dass die Landespflegegesellschaft zu einem anerkannten Leistungserbringer im Sinne des Sozialgesetzbuches wird.
Für Kommunen mit Zukunft – Volles Leben statt leerer Kassen
Zukunft wird vor Ort gemacht. Wirksamer Klimaschutz, konsequente Digitalisierung, gute Arbeitsplätze, beste Bildung, gute Gesundheits- und Pflegeversorgung, verlässliche Kinderbetreuung, guter und bezahlbarer Wohnraum und starke Wirtschaftsförderung – all das und noch viel mehr leisten die Handelnden in unseren Gemeinden, Städten und Kreisen. Sie setzen Politik um, investieren in Zukunft und machen Politik erlebbar. Das gelingt jedoch nur, wenn unsere Kommunen auch die nötige Finanzausstattung haben.
Unsere Position:
- Handlungsfähig werden viele Gemeinden, Städte und Kreise erst dann, wenn sie von ihrer Schuldenlast befreit werden: Es braucht einen kommunalen Altschuldenfonds in NRW.
- Wir wollen die Position der Kommunen stärken – mit einer starken Stimme und echten Mitspracherechten.
- Wir brauchen einen „New Deal” in der Finanzierung von Bildungseinrichtungen. Solange Bildung „Ländersache“ ist, muss das Land seiner Verantwortung nachkommen.
- Steueroasen haben in NRW keine Zukunft. Unternehmensgewinne müssen dort versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden.
- Ungleiches auch ungleich behandeln: Die Tendenz in der Gemeindefinanzierung, die finanzkraftunabhängigen Pauschalen zulasten der finanzkraftabhängigen Schlüsselzuweisungen zu erhöhen, muss rückgängig gemacht werden.
- Die Unterstützung der Kommunen durch den Bund darf zukünftig nicht wie in der Vergangenheit vorzugsweise über Umsatzsteueranteile geschehen. Auf diesem Wege profitieren vor allem ohnehin steuerstarke Kommunen außerhalb NRWs. Entlastungen müssen an den Sozialkosten ansetzen.
- Bereits 2019 haben wir beschlossen: Der Markt regelt nicht alles: Wir müssen Baukosten senken, sozialen Wohnungsbau fördern, wir brauchen eine Landeswohnungsbaugesellschaft und wir müssen ungerechtfertigten Mietpreisanstieg verhindern. Wir brauchen eine neue Wohnungspolitik!
Gleiche Lebensverhältnisse erreichen wir durch Solidarität und gerechte Verteilung
Die ungleichen Lebensverhältnisse, die wir heute in NRW erleben, sind das Ergebnis ungleicher Verteilung. Vielerorts fehlt das Geld. Das hat spürbare Folgen: In NRW ist die Verfügbarkeit von Kita-Plätzen oder die Höhe der Kita-Beiträge vom Wohnort abhängig. Ob es ein Schwimmbad oder einen Sportplatz in der Nähe gibt, hängt vom Wohnort ab. Ob die Schultoilette oder der Aufzug zur U-Bahn funktioniert, ist vom Wohnort abhängig. Selbst die Lebenserwartung ist inzwischen vom Wohnort abhängig.
Daran sind nicht die KommunalpolitikerInnen vor Ort schuld. Dennoch sind sie es, die landauf und landab erklären müssen, warum bestimmte Dinge nicht mehr möglich sind. Schlimmer: Mancherorts geht es ausschließlich darum, zu erklären, warum bestimmte Einrichtungen oder Angebote geschlossen oder eingestellt werden müssen. Menschen erleben, dass öffentliche Infrastruktur verfällt. Ausweise, Bauanträge, KFZ-Angelegenheiten, Heirat oder Geburt – überall ist die örtliche Verwaltung die erste Anlaufstellte für staatliche Hoheitsaufgaben. Doch wenn es hier mehr und mehr hakt, wenn Warte- und Bearbeitungszeiten immer länger werden, dann schleicht sich das Gefühl ein, dass der Staat nicht mehr richtig funktioniert. Im Ergebnis schwindet das Vertrauen in Politik und die Unzufriedenheit steigt.
Für die NRWSPD ist klar, dass dieser Zustand nicht länger andauern darf. Wenn Menschen vor Ort erleben, dass Politik nicht mehr gestalten kann, dass Zukunft verspielt wird – dann ist die Demokratie vor Ort in Gefahr. Populisten und Rechtsradikale wissen diese Entwicklung zu nutzen – mit vermeintlich einfachen Antworten. Die NRWSPD hat eine bessere Antwort – die einzig richtige Antwort: Es braucht wieder mehr finanzielle Mittel für die Gemeinden, Städte und Kreise.
Das muss auch im Interesse von vermögenden Kommunen sein, die es in NRW ebenso gibt. Auch starke Kommunen sind zwingend darauf angewiesen, dass es ihren Nachbarkommunen gut geht. Tourismus, Einkaufsstraßen und Gastronomie leben von Gästen, die Geld mitbringen. Unternehmen brauchen gut ausgebildete ArbeitnehmerInnen. Großstädte brauchen attraktiven Wohnraum im sog. Speckgürtel. Und Wirtschaft funktioniert nur dann, wenn Unternehmen aus der Region zuliefern, oder in der Nachbarschaft Güter und Dienstleistungen nachgefragt werden. Das Vorbild ist Europa: Ein starker Binnenmarkt stärkt auch Deutschland. Nur gemeinsam sind wir stark. Dieses Prinzip greift ebenso für die Kommunen in NRW. Das bedeutet Solidarität.
Mit „Rot Pur“ hat die NRWSPD ihr Bekenntnis zu dieser kommunalen Solidarität erneuert. Es braucht starke Kommunen. In der Krise hat sich bewiesen, dass dies wichtiger denn je ist. Unsere Kommunen schultern Verantwortung und tragen entscheidend dazu bei, dass wir gesamtgesellschaftliche Herausforderungen bewältigen, wie wir es jüngst im Kampf gegen die Corona-Pandemie erleben.
Land darf Kommunen in der Corona-Pandemie nicht länger im Regen stehen lassen
Die Corona-Pandemie ist jedoch für viele Kommunen auch ein Brandbeschleuniger. Denn Corona hat massive finanzielle Folgen: Weniger Geld wird eingenommen, weil die Gewerbesteuer sowie die kommunalen Anteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer wegbrechen. Auch Einnahmen aus anderen Abgaben wie Gebühren und Beiträgen, oder Erträge aus kommunalen Unternehmen sinken. Auf der anderen Seite muss mehr Geld ausgegeben werden, weil die Bekämpfung der Pandemie hohe Ausgaben verursacht.
Dieses Dilemma trifft insbesondere finanzschwache Kommunen. Viele von ihnen haben im Rahmen des „Stärkungspaktes Stadtfinanzen“ einen harten Sanierungskurs eingeschlagen. Mit Hilfe des Landes in Höhe von rund 6 Mrd. Euro konnte ein gutes Stück Handlungsfähigkeit wiedererlangt werden. Diese Erfolge sind hart erkämpft worden und haben bittere Entscheidungen nötig gemacht. Diese Entbehrungen drohen durch die finanziellen Folgen der Pandemie nun zunichte gemacht zu werden. Hier muss das Land eingreifen. Nachdem auf Druck der Bundesregierung die Ausfälle bei der Gewerbesteuer für das Jahr 2020 jeweils hälftig durch den Bund und das Land erstattet wurden, muss das Land nun auch die Ausfälle für die Jahre 2021 und 2022 kompensieren. Die Aufstockung der Verteilmasse im Gemeindefinanzierungsgesetz 2021 war richtig und wichtig. Sie darf jedoch nicht als Kredit und somit aus Geldern der Kommunen selbst gewährt werden.
Denn bereits vor Corona steckten viele Kommunen in der Falle, oder besser gesagt im Teufelskreis: Aus eigener Kraft schaffen es betroffene Kommunen nicht, ihre Attraktivität zu steigern, um so mehr Steuer- oder Finanzkraft für nötige Investitionen zu generieren. Die Haushalte sind am Limit. Also ist das Gegenteil der Fall: Durch den Verschleiß von Infrastruktur und Personalabbau in den nötigen Ämtern sinkt die Attraktivität weiter und damit auch die Chance, sich selbst zu befreien. Der Stärkungspakt Stadtfinanzen war der richtige Weg, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Die jetzige Pandemie droht jedoch alle Sparanstrengungen zunichte zu machen.
Ein erstes wichtiges Zeichen hat der Bund nach jahrelangem Drängen der SPD insbesondere aus NRW gesetzt: Durch die dauerhafte Entlastung bei den Kosten der Unterkunft werden die Kommunen in NRW jährlich um rund eine Milliarde Euro entlastet. Das hilft insbesondere dort, wo Arbeitslosigkeit hoch und Einkommen niedrig sind. Das kann jedoch nur ein erster Schritt sein. Denn die Anhebung der Bundesbeteiligung auf bis zu 75 Prozent stellt immer noch keinen bedarfsdeckenden Anteil dar.
Doch damit kann es noch nicht getan sein. Die Kommunen müssen von Belastungen befreit werden, die sie nicht selbst verursacht haben. Es muss das Motto gelten: Wer bestellt, der zahlt auch. Soweit Kommunen bestimmte Aufgaben übernehmen, weil Bund und Länder sie ihnen zugewiesen haben, müssen die Kosten dafür von den Auftraggebern getragen werden. Dies entspricht dem Grundsatz der Konnexität. Die Entlastung von Sozialleistungen ist daher richtig und muss nun konsequent fortgeführt werden.
„Stunde Null“ für NRW-Kommunen
Zudem drücken vielerorts sogenannte Kassenkredite, die zur Überbrückung vorübergehender Kassenengpässe verwendet werden. In den NRW-Kommunen sind so Schulden von insgesamt 22,6 Mrd. Euro aufgelaufen.
Diese Kassenkredite, die Kommunen aus der Not mangelnder eigener Finanzkraft aufnehmen mussten, werden sie aus eigener Kraft nicht ablösen können. Es braucht endlich eine Lösung für den Anteil dieser Kassenkredite, der nicht für den eigentlichen Zweck der Abdeckung von Liquiditätsengpässen aufgenommen wurde. Hier ist nun allein das Land in der Verantwortung, nachdem die CDU-Bundestagsfraktion eine Beteiligung des Bundes blockiert hat.
Zwar sind die Zinslasten aktuell verhältnismäßig gering, jedoch werden Investitionen verhindert, da Überschüsse in den Ausgleich gesteckt werden müssen. Nur in Zeiten niedriger Zinsen ist eine Lösung des Altschuldenproblems realistisch und finanzierbar. Es ist daher naiv und unverantwortlich, das Problem jetzt nicht anzugehen, mit dem Argument, die Zinsen seien niedrig.
Selbst die schwarz-grüne hessische Landesregierung macht es vor: Im Jahr 2018 wurden mit dem Programm „Hessenkasse“ rund 4,8 Mrd. Euro kommunaler Kassenkredite abgelöst.
Die Position der Kommunen stärken – mit einer starken Stimme
Nach der Bewältigung der Migrationskrise in den Jahren 2015 und 2016 stellen die 396 Städte und Gemeinden und die 31 Kreise in NRW nun erneut unter Beweis, dass unsere Kommunen echte Krisenmanager sind. Kommunen haben Verantwortung übernommen – auch in finanzieller Hinsicht. Unbestritten ist die Bewältigung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Anders als es Kommunalministerin Scharrenbach darstellt, tragen Kommunen in NRW derzeit jedoch eine unverhältnismäßigen Anteil und werden über Gebühr belastet. Es reicht nicht die finanziellen Schäden der Corona-Pandemie über einen Haushaltstrick als Vermögensgegenstand in den Bilanzen zu „isolieren“. Das Land darf die Kommunen bei der Abschreibung dieser Kosten nicht im Regen stehen lassen und muss sich substanziell daran beteiligen.
Als NRWSPD wollen wir die politische Position der Kommunen stärken. Wir sind mit den kommunalen Spitzenverbänden im Dialog, wie es gelingt, ihre Stimme im institutionellen Gefüge zu stärken. Kommunen brauchen ein landes- und ggf. auch bundesrechtliches Mitspracherecht. Es muss verhindert werden, dass Kommunen sich regelmäßig nach Krisen oder im Rahmen anderer gesellschaftlicher Herausforderungen in der alleinigen Finanzverantwortung wiederfinden. Sie müssen bei der Ausgestaltung von Lösungen institutionell beteiligt werden.
Als ersten Schritt ist die NRWSPD als Erstunterzeichnerin dem Bündnis „Für die Würde unsere Städte“ beigetreten.
Das Subsidiaritätsprinzip hat Grenzen
Die NRW-Landesregierung lässt überproportional viele Aufgaben durch seine Kommunen erledigen – das zeigt sich auch in der Pandemie. Leistungen sollen ortsnah angeboten und an die lokalen Bedürfnisse angepasst sein. Diese Idee der Subsidiarität ist grundsätzlich richtig und begrüßenswert. Sie findet allerdings dort ihre Grenzen, wo durch die unterschiedliche Steuerkraft und damit Leistungsfähigkeit der Kommunen keine an die örtlichen Bedürfnisse angepasste Erledigung erfolgen kann, da schlicht die Ressourcen fehlen.
Daher braucht es in vielen Bereichen einen „New Deal“ in der Finanzierung von Aufgaben. Einerseits geht es dabei um eine bedarfsorientierte, grundständige Finanzierung über die bestehenden Verteilungsmechanismen. Andererseits braucht es aber auch eine Diskussion darüber, welche Aufgaben von welcher staatlichen Ebene übernommen wird.
Bei Schulen zeigt sich, wie die Grenzen der Zuständigkeiten angesichts zunehmender Digitalisierung immer mehr verschwimmen. Der Zeitpunkt ist also günstig: Es braucht nach dem erfolgreichen Landesprogramm „Gute Schule 2020“ ein erneute Anstrengung des Landes für mehr Investitionen in die Schulinfrastruktur. Ein Programm „Gute Schule 2025“ kann ein erster Anfang sein. Daneben braucht es auch einen organisatorischen Neuanfang der finanziellen Kompetenzen. Dafür benötigen wir neue Verantwortungsgemeinschaften, einen “New Deal” im Schul- und Bildungsbereich, bei dem die Zusammenarbeit von Kommunen, Land und Bund neu geregelt wird.
Steueroasen haben in NRW keine Zukunft
Europa kann sich nur weiterentwickeln und ist nur dann stark, wenn alle Länder und alle Ebenen zusammenarbeiteten – denn alle sind voneinander abhängig. Dieses Prinzip trifft auch auf das Land NRW und seine Kommunen zu.
Wenn sich Kommunen einen Vorteil gegenüber dem Umland verschaffen, indem sie massiv ihre Gewerbesteuer senken, dann ist das ein egoistischer Weg, der ausblendet, dass es in Zukunft immer mehr darauf ankommen wird, gemeinsam zu arbeiten. Dass es aber in Deutschland zur gängigen Praxis von Großkonzernen werdenkonnte, durch konzerninterne Verlagerungen steuerlicher Erträge oder die Einrichtung von „Briefkastenfirmen“ Steuern zu sparen, ist besorgniserregend. Es istnicht akzeptabel, dass mitten in Deutschland Steueroasen entstehen, während wir genau das auf internationaler Ebene mit allen Mitteln bekämpfen.
Unternehmensgewinne müssen dort versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden. Wir brauchen andere Rahmenbedingungen, insbesondere muss die Gewerbesteuer noch deutlicher an die Produktionsorte gebunden werden.
Die Möglichkeiten, Gewerbesteuern durch die Anrechnung von Patenten und Lizenzen sowie die Reduzierung der Beschäftigten durch die Ausgliederung in Dienstleistungsunternehmen zu verlagern, muss abstellt werden. Gewerbesteuern müssen dort verbleiben, wo der Mehrwert geschaffen wird. Denn dort, wo die tatsächliche gewerbliche Produktion stattfindet, bleiben die Belastungen für Umwelt und Infrastruktur. Ohne dass dafür allerdings von Unternehmen vor Ort ein angemessener Finanzierungsanteil getragen wird.
Im Übrigen bedeutet ein Unterbietungswettbewerb auch, dass insgesamt weniger Unternehmenssteuern in NRW hängen bleiben. Daher setzen wir uns dafür ein, dass die Gewerbesteuer dort gezahlt wird, wo die Bänder laufen, die Schlote qualmen und die LKWs über den Asphalt rollen – und nicht dort, wo der Briefkasten hängt.
Gemeindefinanzierungsgesetz: Ungleiches auch ungleich behandeln
Das Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) regelt den jährlichen Finanzausgleich zwischen dem Land und den Kommunen. Mit dem GFG 2019 hat die schwarz-gelbe Landesregierung die Aufwands- und Unterhaltungspauschale neu eingeführt und diese 2020 auch noch überproportional gegenüber der Gesamtsumme erhöht. Durch diese systemwidrige Pauschale werden steuerstarke Kommunen gestärkt und steuerschwache Kommunen geschwächt. Das ist der Einstieg in eine Verteilung der Mittel, die sich nicht mehr an der Bedürftigkeit der Kommunen orientiert. Starke Kommunen werden bevorzugt, schwache Kommunen werden schwächer.
Eine Orientierung an der objektiven Bedürftigkeit der Kommunen muss der Maßstab im kommunalen Finanzausgleich bleiben. Für uns gilt hier der Maßstab: Ungleiches auch ungleich behandeln. Nur so werden strukturelle Nachteile vor Ort nicht zu einer Bürde beim Kampf um gleichwertige Lebensverhältnisse.
Dafür muss die Aufwands- und Unterhaltungspauschale abgeschafft werden und dürfen die finanzkraftunabhängigen Pauschalen nicht weiter zulasten der Schlüsselzuweisungen erhöht werden. Um den vielen Aufgaben der Kommunen gerecht zu werden, muss der Anteil an den Steuermitteln, der im GFG auf die Kommunen verteilt wird, mittelfristig angepasst werden.
Entlastungsmittel brauchen einen neuen Verteilungsmechanismus
Der Bund hat auf Initiative der SPD die Kommunen in den vergangenen Jahren massiv unterstütz. Eine Verteilung dieser Entlastungsmittel ist häufig über die Anteile der Kommunen an der Umsatzsteuer erfolgt.
Die Verteilung der Umsatzsteueranteile richtet sich jedoch nach dem jeweiligen Steueraufkommen der Städte und Gemeinden bzw. deren Wirtschaftskraft. Die Entlastungsmittel werden auf diesem Wege somit überproportional an steuerstarke Gemeinden verteilt. Gerade vor dem Hintergrund, dass (Sonder-)Zuweisungen des Bundes insbesondere auch dem Zweck der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse dienen sollen, ist ein solcher Verteilmechanismus nicht zielführend. Gerade vor dem Hintergrund, dass (Sonder-)Zuweisungen des Bundes insbesondere auch dem Zweck der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse dienen sollen, ist ein solcher Verteilschlüssel nicht zielführend. Über diesen Weg werden bestehende Ungleichheiten und strukturelle Benachteiligungen sogar verstärkt.
Auch hier gilt: Ungleiches auch ungleich zu behandeln. Es braucht eine Verteilungvon Entlastungsmitteln, die sich stärker am Bedarf, also nach sozialen Kritierien ausrichtet.
Eine Grundsteuersenkung gelingt nur durch die faire Verteilung von Mitteln
Hierzu ist die Landesregierung gefordert, sich endlich auf ein Grundsteuermodell festzulegen, dass die tatsächlichen Werte berücksichtigt.
Wie hoch die Grundsteuer ausfällt, variiert je nach Wohnort und kann über den lokalen Hebesatz gesteuert werden. Inzwischen korreliert die Grundsteuerbelastung jedoch wesentlich mit der Finanznot der Kommunen. Zwischen dem günstigen Gütersloh und dem Spitzenreiter Witten besteht eine Diskrepanz von jährlich knapp 450 Euro, gemessen an einem Standard-Einfamilienhaus.
Nur eine bessere finanzielle Ausstattung der armen Kommunen und die Lösung der Altschuldenfrage kann diesen Trend aufhalten. Die Steuerbelastung der Einwohner einer Stadt muss sich wieder an den Leistungen der Stadt orientieren können.
Den Kommunen muss darüber hinaus die Möglichkeit zur Erhebung der einer Grundsteuer C gegeben werden. Auf diesem Wege erhalten Kommunen die Möglichkeit mithilfe der Grundsteuer Bodenspekulation einzudämmen.