Wer in Deutschland eine Geldstrafe nicht zahlen kann oder nicht zahlen möchte, muss ins Gefängnis. § 43 StGB normiert, dass an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe tritt, wobei ein Tagessatz der Geldstrafe einem Tag Freiheitsstrafe entspricht.
Wer ist vornehmlich von der Ersatzfreiheitsstrafe betroffen?
Zumeist trifft die Ersatzfreiheitsstrafe Menschen, die nicht in der Lage sind, die Geldstrafe zu bezahlen. Dies sind vor allem Menschen, die wohnungs- oder obdachlos und oftmals psychisch krank sind. Viele haben eine Migrationsgeschichte, viele sind gar nicht mehr arbeitsfähig. Es sind Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die begangenen Delikte, aufgrund derer die Geldstrafe verhängt wurde, sind oftmals „Armutsdelikte“, wie der Ladendiebstahl einer Flasche Vodka aufgrund einer Suchtkrankheit oder das sogenannte Erschleichen von Leistungen, indem man den öffentlichen Nahverkehr ohne gültigen Fahraus- weis nutzt. Diese Delikte werden dann häufig mit Geldstrafen geahndet, da das Gericht der Meinung ist, dass die Schwere des Deliktes nicht ausreicht, um eine Freiheitsstrafe zu verhängen. Kann man die Geldstrafe nicht bezahlen, landet man gem. §43 StGB doch im Gefängnis. Obwohl es dazu ja gerade nicht kommen sollte. Dies geschieht durch einen Strafbefehl, ein schriftliches Urteil in Abwesenheit, der von einem Richter oder einer Richterin abgenickt wird. Dieser wird an die letzte bekannte Adresse der beschuldigten Person geschickt. Nach 2 Wochen wird dieser Strafbefehl rechtskräftig, die beschuldigte Person ist nun ohne möglichen Rechtsbehelf verurteilt. Ohne jemals vor einem oder einer Richterin gestanden haben zu haben, ohne jemals die Möglichkeit gehabt zu haben, dass das Gericht sich die Person und ihre individuelle Lebensgeschichte anschaut, möglicherweise eine verminderte Schuldfähigkeit oder sogar die Schuldunfähigkeit feststellt. So landen regelmäßig psychisch kranke, stark demente, stark des- orientierte oder auch drogenabhängige Menschen in Gefängnissen. Menschen, die den Brief womöglich gar nicht gelesen haben. Viele hat dieser Brief aufgrund einer alten Adresse niemals erreicht, viele sind durch starke psychische Belastung nicht in der Lage sich damit auseinanderzusetzen. Diese Menschen brauchen Unterstützung durch das Sozialsystem. Und vor allem keine Freiheitsstrafe.
Zahlen und Fakten zur Ersatzfreiheitsstrafe
Die Zahl normaler Freiheitsstrafen ist rückläufig, doch die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen steigt. Und das enorm. Seit 2003 stieg die Zahl an Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, um 25% – Es sind so viele wie noch nie. Jedes Jahr müssen etwa 100.000 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten, das sind mehr als die Hälfte (!) aller jährlichen Haftantritte. Es kann somit festgehalten werden, dass jedes Jahr die Bevölkerung einer kleinen Großstadt inhaftiert wird, um Schulden abzusitzen. Da die Ersatzfreiheitsstrafen meist nur kurz sind, oftmals wenige Wochen, herrscht ein reger Wechsel in den Gefängnissen. So machen Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen etwa 10% aller Ge fängnisinsassen aus. Dass kurze Freiheitsstrafen der Resozialisierung enorm entgegenlaufen und häufig Menschen noch mehr in die Kriminalität treiben, ist so- gar dem Gesetzgeber aufgefallen. So normiert § 47 StGB, dass kurze Freiheits- strafen, also Freiheitsstrafen unter 6 Monaten, nur in Ausnahmefällen verhängt werden sollen. Ersatzfreiheitsstrafen liegen oft unter 6 Monaten und sind dabei meist so kurz, dass erst gar keine Resozialisierungsmaßnahmen vorgenommen werden.
Ein Hafttag kostet den Staat und die Länder dabei etwa 150€, in manchen Bundesländern 170€.
Dazu ein Beispiel: Erhält ein Mensch für das Fahren ohne Fahrschein (§ 265a StGB) 30 Tagessätze Geldstrafe und kann dann diese Geldstrafe nicht zahlen, geht er gem. § 43 StGB für 30 Tage ins Gefängnis. Das kostet den Staat bei 150€ pro Hafttag dann 4.500€. Für ein nicht gekauftes Ticket, das vielleicht 3€ gekostet hätte. Problematisch ist dabei zusätzlich, dass der Großteil dieses Geldes nicht in Sozialmaßnahmen, wie die Einstellung von mehr Krankenpfleger*innen oder Sozialarbeiter*innen fließt, sondern in die teuren Sicherheitsvorkehrungen der Gefängnisse. Dieses Geld könnte an anderen Orten, wie dem Sozialsektor, deutlich besser investiert werden. Zum Beispiel in die Verbesserung der Unterstützung für Arbeits-, Wohnungs- oder Obdachlose. In einen Ausbau sozialer Anlaufstellen.
Schwitzen statt Sitzen
Es gibt zwar die Möglichkeit, statt des Antretens der Ersatzfreiheitsstrafe gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Dies kommt allerdings für viele Betroffene gar nicht in Betracht. Viele der Beschuldigten sind aufgrund körperlicher oder psychischer Krankheiten gar nicht in der Lage, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Viele sind schon lange arbeitsunfähig. Außerdem scheitert es häufig bereits an der Bürokratie. „Schwitzen statt Sitzen“ kann man nur auf Antrag. Der muss zunächst einmal gestellt werden, was eine große Hürde darstellt.
Es geht auch ohne Ersatzfreiheitsstrafe
Viele andere Länder kommen ohne das Instrument der Ersatzfreiheitsstrafe aus, wie zum Beispiel Italien. Italien ist hierbei interessant, da das Verfassungsgericht Italiens die Ersatzfreiheitsstrafe bereits in den 1970er Jahren als verfassungswidrig einstufte.
Oftmals wird von Befürwortern der Ersatzfreiheitsstrafe vorgebracht, dass ohne diese die Zahlungsunwilligen, also die, die die Geldstrafen bezahlen können, aber nicht wollen, ohne die Ersatzfreiheitsstrafe ihre Geldstrafen nicht mehr bezahlen würden. Dies ist jedoch aus der Luft gegriffen, da es hierfür keine Evidenz gibt. Zudem könnte man dieser Sorge mit einer konsequenteren Vollstreckung effektiv entgegenwirken, beispielsweise über die Vollstreckungsmöglichkeiten der Steuerverwaltung. Die „Abschreckungswirkung“ der Ersatzfreiheitsstrafe kann dann dahinstehen.
Fazit
Die Ersatzfreiheitsstrafe bestraft Menschen dafür, dass sie arm sind. Menschen begehen Armutsdelikte, um ihren Hunger, Durst oder ihre Sucht zu befriedigen. Sie fahren ohne Fahrschein, weil sie sich diesen nicht leisten können. Und wenn sie sich dann die Geldstrafe nicht leisten können, müssen sie ins Gefängnis. Ohne jemals eine*n Richter*in gesehen zu haben. Das ist absurd.
Wir begrüßen den Ansatz der Ampel-Regierung, das Verhältnis von Tagessätzen zu Ersatzfreiheitsstrafe zu halbieren, dass also ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tagessätze tilgt. Damit ist es jedoch noch lange nicht getan.
Deswegen fordern wir:
- Kurzfristig:
- eine Umrechnung von drei Tagessätzen zu einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe.
- eine Anhörung vor einer*m Richter*in, die die Ersatzfreiheitsstrafe anordnen müssen.
- die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten, wie dem Erschleichen von Beförderungsleistungen gem. § 265a StGB, mit weiteren Maß- nahmen zur Verhinderung von Erzwingungshaft.
- stärkerer Ausbau gemeinnütziger Arbeitsstellen, in welchen die Geldstrafe abgearbeitet werden kann. Insbesondere für Arbeitsstellen, die eine besondere Betreuung gewährleisten, um die Zugänglichkeit und den Kreis der angesprochenen Personen zu erweitern
- verstärkte Ausgabe von Sozialtickets für den ÖPNV
- Resozialisierungsmaßnahmen wie psychosoziale Unterstützung, auch bei kurzen Haftstrafen
- Langfristig die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und die Ersetzung durch ein System, das auf Reintegration in die Gesellschaft zielt.
- Begleitend fordern wir mehr Investitionen in den sozialen Sektor, damit Menschen gar nicht erst zu einer Ersatzfreiheitsstrafe getrieben werden, insbesondere
- ein breiteres Angebot für psychisch kranke Menschen, das kosten- los und barrierefrei zugänglich sein muss.
- eine stärkere Unterstützung für wohnungs- und obdachlose Menschen, durch Finanzierung von (Not-) Unterkünften (Housing-First- Ansatz)
- einen gesicherten Zugang zu Essen und Trinken durch staatliche Maßnahmen
- Keine Vertreibung von obdach- und wohnungslosen Menschen von öffentlichen Plätzen