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G-07 Stärkung der Vor-Ort-Apotheken – nicht nur als Garant der qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung

24.03.2023

Die Bundestagsfraktion der SPD wird gebeten, die Vor-Ort-Apotheken zu stärken und die politischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass auch zukünftig die wohnortnahe und professionelle Arzneimittelversorgung der Bürgerinnen und Bürger garantiert wird.

S-06 Kinderhospize stärken und dauerhaft auskömmlich finanzieren

22.03.2023

Der Parteitag der NRWSPD möge beschließen, dass sich die SPD-Fraktion im Landtag NRW, sowie Die SPD-Bundestagsfraktion dafür einsetzt, stationären sowie ambulanten Kinder- und Jugendhospizeinrichtungen eine dauerhafte und auskömmliche Finanzierung zu sichern und Eltern lebensverkürzend erkrankter Kinder adäquat zu unterstützen.

UE-05 Energiewende in kommunalen Strukturen beschleunigen, Strukturen gerade in Klein- und Mittelstädten schaffen und sozialverträglich Zukunft organisieren

22.03.2023

Der Parteitag der NRWSPD möge beschließen, dass die SPD-Fraktion im Landtag NRW sowie die SPD-Bundestagsfraktion sich dafür einsetzt:

 

A) Netzausbau in Klein- und Mittelstädten

  • Es sollen Förderprogramme zum Ausbau der Stromnetze angestoßen werden, die durch Vermaschung und Digitalisierung auf allen Ebenen (Hoch,- Mittel- und Niederstromnetze), gerade unter Einbeziehung kommunalen Anbieter und Netzbetreiber, auf den Transport und Austausch Grünen Stroms ausgerichtet sind. In ihrer Förderstruktur müssen diese Programme die Zusammenarbeit von kommunalen Strom- und Netzanbietern gerade in Klein- und Mittelstädten im ländlichen Raumfördern und sie in die Lage versetzen gerade in den von ihnen betreuten Netzen die Umstellungen möglich zu machen.

 

B) Strategien für nachhaltige Mobilität

  • Aufzulegen sind Programme und Regelungen, die mit zwei Strategien Mobilität gerade auch im ländlich geprägten Raum sozialverträglich (d. h. auch für Personen mit niedrigem Einkommen) und nachhaltig sicherstellen:
    (B.1) Der ÖPNV muss konsequent und ebenfalls vernetzt ausgebaut werden. Hier dürfen Kommunen gerade in nichturbanen Regionen nicht allein gelassen werden. Zum einen muss der innerörtliche aber auch der regionalvernetzte öffentliche Personenverkehr mit Bussen und Bahnen schnell ausgebaut werden. Stillgelegte Trassen für die Bahn sind umgehend zu reaktivieren, Entwidmungen rückgängig zu machen. Alternative Verkehrsträger, wie On Demand-Systeme (vom Carsharing bis E-Lastenradstrukturen, von Abruftransporten hin zu Sammeltaxensystemen) sind aus der Erprobungsphase in flächendeckende und verlässliche Strukturen zu überführen und dort, wo sie noch nicht eingeführt sind, zu etablieren.
  • (B.2) In der Fläche ist die Zusammenarbeit von oft lokal aufgestellten Verkehrsbetrieben über die Gebietskörperschaften zu fördern und die Zersplitterung aufzulösen.
  • (B.3) Die Anbieter und Halter kommunaler Netzinfrastruktur müssen im Ausbau von Ladeinfrastruktur deutlich gestärkt Eine Beschleunigung im Bereich von Faktur 400 pro Jahr wäre nötig, um bis 2035 ein Minimum an Ladeinfrastruktur möglich zu machen. Dabei geht es nicht allein um Wallboxen oder Ladesäulen, sondern um den dahinterliegenden Netzausbau im weitesten Sinne.

 

C) Schaffung von Modellregionen in NRW für eine Energiesynchronisation im ländlichen Raum für das Zusammenwirken von produzierender Industrie, Energiewirtschaft und Gesellschaft

  • Auch in NRW sind umgehend Modellregionen aufzubauen, in denen Ergebnisse der Forschung, z.B. aus der „Energieflexiblen Modellregion Augsburg“ umgesetzt werden, damit eine regionale Energiesynchronisation durch das Zusammenwirken von produzierender Industrie, Energiewirtschaft und Gesellschaft Es gilt durch strategische Förderprogramme die entwickelten Methoden gezielt in kleinen und mittleren Unternehmen zur Anwendung zu bringen. Hierbei wird insbesondere auf das Lastmanagement-Potential gezielt. Diese Analysen sollen helfen, die Chancen der Energiewende für solche Unternehmen sichtbar zu machen.
    Dies bedeutet auch, dass Arbeitszeitenregelung neu verhandelt werden müssen. Hier ist insbesondere der familien- und sozialverträglichen Ausgleich Bedingung.

S-05 Kinderschutzambulanzen flächendeckend etablieren und dauerhaft auskömmlich finanzieren

22.03.2023

Der Parteitag der NRWSPD möge beschließen, dass sich die SPD-Fraktion im Landtag NRW sowie die SPD-Bundestagsfraktion dafür einsetzen, Kinderschutzambulanzen flächendeckend und fachlich standardisiert zu etablieren sowie eine dauerhafte und auskömmliche Finanzierung zu sichern.

S-04 Solidarische Alterseinkünfte. Ein Vorschlag zur Reform der Rentenversicherung

22.03.2023

Den Inhalt des folgenden Antrags, der auf den Bundesparteitag eingereicht werden soll, mit organisatorischer Unterstützung des Landesverbandes, auf breiter Ebene zu diskutieren und somit auch durch weitere Fachexpertisen im besten Falle untermauern zu lassen.

 

  1. Das einzige bestehende System der sozialen Sicherung in Deutschland, das alle Menschen ohne Ansehen der Person und deren Einkommen oder Vermögen erfasst, ist das des Kindergeldes. Alle Eltern oder sonst Erziehungsberechtigten kommen ausnahmslos in den Genuss dieser staatlichen Zuwendung und erhalten sie – längstens – bis zum Erreichen des 25. Lebensjahr des Kindes. Hier liegt also die Chance, alle Menschen in das Rentensystem einzubinden, wenn es auch erst auf lange Sicht Erfolge zeitigen wird.
  2. Folgendes Vorgehen sollte ab einem noch festzusetzenden Stichtag gewählt werden:

 

  • Das Kindergeld wird nicht länger als Zuschuss für die Eltern / Erziehungsberechtigten, sondern als Einkommen des Kindes betrachtet (natürlich mit den entsprechenden Zugriffsrechten für die Eltern / Erziehungsberechtigten)
  • Das Kindergeld wird um einen noch festzusetzenden Betrag (z.B. 50 € mtl.) erhöht. Dieser Betrag ist entsprechend der jeweiligen Inflationsrate zu dynamisieren, wird allerdings nicht an das Kind ausgezahlt, sondern an die Rentenkasse abgeführt.
  • Mit diesem Rentenbeitrag erwirbt also der Säugling bereits einen – wenn auch sehr geringen – Rentenanspruch.
  • Daher wird der ohnehin vom Staat in die Rentenkasse abzuführende Steuerzuschuss in Form des erhöhten Kindergeldes dazu verwendet, weitere Beitragszahler in das Rentensystem einzubeziehen.
  • Das zu erlassende Gesetz ist so zu formulieren, dass die so ausgestatteten Kinder dauerhaft in der Solidargemeinschaft der Rente verbleiben und einen ihrem Einkommen entsprechenden Beitrag bei Wegfall der Bemessungsgrenze leisten müssen.
  • Mit Eintritt der Volljährigkeit hat somit jeder Mensch in Deutschland bereits einen Beitrag in Höhe von rd. 11.500 € als Rentenbeitrag eingezahlt.
  • Mit Eintritt in das Erwerbsleben ist der Rentenbeitrag (s.o.) weiter zu zahlen. Die Tarifparteien sind gehalten, diese Regelung bei den Tarifabschlüssen zu berücksichtigen.
  • Bei allen Transferleistungen (wie z. B. Bafög, Hilfe zum Lebensunterhalt, Erziehungsgeld usw.) ist jeweils ein prozentualer Rentenbeitrag zu berücksichtigen.
  • Alle zu einem späteren Zeitpunkt in das Rentensystem eintretende Rentenanwärter sind gehalten, die je nach ihrem Alter bisher fiktiv angefallenen Beiträge sukzessive nachzuentrichten. Sie werden durch den Staat den hier Geborenen für die Kindergeldbezugszeit gleichgestellt.
  • Rentenbeiträge sind von allen Einkunftsarten abzuführen.
  • Das Finanzierungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung ist unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen so einzustellen, dass ein Mindestrentenniveau erreicht wird, das deutlich über die derzeit gültige Grundsicherung hinausgeht.
  • Berufsständische und sonstige privatrechtlich organisierte Organisationen bleiben weiterhin eine Option, Altersbezüge oberhalb des vorstehend genannten Mindestrentenniveaus zu erlangen.

 

Folgende Punkte sind wichtig hervorzuheben:

 

Das Rentensystem ist so umzugestalten, dass ab einem noch festzusetzenden Stichtag alle Neugeborenen Mitglied in diesem System werden und darin auch dauerhaft verbleiben.

 

Für die Dauer des Kindergeldbezuges übernimmt die Bundesrepublik Deutschland die Beitragszahlung.

 

Das Niveau der solidarischen Alterseinkünfte ist nach 67 Jahren deutlich über den Betrag der Grundsicherung anzuheben.

 

Es wird festgestellt, dass die Altersversorgung nicht ohne steuerliche Unterstützung auskommen wird.

IR-05 Armut darf nicht bestraft werden

21.03.2023

Wer in Deutschland eine Geldstrafe nicht zahlen kann oder nicht zahlen möchte, muss ins Gefängnis. § 43 StGB normiert, dass an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe tritt, wobei ein Tagessatz der Geldstrafe einem Tag Freiheitsstrafe entspricht.

 

Wer ist vornehmlich von der Ersatzfreiheitsstrafe betroffen?

 

Zumeist trifft die Ersatzfreiheitsstrafe Menschen, die nicht in der Lage sind, die Geldstrafe zu bezahlen. Dies sind vor allem Menschen, die wohnungs- oder obdachlos und oftmals psychisch krank sind. Viele haben eine Migrationsgeschichte, viele sind gar nicht mehr arbeitsfähig. Es sind Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die begangenen Delikte, aufgrund derer die Geldstrafe verhängt wurde, sind oftmals „Armutsdelikte“, wie der Ladendiebstahl einer Flasche Vodka aufgrund einer Suchtkrankheit oder das sogenannte Erschleichen von Leistungen, indem man den öffentlichen Nahverkehr ohne gültigen Fahraus- weis nutzt. Diese Delikte werden dann häufig mit Geldstrafen geahndet, da das Gericht der Meinung ist, dass die Schwere des Deliktes nicht ausreicht, um eine Freiheitsstrafe zu verhängen. Kann man die Geldstrafe nicht bezahlen, landet man gem. §43 StGB doch im Gefängnis. Obwohl es dazu ja gerade nicht kommen sollte. Dies geschieht durch einen Strafbefehl, ein schriftliches Urteil in Abwesenheit, der von einem Richter oder einer Richterin abgenickt wird. Dieser wird an die letzte bekannte Adresse der beschuldigten Person geschickt. Nach 2 Wochen wird dieser Strafbefehl rechtskräftig, die beschuldigte Person ist nun ohne möglichen Rechtsbehelf verurteilt. Ohne jemals vor einem oder einer Richterin gestanden haben zu haben, ohne jemals die Möglichkeit gehabt zu haben, dass das Gericht sich die Person und ihre individuelle Lebensgeschichte anschaut, möglicherweise eine verminderte Schuldfähigkeit oder sogar die Schuldunfähigkeit feststellt. So landen regelmäßig psychisch kranke, stark demente, stark des- orientierte oder auch drogenabhängige Menschen in Gefängnissen. Menschen, die den Brief womöglich gar nicht gelesen haben. Viele hat dieser Brief aufgrund einer alten Adresse niemals erreicht, viele sind durch starke psychische Belastung nicht in der Lage sich damit auseinanderzusetzen. Diese Menschen brauchen Unterstützung durch das Sozialsystem. Und vor allem keine Freiheitsstrafe.

 

Zahlen und Fakten zur Ersatzfreiheitsstrafe

 

Die Zahl normaler Freiheitsstrafen ist rückläufig, doch die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen steigt. Und das enorm. Seit 2003 stieg die Zahl an Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, um 25% – Es sind so viele wie noch nie. Jedes Jahr müssen etwa 100.000 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten, das sind mehr als die Hälfte (!) aller jährlichen Haftantritte. Es kann somit festgehalten werden, dass jedes Jahr die Bevölkerung einer kleinen Großstadt inhaftiert wird, um Schulden abzusitzen. Da die Ersatzfreiheitsstrafen meist nur kurz sind, oftmals wenige Wochen, herrscht ein reger Wechsel in den Gefängnissen. So machen Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen etwa 10% aller Ge fängnisinsassen aus. Dass kurze Freiheitsstrafen der Resozialisierung enorm entgegenlaufen und häufig Menschen noch mehr in die Kriminalität treiben, ist so- gar dem Gesetzgeber aufgefallen. So normiert § 47 StGB, dass kurze Freiheits- strafen, also Freiheitsstrafen unter 6 Monaten, nur in Ausnahmefällen verhängt werden sollen. Ersatzfreiheitsstrafen liegen oft unter 6 Monaten und sind dabei meist so kurz, dass erst gar keine Resozialisierungsmaßnahmen vorgenommen werden.

 

Ein Hafttag kostet den Staat und die Länder dabei etwa 150€, in manchen Bundesländern 170€.

 

Dazu ein Beispiel: Erhält ein Mensch für das Fahren ohne Fahrschein (§ 265a StGB) 30 Tagessätze Geldstrafe und kann dann diese Geldstrafe nicht zahlen, geht er gem. § 43 StGB für 30 Tage ins Gefängnis. Das kostet den Staat bei 150€ pro Hafttag dann 4.500€. Für ein nicht gekauftes Ticket, das vielleicht 3€ gekostet hätte. Problematisch ist dabei zusätzlich, dass der Großteil dieses Geldes nicht in Sozialmaßnahmen, wie die Einstellung von mehr Krankenpfleger*innen oder Sozialarbeiter*innen fließt, sondern in die teuren Sicherheitsvorkehrungen der Gefängnisse. Dieses Geld könnte an anderen Orten, wie dem Sozialsektor, deutlich besser investiert werden. Zum Beispiel in die Verbesserung der Unterstützung für Arbeits-, Wohnungs- oder Obdachlose. In einen Ausbau sozialer Anlaufstellen.

 

Schwitzen statt Sitzen

 

Es gibt zwar die Möglichkeit, statt des Antretens der Ersatzfreiheitsstrafe gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Dies kommt allerdings für viele Betroffene gar nicht in Betracht. Viele der Beschuldigten sind aufgrund körperlicher oder psychischer Krankheiten gar nicht in der Lage, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Viele sind schon lange arbeitsunfähig. Außerdem scheitert es häufig bereits an der Bürokratie. „Schwitzen statt Sitzen“ kann man nur auf Antrag. Der muss zunächst einmal gestellt werden, was eine große Hürde darstellt.

 

Es geht auch ohne Ersatzfreiheitsstrafe

 

Viele andere Länder kommen ohne das Instrument der Ersatzfreiheitsstrafe aus, wie zum Beispiel Italien. Italien ist hierbei interessant, da das Verfassungsgericht Italiens die Ersatzfreiheitsstrafe bereits in den 1970er Jahren als verfassungswidrig einstufte.

 

Oftmals wird von Befürwortern der Ersatzfreiheitsstrafe vorgebracht, dass ohne diese die Zahlungsunwilligen, also die, die die Geldstrafen bezahlen können, aber nicht wollen, ohne die Ersatzfreiheitsstrafe ihre Geldstrafen nicht mehr bezahlen würden. Dies ist jedoch aus der Luft gegriffen, da es hierfür keine Evidenz gibt. Zudem könnte man dieser Sorge mit einer konsequenteren Vollstreckung effektiv entgegenwirken, beispielsweise über die Vollstreckungsmöglichkeiten der Steuerverwaltung. Die „Abschreckungswirkung“ der Ersatzfreiheitsstrafe kann dann dahinstehen.

 

Fazit

 

Die Ersatzfreiheitsstrafe bestraft Menschen dafür, dass sie arm sind. Menschen begehen Armutsdelikte, um ihren Hunger, Durst oder ihre Sucht zu befriedigen. Sie fahren ohne Fahrschein, weil sie sich diesen nicht leisten können. Und wenn sie sich dann die Geldstrafe nicht leisten können, müssen sie ins Gefängnis. Ohne jemals eine*n Richter*in gesehen zu haben. Das ist absurd.

 

Wir begrüßen den Ansatz der Ampel-Regierung, das Verhältnis von Tagessätzen zu Ersatzfreiheitsstrafe zu halbieren, dass also ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tagessätze tilgt. Damit ist es jedoch noch lange nicht getan.

 

Deswegen fordern wir:

 

  • Kurzfristig:
    • eine Umrechnung von drei Tagessätzen zu einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe.
    • eine Anhörung vor einer*m Richter*in, die die Ersatzfreiheitsstrafe anordnen müssen.
    • die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten, wie dem Erschleichen von Beförderungsleistungen gem. § 265a StGB, mit weiteren Maß- nahmen zur Verhinderung von Erzwingungshaft.
    • stärkerer Ausbau gemeinnütziger Arbeitsstellen, in welchen die Geldstrafe abgearbeitet werden kann. Insbesondere für Arbeitsstellen, die eine besondere Betreuung gewährleisten, um die Zugänglichkeit und den Kreis der angesprochenen Personen zu erweitern
    • verstärkte Ausgabe von Sozialtickets für den ÖPNV
    • Resozialisierungsmaßnahmen wie psychosoziale Unterstützung, auch bei kurzen Haftstrafen
  • Langfristig die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und die Ersetzung durch ein System, das auf Reintegration in die Gesellschaft zielt.
  • Begleitend fordern wir mehr Investitionen in den sozialen Sektor, damit Menschen gar nicht erst zu einer Ersatzfreiheitsstrafe getrieben werden, insbesondere
    • ein breiteres Angebot für psychisch kranke Menschen, das kosten- los und barrierefrei zugänglich sein muss.
    • eine stärkere Unterstützung für wohnungs- und obdachlose Menschen, durch Finanzierung von (Not-) Unterkünften (Housing-First- Ansatz)
    • einen gesicherten Zugang zu Essen und Trinken durch staatliche Maßnahmen
    • Keine Vertreibung von obdach- und wohnungslosen Menschen von öffentlichen Plätzen

Ar-02 Heute für die Fachkräfte von morgen sorgen – die sozialdemokratische Antwort auf den Fachkräftemangel

21.03.2023

Ausgangslage

 

Die bundesrepublikanische Wirtschaft und die nordrhein-westfälische im Speziellen sind angewiesen auf Fachkräfte. Egal ob in der Industrie, im Handwerk, im Einzelhandel, in der Bildung, in den sozialen Berufen oder in der Pflege – unser Wohlstand wird von den vielen Arbeitnehmer:innen erwirtschaftet und gesichert, die den Laden jeden Tag am Laufen halten. Umso besorgniserregender ist es, dass in ganz verschiedenen Branchen ein zunehmender Fachkräftemangel sowie ungenügendes Engagement bei der Sicherung von Fachkräften zu beobachten ist. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen merken das schon jetzt auf ganz individueller Ebene, wenn sie wochenlang auf einen Handwerker:innentermin warten; wenn sie die Kinderbetreuung privat organisieren müssen, weil die Kitas die Öffnungszeiten verkürzen; wenn der Zug ausfällt oder wenn sie keinen Pflegeplatz für ihre Angehörigen mehr finden. Diese individuellen Erfahrungen sind oft leider keine Einzelphänomene mehr, sondern Ausdruck eines sich verschärfenden Fachkräftemangels, der auf volkswirtschaftlicher Ebene unser Wachstum und unseren Wohlstand gefährdet.

 

Der dringende Handlungsbedarf wird auch durch einen Blick auf die Zahlen deutlich. Bereits für das Jahr 2021 wies das ‚Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung‘ (KOFA) eine Fachkräftelücke von 53.880 qualifizierten Arbeitnehmer:innen allein für Nordrhein-Westfalen aus. Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem letzten Jahr beziffert die Kosten je fehlender Fachkraft pro Jahr auf 86.000 Euro. Setzt man diese Zahlen zueinander in Verbindung, dann reden wir allein für das Jahr 2021 von über 4,6 Mrd. Euro an Kosten für das Land NRW aufgrund fehlender Fachkräfte. Die Megatrends Demographie, Digitalisierung und Dekarbonisierung verschärfen die beschriebene Entwicklung. Allein schon mit Blick auf die dringend notwendige Energiewende, die besonders für das Industrieland Nordrhein-Westfalen von Bedeutung ist, kann man festhalten: Diese wird vielleicht an Konferenztischen erdacht, aber sie wird von vielen Handwerker:innen gemacht. Kein Windrad entsteht durch warme Worte und keine Solaranlage setzt sich von alleine aufs Dach. Dafür braucht es Fachkräfte. Gleiches gilt für die Mobilitätswende, die im Stau stecken bleibt ohne Ingenieur:innen, die neue Brücken planen oder den Betrieb auf den Schienen am Laufen halten. Aber auch was die Berufe in der Pflege und der Erziehung angeht, ist der Fachkräftemangel ein Problem für den Respekt und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, weil sich menschliche Bedürfnisse eben nicht nach gerade verfügbaren Fachkräften richten.

 

Hier sind wir gerade als Sozialdemokratie gefragt, durch kluges politisches Handeln den Wohlstand von morgen zu sichern, die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben und die Gesellschaft dabei zusammenzuhalten. All diese Herausforderungen hängen mit dem Fachkräftemangel zusammen. Für uns als NRWSPD ist dabei klar, dass wir dieses Thema konsequent aus der Sicht der Beschäftigten angehen. Denn so real die beschriebenen Herausforderungen sind, die sich aus den tatsächlich vorhandenen Engpässen an Fachkräften ergeben, so sehr wissen wir ebenso, dass nicht überall, wo Fachkräftemangel draufsteht, auch Fachkräftemangel drin ist. Hinter so manchen Klagen über angeblich fehlende Fachkräfte stecken manchmal ganz andere Gründe, z.B. schlechte Arbeitsbedingungen und Entlohnung, die mangelnde Ausbildungsbereitschaft mancher Unternehmen und der Wunsch nach Bestenauslese einerseits und billiger Arbeitskraft andererseits. Da passen Worte und Taten nicht immer zusammen. Auch Politik und öffentliche Hand müssen sich hier an die eigene Nase fassen. Die Jahrzehnte des Spardiktats und der mangelnden Zukunftsinvestitionen haben auch für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu einer höheren Arbeitsverdichtung und an den meisten Stellen zu einer deutlichen Ausweitung der Aufgaben geführt. Unsere Kolleg:innen in den Gewerkschaften weisen in ihren aktuellen Streiks zu Recht darauf hin. Wo die Belastung immer höher geworden und die Attraktivität immer mehr gesunken ist, darf man sich nicht über einen vermeintlichen Fachkräftemangel beschweren. Der öffentliche Dienst eine wichtige Säule zur Organisation des Gemeinwesens, der Vergabe von Aufträgen und vielem mehr. Massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind dringend notwendig und diese können nur umgesetzt werden, wenn die öffentliche Hand – gerade auch in den Kommunen – ein attraktiver Arbeitgeber ist. Die Realität ist aber, dass Stellen für Techniker:innen, Ingenieur:innen und viele andere Berufe in Kommunen, aber auch anderen Ebenen, bereits heute nicht mehr annähernd besetzt werden können. Das führt zur Unzufriedenheit mit staatlichen Stellen, weil (Bau-)Projekte nicht umgesetzt werden können und Serviceangebote leiden.

 

Überall dort, wo tatsächlich Fachkräftemangel herrscht, entsteht zunehmend ein Be-werber:innenmarkt. Es sind dort nicht mehr die Unternehmen, die sich die besten Arbeitnehmer:innen aussuchen, sondern es sind die Arbeitnehmer:innen, die sich die besten Unternehmen aussuchen können. Diese Entwicklung birgt das Potential, dass die Rolle der Beschäftigten nachhaltig gestärkt wird, wenn es der Arbeiter:innenbewegung gelingt, solidarisch zu bleiben und sich nicht auseinander dividieren zu lassen, nach dem Motto: Wenn jede:r für sich verhandelt, ist an alle gedacht. Gemeinsam mit unsere Kolleg:innen in den Gewerkschaften wollen wir genau dafür sorgen. Denn Solidarität wird mehr denn je gefragt sein, wenn die Schere zwischen gut qualifizierten Fachkräften einerseits und ungelernten Arbeitskräften andererseits weiter auseinandergehen wird. Es darf keine Beschäftigten zweiter Klasse geben. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass schon beim Übergang von der Schule in den Beruf kein junger Mensch auf der Strecke bleibt und genauso müssen wir den bestehenden Beschäftigten durch eine entsprechende Weiterbildungsinfrastruktur lebenslang die Möglichkeit für eine neue berufliche Perspektive offen halten.

 

Vor allem in Pflege, Gesundheits- und Erziehungsberufen führt der dramatische Fachkräftemangel zu einem Anstieg von Leiharbeit, deren Anbieter mit Anreizen wie höherem Gehalt, flexibleren Arbeitszeiten und weiteren Boni immer öfter die vorhandenen Fachkräfte an sich binden können. Die Folgen sind nicht nur die erhöhte finanzielle Belastung der freien Träger und Dienstleister, sondern auch erhöhte Belastung des Stammpersonals und ultimativ der Abbau von Angeboten in Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Daher braucht es eine weitergehende gesetzliche Reglementierung von Leiharbeit, um sowohl die Auswirkungen des Fachkräftemangels als auch die Arbeitsbedingungen in diesen Sektoren nicht noch weiter zum Negativen zu verschärfen.

 

Schließlich wollen wir dafür sorgen, dass die Produktivitätssteigerungen nicht nur auf die Seite des Kapitals, sondern auch auf die Seite der Arbeit einzahlen. Die Beschäftigten sollen von der gesteigerten Produktivität in Form höherer Löhne und besserer Arbeitsbedingungen profitieren. Insbesondere die Diskussionen um eine andere Art der Verteilung der Arbeit, um Arbeitszeitverkürzung bis hin zur 4-Tage-Woche weisen hier in die richtige Richtung.

 

Um die beschriebenen Entwicklungen gestalten zu können, braucht es eine aktive Politik, die das Thema Fachkräftemangel in seiner Breite erfasst. Diese sieht für uns wie folgt aus.

 

Handlungsfelder

 

Deutschland zu einem wirklichen Einwanderungsland machen

 

Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland, hat sich aber viel zu lange nicht wie eines verhalten. Dabei wäre der bundesrepublikanische Wohlstand ohne die Generationen der sogenannten „Gastarbeiter:innen“ nicht denkbar gewesen. Auch in Zukunft wird die Bundesrepublik auf Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sein. Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit spricht von einer Einwanderung von 400.000 Menschen pro Jahr, die nötig wäre, um die Zahl der Erwerbstätigen stabil zu halten. Um das zu ermöglichen, braucht es nicht nur das klare Bekenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, sondern auch konkrete politische Maßnahmen. Dabei ist es wichtig, die Menschen, die nach Deutschland kommen, nicht als reine Arbeits- und Fachkräfte zu betrachten oder sie als vermeintlich billige Arbeitskräfte gegen bereits hier Beschäftigte auszuspielen. So setzen wir uns unter anderem für eine konsequente Verfolgung und für strenge Kontrollen der Vermittlungsagenturen ein, wo ausländische Arbeitskräfte als Saisonarbeiter:innen oder in der häuslichen Pflege ausgebeutet werden, um nur ein Beispiel zu nennen. Um zu einer echten Willkommenskultur zu kommen, reichen keine warmen Worte.

 

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir das neue, geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung, dass die Hürden zur Einwanderung senkt und neben Fachkräften sowohl Menschen mit langjähriger Berufserfahrung als auch jungen Menschen eine berufliche Perspektive in Deutschland eröffnet. Damit die guten Regelungen des Entwurfes auch in der Praxis umgesetzt werden können, braucht es mehr Personal in den deutschen Konsulaten, um die Visavergabe zu beschleunigen sowie zusätzliches Personal in den kommunalen Ausländerbehörden. Auch landesweite Anlaufstellen sind ein probates Mittel beim Fachkräftezuzug.

 

Neben dem geplanten Gesetz braucht es aus unserer Sicht weitere Anstrengungen. Dazu gehört insbesondere eine bessere, unbürokratischere und deutlich schnellere Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen und (Akademischen-) Abschlüssen. Zu viele gut ausgebildete Menschen, die nach Deutschland kommen, arbeiten hier oft unterhalb ihres Qualifikationsniveaus, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. In diesem Zusammenhang braucht es auch einen leichteren Zugang zu Ausgleichsmaßnahmen und Anpassungsqualifizierungen. Ebenso sprechen wir uns für einen unbürokratischen Familiennachzug sowie für einen flächendeckenden Zugang zu Sprachkursen aus.

 

Neben dem eigentlichen Fachkräftezuzug muss es uns aber auch gelingen, den Menschen, die zu uns geflüchtet sind, einen besseren Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hierzu sind die Maßnahmen des Koalitionsvertrags auf Bundesebene zügig umzusetzen. Dazu gehört für uns die Abschaffung von Arbeitsverboten, die Ermöglichung eines Spurwechsels aus dem Asylsystem in die Arbeitsmigration sowie ein vereinfachter Zugang zum Bleiberecht für Geduldete.

 

Und schließlich geht es auch um die Menschen, die bereits hier sind – teilweise seit Jahrzehnten oder in zweiter und dritter Generation – und die sich immer noch mit rassistischen Ressentiments konfrontiert sehen. Denn auch beim Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt hängen die eigenen Chancen nach wie vor viel zu sehr davon ab, wie der eigene Vorname lautet oder in welchem Viertel man wohnt.

 

Raus aus der Teilzeitfalle – Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen

 

Um alle Potentiale am Arbeitsmarkt zu heben, muss es außerdem gelingen, die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter zu erhöhen. Zwar ist es in den letzten zwei Jahrzehnten gelungen, die Erwerbstätigenquote von Frauen deutlich zu steigern. Zu viele weibliche Beschäftigte, nämlich fast die Hälfte, arbeiten jedoch noch immer in Teilzeit mit den entsprechenden Folgen bei Entlohnung und Altersvorsorge. Von einer wirklichen Gleichstellung kann hier keine Rede sein. Diese wäre erreicht, wenn die Frage nach dem Ob und der Dauer der Beschäftigung eine freie, individuelle Entscheidung wäre und nicht aus Mangel an Alternativen getroffen wird. Um das zu ändern, müssen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern, deren Mangel immer noch einer der Hauptgründe für die sogenannte Teilzeitfalle ist. Tatsächlich schlägt hier der Fachkräftemangel doppelt zu. Fehlende qualifizierte Erzieher:innen und damit fehlende Betreuungsmöglichkeiten führen in der Praxis häufig dazu, dass vor allem Frauen die Kinderbetreuung privat organisieren oder selbst übernehmen müssen und so nicht die Möglichkeit haben, einer eigenen Beschäftigung nachzugehen. So verstärkt der Fachkräftemangel bei den Erzieher:innen und besonders die dramatische Situation in der frühkindlichen Bildung zugleich den allgemeinen Fachkräftemangel. Ähnliches gilt bei der selbst geleisteten Pflege von Angehörigen. Hier braucht es also einen verstärkten Ausbau der Betreuungsangebote und Pflegeplätze und die Inanspruchnahme darf dabei keine Frage des eigenen Geldbeutels sein. Außerdem müssen weitere politische Anreize gesetzt werden, um die Care-Arbeit gerechter aufzuteilen. Dazu gehören für uns eine Neuregelung der Elternschutzzeit, die die Regelungen des sogenannten Mutterschutzes auf die:den Partner:in überträgt. Auch die Elternzeit sollte dahingehend überarbeitet werden, dass eine gleichmäßige Aufteilung finanziell stärker gefördert wird. In diesem Zusammenhang bekräftigen wir unsere Ablehnung des sogenannten Ehegattensplittings und begrüßen die Pläne der Ampel-Regierung für eine Weiterentwicklung der Familienbesteuerung. Neben diesen familienpolitischen Steuerungsmaßnahmen müssen auch die Arbeitgeber:innen stärker in die Pflicht genommen werden. Dazu sind die noch bestehenden Hürden bei der Brückenteilzeit abzusenken, sodass mehr Beschäftigte vom Rückkehrrecht profitieren können. Außerdem braucht es flexiblere und familienfreundliche Arbeitszeiten sowie eine verstärkte Möglichkeit zum Homeoffice. Und selbstverständlich müssen die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern endlich der Vergangenheit angehören.

 

Die Erfahrung älterer Fachkräfte länger nutzen

 

Nicht nur bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen gibt es mit Blick auf den Fachkräftemangel noch Verbesserungsbedarf. Wir wollen darüber hinaus auch langjährigen Fachkräften die Möglichkeit geben, länger in ihrem Beruf zu arbeiten und ihre Erfahrung zur Verfügung zu stellen. Hierzu sind ebenfalls entsprechend flexible Arbeitszeiten und mehr Homeoffice zu ermöglichen sowie Teilzeitangebote in den Fällen, in denen diese gewünscht oder eine Vollzeit nicht mehr leistbar ist. Vorstellbar sind für uns auch ausgeweitete Regelungen der Urlaubstage, um die Möglichkeiten der Regeneration zu erhöhen. Die Angebote zur Gesundheitsprävention sollten außerdem bereits früh im Erwerbsleben greifen und ausgebaut werden, um eine lange gesunde Erwerbstätigkeit zu sichern. Und um auch langjährige Beschäftigte in der Transformation der Arbeitswelt nicht allein zu lassen, können zielgruppenspezifische Weiterbildungsangebote helfen. Mit einem ganzen Mix aus Maßnahmen kann es so gelingen, erfahrene Fachkräfte nicht frühzeitig aus dem Arbeitsmarkt zu verlieren. Forderungen nach einem höheren Renteneintrittsalter erteilen wir an dieser Stelle jedoch eine klare Absage.

 

Alle Potentiale nutzen – für einen inklusiven Arbeitsmarkt

 

Wenn wir im Zusammenhang des Fachkräftemangels über die Erwerbsbeteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppe sprechen, dann geht es nicht an, dass eine Vielzahl von Mitgliedern mancher Gruppen faktisch keinen echten Zugang zum Arbeitsmarkt erhält. Teilhabe am Arbeitsmarkt bedeutet immer auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und jede:r hat ein Recht darauf.

 

Deshalb ist es für uns inakzeptabel, dass die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderung immer noch deutlich unter der Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung liegt. Im Jahr 2019 lag diese lediglich bei knapp 57 Prozent, während die Erwerbsquote von Menschen ohne Behinderung bei 82 Prozent lag. Wir begrüßen vor diesem Hintergrund das auf Bundesebene verabschiedete Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts, das die Arbeitgeber:innen durch höhere Ausgleichsabgaben stärker in die Pflicht nimmt. Auch das in der letzten Legislatur beschlossene Teilhabestärkungsgesetz wies in die richtige Richtung. Aber es braucht darüber hinaus weitere Maßnahmen zur konsequenten Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

 

Sicherheit im Wandel geben durch lebenslanges Lernen

 

In einer sich stetig und mit zunehmender Geschwindigkeit wandelnden Arbeitswelt haben Maßnahmen zur Umschulung, Weiterbildung und Qualifizierung für alle Beschäftigten einen hohen Stellenwert. Die Vorstellung, in jungen Jahren einen Beruf zu erlernen und diesen dann 45 Jahre lang so wie einmal gelernt auszuüben, ist nicht mehr zeitgemäß. Einzelne Berufe und ganze Branchen verändern sich rasant, manche Berufsbilder fallen ganz weg und auf der anderen Seite entstehen ganz neue Berufe, was auch eine Anpassung der Ausbildungsgänge erfordert. Um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten, braucht es eine entsprechende Weiterbildungsinfrastruktur, die allen Beschäftigten über die gesamte Dauer ihres Erwerbslebens berufliche Perspektiven eröffnet, im Wandel Sicherheit gibt und niemanden im Stich lässt. Besonders müssen hier auch die hunderttausenden Menschen, die sich in der Landzeitarbeitslosigkeit befinden, mit in den Blick genommen werden. Zurzeit haben wir es zu oft noch mit einem Flickenteppich aus einzelnen Weiterbildungsmaßnahmen zu tun, die in unterschiedlichen Trägerschaften angeboten werden. Hier sind wir als Politik gefragt, eine öffentliche Weiterbildungsinfrastruktur aufzubauen, die den beschriebenen Anforderungen gerecht wird. Wir halten dafür vor allem die Berufskollegs für geeignet, die schon jetzt eine Vielzahl an Bildungswegen ermöglichen und im Umgang mit Heterogenität erfahren sind. Sie wollen wir zu Transformationszentren weiterentwickeln. Um nicht nur Fachkräfte einmal neu zu gewinnen, sondern sie immer wieder als Fachkräfte zu erhalten und auch um gering qualifizierten Beschäftigten neue Perspektiven zu eröffnen, müssen wir deshalb unsere Anstrengungen intensivieren. Unser Ziel bleibt ein umfassendes Recht auf Weiterbildung. Dazu ist konkret die geplante Einführung einer Bildungs(teil)zeit auf Bundesebene ein wichtiger Schritt zur Förderung selbstorganisierter Weiterbildung. Wir unterstützen in diesem Zusammenhang die Forderungen des DGB, die Förderhöchstdauer zu erhöhen sowie den Fokus auf die Förderung geregelter Bildungsgänge- und -abschlüsse zu legen. Auch der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Freistellung im Teilzeit- und Befristungsgesetz schließen wir uns an. Neben dieser Maßnahme unterstützen wir ebenso die geplante Einführung eines Qualifizierungsgeldes. Dieses muss so gestaltet sein, dass es in der Breite der betrieblichen Praxis Anwendung findet. Auch die Pläne zum Weiterbildungsgeld sowie der vorgesehene Ausbau des Aufstiegs-BAföGs sind wichtige Schritte hin zu einem umfassenden Recht auf Weiterbildung. Keine notwendige Qualifizierung darf an einer unzureichenden finanziellen Absicherung scheitern.

 

Keinen jungen Menschen zurücklassen – für eine echte Ausbildungsgarantie!

 

Nachbesserungsbedarf sehen wir mit Blick auf die Pläne der Ampel-Koalition bei der Frage der Ausbildungsgarantie, die für uns von hoher Bedeutung bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels ist. Auch wir verstehen unter einer Ausbildungsgarantie ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Im Kern geht es aber um einen Rechtsanspruch für jeden jungen Menschen auf eine vollqualifizierende Berufsausbildung und dieser Rechtsanspruch muss auf Bundesebene kommen. Absoluten Vorrang hat dabei die Vermittlung in eine betriebliche Berufsausbildung. Zu diesem Zweck muss das Angebot an Ausbildungsplätzen in den Betrieben erhöht werden. Erst wenn alle dahingehenden Vermittlungsbemühungen gescheitert sind, greift der Anspruch für jede:n Ausbildungssuchende:n auf eine außerbetriebliche Ausbildung. Diese soll bei einem überbetrieblichen Bildungsträger in Zusammenarbeit mit einem Kooperationsbetrieb stattfinden. Auch hierbei ist das Ziel, dass diese außerbetriebliche Ausbildung spätestens zum zweiten Lehrjahr in eine betriebliche Ausbildung überführt wird. Gelingt dies nicht, besteht der Anspruch auf eine vollqualifizierende dreijährige Berufsausbildung beim überbetrieblichen Träger. Wichtig ist dabei, dass es keine Auszubildenden zweiter Klasse gibt. Die Ausbildungsbedingungen und die entsprechende Vergütung müssen also vergleichbar sein.

 

Darüber hinaus muss eine Ausbildungsgarantie solide finanziert sein. Eine gerechte Finanzierung der Garantie wird aus unserer Sicht in Form eines umlagefinanzierten Fonds erreicht. Die Beiträge für nicht-ausbildende Betriebe müssen über den betrieblichen Ausbildungskosten – je nach Betriebsgröße – liegen, um den Anreiz für die betriebliche Ausbildung zu fördern. Schon heute profitieren alle Betriebe von gut ausgebildeten Fachkräften, allerdings beteiligen sich nur ca. 20 Prozent der Unternehmen an den Kosten, indem sie Ausbildungsplätze anbieten. Ein umlagefinanzierter Fonds schafft hier mehr Gerechtigkeit. Mit ihm sind zwei Ziele verbunden. Zum einen wird damit die betriebliche Ausbildung gestärkt und Ausbildungsbetriebe finanziell besser gestellt. Zum anderen sollen aus dem Fonds die Kosten für zusätzliche inner- und außerbetriebliche Ausbildungsplätze im Rahmen der Garantie finanziert werden, um so das Ausbildungsplatzangebot zu erhöhen. Betriebe, die ausbilden oder Auszubildende aus einer außerbetrieblichen Ausbildung übernehmen, profitieren also von der Umlagefinanzierung, wie sie in ähnlicher Form beispielsweise im Baugewerbe (SOKA BAU) schon lange Praxis ist.

 

Weitere Maßnahmen im Rahmen der Ausbildungsgarantie müssen den Übergang zwischen Schule und Beruf in den Blick nehmen. Allein in NRW waren im September 2022 laut Bundesagentur für Arbeit immer noch 17.006 Bewerber:innen auf Ausbildungssuche. Hinzu kommen circa 40.000 junge Menschen, die in Übergangssystemen geparkt sind und von denen laut DGB NRW viele anschließend keine Berufsausbildung mehr machen. Der “Übergang” wird also für viele zu einem unfreiwilligen Dauerzustand teilweise sogar zur Endstation im Berufsbildungssystem. Ziel muss daher ein systematisches Übergangsmanagement sein, dass keinen jungen Menschen mehr zurücklässt. Vorbildcharakter für andere Bundesländer und die Überlegungen auf Bundesebene hat aus unserer Sicht das in NRW erfolgreiche Programm “Kein Abschluss ohne Anschluss”, das wir hier vor allem in Hinblick auf Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen, weiterentwickeln wollen. Außerdem muss die Berufsorientierung in den Schulen stärker auf die Attraktivität der beruflichen Ausbildung hinweisen und auf die Perspektiven, die sich damit eröffnen. Dafür braucht es in den Schulen aber auch Zeit und entsprechende Kapazitäten für die Lehrkräfte. Die Qualität der Berufsorientierung darf nicht vom bemerkenswerten Einsatz einzelner Lehrer:innen abhängen. Auch sollen die Berufskollegs stärker als Praktikumsorte während der Orientierung in den Fokus rücken. Ausdrücklich begrüßen wir die geplante Stärkung und den Ausbau von Jugendberufsagenturen. Diese sollten aus unserer Sicht flächendeckend in der Bundesrepublik eingeführt bzw. bestehende entsprechend ausgebaut werden und junge Menschen bereits vor dem Schulabgang und dann bis zum Abschluss einer Ausbildung begleiten. Zu ihren Aufgaben gehören eine durchgängige und professionelle Beratung, Hilfe bei der Berufsorientierung und falls nötig auch die Vermittlung von Unterstützungsangeboten und das alles aus einer Hand. Um alle jungen Menschen zu erreichen, ist dabei auch eine aufsuchende Beratung notwendig. Die Jugendberufsagenturen sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben entsprechend personell und finanziell sowie mit den notwendigen Daten auszustatten. Da Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt häufig auch räumlich auseinanderfallen, begrüßen wir ebenso die geplante Mobilitätsprämie, die Auszubildende unterstützt, die fernab des Wohnorts eine Ausbildung aufnehmen. Und damit sich die Auszubildenden dort auch eine Wohnung leisten können, wollen wir Azubiwohnheime weiter stärken.

 

Um die Attraktivität der beruflichen Bildung weiter zu steigern, halten wir außerdem eine konsequente Abschaffung versteckter Ausbildungskosten und eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung sowie der Berufsausbildungsbeihilfe für notwendig. Besonders die Finanzierung der schulischen Ausbildungen gehört hier verbessert. Auch die Maßnahmen der Assistierten Ausbildung sollten gestärkt werden, um allen jungen Menschen den Weg in eine betriebliche Ausbildung zu eröffnen. In dem Zusammenhang sollte ebenso die Möglichkeit zu einer Ausbildung in Teilzeit bekannter gemacht und die Zugangsvoraussetzungen dazu gesenkt werden. Nötig sind schließlich zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung der Verbundausbildung, um die Ausbildungsqualität gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen zu sichern, die nicht die gesamte Bandbreite an Ausbildungsinhalten abdecken können.

 

Unser Ziel bleibt eine wirkliche Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. Ein Meister muss endlich so viel wert sein wie ein Master. Dazu gehört auch, dass die Meisterausbildung wie der Master an der Hochschule kostenfrei wird. Dafür reichen nicht nur warme Worte über eine bessere gesellschaftliche Anerkennung. Berufliche Qualifikationen müssen endlich gleichwertig anerkannt werden und mit ihnen müssen die gleichen Möglichkeiten einhergehen wie mit vergleichbaren akademischen Qualifikationen. Das Ziel ist eine echte wechselseitige Anrechenbarkeit der verschiedenen Qualifikationen, um so zu einer besseren Durchlässigkeit inklusive flexiblerer Ein- und Ausstiege zwischen den Systemen der beruflichen und akademischen Bildung zu kommen. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel darf es keine Abschlüsse erster und zweiter Klasse geben.

 

Fazit

 

Der vorliegende Antrag zeigt nicht nur den Handlungsdruck, der mit Blick auf den Fachkräftemangel besteht, sondern auch den großen Handlungsspielraum und die Breite an Forderungen, mit der wir als Sozialdemokratie dieses Thema angehen. Uns geht es dabei um die Sicherung von nachhaltigem Wachstum und Wohlstand auch in den kommenden Jahrzehnten, vor allem geht es uns aber auch um gute Arbeit und Ausbildung für die Beschäftigten.

O-03 Diskriminierung innerparteilich bekämpfen!

21.03.2023

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass alle Menschen – unabhängig von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, Alter oder sexueller Identität – bei uns politisch mitwirken können und wollen. Vielfalt bringt uns als Gesellschaft und als Partei voran. Diskriminierung hat in unserer Parte in keiner ihrer Ausprägung einen Platz!

 

Deshalb begrüßen wir den Beschluss des Bundesparteitages 2021 und die aktuellen Erarbeitungen im SPD-Parteivorstand für mehr Anti-Diskriminierungsarbeit und ein Awareness-Konzept innerhalb unserer Partei. Wir werden die Vorschläge und Konzepte, die zum nächsten Bundesparteitag aufgelegt werden, anschließend in NRW aufgreifen und konsequent umsetzen.

UE-04 Mit dem Ausstieg einen Einstieg verbinden! Doppelte Geschwindigkeit für gute Arbeit und Energiesicherheit! Mit einem beschleunigten Strukturwandel das Rheinische Revier zur Modellregion der Transformation machen!

20.03.2023

Die SPD und insbesondere die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger im Europäischen Parlament, im Deutschen Bundestag, im Landtag NRW sowie die SPD-Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert:

 

 

  1. Den Fokus beim Strukturwandel auf die Schaffung mitbestimmter und tarifgebundener Arbeitsplätze in den Anrainerkommunen zu legen.
  2. Die Landesregierung NRW weiter aufzufordern, einen Zeit-Maßnahmen-Plan vorzulegen, der eine zeitliche Übersicht der wegfallenden Arbeitsstellen und dafür neu zu schaffenden Arbeitsplätze anhand konkreter Maßnahmen spezifiziert. Bei der Bewertung der Maßnahmen ist neben der Tarifbindung und Mitbestimmung auch die Nettolohnentwicklung pro Kopf im Revier zu betrachten.
  3. Sich dafür einzusetzen, gezielte Programme zur Qualifizierung und Umschulungsmaßnahmen für die Beschäftigten der Braunkohlewirtschaft in Kooperation mit Gewerkschaften und den bergbautreibenden, zuliefernden und energieintensiven Unternehmen sowie deren Zulieferern anzubieten und aktiv auszubauen.
  4. Sich für die Formulierung einer eigenständigen investiven Förderrichtlinie des Bundes (Transformationsrichtlinie) einzusetzen: Viele der bisher mit einem Förderbescheid versehenen Projekte im Rheinischen Revier haben nichts mit einer gelingenden Transformation, dem Aufbau von neuen nachhaltigen Wertschöpfungsketten und der Schaffung von neuen tariflich abgesicherten Industriearbeitsplätzen zu tun. Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die bestehenden Förderrichtlinien nicht zur Unterstützung von Transformationsprozessen geeignet sind. Dadurch kommt es zu einer großen Fehlsteuerung der Fördermittel.
  5. Sich dafür einzusetzen, für den Strukturwandel notwendige Infrastrukturmaßnahmen, wie die Schienenvorhaben nach dem Investitionsgesetz Kohleregionen, schneller umzusetzen!
  6. Sich dafür einzusetzen, einen Plan für den zuverlässigen Erhalt und Transformation der energieintensiven Industrie im Revier und darüber hinaus zu entwickeln und zu diesem Zwecke regulatorisch positive Rahmenbedingungen für den Neubau von Energieinfrastruktur (z. B. Gaskraftwerke, Wasserstoffnetze) und für die perspektivische Umnutzung fossiler Energieinfrastruktur und deren Flächen (Braunkohletagebaue, Erdgasleitungen, Kohle- und Gaskraftwerke) zu schaffen.
  7. Sich dafür einzusetzen, den Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Region durch zusätzliche Investitionen und Anstrengungen zur Planungsvereinfachung voranzubringen und bürgerschaftliche, genossenschaftliche und kommunale Beteiligungen am Ausbau Erneuerbarer Energien zu vereinfachen, zu forcieren und Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien bietet auch die Chance, die Energieversorgung zu rekommunalisieren und Kommunen und Bürgerinnen und Bürger aktiv an der Energiewende zu beteiligen.
  8. Sich dafür einzusetzen, einen Investitionsfonds zur langfristigen Gestaltung der Tagebauränder aufzulegen und eine klare Lösung für die in den Kommunen anfallenden Ewigkeitslasten im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau, Kraftwerksstandorten und Tagebaurestseen zu finden und dabei auch die bergbautreibenden Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, ihre Verantwortung gegenüber der Ewigkeitslasten und der langfristigen Gestaltung der Flächen zu übernehmen.
  9. Sich dafür einzusetzen, ein umfassendes Revierwassersystem / -Konzept zu entwickeln. Ein zukünftiges Revier-Wassersystem muss über mehrere Jahrzehnte erst wieder neu hergestellt werden. Dazu gehört auch die sichere und zuverlässige Befüllung bestehender sowie neuer Tagebaurestseen – etwa durch die Rheinwassertransportleitung – und die Folgenabschätzung von Eingriffen in den Wasserhaushalt auf benachbarte Regionen. Der kommende Grundwasserwiederanstieg muss zudem von Hochwasserschutzmaßnahmen begleitet werden. Eine sichere Trinkwasserversorgung ist genehmigungsrechtlich zu unterstützen und auch durch technische und finanzielle Einbindung der Wasserversorgungsunternehmen zu garantieren.
  10. Die Landesregierung NRW aufzufordern, die im Verantwortungsbereich der Landesregierung NRW liegenden Förderprogramme und Förderprojekte deutlich stärker zu forcieren und transparenter sowie einfacher zu gestalten. Der bislang auch im Vergleich zu anderen Revieren mangelhafte Abfluss an Fördermitteln zeigt sehr deutlich, dass der Strukturwandel im Rheinischen Revier in den vergangenen Jahren eine zu geringe Priorität erfahren hat.
  11. Sich für eine eindeutige Verantwortungsstruktur – z.B. eines Strukturwandelbeauftragten – innerhalb der Landesregierung NRW einzusetzen, welche nicht nur als Ansprechstelle für die Kommunen fungiert, sondern auch Entscheidungskompetenzen besitzt, um die Strukturwandelprojekte gemeinsam mit den Kommunen, Gewerkschaften, Beschäftigten und Unternehmen in die Umsetzung zu bringen.
  12. Sich dafür einzusetzen, dass das Rheinische Revier erneuerbare Energien und zukunftsweisende Technologien entwickelt und zukunftsweisend für eine grüne Industrie steht. In diesem Rahmen ist Technologieoffenheit wichtig. Die SPD bekennt sich klar zum Industriestandort Nordrhein Westfalen. NRW ist Industriestandort Nr.1 in Europa und muss das im internationalen Wettbewerb bleiben.
  13. Sich dafür einzusetzen, dass die Transformation in NRW vor dem Hintergrund des Endes der Braunkohleverstromung insgesamt im Dreiklang sozial gerecht, ökologisch aufwertend, demokratisch organisiert und ökonomisch sinnvoll umgesetzt wird.
  14. Sich dafür einzusetzen, dass vor dem Hintergrund der Beschäftigungsfähigkeit in NRW und der Schaffung neuer, guter und mitbestimmter Arbeitsplätze im Rheinischen Revier eine Gesamtstrategie in Kooperation mit den Gewerkschaften, der Agentur für Arbeit und den Jobcentern entwickelt wird.
  15. Sich dafür einzusetzen, dass es eine innovative, zielgerichtete Strategie für die Ansiedlung von Unternehmen von Zukunftstechnologien mit breiter Wertschöpfung in der Region erarbeitet wird.
  16.  Sich dafür einzusetzen, dass alle Beschäftigten, die bei dem ursprünglich vorgesehenen Kohleausstieg bis 2038 APG-berechtigt sind, auch bei einem vorgezogenen Ausstieg diesen Anspruch behalten.
  17. Sich dafür einzusetzen, dass kommunaler Grunderwerb und Flächenaufbereitung als eigener Fördergegenstand eingeführt werden und, dass genügend Flächen zur Ansiedlung neuer Industrien im Revier zur Verfügung stehen, damit Transformation gelingen kann. Sollten vor allem bereits bestehende Industrieflächen transformiert werden, droht mit dem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung ein Strukturbruch, da die Flächen zunächst für neue Industrien nutzbar gemacht werden müssen.
  18. Zu bewirken, dass eine auf die Erfordernisse des Rheinischen Reviers zugeschnittene Sonderförder- und eine Sonderplanungszone geschaffen werden, um nach der drastischen Verkürzung der Restlaufzeit der Braunkohleverstromung den Strukturwandel schneller und erfolgreich zum Gelingen zu bringen. Beides muss ohne Aufweichungen von oder Eingriffe in Mitbestimmungsrechte oder das Arbeits- und Tarifrecht erfolgen.
  19. Die Ausweisung von Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete in den Kommunen dringend zu beschleunigen. Für die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch die Ansiedlung neuer Industrieunternehmen und klimaneutraler Energieerzeugung muss die Flächenbereitstellung deutlich beschleunigt werden. Der Zusatzbedarf der Kommunen an Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete muss anerkannt werden, Flächenpoollösungen ermöglicht und thematisch auf eine konsequent zukunfts- und angebotsorientierte Flächenentwicklung umgestellt werden. Die Etablierung von Sonderplanungszonen und Sonderflächen zur Prozessbeschleunigung ist deshalb kurzfristig dringend geboten
  20. Durch umgehende Konsultationen die Europäische Kommission dazu zu bringen, unter engen Vorgaben bessere beihilferechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit in einer Sonderförderzone eine  direkte Förderung von ansiedlungswilligen Unternehmen in Transformationsgebieten zu ermöglichen und die Landesregierung NRW aufzufordern, eine revierweite aktive Ansiedlung von Unternehmen zu fördern, die dem Anspruch folgt, das Rheinische Revier von einer fossilen zu einer nachhaltigen Energie- und Industrieregion zu transformieren.
  21. Einen Einsatz der Mittel für reguläre Aufgaben des Landes, Bundes und der Kommunen zu unterbinden und zu verhindern, sondern sie nur nach ihrer Zweckmäßigkeit i.S. eines gelingenden Strukturwandels einzusetzen.
  22. Bürgerbeteiligungsformate im Revier so auszurichten, dass jede*r Revier-Bürger*in unabhängig vom sozialen, schulischen oder beruflichen Hintergrund daran partizipieren kann.

F-03 Reform für ein zeitgemäßes Familienrecht dringend

20.03.2023

Der Parteitag der NRWSPD möge beschließen

 

Weiterleitung SPD- Bundesparteitag

 

I.

Das geltende Familienrecht wird seit langem nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht. Abgesehen von der Neufassung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (1.1.2023) fanden die letzten Reformen 1998 im Kindschaftsrecht und 2008 im Unterhalts-, Güter und Versorgungsausgleichsrecht statt.

 

In der Zwischenzeit haben sich Familienformen diversifiziert und sind deutlich vielfältiger geworden. Mittlerweile werden in Deutschland über ein Drittel der Kinder außerhalb der Ehe geboren. Nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern sind somit eine weit verbreitete Familienform geworden. Daneben finden sich Patchworkfamilien, Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern, Adoptions- und Pflegefamilien sowie die große Anzahl von Familien mit getrennten Eltern.

 

Vor diesem Hintergrund hatte schon die damalige SPD-Familienministerin Katarina Barley 2017 unter der Überschrift „Gemeinsam getrennt erziehen“ den Anstoß zu einer Modernisierung des Familienrechtes gegeben. Auch eine Vielzahl von Fachleuten fordert nachdrücklich eine Reformierung des bestehenden Familienrechts ein. Dies gilt vor allem für die große Zahl von Trennungsfamilien.

In einem Drittel aller Familien mit Kindern bis zum 18. Lebensjahr kommt es jährlich zu einer elterlichen Trennung. Davon sind mehr als 180.000 Kinder betroffen, die derzeit überwiegend nur bei einem der beiden Eltern aufwachsen (meist bei den Müttern). Folglich ist der Kontakt mit dem anderen Elternteil stark reduziert oder geht sogar ganz verloren.

 

Andererseits wünschen sich viele dieser Eltern eine stärker anteilige Aufteilung von Kinderbetreuung, Familienarbeit und Berufstätigkeit. Denn die überwiegend betreuenden Eltern tragen erhöhte – nicht nur zeitliche – Belastungen (z.B. höhere Gesundheitsrisiken) und sind an beruflicher sowie sozialer Teilhabe (verbunden mit größerem Armutsrisiko) eingeschränkt. Viele der nicht betreuenden Eltern fühlen sich andererseits in ihrer Elternrolle abgewertet und leiden unter dem mangelnden Kontakt zu ihren Kindern.

Für Kinder bringt Alleinerziehung erhöhte Entwicklungsrisiken und vermehrten Bedarf an Hilfen zur Erziehung mit sich.

Diese Erkenntnisse wurden leider bisher gesetzgeberisch nicht aufgegriffen, geschweige denn umgesetzt. Auch die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele reichen nicht aus; zudem sind bisher öffentlich auch hier keine Umsetzungsschritte erkennbar. So ist auch nicht bekannt, ob und gegebenen falls wie weit an einem Gesetzentwurf für eine Reformnovelle gearbeitet wird.

 

Wir fordern deshalb Bundesvorstand und Bundestagsfraktion auf, eine entsprechende Gesetzesinitiative zur Reform des Familienrechts noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode von der Regierung einzufordern, im Verweigerungsfall selbst voranzubringen bzw. einzuleiten.

 

Kernaufgaben eines sozialdemokratischen Familienrechts sollten dabei sein, zum einen die im aktuellen Gesetz bestehende Ungleichbehandlung zwischen nichtehelichen und ehelichen Lebensgemeinschaften sowie zwischen Müttern und Vätern zu beseitigen. Zum anderen sollte das Familienrecht am Leitbild der Kooperation auch getrennter Eltern ausgerichtet werden, anstatt diese in Konfrontationssituationen zu führen.

 

II.

Bei der Reform des Familienrechts sollen insbesondere folgende Elemente Eingang finden:

 

1. Elterliche Sorge

  • Nach Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft steht beiden Eltern von Gesetzes wegen die elterliche Sorge zu. Es bedarf hier einer grundrechtlichen Gleichstellung des Vaters, der bisher nur auf Antrag oder mit Zustimmungserklärung der Mutter das Sorgerecht erhält. Die richterliche Überprüfung steht der Mutter im Rahmen der Kindeswohlprüfung bei Bedenken ihrerseits – unter Einschluss des Verhaltens der Eltern untereinander – weiterhin offen.

 

  • Als weiteres Betreuungsmodell nach einer elterlichen Trennung sind im Kindschaftsrecht – sowie in angrenzenden Rechtsgebieten (Melderecht, Sozialrecht, Steuerrecht, Jugendhilferecht) – Formen „anteiliger Betreuung“ durch beide Eltern rechtlich darzustellen.

 

  • Das bestehende Familienrecht gestaltet in seinen Regelungen zur gemeinsamen elterlichen Sorge, zum Unterhalt sowie zum Zusammenleben mit den Kindern rechtlich bisher nur das „Residenzmodell“ als einziges familiäres Lebensmodell nach einer Elterntrennung aus. Dies soll um die rechtliche Ausgestaltung von Formen anteiliger Betreuung erweitert werden. Dabei sollen Familien das für sie passende im Recht abgebildete Betreuungs- und Lebensmodell auswählen können.

 

2. Unterhalt

  • Es soll gesetzlich klargestellt werden, dass beim Kindesunterhalt eine anteilige Betreuung durch beide Eltern zu berücksichtigen ist. Gleichzeitig sind bestehende Einkommensunterschiede zwischen den Eltern ebenfalls zu berücksichtigen. Für eine faire Berechnung ist das individuelle Einkommen beider Eltern sowie ihre jeweiligen Betreuungsanteile zu Grunde zu legen. Der Kindesunterhalt ist entsprechend quotal zur Einkommenshöhe und quotal zum Betreuungsanteil zu berechnen.

 

  • Entscheiden sich die Eltern bei Trennung dafür, die Kinder paritätisch zu betreuen, dürfen sie nicht die Kindesunterhaltszahlungen im gegenseitigen Einvernehmen aufheben, sondern sind verpflichtet, den Kindesunterhalt quotal nach ihren jeweiligen Einkommensverhältnissen zu leisten. Damit soll vermieden werden, dass dieses Betreuungsmodell zu Einsparungen von Unterhaltszahlungen gegenüber den Kindern missbraucht wird. Ein Verzicht zu Lasten der Kinder ist auch im Einvernehmen der Eltern unzulässig. Die hierzu gängige Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte soll gesetzlich verankert werden, um Klarheit herzustellen.

 

  • Nach der Trennung sollen verheiratete und nichtverheiratete Eltern, die gemeinsame Kinder überwiegend betreuen, beim Anspruch auf Betreuungsunterhalt gleichgestellt werden. Es soll klargestellt werden, dass der Betreuungsunterhalt sich am Sachverhalt der Betreuung des Kindes orientiert und nicht an dem persönlichen Familienstand.Derzeit wird bei verheirateten Eltern die Höhe des Betreuungsunterhalts auf der Grundlage des gesamten Familieneinkommens bemessen. Bei nichtverheirateten Eltern wird nur das Einzeleinkommen des überwiegend betreuenden der beiden Eltern zu Grunde gelegt. Verheirate und nicht verheiratete Eltern werden dadurch im Hinblick auf die Höhe des Anspruchs ungleich behandelt.

 

3. Konfliktlösung

  • In familiengerichtlichen Verfahren von Paaren mit Kindern soll vorab die Möglichkeit der Durchführung eines gerichtlichen Mediationsverfahren angeboten werden, um möglichst im Vorfeld Einigungen über familienrechtliche Regelungen zu erzielen und lange gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Dazu sollte eine staatlich bezuschusste Mediationskostenhilfe eingeführt werden.

 

  • Schon im Vorfeld einer Trennung sollen Eltern und Familien umfassende Beratung im Hinblick auf die Trennungsfolgen und eine konstruktive Gestaltung des Familienlebens nach einer Eltern-Trennung erhalten. Darin sollen auch finanzielle Fragen mit eingeschlossen sein. Für eine solche integrierte Beratung sollte ein Rechtsanspruch im Jugendhilferecht geschaffen werden.
  • Bei den Jugendämtern und in der Jugendhilfe sollen verbindliche Qualitätsstandards für die Beratung und Intervention bei elterlichen Trennungen eingeführt und evaluiert werden, ähnlich wie es bereits bei den „Frühen Hilfen“ und beim „Kinderschutz“ erfolgreich der Fall ist.

 

  • Den Familiengerichten muss es kraft Gesetzes ermöglicht werden, unversöhnlich streitende Eltern zur Teilnahme an Elternkursen und Familienberatung per Auflage zu verpflichten.

 

4. Sprachgebrauch im Familienrecht

  • Ungleichbehandelnde, streitfördernde und nicht mehr zeitgemäße sprachliche Formulierungen wie „Umgang“, „Sorgerecht“ und „Elternteil“ sollen aus dem Sprachgebrauch im Familienrecht gestrichen werden. Anstelle von „Umgang“ und „Umgangsregelung“ sollte von „Zusammenleben mit dem Kind“, „anteiliger Betreuung“ oder „alternierender Betreuung“ gesprochen werden; anstatt von „elterlichem Sorgerecht“ von „elterlicher Sorgeverantwortung“. Eltern sollten nicht als „Elternteile“, sondern als „Elternpersonen“ angesprochen werden.

 

5. Weiterentwicklung der amtlichen Statistik

  • Als wichtige Informationsquelle für die Sozialplanung und für politische Entscheidungen muss die amtliche Statistik die tatsächliche Vielfalt der heutigen Familienformen erfassen und abbilden. Hierzu ist notwendig, neben überwiegend betreuenden Eltern auch die tatsächliche Zahl der Alleinerziehenden anzugeben.

 

  • Daneben müssen auch haushaltsübergreifende Lebenszusammenhänge von Familien getrennter Eltern mit anteiligen Betreuungsarrangements sowie die Anzahl derjenigen Eltern, die von ihren Kindern getrennt leben, miterfasst werden.