IR-01 Einsatzkräfte wirklich schützen – Keine weitere Verschärfung der §§ 113–115 StGB

Status:
Nicht abgestimmt

Die SPD-Mitglieder in der SPD-Bundesregierung, die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder im Bundesrat werden aufgefordert, sich gegen eine erneute Verschärfung der folgenden Tatbestände zu wenden: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), tätlicher Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) und Widerstands gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (§ 115 StGB).

Begründung:

Angesichts der jüngsten, Schlagzeilen machenden Angriffe auf Polizeibeamte ist aus der Union der Ruf nach einer erneuten Verschärfung der Tatbestände des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) und des tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) bzw. des Widerstands gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (§ 115 StGB) zu vernehmen. So fordert der hessische Innenminister Peter Beuth Medienberichten zufolge, den Grundtatbestand mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten zu belegen. Würden Einsatzkräfte gezielt in einen Hinterhalt gelockt und dort angegriffen, solle die Mindeststrafe künftig sogar ein Jahr betragen. Auch die Innenministerkonferenz zieht derartige Strafverschärfungen nach ihrem Beschluss vom Juni 2020 in Betracht, will aber zumindest vorher den Forschungsstand näher prüfen.

 

Klar ist: Jeder Angriff auf Einsatzkräfte ist einer zu viel; wir verurteilen diese Taten. Bereits 2017 wurden jedoch die Regelungen der §§ 113–115 signifikant verschärft. Der Grundtatbestand des Widerstands (§ 113 Abs. 1 StGB) ist danach mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe belegt. Der Grundtatbestand des tätlichen Angriffs (§ 114 Abs. 1 StGB) sieht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren – aber keine Möglichkeit der Geldstrafe – vor. Auf den besonders schweren Fall des Widerstands oder des tätlichen Angriffs (§ 113 Abs. 2, ggf. i.V.m. § 114 Abs. 2 StGB) stehen sechs Monate bis fünf Jahre Haft, eine Geldstrafe ist wiederum nicht vorgesehen.

 

Begründet wurde die damalige Verschärfung damit, angesichts zunehmender Respektlosigkeit gegenüber Einsatzkräften, die sich immer wieder und öfter auch handfest äußere, müssten diese besser geschützt werden.

 

Schon an der Tatsache, dass mit exakt derselben Begründung kaum drei Jahre später erneut Strafverschärfungen gefordert werden, lässt sich ersehen, dass eine höhere Strafandrohung offenkundig nicht das geeignete Mittel ist, der immer wieder eskalierenden Gewalt gegen Einsatzkräfte beizukommen.

 

Ginge die Rechnung auf, dass höhere Strafen durch ihre abschreckende Wirkung Gewalttaten gegen Einsatzkräfte verhindern, so hätten Widerstandshandlungen und tätliche Angriffe bereits nach der jüngsten Verschärfung deutlich zurückgehen müssen. Das Gegenteil ist der Fall: So weist die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2019 beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen zwar ein Minus von 1,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Bei den tätlichen Angriffen ist dagegen eine Zunahme von 27,5 Prozent zu verzeichnen.

 

Bereits die Verschärfung im Jahr 2017 wurde von Seiten der Strafrechtswissenschaft vehement kritisiert. Waren die §§ 113 f. StGB einst als Privilegierung gedacht – der Angriff gilt in der Regel nicht der Person des Beamten, sondern der Verkörperung des Staates, wobei sich der Täter häufig in einer zumindest im Ansatz nachvollziehbaren Ausnahmesituation befindet; zudem sind Polizeibeamtinnen und -beamte besonders geschult und können leicht auf die Unterstützung weiterer Einsatzkräfte zurückgreifen, was das Risiko für sie mindert –, so wurden sie nun in ihr Gegenteil verkehrt.

 

Das Grundproblem allerdings, der abnehmende Respekt gegenüber Einsatzkräften, wurde dadurch nicht gelöst. Es steht vielmehr im Gegenteil zu befürchten, dass sich die Kluft zwischen (zumindest Teilen) der Bevölkerung und namentlich der Polizei durch eine erneute Strafverschärfung weiter vertiefen würde.

 

So weisen bereits die derzeitigen Normen eine erstaunliche Schieflage auf: Für das bloße Schubsen eines Polizeibeamten (tätlicher Angriff i.S.d. § 114 Abs. 1 StGB) wird eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten fällig – und zwar auch dann, wenn der Polizist keinerlei Blessuren davonträgt. Wird die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen, liegt sogar regelmäßig ein besonders schwerer Fall vor, womit die Mindestfreiheitsstrafe sechs Monate beträgt.

 

Schubst dagegen ein Polizist rechtswidrig einen Bürger, ohne dass dieser Schäden davonträgt, liegt gar keine Straftat vor. Im Einzelfall kommt allenfalls eine Strafbarkeit wegen Nötigung in Betracht, die allerdings kein Mindeststrafmaß vorsieht und auch im Höchststrafmaß hinter § 114 Abs. 1 StGB zurückbleibt. Tritt ein Körperverletzungserfolg ein, liegt zwar eine Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) vor; der Tatbestand kennt allerdings – im Gegensatz zu § 114 StGB –die Möglichkeit eines minder schweren Falles, für den keine Mindeststrafe sowie die Möglichkeit einer Geldstrafe vorgesehen sind. Gewalt an Polizisten wird also bereits jetzt härter bestraft als Gewalt durch Polizisten. Respekt dürfte das kaum fördern.

 

Wer den Respekt gegenüber Beamtinnen und Beamten erhöhen will, der tut gut daran, sich an das Leitbild des Bürgers in Uniform zu erinnern. Einsatzkräfte dürfen nicht als abgehobene, vom Staat durch Sondernormen besonders geschützte Elite wahrgenommen werden, deren Unversehrtheit mehr wert ist als die aller übrigen Bürgerinnen und Bürger. Stattdessen bedarf es einer Stärkung des Bewusstseins, dass es der eigene Bruder, die gute Freundin oder der freundliche Nachbar von nebenan sind, die für die Gesellschaft Dienst leisten – des Bewusstseins, dass sie Teil dieser Gesellschaft sind.

 

Essentiell für die Stärkung des Vertrauens namentlich in die Polizei wird dabei sein, dem Eindruck einer Zwei-Klassen-Justiz entgegenzuwirken und endlich wirksame Maßnahmen zur Verfolgung von Delikten durch Polizeibeamte zu ergreifen. So führen derzeit Verfahren wegen Gewaltausübung und Aussetzung in gerade einmal zwei Prozent der Fälle zu Anklage bzw. Strafbefehl. Die Opfer rechtswidriger Polizeigewalt würden durch eine weitere Verschärfung der §§ 113 StGB überdies noch stärker abgeschreckt, sich juristisch zur Wehr zu setzen, nachdem sie in der Praxis bei Anzeigen gegen Polizeibeamte regelmäßig mit Gegenanzeigen wegen Widerstands bzw. tätlichen Angriffs rechnen müssen. Besonders aus dem an der RUB betriebenen Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ werden insofern Lehren zu ziehen sein.

 

Vertrauensbildend könnte weiterhin die flächendeckende Nutzung von Bodycams im Einsatz wirken, zu der bereits international Erfahrungen vorliegen. Sie würde zugleich helfen, Straftaten gegen Polizeibeamte leichter aufzuklären.

 

Besonders wichtig erscheint schließlich die Intensivierung des persönlichen Kontakts zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei. Das Konzept der „Kontaktbeamten“ zum niederschwelligen und freundlichen Austausch auf Augenhöhe muss dabei wieder verstärkt in den Fokus genommen werden. Besondere Bedeutung kommt dabei der Vermittlung des Leitbildes vom „Bürger in Uniform“ in den Schulen zu, in dessen Rahmen sich viele Kontaktmöglichkeiten einrichten lassen dürften.

 

Weitere Strafverschärfungen dagegen dürften die derzeitige Lage kaum verbessern. Sie sind deshalb, insbesondere eingedenk der schon jetzt bestehenden, systematischen Schieflage (s.o.), abzulehnen. Sie stellen letztlich das Eingeständnis eigener Konzeptlosigkeit zur wirklichen Bewältigung des Problems dar. Denkbar ist allenfalls eine Qualifikation für Fälle, in denen Einsatzkräfte gezielt in einen Hinterhalt gelockt werden, um sie dort anzugreifen. Auch dabei sollte freilich klar sein, dass es sich vor allem um eine symbolische Maßnahme handelt und ein Rückgang entsprechender Taten aufgrund einer solchen Strafverschärfung kaum zu erwarten ist.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme